Leitsatz (amtlich)
1. Für das zum Inlandsvermögen gehörende inländische Betriebsvermögen eines beschränkt Steuerpflichtigen i. S. des Vermögensteuergesetzes ist ein besonderer Einheitswert festzustellen.
2. Im Verfahren über die Feststellung dieses Einheitswerts ist darüber zu entscheiden, ob für das im Inland betriebene Gewerbe, dem das Vermögen dient, im Inland eine Betriebstätte unterhalten wird oder ein ständiger Vertreter bestellt ist.
2. Das der Vermögensabgabe unterliegende Vermögen in Berlin (West) eines beschränkt Abgabepflichtigen ist nicht nach den in Berlin (West) bei der Vermögensteuer für die Ermittlung des Inlandsvermögens maßgebenden Vorschriften errechnet, wenn anstelle des für das inländische Betriebsvermögen i. S. des § 77 Abs. 2 Nr. 3 BewG 1934 festzustellenden Einheitswertes ein auf der Grundlage der unbeschränkten Steuerpflicht festgestellter Einheitswert für das Betriebsvermögen zugrunde gelegt wird.
Normenkette
LAG §§ 17, 80 Abs. 1-2; BewG 1934 § 56 Abs. 2, § 73 Abs. 1, 3, § 77 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3; VStG 1954 §§ 4, 7 Nr. 2; AO § 214 Nr. 3 Buchst. b
Tatbestand
Die in der Rechtform der AG betriebene Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) war bis zum Ende des Krieges als Kreditunternehmen mit dem Hauptsitz in der DDR tätig. Nach dem Zusammenbruch mußte sie ihre Tätigkeit einstellen. Sie wurde im Handelsregister gelöscht. Der für die Berliner Zweigniederlassung der Klägerin eingetragene Löschungsvermerk wurde im Jahre 1956 wieder gelöscht, nachdem die Klägerin zwischenzeitlich als Berliner Altbank anerkannt und zum Neugeschäft zugelassen worden war. Sitz der Klägerin ist nunmehr Berlin (West) und eine Stadt in der Bundesrepublik.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) zog die Klägerin als u n beschränkt Abgabepflichtige zur Vermögensabgabe heran. Bei dem abgabepflichtigen Vermögen ging das FA von dem durch Bescheid vom 28. August 1967 festgestellten Einheitswert des Betriebsvermögens der Klägerin zum 1. April 1949 aus. Im Einspruchsverfahren machte die Klägerin geltend, sie sei nur beschränkt abgabepflichtig gewesen und habe kein abgabepflichtiges Vermögen besessen. Ihr Wertpapiervermögen und die ungesicherten Forderungen seien abgabenfrei.
Das FA erhöhte jedoch den ursprünglichen Vierteljahrsbetrag. Dabei legte es der Berechnung der Vermögensabgabe den durch bestandskräftigen (Berichtigungs-) Bescheid vom 20. November 1972 auf der Grundlage der unbeschränkten Steuerpflicht festgestellten Einheitswert des Betriebsvermögens der Klägerin zum 1. April 1949 zugrunde.
Die Klage blieb ohne Erfolg. Die Vorinstanz vertrat zwar die Auffassung, daß die Klägerin mangels Vorliegens einer inländischen Geschäftsleitung nur beschränkt abgabepflichtig sei. Das Gericht sah sich jedoch an einer Prüfung der materiellen Rechtslage wegen der Bindung an die Feststellungen des bestandskräftigen Einheitswertbescheides zum 1. April 1949 gehindert. Seiner Ansicht nach konnten die gesetzlich festgestellten Grundlagen nach § 232 Abs. 2 AO/§ 42 Abs. 2 FGO nicht mehr im Wege der Anfechtung des Vermögensabgabebescheides überprüft werden.
Hiergegen richtet sich die Revision. Die Klägerin macht geltend, das FG verkenne die Folgewirkungen der Feststellung des Einheitswertes auf den 1. April 1949. Sie rügt ferner, das FG habe nicht die erforderliche Feststellung getroffen, ob die Klägerin am maßgeblichen Stichtag eine inländische Betriebstätte unterhalten habe.
Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung und den Vermögensabgabebescheid aufzuheben.
Das FA beantragt Zurückweisung der Revision als unbegründet.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
1. Das FG ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, daß die Klägerin mit ihrem Vermögen in Berlin (West) steuerrechtlich als noch fortbestehend zu betrachten ist (vgl. Urteile BFH vom 18. Mai 1957 III 229/56 U, BFHE 65, 28, BStBl III 1957, 243; vom 1. März 1966 I 13, 14/65, BFHE 84, 570, BStBl III 1966, 207). Für die Annahme des Fortbestandes bedarf es weder einer förmlichen Sitzverlegung noch des Vorhandenseins von Organen, die für die Klägerin tätig sein können.
2. Die Annahme des FG, daß die Klägerin nur beschränkt abgabepflichtig ist, ist nicht zu beanstanden.
Nach den tatsächlichen Feststellungen, an die der Senat gebunden ist, weil in bezug auf diese Feststellungen keine zulässigen und begründeten Revisionsgründe vorgebracht worden sind (§§ 118 Abs. 2, 120 Abs. 2 FGO), hatte der von der britischen Militärregierung eingesetzte Treuhänder allenfalls eine örtlich begrenzte Geschäftsleitung ausgeübt, nicht aber eine Oberleitung, die zur Begründung der unbeschränkten Steuerpflicht geführt hätte. Auch der frühere Prokurist der Berliner Niederlassung der Klägerin war nicht in der Lage, i. S. einer geschäftlichen Oberleitung der Klägerin tätig zu werden. Wenn das FG den festgestellten Sachverhalt dahingehend rechtlich beurteilt hat, daß die Klägerin am maßgeblichen Stichtag weder ihren Sitz noch die Geschäftsleitung in den Geltungsbereich des LAG verlegt hatte, und sie damit nur beschränkt abgabepflichtig i. S. des § 17 Abs. 1 LAG ist, so läßt dies keinen Rechtsfehler erkennen.
Die BFH-Entscheidungen vom 24. August 1956 I 57/56 U (BFHE 63, 241, BStBl III 1956, 289) und III 229/56 U stehen dieser Beurteilung nicht entgegen. Die genannten Urteile betreffen einen anderen Sachverhalt, nämlich den Sonderfall, daß ein Abwesensheitspfleger bestellt war, dessen Tätigkeit einen Ort der Geschäftsleitung begründete. Die Tätigkeit des Treuhänders der britischen Militärregierung ist mit der eines Abwesenheitspflegers nicht vergleichbar.
3. Es kann jedoch die Auffassung des FG nicht geteilt werden, daß die im bestandskräftigen Einheitswertbescheid vom 20. November 1972 getroffenen Feststellungen für das Vermögensabgabeverfahren bindend seien. Der Einheitswertbescheid stellt im Streitfall keinen bindenden Grundlagenbescheid i. S. der §§ 80 Abs. 1 LAG, 218 Abs. 2 AO dar.
a) Nach § 17 Abs. 2 LAG erstreckt sich die beschränkte Abgabepflicht nur auf Vermögen der in § 77 des Bewertungsgesetzes in der am Währungsstichtag geltenden Fassung (BewG a. F.) genannten Art, das auf den Geltungsbereich des Grundgesetzes einschließlich Berlin (West) entfällt. Zu den in § 77 BewG a. F. genannten Vermögenswerten gehört auch das inländische Betriebsvermögen. Als solches gilt das Vermögen, das einem im Inland betriebenen Gewerbe dient, wenn hierfür im Inland eine Betriebstätte unterhalten wird oder ein ständiger Vertreter bestellt ist (§ 77 Abs. 2 Nr. 3 BewG a. F.).
b) Nach § 1 des Zweiten Gesetzes über die Neuordnung der Vermögensbesteuerung in Berlin vom 9. März 1954 (Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin 1954 S. 140; Steuer- und Zollblatt für Berlin 1954 S. 216) findet in Berlin (West) auf den Beginn des 1. April 1949 eine Ermittlung des Inlandsvermögens (vgl. §§ 7 Nr. 2, 4 VStG) nach dem Stand und mit den Werten vom 1. April 1949 statt. Nach § 4 VStG ist das Inlandsvermögen mit dem Wert anzusetzen, der nach § 73 Abs. 3 i. V. m. § 77 Abs. 3 BewG a. F. ermittelt worden ist. Daraus folgt, daß auch bei der Ermittlung des Inlandsvermögens - ebenso wie beim Gesamtvermögen - diejenigen Wirtschaftsgüter, für die ein Einheitswert festzustellen ist, mit dem festgestellten Einheitswert anzusetzen sind.
c) Im Streitfall ist nach § 214 Nr. 3 Buchst. a AO i. V. m. § 56 Abs. 2 BewG a. F. für das inländische Betriebsvermögen ein Einheitswert festzustellen. Dabei ist darüber zu entscheiden, ob das im Inland vorhandene Vermögen einem im Inland betriebenen Gewerbe dient und ob hierfür im Inland eine Betriebstätte unterhalten wird oder ein ständiger Vertreter bestellt ist. Dieser Einheitswert ist für die Vermögensteuer und damit auch für die Vermögensabgabe so zu übernehmen, wie er im Einheitswertverfahren festgestellt worden ist. Diese sich unmittelbar aus § 218 Abs. 2, § 232 Abs. 2 AO ergebende Bindungswirkung bezieht sich auf alle Feststellungen, die dem Einheitswert zugrunde liegen (vgl. BFH-Urteile vom 9. September 1960 III 88/59, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Lastenausgleichsgesetz, § 21, Rechtsspruch 10; vom 1. Dezember 1961 III 294/59, HFR 1962, 177). Einwendungen gegen den vom FA festgestellten Einheitswert können nach allgemeinen Verfahrensgrundsätzen nur im Rahmen eines Rechtsbehelfsverfahrens gegen diesen Einheitswert geltend gemacht werden.
d) Im vorliegenden Fall fehlt es jedoch an der gesetzlich vorgeschriebenen Feststellung des Einheitswertes des inländischen Betriebsvermögens. Eine Bindung an einen Einheitswertbescheid besteht demzufolge nicht. Das FA hat zwar einen Einheitswert für das Betriebsvermögen der Klägerin festgestellt. Dieser ist jedoch für das Vermögensabgabeverfahren unbeachtlich; er kann auch nicht ersatzweise herangezogen werden. Der vom FA festgestellte Einheitswert beruht nämlich auf der un bebeschränkten Steuerpflicht und stellt gegenüber dem bei beschränkter Steuerpflicht festzustellenden Einheitswert für das inländische Betriebsvermögen ein aliud dar. Die Einheitswertfeststellung des FA war Teil der Ermittlung des Gesamtvermögens (§ 73 BewG a. F.) eines unbeschränkt Steuerpflichtigen i. S. des Vermögensteuergesetzes. Demgegenüber erfolgt die Feststellung des inländischen Betriebsvermögens zur Ermittlung des Werts des Inlandsvermögens (§ 77 BewG a. F.) eines beschränkt Steuerpflichtigen. Gesamtvermögen und Inlandsvermögen weichen nicht nur hinsichtlich des Umfangs der jeweils zugehörigen Wirtschaftsgüter, sondern auch hinsichtlich deren Voraussetzungen voneinander ab. So ist das zum Gesamtvermögen zählende Betriebsvermögen nicht identisch mit dem inländischen Betriebsvermögen i. S. des § 77 Abs. 2 Nr. 3 BewG a. F. Für beide Vermögensarten sind voneinander unabhängige Einheitswerte festzustellen.
4. Die angefochtene Entscheidung beruht auf dem aufgezeigten Mangel. Sie war daher aufzuheben. Da das FA das der Vermögensabgabe unterliegende Vermögen nicht nach den in Berlin (West) bei der Vermögensteuer für die Ermittlung des Inlandsvermögens auf den 1. April 1949 maßgebenden Vorschriften erfaßt und bewertet hat, waren gleichzeitig auch der Vermögensabgabebescheid sowie die Einspruchsentscheidung aufzuheben.
Fundstellen
Haufe-Index 71972 |
BStBl II 1976, 708 |
BFHE 1977, 290 |