Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirtschaftliches Eigentum an Grundstücken im Beitrittsgebiet, die unter staatlicher Zwangsverwaltung stehen
Leitsatz (NV)
Staatliche Verwalter von im Beitrittsgebiet gelegenen Grundstücken haben kein wirtschaftliches Eigentum an den unter ihrer Verwaltung stehenden Grundstücken. Sie üben keine Sachherrschaft i.S. von § 39 Abs. 2 AO 1977 über die nicht in ihrem Eigentum stehenden Grundstücke aus; ihr Betätigungsfeld ist nach § 15 Abs. 1 VermG auf die Sicherung und ordnungsgemäße Verwaltung im Interesse der Eigentümer beschränkt. Die Tätigkeit der Verwalter ist fremdnützig; ihre Stellung in Bezug auf die ihrer Verwaltung unterstehenden Grundstücke einer Treuhandschaft vergleichbar.
Normenkette
AO 1977 § 39 Abs. 1-2; VermG § 15 Abs. 1-2, § 16 Abs. 1
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine Wohnungsbaugesellschaft, war am 1. Januar 1991 staatliche Verwalterin eines im Beitrittsgebiet von Berlin belegenen Grundstücks, welches sich nach der Verordnung des Magistrats von Groß-Berlin über die Verwaltung und den Schutz ausländischen Eigentums in Groß-Berlin vom 18. Dezember 1951 (Verordnungsblatt der DDR Teil I 1951, 565) seit 1952 unter staatlicher Verwaltung befand. Im Grundbuch eingetragener Vorkriegseigentümer war der mit Wirkung zum 31. Dezember 1949 für tot erklärte X.
Durch Feststellungsbescheid (Zurechnungsfortschreibung) vom 7. Juni 1996 rechnete der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) der Klägerin das Grundstück als wirtschaftliche Eigentümerin zu. Der Einspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg. In seiner Einspruchsentscheidung verwies das FA darauf, dass die Klägerin als staatliche Verwalterin die tatsächliche Sachherrschaft über das Grundstück ausgeübt habe. Der bürgerlich-rechtliche Eigentümer sei als enteignet zu betrachten.
Das Finanzgericht (FG) hat den angefochtenen Feststellungsbescheid aufgehoben und dies damit begründet, dass die Klägerin als staatliche Verwalterin "seit der Neuregelung dieses Rechtsinstituts durch das Vermögensgesetz" (VermG) i.d.F. des Einigungsvertrages (vgl. Anl. II Kap. III Sachgeb. B Abschn. I Nr. 5, BGBl II 1990, 1159) kein wirtschaftliches Eigentum i.S. von § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) an dem Grundstück gehabt habe. Die Klägerin habe nicht auf eigene Rechnung, sondern für einen Dritten gewirtschaftet und sei deshalb lediglich treuhänderisch tätig geworden. Sie habe nach § 15 Abs. 2 VermG ohne Zustimmung des Eigentümers weder über das Grundstück dinglich verfügen noch langfristige vertragliche Verpflichtungen eingehen dürfen.
Hiergegen richtet sich die Revision des FA; es macht Verletzung von § 39 Abs. 2 AO 1977 geltend und führt aus, die vom FG in den Vordergrund gestellte Beschränkung der Verfügungsmacht des staatlichen Verwalters nach § 15 Abs. 2 VermG könne für die Frage des wirtschaftlichen Eigentums der Klägerin keine ausschlaggebende Bedeutung haben. Entscheidend sei, dass die Klägerin die tatsächliche Sachherrschaft über das Grundstück ausgeübt habe. Im Umkehrschluss aus § 16 Abs. 1 VermG habe der Verwalter unter Beachtung des § 15 Abs. 2 Satz 1 VermG die Rechte und Pflichten aus dem Eigentum wahrzunehmen gehabt. Der Klägerin seien auch die Mieterträge aus dem verwalteten Grundstück zugeflossen und ertragsteuerrechtlich zugerechnet worden. Im Ergebnis herauszugeben habe die Verwalterin nur das bei Beendigung der Zwangsverwaltung noch Vorhandene. Angesichts des niedrigen Mietzinsniveaus und entsprechend hoher Aufwendungen blieben die gezogenen Nutzungen wirtschaftlich beim Zwangsverwalter.
Das FA beantragt, das Urteil des FG Berlin vom 13. Januar 1999 2 K 2406/96 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Der Nachlasspfleger für die beigeladenen unbekannten Erben des für tot erklärten X hat keinen Sachantrag gestellt.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Klägerin als staatliche Verwalterin das streitige Grundstück auf den Stichtag 1. Januar 1991 nicht als wirtschaftliche Eigentümerin zuzurechnen war, und hat deshalb ohne Rechtsverstoß die angefochtene Zurechnungsfortschreibung aufgehoben.
1. Die Klägerin war am Stichtag nicht Eigentümerin des streitigen Grundstücks. Eine (Regel-)Zurechnung nach § 39 Abs. 1 AO 1977 kam somit nicht in Betracht.
2. Die Klägerin war auch nicht wirtschaftliche Eigentümerin des Grundstücks. Wirtschaftlicher Eigentümer i.S. von § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO 1977 ist nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) derjenige, der die tatsächliche Herrschaftsgewalt über ein Wirtschaftsgut in der Weise ausübt, dass er den zivilrechtlichen Eigentümer im Regelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf das Eigentum wirtschaftlich ausschließen kann (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 12. September 1991 III R 233/90, BFHE 166, 49, BStBl II 1992, 182; vom 28. Juli 1993 I R 88/92, BFHE 172, 333, BStBl II 1994, 164; vom 27. November 1996 X R 92/92, BFHE 182, 104, BStBl II 1998, 97; vom 1. Oktober 1997 X R 91/94, BFHE 184, 179, BStBl II 1998, 203, jeweils m.w.N.). Tatsächliche Herrschaftsgewalt (Sachherrschaft), die jemand ausschließlich oder ganz überwiegend im Interesse (für Rechnung) eines Dritten ausüben darf und auch tatsächlich ausübt, begründet kein wirtschaftliches Eigentum; denn wirtschaftliches Eigentum setzt voraus, dass der andere (Nichteigentümer) über den Gegenstand wie über eigenes Vermögen verfügt (vgl. BFH-Urteil vom 27. September 1988 VIII R 193/83, BFHE 154, 525, BStBl II 1989, 414, m.w.N.).
Die Klägerin hatte am maßgeblichen Stichtag keine Sachherrschaft i.S. von § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO 1977 über das nicht in ihrem Eigentum stehende Grundstück; sie war über das Grundstück nicht verfügungsbefugt, hat in Bezug auf das Grundstück nicht im eigenen Interesse gehandelt und war auch nicht zur eigenen Nutzziehung berechtigt. Denn als staatliche Verwalterin war ihr Betätigungsfeld nach § 15 Abs. 1 VermG in der hier maßgeblichen Fassung auf die Sicherung und ordnungsgemäße Verwaltung des Vermögenswertes (Grundstücks) im Interesse der Eigentümer beschränkt. Die Früchte ihrer Verwaltungstätigkeit standen nicht der Klägerin, sondern den Eigentümern zu. Die Tätigkeit der Klägerin als staatliche Verwalterin war danach fremdnützig (vgl. hierzu Urteil des Bundesgerichtshofs ―BGH― vom 20. November 1997 III ZR 39/97, BGHZ 137, 183, 189), ihre Stellung in Bezug auf das Grundstück einer Treuhandschaft vergleichbar (BGH-Beschluss vom 30. Juli 1997 III ZR 157/96, Wertpapier-Mitteilungen/Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht 1997, 1854 f.).
Der Klägerin standen ―entgegen der Auffassung des FA― nicht die sich aus dem Eigentum am Vermögenswert (Grundstück) ergebenden Rechte und Pflichten zu. Hiergegen spricht schon die Regelung in § 15 Abs. 2 VermG, wonach der staatliche Verwalter ohne Zustimmung der Eigentümerin nicht berechtigt war, langfristige vertragliche Verpflichtungen einzugehen oder dingliche Rechtsgeschäfte abzuschließen. Die Klägerin war demnach insbesondere nicht in der Lage, das Grundstück selbstständig zu übereignen oder zu belasten. Auch aus § 16 Abs. 1 VermG ergibt sich nichts anderes. Danach sind mit der Aufhebung der staatlichen Verwaltung die Rechte und Pflichten, die sich aus dem Eigentum am Vermögenswert ergeben, durch den Berechtigten selbst wahrzunehmen. Daraus folgt nur, dass die mit der Anordnung der staatlichen Verwaltung eingetretenen Einschränkungen der Eigentümerstellung der Berechtigten mit deren Aufhebung entfallen. Entgegen der Auffassung der Revision kann aus dieser Vorschrift nicht geschlossen werden, dass nach den für den Stichtag (1. Januar 1991) geltenden Regeln über die staatliche Verwaltung während ihres Bestehens die sich aus dem Eigentum ergebenden Rechte und Pflichten dem staatlichen Verwalter als eigene Rechte und Pflichten zugestanden haben. Diese waren vielmehr auf eine reine Treuhandfunktion im Rahmen einer Verwaltungstreuhand beschränkt.
Fundstellen
Haufe-Index 682566 |
BFH/NV 2002, 468 |
HFR 2002, 684 |
AO-StB 2002, 111 |