Entscheidungsstichwort (Thema)
Unzulässigkeit vorweggenommener Beweiswürdigung
Leitsatz (NV)
- Unterläßt das Gericht bei Zweifeln an der Richtigkeit eines Vortrages eine dadurch erforderliche Beweiserhebung mit der Begründung, das zu erwartende Ergebnis könne das Gericht nicht überzeugen, liegt darin eine - grundsätzlich unzulässige - vorweggenommene Beweiswürdigung, mit der ein Prozeßbeteiligter nicht rechnen muß.
- Die Anhörung eines vom Beteiligten zu einem bestimmten Beweisthema benannten Zeugen kann nur unterbleiben, wenn es auf die Zeugenaussage - nach dem insoweit maßgeblichen materiellrechtlichen Rechtsstandpunkt des FG - für die Entscheidung nicht ankommt oder wenn das Gericht den in das Wissen des Zeugen gestellten Sachverhalt als wahr unterstellt.
- Bedeutung einer Auskunft des FA für die Inanspruchnahme der Folgeobjektsregelung des § 10e Abs. 4 Satz 4 EStG.
Normenkette
FGO § 76 Abs. 1, § 155; ZPO § 295; EStG 1990 § 10e Abs. 4 S. 4
Verfahrensgang
FG Düsseldorf (EFG 1996, 917) |
Tatbestand
I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr 1991 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Sie sind Eigentümer einer fremdvermieteten Eigentumswohnung in D, für die sie in den Jahren 1984 bis 1991 erhöhte Absetzungen nach § 7b des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Anspruch genommen hatten. Sie waren außerdem bis zur Veräußerung im August 1987 Eigentümer einer mit Vertrag vom 11. September 1984 erworbenen, eigengenutzten Eigentumswohnung in D, für die sie in den Jahren 1984 bis 1987 ebenfalls erhöhte Absetzungen nach § 7b EStG in Anspruch genommen hatten.
Nach ihrem Umzug wohnten die Kläger zunächst in einer Mietwohnung. Mit Kaufvertrag vom 22. Juni 1990 erwarben sie in M ein vom Veräußerer noch mit einem Einfamilienhaus zu bebauendes Grundstück. Im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses war mit dem Bau bereits begonnen worden. Für die bezugsfertige Herstellung des Einfamilienhauses war eine Höchstbauzeit bis zum 31. März 1991 vorgesehen. Im Vertrag war die Übergabe nach Bezugsfertigkeit sowie nach vollständiger Begleichung der bis dahin fälligen Kaufpreisraten vereinbart.
Mit Schreiben vom 7. Oktober 1990 richteten die Kläger eine "Anfrage wg. § 10e/Folgeobjekt" an den Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--). Unter Hinweis auf die Veräußerung der eigengenutzten Wohnung im Herbst 1987 und die Inanspruchnahme erhöhter Absetzungen für dieses Objekt erklärten die Kläger: "Im Juni dieses Jahres haben wir einen Kauf- und Bauvertrag für ein schlüsselfertiges Haus in ... (M) abgeschlossen. Das Haus wird voraussichtlich im Januar oder Februar 1991 fertig, zum gleichen Zeitpunkt ziehen wir ein. Unsere Frage und Bitte um verbindliche Antwort ist, ob wir dann für vier Jahre (1991 bis 1994) den § 10e für dieses neue Haus in Anspruch nehmen können, oder ob durch die 3-Jahresfrist der Folgeobjektregelung die Fertigstellung und Einzug bereits bis Ende 1990 erfolgen muß."
Das FA teilte den Klägern mit Schreiben vom 5. November 1990 mit: "Nach den vorliegenden Unterlagen wurde die Eigentumswohnung in ... (D) in 1987 veräußert. Die erhöhte Abschreibung nach § 7b EStG wurde bis einschließlich 1987 in Anspruch genommen. Gemäß § 10e Abs. 4 EStG kann die erhöhte Abschreibung für ein Folgeobjekt in Anspruch genommen werden, wenn das Objekt innerhalb von drei Jahren nach Ablauf des Veranlagungszeitraums, in dem das Erstobjekt letztmals zu eigenen Wohnzwecken genutzt wurde, angeschafft oder hergestellt wurde. Nach § 10e (1) EStG beginnt der Abzugszeitraum von acht Jahren im Jahr der Anschaffung oder Herstellung. Voraussetzung ist, daß der Steuerpflichtige das Objekt zu eigenen Wohnzwecken nutzt und es sich nicht um eine Ferienwohnung handelt. Für das Objekt in ... (M) kann somit noch vier Jahre die erhöhte Abschreibung in Anspruch genommen werden, sofern das Gebäude zu eigenen Wohnzwecken genutzt wird."
In der Einkommensteuererklärung für 1991 machten die Kläger für dieses Objekt einen Abzugsbetrag nach § 10e Abs. 1 i.V.m. § 10e Abs. 4 EStG in Höhe von 15 000 DM geltend. Als Datum der "Anschaffung/Fertigstellung" gaben die Kläger den 22. Juni 1990 und als Beginn der Eigennutzung den 31. März 1991 an. Dementsprechend beanspruchten sie den Abzug von Aufwendungen für ein Arbeitszimmer unter der alten Adresse sowie Vorkosten bis zum 31. März 1991. In der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht (FG) haben sie erklärt, sie seien im Februar 1991 eingezogen.
Das FA ließ im Einkommensteuerbescheid für 1991 den geltend gemachten Abzugsbetrag unberücksichtigt, weil das Objekt kein "Folgeobjekt" i.S. des § 10e Abs. 4 EStG sei. Der Kauf- und Bauvertrag sei zwar bereits 1990 abgeschlossen worden; das Gebäude sei jedoch erst nach Fertigstellung am 31. März 1991, mithin nach Ablauf von drei Jahren seit der Veräußerung des Hauses in D übergeben worden. Der Einspruch der Kläger blieb erfolglos.
Mit der Klage brachten die Kläger vor, sie hätten auf die Auskunft des FA vertraut. Sie hätten Zweifel gehabt, ob die Begünstigung für ein Folgeobjekt voraussetze, daß das Haus auch innerhalb von drei Jahren nach Ablauf des Veranlagungszeitraumes 1987, also 1990, fertiggestellt würde. Dafür habe zwar die gesetzliche Regelung gesprochen; andererseits hätte das Kaufvertragsdatum und der überwiegend 1990 erfolgte Herstellungsprozeß dagegen gesprochen. Sie hätten auch für möglich gehalten, daß es eine unbekannte Regelung für den Fall "schlüsselfertigen Kaufs" gebe und deshalb eindeutig gefragt, ob das Haus bis Ende 1990 fertiggestellt und von ihnen bezogen sein müsse. Hätte das FA --wie erst im Schreiben vom 4. Juni 1992 geschehen-- ihre Frage mit den Begriffen "Übergabe" und "Fertigstellung" eindeutig beantwortet, wäre ihnen in den Monaten November und Dezember 1990 eine Chance verblieben, diese Voraussetzungen zu schaffen, zumindest aber dies mit allem Nachdruck zu versuchen. Dies hätten sie aufgrund der Antwort des FA unterlassen.
Das FA habe zwar in seinem Schreiben vom 5. November 1990 dieselben Formulierungen gewählt, die bei ihnen zur Unsicherheit hinsichtlich der Begriffe "angeschafft" und "hergestellt" geführt hätten. Sie hätten sich jedoch auf den letzten Satz der Antwort verlassen, der schließlich "den Kernpunkt" ihrer Anfrage beantworte. Aus der Verwendung des Wortes "somit" hätten sie folgern können, ihre Frage sei in Kenntnis des geschilderten Sachverhalts in der Weise beantwortet, daß Fertigstellung und Einzug im Januar oder Februar 1991 nicht schädlich sei.
Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 1996, 917 abgedruckt.
Das FG führte aus, die Voraussetzungen des § 10e Abs. 4 Satz 4 EStG lägen nicht vor.
Eine verbindliche Auskunft, aufgrund deren die Kläger dennoch die Gewährung eines Abzugsbetrages nach § 10e Abs. 4 EStG erlangen könnten, habe das FA nicht erteilt.
Die Gewährung eines Abzugsbetrages nach § 10e Abs. 1 Satz 4 EStG komme auch nicht mit Rücksicht auf die Grundsätze von Treu und Glauben in Betracht. Insoweit fehle es an einer durch das Vertrauen in die Auskunft verursachten Disposition. Die Kläger hätten in ihrem Schriftsatz vom 15. Juni 1992 selbst eingeräumt, bei einer widerspruchsfreien Auskunft hätten sie die "Chance" gehabt, das Gebäude in den Monaten November und Dezember 1990 fertigstellen zu lassen oder dies zumindest "mit allem Nachdruck zu versuchen". Sie hätten zwar in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, der bauausführende Architekt habe auf entsprechende Anfrage bestätigt, daß ihr Haus --anstelle der benachbarten Doppelhaushälfte-- noch 1990 hätte fertiggestellt werden können. Beides --ihre eigene Einschätzung und die Auskunft des Architekten-- ergebe nicht mit "der für die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben erforderlichen Sicherheit", daß das Gebäude noch im Jahr 1990 hätte fertiggestellt werden können.
Mit der Revision rügen die Kläger Verletzung der Sachaufklärungspflicht und Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör.
Entscheidungserheblich sei die Frage, ob die Kläger bei widerspruchsfreier Auskunft das Objekt noch im Jahr 1990 hätten fertigstellen lassen können. In der mündlichen Verhandlung habe der Prozeßbevollmächtigte auf die Frage, wie er die Fertigstellung der Doppelhaushälfte noch im Jahr 1990 nachweisen könne, wahrheitsgemäß die Auskunft des Architekten mitgeteilt. Wenn das Gericht insoweit Zweifel gehabt hätte, hätte es entweder selbst die Anhörung des Architekten als Zeugen veranlassen oder mindestens die Kläger auf bestehende Zweifel hinweisen müssen.
Nachdem weder das FA noch das Gericht insoweit Zweifel geäußert hätten, habe der Prozeßbevollmächtigte davon ausgehen können, ein Beweisantritt sei nicht erforderlich. Daß die Frage, ob das Gebäude im Jahr 1990 tatsächlich hätte fertiggestellt werden können, noch beweisbedürftig gewesen sei, hätten die Kläger erst aus dem Urteil erfahren. Eine entsprechende Rüge sei deshalb in der mündliche Verhandlung nicht möglich gewesen.
Wenn sie Zweifel des Gerichts gekannt hätten, hätten sie den Architekten als Zeugen angeboten und dieser hätte die Auskunft der Kläger bestätigt.
Die Kläger beantragen, unter Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und der Einspruchsentscheidung vom 17. August 1993 den Einkommensteuerbescheid für 1991 vom 1. September 1992 dahin abzuändern, daß ein Abzugsbetrag nach § 10e Abs. 1 Satz 4 EStG in Höhe von 15 000 DM berücksichtigt wird.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Es trägt vor: Das FG hätte keine weiteren Ermittlungen anstellen müssen, weil auch die Aussage des Architekten rein spekulativen Charakter gehabt hätte. Außerdem hätten sich die Kläger nicht auf die offensichtlich mißverständliche, nicht ganz eindeutige Auskunft des FA verlassen dürfen. Diese eigne sich nicht als Vertrauensgrundlage. Bei einer erneuten Verhandlung sei auch zu prüfen, ob das Schreiben des FA vom 5. November 1990 eine geeignete Vertrauensgrundlage bilden könne.
Entscheidungsgründe
II. Die ausschließlich auf Verfahrensmängel gestützte Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Die Verfahrensrüge ist in zulässiger Form erhoben.
Wird ein Verfahrensmangel gerügt, so sind in der Revisionsbegründung die Tatsachen zu bezeichnen, die den Mangel ergeben (§ 120 Abs. 2 Satz 2 FGO).
Bei der Rüge mangelnder Sachaufklärung wegen Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO), wie sie im Streitfall erhoben wird, muß dargelegt werden, welche Tatfrage aufklärungsbedürftig ist, welche Beweismittel zu welchen Beweisthemen das FG nicht erhoben hat und warum der Kläger, sofern er durch einen Prozeßbevollmächtigten vertreten war, nicht von sich aus einen entsprechenden Antrag gestellt hat, die Beweiserhebung sich aber dem FG --ohne besonderen Antrag-- hätte aufdrängen müssen (vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 31. Juli 1990 I R 173/83, BFHE 162, 236, BStBl II 1991, 66; BFH-Beschlüsse vom 16. Juli 1997 XI B 9/96, BFH/NV 1998, 53; vom 2. Januar 1997 VII B 185/96, BFH/NV 1997, 425; vom 7. Januar 1993 VII B 115/92, BFH/NV 1994, 37). Diesen Anforderungen entspricht die Begründung der vom erkennenden Senat wegen des Verfahrensmangels zugelassenen Revision.
2. Die Rüge ist auch begründet.
a) Das FG geht mit den Beteiligten zu Recht davon aus, daß die tatbestandlichen Voraussetzungen für die von den Klägern begehrte Steuerbegünstigung nach § 10e EStG wegen "Objektverbrauchs" i.S. des § 10e Abs. 4 Sätze 2 und 3 EStG nicht erfüllt sind und auch die Voraussetzungen des § 10e Abs. 4 Satz 4 EStG nicht vorliegen, weil die Kläger das Folgeobjekt nicht innerhalb von drei Jahren nach Ablauf des Veranlagungszeitraumes der letztmaligen Nutzung des Erstobjektes zu eigenen Wohnzwecken angeschafft haben; denn angeschafft ist ein Wirtschaftsgut in dem Zeitpunkt, in dem der Erwerber nach dem Willen der Vertragsbeteiligten darüber wirtschaftlich verfügen kann; das ist in der Regel der Fall, wenn Eigenbesitz, Nutzen, Lasten und Gefahr auf den Erwerber übergehen (z.B. BFH-Urteil vom 2. September 1988 III R 53/84, BFHE 154, 413, BStBl II 1988, 1009, m.w.N.). Die Übergabe erfolgte im Streitfall, da sich der Veräußerer zur Lieferung des noch auf seine Rechnung und Gefahr fertigzustellenden Einfamilienhauses verpflichtet hatte, im Jahr 1991, mithin mehr als drei Jahre nach Ablauf des Veranlagungszeitraumes der letztmaligen Nutzung des Erstobjektes zu eigenen Wohnzwecken (1987).
b) Entscheidungserheblich war hiernach allein die Frage, ob mit Rücksicht auf die Grundsätze von Treu und Glauben sich das FA auf den Ablauf der Frist deswegen nicht berufen durfte, weil die Kläger im Vertrauen auf das Schreiben des FA vom 5. November 1990 unterlassen haben, die --unter Berufung auf die Bestätigung des bauausführenden Architekten tatsächlich mögliche-- rechtzeitige Fertigstellung und Übergabe zu veranlassen.
c) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist anerkannt, daß die Finanzbehörde auch außerhalb einer Außenprüfung (§§ 204 bis 207 der Abgabenordnung --AO 1977--) unter bestimmten Voraussetzungen eine Zusage abgeben kann, deren Verbindlichkeit aus Treu und Glauben abzuleiten ist (z.B. BFH-Urteile vom 16. Dezember 1998 II R 50/96, BFH/NV 1999, 900; vom 22. August 1990 III R 27/88, BFH/NV 1991, 572; vom 17. September 1992 IV R 39/90, BFHE 169, 290, BStBl II 1993, 218; vom 13. Dezember 1989 X R 208/87, BFHE 159, 114, BStBl II 1990, 274, m.w.N.). Hiernach kann das FA nach Treu und Glauben gebunden sein, wenn es einem Steuerpflichtigen zugesichert hat, einen konkreten Sachverhalt, dessen steuerrechtliche Beurteilung zweifelhaft erscheint und der für die wirtschaftliche Disposition des Steuerpflichtigen bedeutsam ist, bei der Besteuerung in einem bestimmten Sinne zu beurteilen (BFH-Urteile vom 16. März 1983 IV R 36/79, BFHE 138, 223, BStBl II 1983, 459; in BFHE 159, 114, BStBl II 1990, 274, und in BFH/NV 1991, 572, m.w.N.)
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH kann allerdings ein durch die Zusage geschaffener Vertrauenstatbestand nur dann zu einer Verpflichtung der Finanzverwaltung führen, wenn der Steuerpflichtige im Vertrauen auf das Verhalten der Finanzbehörde disponiert hat; das Verhalten der Finanzbehörde muß mithin ursächlich für das Verhalten des Steuerpflichtigen gewesen sein (z.B. BFH-Urteil in BFH/NV 1991, 572, m.w.N.).
d) Das FG hat das Vorliegen dieser Voraussetzungen allein mit der Begründung verneint, es fehle bereits an einer wirtschaftlichen "Disposition" der Kläger; denn es, das FG, sei trotz des Hinweises der Kläger auf die Bestätigung des bauleitenden Architekten nicht mit der "für die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben erforderlichen Sicherheit" davon überzeugt, daß die Fertigstellung noch im Jahr 1990 tatsächlich möglich gewesen wäre. Darin liegt eine vorweggenommene Beweiswürdigung.
Abgesehen davon, daß das FG nicht weiter substantiiert hat, aufgrund welcher Erwägungen es eine Fertigstellung für unwahrscheinlich hielt, hätte es im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht nach § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO den von den Klägern benannten bauausführenden Architekten vernehmen müssen. Dies würde nur dann nicht gelten, wenn es auf die Zeugenaussage --nach dem insoweit maßgeblichen materiell-rechtlichen Rechtsstandpunkt des FG (vgl. z.B. BFH-Beschluß vom 4. März 1992 II B 201/91, BFHE 166, 574, BStBl II 1992, 562; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 120 Rdnr. 39, m.w.N.)-- für die Entscheidung nicht angekommen wäre oder wenn das Gericht den in das Wissen des Zeugen gestellten Sachverhalt als wahr unterstellt hätte (vgl. BFH-Urteile vom 22. April 1988 III R 59/83, BFH/NV 1989, 38; vom 13. August 1969 II 213/65, BFHE 98, 210, BStBl II 1970, 338). Beides ist nicht der Fall. Entgegen der Auffassung des FA konnte die Anhörung des Architekten als sachverständigem Zeugen nicht deshalb unterbleiben, weil die Wahrscheinlichkeit eines hypothetischen Geschehensablaufes in Frage stand. Ob angesichts des konkreten Bauzustandes die Wohnung in der Zeit vom 6. November 1990 (Tag der Auskunft des FA) bis zum 31. Dezember 1990 ungeachtet von Weihnachtsfeiertagen und Weihnachtsferien hätte fertiggestellt und übergeben werden können, insbesondere, ob der Veräußerer ohne weiteres seine Planung in bezug auf das andere Doppelhaus hätte umstellen können, mag zweifelhaft sein. Allein Anhaltspunkte dafür, daß das angebotene Beweismittel schlechterdings untauglich gewesen wäre, sind weder erkennbar noch vom FG festgestellt worden.
e) Zutreffend tragen die Kläger vor, daß sie ihr Recht, die mangelnde Sachaufklärung zu rügen, nicht verloren haben. Ein Verfahrensmangel kann zwar nicht mehr mit Erfolg geltend gemacht werden, wenn er eine Verfahrensvorschrift betrifft, auf deren Beachtung die Prozeßbeteiligten verzichten können und verzichtet haben (§ 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozeßordnung). Nach ihrem unwidersprochenen Vortrag haben weder das FA noch das FG das Vorbringen der Kläger in Zweifel gezogen, die Wohnung hätte nach Auskunft des bauausführenden Architekten ohne weiteres fertiggestellt und übergeben werden können. Der Prozeßbevollmächtigte der Kläger hatte deshalb keine Veranlassung, von sich aus einen Beweisantrag zu stellen. Unterläßt das Gericht bei Zweifeln an der Richtigkeit eines Vortrages eine dadurch erforderliche Beweiserhebung mit der Begründung, das zu erwartende Ergebnis könne das Gericht nicht überzeugen, liegt darin eine --grundsätzlich unzulässige-- vorweggenommene Beweiswürdigung (z.B. BFH-Entscheidungen vom 28. Mai 1998 III B 5/98, BFH/NV 1998, 1352; vom 19. Juli 1994 VIII R 60/93, BFH/NV 1995, 717; vom 21. Mai 1992 VIII B 76/91, BFH/NV 1993, 32; Gräber/von Groll, a.a.O., § 76 Rz. 26), mit der ein Prozeßbeteiligter nicht rechnen muß.
f) Die Vorentscheidung kann auf diesem Verfahrensmangel beruhen, da jedenfalls nicht auszuschließen ist, daß das FG zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Es bedarf keiner Entscheidung mehr zur weiteren Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs. Dem Senat sind eigene Tatsachenfeststellungen verwehrt (§ 118 Abs. 2 FGO); die Sache geht deshalb an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 422476 |
BFH/NV 2000, 174 |
DStRE 2000, 276 |
HFR 2000, 193 |