Leitsatz (amtlich)
Zur Beschwer bei Versagung des Freibetrages nach § 18 Abs. 4 EStG und gleichzeitiger Bildung einer höheren Gewerbesteuerrückstellung.
Normenkette
FGO § 40 Abs. 2; EStG §§ 15, 18
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt seit 1954 ein Kinderheim. Den erzielten Gewinn hat sie durch Betriebsvermögensvergleich ermittelt und in den Einkommensteuererkärungen als Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit erklärt. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) nahm an, es handele sich bei dem Kinderheim um einen Gewerbebetrieb, und versagte die Gewährung des Freibetrages nach § 18 Abs. 4 EStG; durch die Passivierung von Gewerbesteuerrückstellungen ergab sich in den Streitjahren 1965 bis 1967 eine Gewinnminderung (1965 um 3 800 DM, 1966 um 2 800 DM, 1967 um 3 600 DM).
Das FG sah die gegen die Einkommensteuerbescheide in Form der zusammengefaßten Einspruchsentscheidung eingelegte Anfechtungsklage und die hilfsweise erhobene Feststellungsklage als unzulässig an. Die Vorinstanz führte aus, für den Hauptantrag auf Änderung der Einkommensteuerbescheide fehle es an einer Beschwer; entscheidend sei, daß die Klägerin auf Grund der Auflösung der Gewerbesteuerrückstellungen eine niedrigere Festsetzung der Einkommensteuer in den Streitjahren nicht erreichen könne. Der Hilfsantrag sei unzulässig, weil die Klägerin kein berechtigtes Interesse an der Feststellung darlegen könne, sie habe in den Streitjahren Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit bezogen und ihren Gewinn nach § 4 Abs. 1 EStG ermitteln müssen. Folgewirkungen für die Zukunft seien nicht ersichtlich; eine spätere Gewinnauswirkung durch Auflösung der Gewerbesteuerrückstellungen scheide aus, weil die Gewerbesteuermeßbescheide nicht mehr geändert werden könnten.
Hiergegen richtet sich die Revision, mit der die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Einkommensteuerbescheide 1965 bis 1967 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18. März 1971 dahingehend zu ändern, daß der Freibetrag für freie Berufe von jährlich 1 200 DM gewährt werde, hilfsweise festzustellen, daß die Klägerin in den Jahren 1965 bis 1967 aus ihrem Kinderheim Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit im Sinn von § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG bezogen habe und der Gewinn hieraus nach § 4 Abs. 1 EStG zu ermitteln sei. Die Klägerin ist der Auffassung, die Klagen seien zulässig gewesen; sie sei beschwert, da der Freibetrag nach § 18 Abs. 4 EStG nicht gewährt worden sei; die Gewerbesteuerrückstellungen dürften auch bei Ansatz der Einkünfte als solche aus gewerblicher Tätigkeit nicht mehr aufgelöst werden.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG. Der Senat vermag der Auffassung der Vorinstanz, die Klägerin sei durch die Einkommensteuerbescheide nicht beschwert und daher nicht berechtigt, diese Bescheide anzufechten, nicht zu folgen.
Es entspricht der Rechtsprechung des BFH, daß ein Steuerpflichtiger auch durch eine zu niedrige Steuerfestsetzung in seinen Rechten verletzt sein kann, wenn nach seiner Darlegung mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit angenommen werden muß, daß ihm der Vorgang, auf dem die Festsetzung beruht, bei der gleichen Steuer für spätere Steuerabschnitte steuerliche Nachteile verursachen wird, die den durch die angefochtene zu niedrige Steuerfestsetzung bewirkten Vorteil überwiegen (vgl. BFH-Urteil vom 12. Dezember 1972 VIII R 39/67, BFHE 108, 278, BStBl II 1973, 323). Diese Grundsätze hat das FG nicht ausreichend berücksichtigt, als es seiner Entscheidung über die Zulässigkeit des Hauptklageantrags nur die Auswirkungen im Streitjahr zugrunde gelegt hat.
Der Vorentscheidung ist darin beizupflichten, daß aus der Einordnung der Einkünfte unter eine bestimmte Einkunftsart in der Regel nur dann eine Beschwer hergeleitet werden kann, wenn sich daraus letztlich eine höhere Einkommensteuer ergibt. Diese Voraussetzung ist im Streitfall dadurch erfüllt, daß der Klägerin der Freibetrag nach § 18 Abs. 4 EStG versagt wurde.
Die niedrigere Steuerfestsetzung ist hier nur dadurch zustande gekommen, daß das FA eine Rückstellung für Gewerbesteuer vorgenommen hat, die die Klägerin für unzulässig hält. Sie wendet sich damit gegen eine Minderung des Gewinns, die sich - die Richtigkeit ihrer sachlichen Einwendungen unterstellt - in diesem Punkt in einem späteren Veranlagungszeitraum wieder ausgleichen muß (vgl. BFH-Urteil vom 12. November 1964 IV 129/61, HFR 1965, 283; Steuerrechtsprechung in Karteiform, Reichsabgabenordnung § 232, Rechtsspruch 39). Dabei ist nicht entscheidend, ob die Gewerbesteuermeßbescheide berichtigt werden können (§ 35b GewStG) oder nicht. Werden diese Bescheide aufgehoben, entfällt damit die Gewerbesteuerschuld; die Rückstellungen sind gewinnerhöhend aufzulösen. Hat das FG dagegen zu Recht die Möglichkeit einer Berichtigung der Meßbescheide verneint, so bleibt die Gewerbesteuerschuld bestehen; aufgrund der Rückstellungen in den Streitjahren entfällt jedoch die gewinnmindernde Auswirkung. In beiden Fällen kommt der Klägerin letztlich die Vergünstigung des § 18 Abs. 4 EStG zugute, wenn sie mit ihrer Rechtsauffassung materiell-rechtlich durchdringt.
Der Senat kann über die Begründetheit der Klage nicht selbst befinden, da das FG nicht sachlich entschieden und - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - keine ausreichenden tatsächlichen Feststellungen getroffen hat. Der Rechtsstreit ist daher zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 71279 |
BStBl II 1975, 304 |
BFHE 1975, 405 |