Entscheidungsstichwort (Thema)
Beurteilung der Kfz-Steuer als Masseverbindlichkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Das Finanzgericht hat zu Unrecht angenommen, dass es sich bei der Kfz-Steuer für ein gemäß § 311 Abs. 1 Nr. 5 ZPO unpfändbares Fahrzeug um eine Masseverbindlichkeit handelt. Maßgebend ist, ob das Fahrzeug Teil der Insolvenzmasse ist.
2. Der Senat hält an der bisherigen Rechtsprechung des BFH nicht fest. Insbesondere nicht an der bisher vertretenen Auffassung, dass die Rechtsposition als Halter eines Kraftfahrzeuges zur Insolvenzmasse gehört.
Normenkette
InsO §§ 35, 55 Abs. 1 Nr. 1
Gründe
Über das Vermögen des F (Schuldner) wurde am 9.11.2007 das Insolvenzverfahren eröffnet; zum Treuhänder wurde der Kläger und Revisionskläger (Kläger) bestellt.
Der Schuldner ist als Arbeitnehmer tätig und besucht außerhalb der Arbeitszeit eine Technikerschule.
Auf den Schuldner war im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein Kraftrad zugelassen. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt – FA) setzte durch Bescheid v. 21.1.2003 die Kfz-Steuer für die Zeit ab 10.11.2007 gegen den Kläger als Treuhänder über das Vermögen des Schuldners auf jährlich 49 EUR fest. Der Auffassung des Klägers, die Steuerschuld sei nicht gegen ihn festzusetzen, weil das Kraftrad aufgrund der Pfändungsbeschränkungen des § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO nicht zur Insolvenzmasse gehöre und demgemäß keine Masseverbindlichkeit vorliege, folgte das FA nicht.
Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das FG war der Auffassung, die Kfz-Steuer sei eine Masseverbindlichkeit i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO in der ab 1.7.2007 geltenden Fassung (InsO), weil sie durch die Verwaltung der Insolvenzmasse begründet worden sei. Den Vorschriften des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (KraftStG) sei die rechtlich unwiderlegbare Vermutung zu entnehmen, dass das Fahrzeug von demjenigen, für den es zugelassen sei, bis zur Ummeldung oder Außerbetriebsetzung gehalten werde. Das unwiderlegbar rechtsvermutete Halten des Fahrzeugs führe zu einer gesetzlich unterstellten Verwendungsmöglichkeit und Verfügungsgewalt „im Geschäft” des Schuldners und damit im Rahmen der Insolvenzmasse. Der Treuhänder sei auch bei einem nur rechtsvermuteten Halten des Fahrzeugs verpflichtet, das Fahrzeug außer Betrieb zu setzen oder der Zulassungsbehörde den Übergang des Fahrzeugs auf einen Dritten anzuzeigen, wenn er das Entstehen einer weiteren Steuerschuld zulasten der Insolvenzmasse vermeiden wolle. Das Urteil ist in EFG 2009, 615 veröffentlicht.
Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Der BFH beurteile die Haltereigenschaft als „Rechtsposition”. Diese Rechtsposition sei nicht isoliert zu betrachten, sondern hänge zwangsläufig mit dem Fahrzeug zusammen. Dieses sei unpfändbar und damit zu keiner Zeit in seine Verfügungsmacht gelangt. Halter des Fahrzeugs sei nach wie vor der Insolvenzschuldner.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Vorentscheidung sowie den Kfz-Steuerbescheid v. 21.1.2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung v. 18.4.2008 aufzuheben.
Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO).
Das FG hat auf der Grundlage der von ihm getroffenen Feststellungen zu Unrecht angenommen, die Kfz-Steuer sei gegenüber dem Kläger als Treuhänder über das Vermögen des Schuldners festzusetzen, da es sich bei ihr um eine Masseverbindlichkeit handele.
Im Ansatzpunkt zutreffend geht das FG davon aus, dass mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gem. § 80 Abs. 1 InsO das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen (§ 35 InsO) zu verwalten, auf den Insolvenzverwalter übergeht und er als Vermögensverwalter gem. § 34 Abs. 3 AO i.V.m. Abs. 1 AO die steuerlichen Pflichten des Insolvenzschuldners zu erfüllen hat, soweit seine Verwaltung reicht (vgl. BFH, Beschl. v. 8.9.2009 – II B 63/09, BFH/NV 2010, 68; BGH, Urt. v. 24.5.2007 – IX ZR 8/06, BFH/NV 2007, Beil. 4, 459).
Als Vermögensverwalter ist der Insolvenzverwalter Steuerpflichtiger (§ 33 Abs. 1 AO; vgl. auch BFH, Urt. v. 21.12.1988 – V R 29/86, BFHE 155, 475, BStBl. II 1989, S. 434, allgemein zu Vermögensverwalter) und richtiger Bekanntgabe- und Inhaltsadressat von Steuerbescheiden, mit denen eine Finanzbehörde bestehende Masseverbindlichkeiten geltend macht. Demgegenüber sind Steuerforderungen, die sich gegen das insolvenzfreie Vermögen des Schuldners richten, gegen den Schuldner festzusetzen.
Für das Verbraucherinsolvenzverfahren gelten, soweit vorliegend von Interesse, die allgemeinen Vorschriften der InsO entsprechend (§ 304 Abs. 1 Satz 1 InsO). Die Aufgaben des Insolvenzverwalters nimmt insofern der Treuhänder wahr (vgl. § 313 Abs. 1 InsO; BGH, Beschl. v. 20.3.2003 – IX ZB 388/02, DB 2003, 1507, unter V.2.d).
Entgegen der Ansicht des FG kommt es für die Beurteilung der Kfz-Steuer als Masseverbindlichkeit nicht auf eine Verwendungsmöglichkeit des Kraftrads „im Geschäft” des Schuldners und damit auf dessen Nützung für die Insolvenzmasse an. Maßgebend ist vielmehr, ob das Kraftrad Teil der Insolvenzmasse ist.
aa)
Gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO sind Masseverbindlichkeiten die Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören. Kfz-Steuer ist als Abgabenforderung im Sinne der zweiten Tatbestandsalternative den „in anderer Weise” durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Masse begründeten Verbindlichkeiten zuzuordnen, soweit sie die Insolvenzmasse betrifft (vgl. allgemein zu Abgabenforderungen BVerwG, Urt. v. 16.12.2009 – 8 C 9/09, NJW 2010, 2152). Dies ist der Fall, wenn die Abgabenforderung selbst einen Bezug zur Insolvenzmasse aufweist und erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet wurde (BVerwG-Urt., NJW 2010, 2152).
Der Begriff der „Insolvenzmasse” ist in § 35 Abs. 1 InsO dahin gehend bestimmt, dass das Insolvenzverfahren das gesamte Vermögen erfasst, das dem Schuldner z.Zt. der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt. Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen, gehören nicht zur Insolvenzmasse (§ 36 Abs. 3 Satz 1 InsO) und unterliegen als Teil des insolvenzfreien Vermögens des Schuldners nicht der Verwaltungsbefugnis des Insolvenzverwalters (vgl. BFH-Beschl., BFH/NV 2010, 68).
bb)
Unterliegt das Fahrzeug wegen seiner Zugehörigkeit zur Insolvenzmasse nach § 80 InsO der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters, weist die Kfz-Steuer, die aus dem Halten dieses Fahrzeugs resultiert, auch einen Bezug zur Insolvenzmasse auf. Denn der Insolvenzverwalter kann über die Art und Weise seiner Verwendung oder Verwertung bestimmen und ggf. verhindern, dass weiterhin Kfz-Steuer entsteht, indem er das Fahrzeug veräußert oder außer Betrieb setzt und der Zulassungsbehörde dies anzeigt (vgl. § 5 Abs. 4 und 5 KraftStG, §§ 13 Abs. 4, 14 Abs. 1 der Fahrzeug-Zulassungsverordnung).
Bei insolvenzfreien Fahrzeugen besteht hingegen kein Bezug der Kfz-Steuer zur Insolvenzmasse. Dem Insolvenzverwalter ist es insbesondere nicht möglich, das Entstehen von Kfz-Steuer für solche Fahrzeuge zu verhindern. Denn die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters erstreckt sich auf alle zur Masse gehörenden Vermögensgegenstände, beschränkt sich aber auch auf diese (MünchKomm-InsO/ Ott/Vuia, 2. Aufl., § 80 Rn. 43; Klein/Humberg, JR 2008, 224, 226; Looff, ZInsO 2008, 75, 76 m.w.N.; Kögel, ZInsO 2010, 1780, 1782 f.; Menn, ZInsO 2009, 1189, 1191).
Ebenso wenig ist Kfz-Steuer allein deshalb als Masseverbindlichkeit zu beurteilen, weil das (insolvenzfreie) Fahrzeug für die Masse genutzt worden ist. Denn nach dem Wortlaut des § 55 Abs. 1 Nr. 1, 2. Alt. InsO („durch die Verwaltung … der Insolvenzmasse”) liegen Masseverbindlichkeiten nur vor, wenn ein Massegegenstand verwaltet wird und daraus eine (Steuer-)Verbindlichkeit resultiert. Dementsprechend ist auch die nach Insolvenzeröffnung durch sonstige Leistungen des Insolvenzschuldners begründete USt jedenfalls dann keine Masseverbindlichkeit, wenn die Umsätze nicht im Wesentlichen auf der Nutzung von Massegegenständen beruhen (vgl. BFH, Urt. v. 17.3.2010 – XI R 2/08, BFHE 229, 394).
Soweit die bisherige Rechtsprechung des BFH zur Beurteilung von Kfz-Steuer als Masseverbindlichkeit den dargestellten Grundsätzen widerspricht, hält der Senat, der nach dem Geschäftsverteilungsplan für die Kfz-Steuer allein zuständig ist, hieran nicht fest. Der Senat teilt insbesondere nicht die im BFH, Urt. v. 29.8.2007 – IX R 4/07 (BFHE 218, 435, BStBl. II 2010, S. 145) vertretene Auffassung, dass die Rechtsposition als Halter eines Kfz zur Insolvenzmasse gehört.
Die Rechtsposition des Halters eines Kfz ist nämlich kein „Vermögen” i.S.d. § 35 InsO. „Vermögen” einer Person sind deren Sachen und geldwerten Rechte und Güter (vgl. Jaeger/ Henckel, InsO, § 35 Rn. 8; Staudinger/ Jickeli/Stieper, BGB, Vorbem. zu §§ 90 – 103 Rn. 24). Die Rechtsposition des Halters eines Kfz ist kein geldwertes Recht oder Gut (vgl. auch Looff, ZInsO 2008, 75, 76; Menn, ZInsO 2009, 1189, 1191; Klein/Humberg, JR 2008, 224, 227; a.A. Roth, ZInsO 2008, 304, 306). Soweit dem Halter eines Kfz öffentlich-rechtliche Halterpflichten obliegen (vgl. z.B. § 31 Abs. 2 der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung, § 13 der Fahrzeug-Zulassungsverordnung, § 1 des Pflichtversicherungsgesetzes) und er unter den Voraussetzungen des § 7 StVG für beim Betrieb des Kfz verursachte Schäden haftet, fehlt es schon an einem Geldwert. Aber auch soweit der Halter einen Anspruch gegen die Haftpflichtversicherung hat (vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 3 der Kraftfahrzeug-Pflichtversicherungsverordnung), begründet dies keine Massezugehörigkeit der Rechtsposition des Fahrzeughalters zur Insolvenzmasse. Denn „Geldwert” hat insoweit nur die Forderung gegen die Versicherung, nicht jedoch die Rechtsposition des Halters als solche. Dies wird auch daraus ersichtlich, dass ein Erwerber eines Fahrzeugs nicht für die Haltereigenschaft, sondern für den Erwerb des Eigentums am Fahrzeug bezahlen wird (vgl. Menn, ZInsO 2009, 1189, 1191).
Da das FG von einer anderen Ansicht ausgegangen ist, war die Vorentscheidung aufzuheben.
Die Sache ist nicht spruchreif. Auf der Grundlage der vom FG getroffenen Feststellungen kann nicht abschließend entschieden werden, ob das Kraftrad Bestandteil der Insolvenzmasse war und die Kfz-Steuer somit als Masseverbindlichkeit gegenüber dem Kläger geltend gemacht werden durfte.
Das FG wird insbesondere zu prüfen haben, ob das Kraftrad deshalb nicht zur Insolvenzmasse gehörte, weil es nach § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO unpfändbar war. Nach dieser Vorschrift sind bei Personen, die aus ihrer körperlichen oder geistigen Arbeit oder sonstigen persönlichen Leistungen ihren Erwerb ziehen, die zur Fortsetzung dieser Erwerbstätigkeit erforderlichen Gegenstände nicht der Pfändung unterworfen. Zur Fortsetzung der Erwerbstätigkeit i.S.d. § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO erforderliche Gegenstände können auch Kfz sein, die ein Arbeitnehmer für die täglichen Fahrten von seiner Wohnung zu seinem Arbeitsplatz und zurück benötigt (BGH, Beschl. v. 28.1.2010 – VII ZB 16/09, MDR 2010, 405). Geschützt ist auch die auf künftigen Erwerb gerichtete persönliche Tätigkeit wie die Berufsausbildung, wenn mit einer alsbaldigen Aufnahme der neuen Erwerbstätigkeit sicher gerechnet werden kann (vgl. Zöller/ Stöber, ZPO, 28. Aufl., § 811 Rn. 26). Eine Unpfändbarkeit des Kraftrads läge i.Ü. nur dann vor, wenn der Schuldner keine zumutbare Möglichkeit der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel gehabt hätte und die Arbeits- oder Ausbildungsstätte auch nicht mit dem Fahrrad oder zu Fuß erreichen konnte (vgl. MünchKomm-ZPO/ Gruber, 3. Aufl., § 811 Rn. 62, Stichwort „Pkw”).
Sollte das Kraftrad nach § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO pfändungs- und damit insolvenzfrei sein, wäre die streitige Kfz-Steuer gegen den Schuldner festzusetzen gewesen. Sollten hingegen die Voraussetzungen des § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO nicht vorliegen, hätte das FA die Steuer zutreffend mit an den Kläger gerichtetem Bescheid festgesetzt.
Die Übertragung der Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
Die Entscheidung ergeht nach § 121 Satz 1 FGO i.V.m. § 90a Abs. 1 FGO ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid.
Fundstellen