Entscheidungsstichwort (Thema)
Anlaufhemmung der Verjährung eines Erbschaftssteueranspruchs
Leitsatz (NV)
1. Kenntnis erlangt von dem Erwerb i. S. von § 145 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a RAO (= § 170 Abs. 5 Nr. 1 AO 1977) hat der Erwerber, wenn er mit einer solchen Zuverlässigkeit und Gewißheit Kenntnis von seinem unangefochtenen Erbschaftserwerb erlangt hat, daß er in der Lage ist und von ihm deshalb auch erwartet werden kann, seine Anmelde- und Anzeigepflichten zu erfüllen.
2. Liegt gesetzliche Erbfolge vor, kann Kenntnis vom Erwerbsvorgang nur vorliegen, wenn der Erbe sicher weiß, daß ein Verwandter einer vorhergehenden Ordnung nicht vorhanden ist und zu welchem Anteil er am Erbe beteiligt ist. Bei völlig unklaren Verhältnissen kann im Einzelfall Kenntnis erst mit der Erteilung des Erbscheins vorliegen.
Normenkette
RAO § 145 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a; AO 1977 § 170 Abs. 5 Nr. 1; ErbStG 1959 § 26; ErbStDV 1962 § 3; ErbStG 1974 § 30
Verfahrensgang
Tatbestand
Am . . . 1972 verstarb Frau A (Erblasserin). Sie wurde u. a. von der Klägerin zu 1/3-Anteil beerbt. Die Feststellung der Erben und Erbeserben war schwierig, da diese teils in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) teils in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) wohnten. Das Nachlaßgericht bestellte deshalb zuerst im Jahre 1973 einen Nachlaßpfleger und nach dessen Tod im Jahre 1977 einen weiteren Nachlaßpfleger, der nach Ermittlung der Erben und Ausstellung des Erbscheines am 24. September 1981 die Nachlaßpflegschaft abschließen konnte.
Das damals zuständige Finanzamt (FA) erhob aus dem anteiligen Erwerb der Klägerin Erbschaftsteuer zunächst in Höhe von . . . DM, später durch Änderungsbescheid vom 28. Juni 1982 in Höhe von . . . DM. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Einspruch ein und machte Verjährung der Steuerforderung geltend.
Die nach erfolglos gebliebenem Einspruch erhobene Klage führte zur Aufhebung des Erbschaftsteuerbescheides und der Einspruchsentscheidung. Das Finanzgericht (FG) nahm Verjährung der Steuerforderung an. Die Verjährungsfrist habe Ende 1976 zu laufen begonnen und mit Ablauf des Jahres 1981, also vor Ergehen des angefochtenen Bescheides, geendet. Das FG gehe davon aus, daß die Klägerin entsprechend der schriftlichen Bestätigung ihres Prozeßbevollmächtigten im Januar 1976 von dem Erbfall erfahren und damit zu diesem Zeitpunkt Kenntnis von dem Erbschaftserwerb erlangt habe. Es gehe davon aus, daß diese Auskunft - obwohl vom FA bestritten - der Wahrheit entspreche, auch wenn nähere Einzelheiten des Kenntniserwerbs nicht bekannt seien, da die Mitteilung der Klägerin nicht widerlegt werden könne. Die zehnjährige Verjährungsfrist bei Steuerhinterziehung komme hier nicht in Betracht, weil der Klägerin ein Hinterziehungsvorsatz nicht nachgewiesen werden könne.
Der erkennende Senat hat auf die Beschwerde des FA die Revision zugelassen, mit der das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise, die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Das FA rügt unrichtige Anwendung des § 145 Abs. 2 Nr. 2 der Reichsabgabenordnung (AO) i. d. F. ab 1. Januar 1966.
Im übrigen reichten die Ermittlungen des FG nicht aus, eine Steuerhinterziehung der Klägerin wegen Nichterfüllung der Anzeigepflicht auszuschließen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Das angefochtene Urteil ist deshalb aufzuheben, weil die Feststellungen des FG zu der Frage nicht ausreichen, in welchem Zeitpunkt die Klägerin Kenntnis von ihrer Erbschaft nach Frau A erlangte und bis wann demgemäß der Beginn der Verjährungsfrist nach § 145 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a AO i. d. F. ab 1. Januar 1966 gehemmt war.
Nach § 145 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a AO i. d. F. ab 1. Januar 1966 begann die Verjährung mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Klägerin Kenntnis von ihrem Erwerb erlangte. Nach der Gesetzesbegründung (vgl. BTDrucks IV/2442, S. 12) sollen durch diese Regelung Schwierigkeiten vermieden werden, ,,die dann auftreten könnten, wenn der Erbe oder ein anderer Begünstigter erst nach Jahren Kenntnis von seinem Erwerb erhält und deshalb auch nicht in der Lage ist, seiner Anmeldepflicht nach § 26 des Erbschaftsteuergesetzes so rechtzeitig nachzukommen, daß die Veranlagung vor Ablauf der Verjährungsfrist erfolgen kann, die sich bei Anwendung des Abs. 1 des § 145 AO i. d. F. ab 1. Januar 1966 ergibt". Um die Verjährungsfrist in Gang zu setzen, muß deshalb der Erbe mit einer solchen Zuverlässigkeit und Gewißheit Kenntnis von seinem unangefochtenen Erbschaftserwerb erlangt haben, daß er in der Lage ist und von ihm deshalb auch erwartet werden kann, seine Anmeldepflichten nach § 26 des Erbschaftsteuergesetzes (ErbStG) 1959 i. V. m. § 3 der Erbschaftsteuer-Durchführungsverordnung (ErbStDV) 1962 bzw. seine Anzeigepflicht nach § 30 ErbStG 1974 zu erfüllen. Denn nur soweit der Erbe seine Anmelde- bzw. Anzeigepflichten erfüllen kann und auch tatsächlich erfüllt, ist das FA in der Lage, aus dem Erwerb die steuerlichen Konsequenzen durch Aufforderung zur Abgabe der Steuererklärung und Steuerfestsetzung zu ziehen.
Der Senat hat durch Entscheidung vom 27. November 1981 II R 18/80 (BFHE 134, 519, BStBl II 1982, 276, 278) für den Fall, daß der Erblasser den Erben durch wirksame letztwillige Verfügung zum Erben eingesetzt hat, zuverlässige und sichere Kenntnis des Erben mit der Testamentseröffnung angenommen. Denn danach wird ein Erbe regelmäßig in der Lage sein, dem FA die in der Anmeldung bzw. Anzeige des Erwerbs geforderten Angaben (vgl. § 3 Abs. 2 ErbStDV 1962 bzw. § 30 Abs. 4 ErbStG 1974) zu machen.
Im Streitfall reichen die Feststellungen des FG nicht aus, um entscheiden zu können, ob die Klägerin - wie das FG angenommen hat - im Jahre 1976 in diesem Sinne ausreichende und sichere Kenntnis von ihrem Erwerb nach Frau A erlangt hat. Das FG hat nicht einmal festgestellt, ob die Klägerin aufgrund gesetzlicher Erbfolge oder durch testamentarische Verfügung der Erblasserin Erbin ist und in welchem Verwandtschaftsverhältnis sie zur Erblasserin steht.
Sollte gesetzliche Erbfolge vorliegen, kann Kenntnis vom Erwerbsvorgang i. S. von § 145 Abs. 2 Nr. 2 a AO i. d. F. ab 1. Januar 1966 nur vorliegen, wenn der Erbe sicher weiß, daß ein Verwandter einer vorhergehenden Ordnung nicht vorhanden ist (vgl. § 1930 des Bürgerlichen Gesetzbuches) und zu welchem Anteil er am Erbe beteiligt ist. Denn nur dann kann er sicher sein, daß sein Erwerb unangefochten bleibt und anerkannt wird. Bei völlig unklaren Verhältnissen kann im Einzelfall Kenntnis erst mit der Erteilung des Erbscheines vorliegen.
Das FG wird im zweiten Rechtsgang die zur Beurteilung dieser Frage notwendigen Tatsachenfeststellungen nachzuholen haben. Dabei könnte die Beiziehung der Aktenvorgänge des Nachlaßgerichtes hilfreich sein und weitere Aufschlüsse geben.
Fundstellen
Haufe-Index 416329 |
BFH/NV 1990, 444 |