Zur Berechnung der Beteiligungsschwelle für Streubesitzdividenden
Hintergrund: Gesetzliche Regelungen
Nach § 8b Abs. 1 Satz 1 KStG bleiben Bezüge i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 1, 2, 9 und 10 Buchst. a EStG bei der Ermittlung des Einkommens außer Ansatz. In diesem Fall gelten 5 % dieser Bezüge als nicht abziehbare Betriebsausgaben (§ 8b Abs. 5 Satz 1 KStG). Die Steuerfreistellung gilt nach § 8b Abs. 4 Satz 1 KStG allerdings dann nicht, wenn die Beteiligung zu Beginn des Kalenderjahres unmittelbar weniger als 10 % des Grund- oder Stammkapitals betragen hat.
Sachverhalt: Übertragung von Stückaktien
Die Klägerin, eine GmbH, und X waren Aktionäre der Y AG, deren Namensaktien nur mit Zustimmung der Y AG übertragbar waren. Die Klägerin hielt hiervon 4.658 Stückaktien (Beteiligung 9,898 %); Hauptaktionär war X mit 40.049 Stückaktien (Beteiligung 85,1 %).
Am 16.12.2013 schloss die Klägerin mit X einen Kauf- und Übertragungsvertrag (Vertrag) über 50 Stückaktien, der zur Überschreitung der 10 %-Grenze führte. Der von der Klägerin als Käuferin zu zahlende Kaufpreis war am 16.12.2013 fällig. Unter der aufschiebenden Bedingung der vollständigen Zahlung des Kaufpreises trat X nach § 3 Abs. 1 des Vertrags sämtliche Mitgliedschaftsrechte aus den verkauften Aktien an die Klägerin ab. Der auf die Aktien entfallene Gewinn des laufenden Geschäftsjahres und etwaige noch nicht verteilte Gewinne früherer Geschäftsjahre sollten allein der Klägerin zustehen.
Die Überweisung des Kaufpreises am 16.12.2013 schlug fehl, da sie bei der Klägerin zu einer Gutschrift statt zu einer Belastung führte. In der Folge kam es erst nach dem 1.1.2014 zu einer Überweisung des Kaufpreises an X. Die Y AG stimmte der Übertragung der Aktien am 19.12.2013 zu.
Die Klägerin bezog im Jahr 2014 (Streitjahr) von der Y AG Dividenden für die Jahre 2012 und 2013. In der für das Streitjahr eingereichten Körperschaftsteuererklärung erklärte sie insoweit steuerfreie Bezüge i. S. d. § 8b Abs. 1 KStG und nicht abziehbare Betriebsausgaben nach § 8b Abs. 5 KStG.
Das Finanzamt (FA) lehnte eine Anwendung des § 8b Abs. 1 KStG ab und berücksichtigte die Dividenden in voller Höhe bei der Ermittlung des Einkommens der Klägerin. Die Klägerin habe zu Beginn des Jahres 2014 noch nicht die nach § 8b Abs. 4 KStG erforderliche Beteiligungsschwelle von 10 % erreicht.
Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage statt. Die Beteiligungsschwelle des § 8b Abs. 4 KStG sei bereits zu Beginn des Streitjahres erreicht, da die Klägerin zu diesem Zeitpunkt zwar noch nicht zivilrechtliche, aber wirtschaftliche Eigentümerin der am 16.12.2013 erworbenen Anteile geworden sei.
Entscheidung: BFH bestätigt Auffassung der Vorinstanz
Der BFH hat entschieden, dass die Revision des FA unbegründet und daher zurückzuweisen ist. Das FG habe zu Recht entschieden, dass die von der Klägerin im Streitjahr erzielten Dividenden der Y AG nach § 8b Abs. 1 Satz 1 KStG bei der Ermittlung des Einkommens außer Ansatz bleiben. Es lägen keine sog. Streubesitzdividenden nach § 8b Abs. 4 KStG vor, da die Klägerin durch den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums an den mit Vertrag vom 16.12.2013 erworbenen Aktien bereits am 1.1.2014 die Beteiligungsschwelle von 10 % erreicht habe.
Wirtschaftliches Eigentum entscheidend
§ 8b Abs. 4 Satz 1 KStG stellt auf die Beteiligung am Grund- oder Stammkapital ab. Hieraus folgt zunächst, dass inkongruente Gewinn- oder Stimmrechtsverteilungen nicht entscheidend sind. Es für die Ermittlung der Höhe der Beteiligung auch nicht allein auf das zivilrechtliche Eigentum an. Vielmehr ist die steuerrechtliche Zurechnung der Kapitalanteile nach § 39 AO maßgebend. Dies folgt bereits daraus, dass sich § 8b Abs. 4 Satz 1 KStG auf „Bezüge im Sinne des Absatzes 1“ bezieht und als Rechtsfolge anordnet, diese Bezüge „abweichend von Absatz 1 Satz 1“ bei der Ermittlung des Einkommens zu berücksichtigen. Aus dieser Bezugnahme ist zu schließen, dass es auch bei der Beteiligungsschwelle i. S. d. § 8b Abs. 4 Satz 1 KStG nur um diejenigen Anteile gehen kann, die zu Bezügen im Sinne des § 8b Abs. 1 Satz 1 KStG führen können.
Für die im Streitfall maßgeblichen Einkünfte aus Dividenden im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG setzt dies nach der Maßgabe des § 20 Abs. 5 EStG eine Zurechnung der Anteile nach § 39 AO voraus. Die damit verbindliche Anwendung des steuerrechtlichen Konzepts des sog. wirtschaftlichen Eigentums nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO ist auch nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil der Tatbestand des § 8b Abs. 4 Satz 1 KStG an zivilrechtliche Begriffe (Grund- oder Stammkapital) anknüpft.
Nach § 39 Abs. 1 AO kommt es für die steuerrechtliche Zurechnung von Wirtschaftsgütern zunächst auf das zivilrechtliche Eigentum an. Zum Stichtag 1.1.2014 war die Klägerin aber noch nicht zivilrechtliche Eigentümerin der 50 Stückaktien geworden, die sie mit Vertrag vom 16.12.2013 von X erworben hatte und die ihre Beteiligungsquote an der Y AG von 9,898 % auf 10,00425 % anheben sollte. Denn die Eigentumsübertragung stand nach § 3 Abs. 1 des Vertrags unter der aufschiebenden Bedingung der vollständigen Kaufpreiszahlung, die aufgrund einer zunächst fehlgeschlagenen Überweisung erst nach dem 1.1.2014 erfolgte.
Allerdings war die Klägerin am 1.1.2014 nach den Maßgaben des § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO bereits wirtschaftliche Eigentümerin dieser Anteile. Nach dieser Vorschrift ist ein Wirtschaftsgut demjenigen zuzurechnen, der die tatsächliche Herrschaft über dieses Wirtschaftsgut in der Weise ausübt, dass er den (zivilrechtlichen) Eigentümer im Regelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut wirtschaftlich ausschließen kann.
Klägerin verfügte über rechtlich geschützte Position
Beim Erwerb von Aktien kommt es darauf an, ob der Erwerber eine rechtlich geschützte, auf den Erwerb des Rechts gerichtete Position erworben hat, die ihm gegen seinen Willen nicht mehr entzogen werden kann, und ob die mit dem Anteil verbundenen wesentlichen (Verwaltungs- und Vermögens)Rechte (insbesondere Gewinnbezugs- und Stimmrecht) sowie die mit Wertpapieren gemeinhin verbundenen Kursrisiken und -chancen auf ihn übergegangen sind.
Maßgebend sind aber letztlich nicht einzelne Strukturelemente, sondern wem nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse die wirtschaftliche Dispositionsbefugnis zusteht. Dabei ist für den Fall des Erwerbs von Wertpapieren zu berücksichtigen, dass die „Rechtsmacht“ des Erwerbers vom Inhaber des Wertpapiers (als Verkäufer) abgeleitet sein muss und somit der konkrete Ausschluss der (wirtschaftlichen) Inhaberschaft des Verkäufers erforderlich ist.
Das FG hat seiner Würdigung zutreffend die vom BFH entwickelten Kriterien zugrunde gelegt. Insbesondere ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das FG dem fehlenden Übergang der mit den Aktien verbundenen Verwaltungsrechte (insbesondere der Stimmrechte) keine entscheidende Bedeutung beigemessen hat. Dies hat das FG im Wesentlichen daraus abgeleitet, dass es auf Grundlage des Vertrags allein in der Hand der Klägerin (Erwerberin) lag, die aufschiebende Bedingung durch Zahlung des bereits fälligen Kaufpreises eintreten zu lassen und dadurch die entsprechenden Verwaltungsrechte (einschließlich der Stimmrechte) vollständig an sich zu ziehen.
BFH Urteil vom 07.06.2023 - I R 50/19 (veröffentlicht am 14.09.2023)
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