Leitsatz (amtlich)
Ob und in welcher Höhe der 10,5 Raumhundertteile übersteigende Weingeistgehalt eines im Jahre 1971 aus Mitgliedstaaten eingeführten Wermutweins der Monopolausgleichspitze unterlag, hängt davon ab, ob die mehr als 4hl Weingeist herstellende Brennerei, die den der Ware zugesetzten Branntwein hergestellt hat, nach Art, Struktur, Organisationsform und Herstellungsmenge einer Obstgemeinschaftsbrennerei entsprach, und ob Obstgemeinschaftsbrennereien im entscheidungserheblichen Zeitraum Weinbrand hergestellt haben.
Normenkette
EWGVtr Art. 95; BranntwMonG a.F. §§ 76, 78-79, 151-152
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ließ am 7. und 8. Juni 1971 bei einem der Beklagten und Revisionskläger (Hauptzollamt – HZA –) unterstehenden Zollamt (ZA) Wermutwein aus Italien mit einem Weingeistgehalt von 15,2 Raumhundertteilen (RHT) zum freien Verkehr abfertigen. Das ZA berechnete für den über 10,5 RHT hinausgehenden Weingeistgehalt Monopolausgleich nach dem Satz von 1 266 DM/Hektoliter Weingeist (hl W). Auf den Einspruch der Klägerin gegen die Monopolausgleichspitze in Höhe von 66 DM/hl W änderte das HZA den Steuerbescheid und forderte nunmehr eine solche in Höhe von 15,45 DM/hl W.
Die Klage, mit der sich die Klägerin gegen die Erhebung der Monopolausgleichspitze wandte, hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte aus: Die Erhebung der Monopolausgleichspitze verstoße gegen Art. 37 Abs. 1, 95 Abs. 1 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV). Der zu versteuernde Weingeistgehalt des eingeführten Wermutweins sei mit inländischen ablieferungsfreiem Weinalkohol zu vergleichen. Für diesen sei Branntweinaufschlag zu zahlen gewesen (§§ 78, 79 Abs. 1 des Gesetzes über das Branntweinmonopol in der damaligen Fassung; künftig immer in dieser Fassung zitiert – BranntwMonG –). Nach § 79 Abs. 2 Nr. 1 BranntwMonG sei der Branntweinaufschlag, der sich damals auf 1 245 DM/hl W belaufen habe, auf 1 048 DM/hl W vermindert worden, habe also unterhalb des damaligen Branntweinsteuersatzes von 1 200 DM/hl W gelegen und damit keine der Monopolausgleichspitze entsprechende Komponente enthalten. Der in der eingeführten Ware enthaltene Branntwein sei mit Sicherheit nicht in einer Kleinbrennerei erzeugt worden, die einer Abfindungsbrennerei oder einem Stoffbesitzer entspreche. In Betracht komme aber ein Belastungsvergleich mit Obstbranntwein aus Obstgemeinschaftsbrennereien, deren Gesamterzeugung erheblich über den Erzeugungsgrenzen der genannten Kleinbetriebe lägen.
Mit seiner Revision macht das HZA im wesentlichen folgendes geltend: Der dem Wermutwein zugesetzte Branntwein sei mit Branntwein aus Wein zu vergleichen. Ein Vergleich mit der Herstellung solchen Branntweins in Obstgemeinschaftsbrennerein dürfe aber nicht angestellt werden. Branntwein aus Wein werde in solchen Brennereien nicht erzeugt. Zu Unrecht gehe das FG auch davon aus, daß die besondere Erzeugerstruktur der Obstgemeinschaftsbrennerei mit derjenigen ausländischer Produkte verglichen werden könne.
Das HZA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen. Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
1. Die Erhebung der Monopolausgleichspitze durch die angefochtenen Bescheide entsprach dem damals geltenden innerstaatlichen Recht.
Weingeisthaltige Erzeugnisse unterliegen dem Monopolausgleich (§ 151 Abs. 1 BranntwMonG). Als ein solches Erzeugnis sind auch weinhaltige Getränke mit einem Weingeistgehalt von mehr als 10,5 RHT anzusehen (§ 151 Abs. 2 BranntwMonG). Zu diesen Getränken zählt der eingeführte Wermutwein (vgl. Hoppe/Heinricht, Kommentar zum Gesetz über das Branntweinmonopol, § 151 Anm. 7). Der Monopolausgleich ist von der Weingeistmenge zu berechnen, die sich aus dem 10,5 RHT übersteigenden Weingeistgehalt ergibt (§ 152 Abs. 3 Nr. 2 BranntwMonG).
Der Monopolausgleich bestand damals in dem Unterschied zwischen dem regelmäßigen Branntweinverkaufpreis und dem Branntweingrundpreis (§ 152 Abs. 1 Satz 1 BranntwMonG). Der regelmäßige Branntweinverkaufpreis betrug seinerzeit 1 463 DM/hl W (Bekanntmachung der Bundesmonopolverwaltung für Branntwein – BMonV – vom 10. November 1967, Bundesanzeiger – BAnz – Nr. 221 vom 25. November 1967, BZBl 1967, 1224), der Branntweingrundpreis 197 DM/hl W (Bekanntmachung der BMonV vom 5. November 1970, BAnz Nr. 218 vom 24. November 1970, BZBl 1970, 1368). Der Monopolausgleich belief sich also auf 1 266 DM/hl W (vgl. die Bekanntmachung der BMonV vom 5. November 1970, BAnz Nr. 218 vom 24. November 1970, BZBl 1970, 1408). Da die Branntweinsteuer damals 1 200 DM/hl W betrug (§ 84 Abs. 2 Nr. 1 BranntwMonG), unterlag die in dem eingeführten weingeisthaltigen Erzeugnis enthaltene, 10,5 RHT übersteigende Weingeistmenge einer Monopolausgleichspitze von 66 DM/hl W (vgl. § 73 der Ausführungsbestimmungen – Grundbestimmungen – zum Gesetz über das Branntweinmonopol –GB–). Da das HZA (in Anwendung der Regelung des § 79 Abs. 2 Nr. 2 BranntwMonG) eine Monopolausgleichspitze nur in Höhe vom 15,45 DM/hl W erhoben hat, war diese jedenfalls nicht höher als es das BranntwMonG vorsah.
2. Nach dem Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts sind die genannten Bestimmungen des BranntwMonG unanwendbar, wenn und soweit sie im Gegensatz zum Gemeinschaftsrecht stehen. Das ist hier möglicherweise – d. h. vorbehaltlich weiterer Ermittlungen des FG (vgl. unten Nr. 5) – der Fall. Zu prüfen ist, ob ein Verstoß gegen das steuerliche Diskriminierungsverbot des Art. 95 Abs. 1 EWGV vorliegt. Diese Vorschrift ist nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) und des erkennenden Senats unmittelbar geltendes Recht.
3. Die Frage, ob das nationale Recht Waren aus anderen Mitgliedstaaten bei der Einfuhr hinsichtlich der Erhebung inländischer Steuern diskriminiert, ist nach Art. 95 Abs. 1 EWGV anhand eines Vergleichs der Belastungen für eingeführte und für gleichartige inländische Waren zu entscheiden. Davon ist auch die Vorentscheidung ausgegangen. Das FG hat aber verkannt, daß es bei diesem Belastungsvergleich nicht allein auf die Frage der Gleichartigkeit ankommt, sondern daß nach der Rechtsprechung des EuGH der nationale Gesetzgeber unter bestimmten Voraussetzungen gleichartige (oder sogar gleiche) Waren steuerlich unterschiedlich behandeln darf und daß diese Differenzierungen beim Belastungsvergleich berücksichtigt werden müssen. Zur Begründung verweist der Senat auf sein Urteil vom 18. Oktober 1983 VII R 26/77 (BFHE 139, 461). Für die Frage, welche der unterschiedlichen inländischen Abgabenbelastungen beim Belastungsvergleich konkret heranzuziehen ist, kommt es danach darauf an, welchen der verschiedenen Tatbestände der nationalen Regelung – deren gemeinschaftsrechtliche Zulässigkeit vorausgesetzt – die eingeführte Ware nach ihrer Beschaffenheit und den sonstigen relevanten Umständen tatsächlich erfüllt.
4. Ohne Rechtsirrtum ist das FG davon ausgegangen, daß der eingeführte Wermutwein zu vergleichen ist mit im Inland hergestelltem Wermutwein. Eine unzulässige steuerliche Diskriminierung der eingeführten Ware i. S. des Art. 95 Abs. 1 EWGV ist daher dann gegeben, wenn der im inländischen Wermutwein über 10,5 RHT hinausgehende Weingeistgehalt einer geringeren Abgabenbelastung als 1 215,45 DM/hl W unterliegen würde.
Wermutweine gehören zu den weinhaltigen Getränken i. S. des § 35 des damals geltenden Weingesetzes (WeinG) vom 16. Juli 1969 (BGBl I 1969, 781; vgl. auch Koch, Kommentar zum Weingesetz 1971, § 29 Anm. 2). Solche Getränke durften nach § 37 Abs. 3 Nr. 1 WeinG 1969 nur unter Zusatz von Weindestillat, Branntwein aus Wein und Weinalkohol hergestellt werden. Für den im Rahmen des Art. 95 Abs. 1 EWGV anzustellenden Belastungsvergleich kommt es also darauf an, wie hoch damals die Abgabenbelastung dieser zugelassenen Zusätze nach dem BranntwMonG waren.
5. Daß die differenzierende Regelung des BranntwMonG gemeinschaftsrechtlich legitim ist und zu welchem Ergebnis der nach den dargestellten Grundsätzen vorzunehmende Belastungsvergleich mit inländischem Weinbrand führt, hat der erkennende Senat in Nr. 5 seines Urteils vom 18. Oktober 1983 VII R 26/78 entschieden (BFHE 139, 466). Auf die Ausführungen in diesem Urteil wird verwiesen.
Danach hat das FG zu Unrecht ohne weiteres die steuerliche Belastung von durch eine Obstgemeinschaftsbrennerei erzeugtem Weinbrand (§ 79 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BranntwMonG) seinem Belastungsvergleich zugrunde gelegt. Die Steuervergünstigung des § 79 Abs. 2 Nr. 1 BranntwMonG ist nach der zuletzt zitierten Entscheidung des Senats vielmehr nur dann in Anwendung des Art. 95 Abs. 1 EWGV auf die eingeführte Ware zu erstrecken, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sind: Der dem eingeführten Wermutwein zugesetzte Branntwein muß in einer Brennerei hergestellt worden sein, die nach Art, Struktur, Organisationsform und Herstellungsmenge die Voraussetzungen erfüllt, die nach nationalem Recht damals an eine Obstgemeinschaftsbrennerei gestellt wurden (vgl. EuGH-Urteil vom 26. April 1983 Rs. 38/82, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung – HFR – 1983, 386, Absatz 13–17 der Gründe). (Das FG hat bereits festgestellt, daß die anderen in § 79 Abs. 2 Nr. 1 BranntwMonG genannten Hersteller aus der Betrachtung ausscheiden, da der zu versteuernde Branntwein „mit Sicherheit nicht von vergleichbaren italienischen Kleinbrennereien erzeugt wurde”.) Ferner müssen inländische Obstgemeinschaftsbrennereien im entscheidungserheblichen Zeitraum auch tatsächlich Branntwein aus Wein hergestellt haben, und seien es auch nur kleine Mengen.
6. Die Klägerin sieht diskriminierende Maßnahmen auch im „Privileg der Abfindungs- und Verschlußbrennereien”, im sog. Süddeutschen Abschlag (§ 71 BranntwMonG), in den von der BMonV an die Kornbrenner gezahlten direkten Beihilfen und in der steuerfreien Überausbeute für Obstbrenner. Sie kann mit diesen Einwendungen jedoch keinen Erfolg haben. Ein Vergleich mit Abfindungsbrennern scheidet schon deswegen aus, weil das FG festgestellt hat, daß der fragliche Branntwein nicht von vergleichbaren italienischen Kleinbrennereien erzeugt worden ist. Wieso ein Vergleich mit inländischen Verschlußbrennereien zu einem für die Klägerin günstigen Ergebnis führen sollte, hat die Klägerin nicht dargelegt. Der Süddeutsche Zuschlag schließlich betrifft allein die Höhe des Übernahmepreises der BMonV und hat mit der Besteuerung des Branntweins nichts zu tun. Der Hinweis der Klägerin auf von der BMonV an selbstvermarktende Kornbrenner gezahlte Beihilfen bezieht sich wohl auf die Regelung des Erlasses des Bundesministers der Finanzen vom 24. März 1976; diese ist aber schon deswegen ohne Bedeutung, weil die Beihilfen erst nach dem entscheidungserheblichen Zeitraum gewährt wurden.
7. Das FG hat die dargelegten Grundsätze verkannt. Die Vorentscheidung ist daher aufzuheben. Es fehlt an entsprechenden Feststellungen des FG, die es dem erkennenden Senat ermöglichen würden durchzuerkennen. Die Sache ist daher an das FG zurückzuverweisen. Sollte es bei der neuerlichen Entscheidung des FG auf die Frage der Verteilung der Feststellungslast ankommen, so wird das FG sich an die vom erkennenden Senat im zitierten Urteil VII R 26/78 aufgestellten Grundsätze zu halten haben.
Fundstellen
Haufe-Index 510518 |
BFHE 1984, 472 |