Entscheidungsstichwort (Thema)
Grunderwerbsteuer/Kfz-Steuer/sonstige Verkehrsteuern
Leitsatz (amtlich)
Die Zuführung von Teilen des Rohgewinnes zu den Rücklagen ist auch bei einer Organgesellschaft kein gesellschaftsteuerpflichtiger Vorgang, wenn in einem Ergebnisübernahmevertrag vereinbart worden ist, daß das Ergebnis der Handelsbilanzen übernommen wird, und die Rücklagenbildung bei vernünftiger kaufmännischer Beurteilung wirtschaftlich begründet ist.
Normenkette
KVStG § 2/3/b; KVStG § 2/4/b
Tatbestand
Streitig ist, ob eine Organmutter, die mit ihrer Organtochter einen Ergebnisübernahmevertrag (EüV) abgeschlossen hat, dadurch eine freiwillige Leistung im Sinne von § 2 Ziff. 3 b KVStG 1934 erbringt, daß sie der Zuführung eines Teiles des Rohgewinnes der Tochtergesellschaft zu den Rücklagen zustimmt.
Nach den Feststellungen des Finanzgerichts besteht zwischen der Bfin., einer GmbH, als Organtochter und ihrer Organmutter ein Organverhältnis mit Ergebnisübernahme. Die hierüber geschlossenen Verträge gehen auf den Betriebsüberlassungsvertrag vom 28. Juni 1926 zurück, der in seiner Fassung vom 30. Dezember 1930 unter anderem besagt, daß der Geschäftsbetrieb der Bfin. für Rechnung der Organmutter geführt wird und daß "das Geschäftsergebnis ... (Gewinn oder Verlust) am Jahresende jeweils von ... (der Organmutter) übernommen wird".
In dem Geschäftsjahr vom 21. Juni 1948 bis 30. September 1949 erzielte die Bfin. einen Rohgewinn von 403.316,44 DM und in dem folgenden Geschäftsjahr vom 1. Oktober 1949 bis 30. September 1950 einen solchen von 195.773,49 DM. Da die Bfin., die ein Stammkapital von 900.000 DM besaß, auf Grund entsprechender Gesellschafterbeschlüsse ihren Rücklagen für das Geschäftsjahr 1948/1949 den Betrag von 295.361,79 DM und für das Geschäftsjahr 1949/1950 den Betrag von 175.000 DM zuführte, konnte die Organmutter in diesen beiden Jahren positive Geschäftsergebnisse von nur 107.954,65 DM (1948/1949) und 20.773,49 DM (1949/1950) übernehmen.
Das Finanzamt sah die Belassung von Teilen der Rohgewinne als Verzicht der Organmutter auf ihr nach dem EüV zustehende Forderungen von zusammen 470.361 DM (= 295.361,79 DM + 175.000 DM) an; es zog die Bfin. dementsprechend gemäß § 2 Ziff. 3 b KVStG 1934 zu einer Gesellschaftsteuer von 14.110,80 DM (= 3 v. H. von 470.361 DM) heran.
Einspruch und Berufung, in denen die Bfin. im wesentlichen geltend machte, sie habe nicht auf eine ihr zustehende Forderung verzichtet, da nach dem EüV nur der Handelsbilanzgewinn an sie abzuführen sei, blieben erfolglos. Das Finanzgericht ist in seiner in der Deutschen Steuer-Zeitung (B) 1959 S. 421 abgedruckten Entscheidung zwar in übereinstimmung mit der Bfin. der Ansicht, daß auf Grund des Vertrages vom 30. Dezember 1930 die Bfin. verpflichtet gewesen sei, den Handelsbilanzgewinn an ihre Organmutter abzuführen. Die Handelsbilanzen zum 30. September 1949 und 30. September 1950 entsprächen auch den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Aufstellung derartiger Bilanzen, da mit Rücksicht auf die damalige Unübersichtlichkeit der Absatzentwicklung und das Produktionsverbot für die Organmutter die Bildung der Rücklagen bei der Bfin. nicht zu beanstanden sei. Indes komme es nach den Ausführungen in dem Gutachten des I. Senats des Bundesfinanzhofs 1 D 1/56 S vom 27. November 1956 (BStBl 1957 III S. 139, Slg. Bd. 64 S. 368), die auch für das Gesellschaftsteuerrecht zuträfen, auf alles dies nicht an. Denn hiernach müsse die Organtochter, damit der EüV steuerlich anerkannt werde, nicht den Handelsbilanzgewinn, sondern den tatsächlichen Gewinn an die Organmutter abführen. Die Organmutter könne sich aber erst dann, wenn sie den Rohgewinn und demnach das auf Grund des EüV abzuführende Jahresergebnis kenne, darüber schlüssig werden, welcher Teil hiervon den Rücklagen zugeführt werden solle. Auf Grund ihrer Machtstellung als beherrschende Gesellschafterin stehe es dann im Belieben der Organmutter, in welcher Höhe die Rohgewinne der Rücklage zugeführt würden. Dem Urteil des Bundesfinanzhofs II 114/56 U vom 25. Juli 1956 (BStBl 1956 III S. 254, Slg. Bd. 63 S. 149), das den besonderen Einfluß der Organmutter nicht berücksichtigt habe, könne aus diesen Gründen nicht gefolgt werden. Auch weitere Erwägungen schlössen es aus, bei der Organtochter eine beliebige Rücklagenbildung zuzulassen. Einmal habe eine Organgesellschaft, wenn ein EüV besteht, Rücklagen nicht nötig, da die Organmutter ohnehin etwaige Verluste auszugleichen habe, zum anderen gehe es nicht an, Maßnahmen, die dazu dienten, der Entstehung eines Verlustes vorzubeugen, steuerrechtlich anders zu behandeln als Leistungen, die zum Ausgleich eines bereits entstandenen Verlustes bewirkt werden.
Mit der Rb. rügt die Bfin. unter Wiederholung ihres bisherigen Rechtsstandpunktes unrichtige Anwendung des bestehenden Rechts.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist begründet.
Nach § 2 Ziff. 3 b KVStG 1934 unterliegen der Gesellschaftsteuer freiwillige Leistungen eines Gesellschafters an eine inländische Kapitalgesellschaft, wenn die Leistungen geeignet sind, den Wert der Gesellschaftsrechte zu erhöhen (Beispiel: Verzicht auf Forderungen). Wie die Vorinstanz nicht verkannt hat, kommen im Streitfall als Steuertatbestand nur Verzichte auf Forderungen in Betracht. Ein Verzicht auf eine Forderung setzt das Bestehen eines entsprechenden Anspruchs voraus. Es ist daher im Streitfall, ebenso wie in der Entscheidung des Bundesfinanzhofs II 114/56 U vom 25. Juli 1956 (a. a. O.) zunächst festzustellen, welcher Anspruch der Organmutter auf Grund des EüV gegen die Bfin. zusteht. Das ist auf Grund des Vertrages vom 30. Dezember 1930 die übernahme des "Geschäftsergebnisses ... (Gewinn oder Verlust)". Die Formulierung in dem EüV weicht somit von derjenigen ab, die der vorgenannten Entscheidung zugrunde lag. Diese Abweichung kann im Streitfall sachlich aber zu keinem anderen Ergebnis führen, da es für die Frage, was unter dem "Geschäftsergebnis" zu verstehen ist, allein auf den Willen der Vertragsparteien ankommt.
Der zum Teil im Schrifttum (vgl. Czimczik, Deutsche Verkehrsteuer-Rundschau - DVStR - 1958 S. 1, 2, DVStR 1959 S. 166) vertretenen Auffassung, daß als Gegenstand der gesellschaftsteuerrechtlich allein maßgebenden bürgerlich-rechtlichen Vereinbarung grundsätzlich in derartigen Fällen der "tatsächliche Gewinn" im Sinne des Gutachtens des Bundesfinanzhofs I D 1/56 S vom 27. November 1956 (a. a. O.) oder der handelsrechtliche Reingewinn vor Bildung offener oder willkürlich gebildeter stiller Rücklagen (so Grieger in "Die Aktiengesellschaft" 1956 S. 68, 69) anzunehmen sei, kann nicht gefolgt werden. Maßgebend sind, wie bereits erwähnt, allein die Parteiabreden im Einzelfall. Ergibt sich aus der Formulierung des EüV nicht eindeutig, welches Geschäftsergebnis die Vertragsparteien als zu übernehmen ansehen, so ist in aller Regel davon auszugehen, daß in einem von Kaufleuten abgeschlossenen Vertrag unter dem abzuführenden "Geschäftsergebnis" allein das Ergebnis der Handelsbilanz gemeint ist (vgl. insoweit auch Fließbach, Steuer und Wirtschaft - StuW - 1956 Sp. 803, 806; Asshoff, DVStR 1959 S. 98, 99; Pleiss, DVStR 1961 S. 17, 18 rechte Spalte unten, und Heinemann, GmbH-Rundschau 1963 S. 131, 132 unten). Das gilt in besonderem Masse für einen im Jahre 1930 abgeschlossenen EüV. Das Finanzgericht stellt daher auch im Streitfall zunächst zutreffend fest, daß nach dem Vertrag vom 30. Dezember 1930 die Organmutter verpflichtet sei, das Handelsbilanzergebnis zu übernehmen. Im Widerspruch hierzu führt es aber gegen Ende seiner Entscheidung aus, daß ein EüV, um steuerlich anerkannt werden zu können, auf die Abführung des tatsächlichen Gewinnes gerichtet sein müsse, woraus es dann die Folgerung zieht, daß die Bildung von Rücklagen zur Schmälerung des Geschäftsergebnisses führen müsse und daher gesellschaftsteuerrechtlich beim Vorhandensein eines EüV nicht als steuerfreier Vorgang behandelt werden könne. Das Finanzgericht übersieht dabei folgendes: Gesellschaftsteuerrechtlich ist es ohne Belang, ob eine Organschaft mit Ergebnisübernahme körperschaftsteuerrechtlich anerkannt wird. Maßgebend ist allein die auf Grund einer bürgerlich-rechtlichen Vereinbarung vorgenommene Leistung. Zwar wird, insbesondere nach Veröffentlichung des Gutachtens des Bundesfinanzhofs I D 1/56 S vom 27. November 1956 (a. a. O.), in der Mehrzahl der Fälle der EüV von den Vertragsparteien den Erfordernissen dieses Gutachtens angepaßt worden sein. Dann wird diese Abmachung auch gesellschaftsteuerrechtlich zu beachten sein. Es geht aber nicht an, bestehende andere vertragliche Abmachungen, nach denen die Vertragsparteien sich auch richten, nicht zu beachten und für die Besteuerung nach dem KVStG von einem fingierten Sachverhalt auszugehen. Da das Gutachten des I. Senats des Bundesfinanzhofs erst im Jahre 1957 veröffentlicht und damit allgemein bekannt gemacht wurde, liegt auch kein Grund zu einer Annahme vor, daß die Organmutter und die Bfin., schon bevor sie in der Gesellschafterversammlung vom 28. Mai 1952 die Bildung von Rücklagen beschlossen haben, den EüV - wenn auch stillschweigend - inhaltlich dahin abgeändert haben, daß das "tatsächliche Geschäftsergebnis" abzuführen sei. Dieser Annahme steht auch nicht entgegen, daß die Organmutter das Geschäftsergebnis einschließlich der Rücklagen im Rahmen der Körperschaftsteuer versteuert hat. Hat die Bfin. hiernach auf Grund des EüV das Geschäftsergebnis der Handelsbilanzen, nicht aber den Rohgewinn an die Organmutter abzuführen, so ist es ihr vertraglich nicht verwehrt, Rücklagen zu bilden, die bei vernünftiger kaufmännischer Beurteilung wirtschaftlich begründet sind; denn die Bildung derartiger Rücklagen widerspricht nicht den Grundsätzen einer ordnungsmäßigen Aufstellung von Handelsbilanzen (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs II 114/56 U vom 25. Juli 1956, a. a. O., und II 43/56 vom 19. September 1956, Deutsche Steuer-Rundschau - DStR - 1957 S. 15, "Die Aktiengesellschaft" 1957 S. 23). Da die Organmutter hiernach keinen Anspruch auf Abführung des handelsrechtlichen Rohgewinns vor Bildung vertretbarer Rücklagen hatte, konnte sie, entgegen der Meinung der Vorinstanzen, auch nicht zum Teil auf einen ihr zustehenden Anspruch verzichten. Daß die Bfin. aber bei vernünftiger kaufmännischer Beurteilung beachtliche Gründe hatte, Beträge in dem Umfang der Rücklage zuzuführen, wie es geschehen ist, hat das Finanzgericht, das sich hierbei in übereinstimmung mit der in dem Urteil des Bundesfinanzhofs II 43/56 vom 19. September 1956 vertretenen Auffassung über einen gleichgelagerten Fall befindet, mit zutreffenden Gründen bejaht.
Nicht gefolgt werden kann der Vorinstanz auch insoweit, als sie ausführt, daß Leistungen der Organmutter, die sie vornimmt, um der Entstehung eines Verlustes vorzubeugen, nicht anders behandelt werden könnten als Leistungen, die sie zum Ausgleich eines bereits entstandenen Verlustes bewirkt. Ganz abgesehen davon, daß bei der Gesellschaftsteuer als einer Rechtsverkehrsteuer nur bestimmte Rechtsvorgänge die Steuerpflicht begründen können und eine Ausdehnung der Besteuerung auf im wirtschaftlichen Ergebnis gleichgelagerte Fälle nicht möglich ist (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs II 107/55 U vom 24. Oktober 1956, BStBl 1956 III S. 351, Slg. Bd. 63 S. 402), handelt es sich bei der Bildung von Rücklagen nicht um eine Leistung der Organmutter, sondern um eine Verwendung von Einnahmen bei der Organtochter, auf die die Organmutter im Streitfall keinen Anspruch hat. Schließlich kann auch nicht anerkannt werden, daß eine Organtochtergesellschaft schon deshalb keiner Rücklagen bedarf, weil Verluste auf Grund des EüV stets von der Organmutter ausgeglichen werden müßten. Der EüV erfaßt zwar das Geschäftsergebnis der Organtochter, er ist aber ohne direkten Einfluß auf die kaufmännischen Dispositionen der Organe einer Organtochter. Wirtschaftlich vernünftige, kaufmännisch vertretbare Rücklagenbildungen müssen daher auch bei einer Organtochter, die einen EüV abgeschlossen hat, gesellschaftsteuerrechtlich anerkannt werden.
Nach alledem waren die Vorentscheidung, die Einspruchsentscheidung und der Steuerbescheid aufzuheben und die Bfin. von der angeforderten Gesellschaftsteuer freizustellen.
Fundstellen
Haufe-Index 411297 |
BStBl III 1964, 507 |
BFHE 1965, 94 |
BFHE 80, 94 |