Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung von Verträgen; vGA
Leitsatz (NV)
1. An die Vertragsauslegung durch FG ist der BFH nur gebunden, wenn das FG die gesetzlichen Auslegungsregeln (§§ 133, 157 BGB) beachtet hat.
2. Ein Gesellschafter ist ein beherrschender i. S. der Rechtsprechung zu § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG, wenn er entweder die Mehrheit der Stimmrechte hat oder mit anderen Gesellschaftern zusammenwirkt, die die gleichen finanziellen Interessen haben.
3. Die Interessen müssen, um eine Beherrschung anzunehmen, im allgemeinen in dem Zeitpunkt gleichgerichtet sein, in dem das möglicherweise als vGA zu beurteilende Rechtsgeschäft vorgenommen wird.
Normenkette
FGO § 118 Abs. 2; KStG § 8 Abs. 3 S. 2; BGB §§ 133, 157
Verfahrensgang
Tatbestand
An der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), einer GmbH, waren bis 31. Juli 1989 Z und E mit je 50 v. H. beteiligt. Danach war Z Alleingesellschafter.
In § 8 der gleichlautenden Geschäftsführer- Anstellungsverträge mit Z und E war ein festes Monatsgehalt von jeweils 3500 DM vereinbart worden; es hieß dann weiter: "Darüber hinausgehende Änderungen der Bezüge bedürfen der schriftlichen Vereinbarung."In § 12 war ferner festgehalten: "Die vertraglichen Vereinbarungen der Partner ergeben sich erschöpfend aus diesem Vertrag und seinen etwaigen schriftlichen Anlagen. Vertragsänderungen bedürfen der Schriftform sowie der ausdrücklichen Einwilligung der Gesellschafterversammlung. Eine Befreiung von der Schriftform durch mündliche Vereinbarung ist unwirksam."
Abweichend von den schriftlichen Anstellungsverträgen zahlte die Klägerin an Z in der Zeit von Januar 1987 bis einschließlich Mai 1989 ein monatliches Festgehalt von 11 193,52 DM. Ab Juni 1989 erhielt Z kein Gehalt. Die Gehaltszahlungen wurden erst im Laufe des Jahres 1990 wieder aufgenommen. E bezog bis einschließlich September 1987 ein monatliches Gehalt in Höhe von 5355 DM, in der Zeit ab Oktober 1987 bis Dezember 1987 ein Gehalt in Höhe von 6616 DM, ab Januar 1988 bis einschließlich März 1987 ein Gehalt in Höhe von monatlich 5452 DM und ab April 1988 bis einschließlich Mai 1989 ein monatliches Gehalt in Höhe von 11 035,52 DM.
Da die an E und Z gezahlten Gehälter das schriftlich vereinbarte Gehalt überstiegen, nahm der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) in den Streitjahren 1987 bis 1990 folgende verdeckte Gewinnausschüttungen an:
Jahr GF tats. Bezüge vereinb. Gehalt Differenz/vGA
1987 Z 136 846 DM 42 000 DM 94 846 DM
1987 E 70 527 DM 42 000 DM 28 527 DM
1988 Z 135 517 DM 42 000 DM 93 517 DM
1988 E 118 159 DM 42 000 DM 76 159 DM
1989 Z 51 540 DM 21 000 DM 30 540 DM
1989 E 3 771 DM 0 DM 3 771 DM
1990 Z 97 510 DM 42 000 DM 55 510 DM
Die hiergegen von der Klägerin erhobene Klage hatte keinen Erfolg (Entscheidungen der Finanzgerichte -- EFG -- 1996, 1239).
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 125 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) und des § 8 Abs. 3 Satz 2 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) und beantragt, das Urteil des Finanzgerichts (FG), die Körperschaftsteueränderungsbescheide für 1987 bis 1990 vom 14. Dezember 1993 bzw. 28. Januar 1994, die Bescheide über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen gemäß § 47 Abs. 1 KStG zum 31. Dezember 1987, 31. Dezember 1988, 31. Dezember 1989, 31. Dezember 1990, jeweils vom 15. Dezember 1994, den Bescheid über die Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs für 1990 vom 28. Januar 1994, den Bescheid über die Feststellung des gemeinen Werts der Anteile auf den 31. Dezember 1988 vom 6. Januar 1994 sowie die Gewerbesteuermeßbescheide für 1987 bis 1990 vom 14. März 1993 bzw. 14. Dezember 1993 bzw. 1. Februar 1994 -- jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidungen -- aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist, soweit sie die Feststellungen nach § 47 KStG betrifft, unzulässig. Im übrigen ist sie begründet. Das FG-Urteil ist aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).
A) Soweit die Revision sich gegen die Feststellungsbescheide gemäß § 47 KStG zum 31. Dezember 1987, 31. Dezember 1988, 31. Dezember 1989 und 31. Dezember 1990 richtet, fehlt es an der Beschwer. Die Klägerin hat während des Klageverfahrens die gegen die genannten Bescheide eingelegte Klage zurückgenommen. Das Verfahren wurde insoweit abgetrennt und eingestellt. Das angefochtene Urteil hat daher diese Bescheide nicht mehr erfaßt.
B) Die Feststellungen des FG reichen nicht aus, verdeckte Gewinnausschüttungen in streitiger Höhe anzunehmen.
Unter einer verdeckten Gewinnausschüttung i. S. des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG ist bei einer Kapitalgesellschaft eine Vermögensminderung (verhinderte Vermögensmehrung) zu verstehen, die durch das Gesellschaftsverhältnis veranlaßt ist, sich auf die Höhe des Einkommens auswirkt und in keinem Zusammenhang mit einer offenen Ausschüttung steht. Für den größten Teil der entschiedenen Fälle hat der Bundesfinanzhof (BFH) die Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis angenommen, wenn die Kapitalgesellschaft ihrem Gesellschafter einen Vermögensvorteil zuwendet, den sie bei der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters einem Nichtgesellschafter nicht gewährt hätte. Ist allerdings der begünstigte Gesellschafter ein beherrschender, so kann eine verdeckte Gewinnausschüttung auch dann anzunehmen sein, wenn die Kapitalgesellschaft eine Leistung an ihn erbringt, für die es an einer klaren, im voraus getroffenen, zivilrechtlich wirksamen und tatsächlich durchgeführten Vereinbarung fehlt (ständige Rechtsprechung; vgl. z. B. BFH-Urteil vom 31. Mai 1995 I R 64/94, BFHE 178, 321, BStBl II 1996, 246).
1. Die Frage, ob die Leistung einer Kapitalgesellschaft an ihren beherrschenden Gesellschafter auf einer unwirksamen Vereinbarung beruht, hängt im Streitfall von der Auslegung der Geschäftsführer-Anstellungsverträge und hier insbesondere davon ab, ob der Ausschluß einer mündlichen Befreiung von der Schriftformklausel in § 12 der Verträge auch Gehaltsänderungen betrifft (vgl. BFH-Beschluß vom 31. Juli 1991 I S 1/91, BFHE 165, 256, BStBl II 1991, 933). Das FG hat dies bejaht. An diese tatsächliche Feststellung (§ 118 Abs. 2 FGO; vgl. z. B. Nachweise bei Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 118 Rdnr. 17) ist der Senat im Streitfall nicht gebunden. Sie beruht auf einer Verkennung der gesetzlichen Auslegungsregeln.
Bei Willenserklärungen ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften (§ 133 BGB). Verträge sind ferner so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte dies erfordern (§ 157 BGB). Das Tatsachengericht hat dementsprechend zu ermitteln, was die Erklärenden geäußert und was sie subjektiv gewollt haben (Gräber/Ruban, a. a. O., § 118 Rdnr. 17 m. w. N.). Wenn das FG -- wie im Streitfall -- lediglich lapidar in einem Satz feststellt, die einschlägigen Vereinbarungen könnten "nur" im Sinne einer qualifizierten Schriftformklausel bei Gehaltsänderungen verstanden werden, so hat es die bezeichneten Auslegungsregeln verkannt. Der Senat kann die im Grunde unterlassene Auslegung der §§ 8, 12 der Anstellungsverträge nicht selbst vornehmen, da es an den notwendigen Feststellungen dazu fehlt, wie es zu dem "Widerspruch" zwischen § 8 und § 12 der Verträge kam. Da Z und E bei der Formulierung der Anstellungsverträge offensichtlich beraten wurden, muß ggf. auch der Berater als Zeuge vernommen werden.
2. Wird die Annahme einer verdeckten Gewinnausschüttung darauf gestützt, daß der Leistung der Kapitalgesellschaft an einen zu 50 v. H. beteiligten Gesellschafter ein unwirksamer Vertrag zugrunde liegt, so hat das FG in tatsächlicher Hinsicht ferner festzustellen, daß der Gesellschafter ein beherrschender war.
a) Eine beherrschende Stellung eines GmbH-Gesellschafters liegt im Regelfall vor, wenn der Gesellschafter die Mehrheit der Stimmrechte besitzt und deshalb bei Gesellschafterversammlungen entscheidenden Einfluß ausüben kann. Im allgemeinen ist das erst der Fall, wenn der Gesellschafter, der durch Leistungen der Kapitalgesellschaft Vorteile erhält, mehr als 50 v. H. der Stimmrechte hat (vgl. z. B. BFH- Urteile vom 13. Dezember 1989 I R 99/87, BFHE 159, 338, BStBl II 1990, 454; vom 26. Juli 1978 I R 138/76, BFHE 125, 557, BStBl II 1978, 659; vom 21. Oktober 1981 I R 230/78, BFHE 134, 315, BStBl II 1982, 139; vom 8. Januar 1969 I R 91/66, BFHE 95, 215, BStBl II 1969, 347). Verfügt ein Gesellschafter über 50 v. H. oder weniger Prozent der Gesellschaftsanteile, so kann er jedoch nach ständiger Rechtsprechung einem beherrschenden Gesellschafter gleichgestellt werden, wenn er mit anderen, gleichgerichtete Interessen verfolgenden Gesellschaftern zusammenwirkt, um eine ihren Gesellschaftsinteressen entsprechende Willensbildung der Kapitalgesellschaft herbeizuführen. Das jeweilige Rechtsgeschäft muß Ausdruck gleichgerichteter Interessen sein (vgl. z. B. BFH-Urteile vom 4. Dezember 1991 I R 63/90, BFHE 166, 279, BStBl II 1992, 362, m. w. N.; vom 13. Dezember 1989 I R 45/84, BFH/NV 1990, 455; vom 28. Februar 1990 I R 83/87, BFHE 160, 192, BStBl II 1990, 649; vom 10. März 1993 I R 51/92, BFHE 171, 58, BStBl II 1993, 635, m. w. N.). Es muß sich, da die verdeckte Gewinnausschüttung eine Vermögensminderung seitens der Kapitalgesellschaft voraussetzt, um gleichgerichtete materielle, d. h. finanzielle Interessen der Gesellschafter handeln.
Rechtsirrig ist daher die Überlegung des FG, aus der übereinstimmenden Negierung der Schriftformklausel, also aus einem Formfehler, auf gleichgerichtete materielle Interessen der beiden Gesellschafter zu schließen. Die vom FG in diesem Zusammenhang zitierte Rechtsprechung betraf abweichende Sachverhalte (BFH-Urteile vom 29. November 1967 I 96/64, BFHE 91, 151, BStBl II 1968, 234; vom 6. März 1968 I R 135/65, BFHE 92, 205, BStBl II 1968, 482: gleichzeitige, nachträgliche Gehaltserhöhung in gleicher Höhe für die zu 50 v. H. beteiligten Gesellschafter; vom 21. Juli 1976 I R 223/74, BFHE 119, 453, BStBl II 1976, 734: gleichzeitige Gehaltserhöhung; vom 11. Dezember 1985 I R 223/82, BFH/NV 1986, 637: Tantieme im Verhältnis der Beteiligungsquote).
b) Die Frage, ob ein Gesellschafter ein beherrschender ist, ist ferner nach den tatsächlichen Verhältnissen im Zeitpunkt des jeweiligen Vertragsabschlusses zu beantworten (vgl. BFH-Urteile vom 28. April 1982 I R 51/76, BFHE 135, 519, BStBl II 1982, 612; vom 18. Dezember 1996 I R 139/94, BStBl II 1997, 301). Da gleichgerichtete Interessen mehrerer Gesellschafter nur eine besondere Form der Beherrschung einer Kapitalgesellschaft darstellen, müssen die Interessen der Gesellschafter im Zeitpunkt des jeweils zu beurteilenden schuldrechtlichen Vertrages gleichgerichtet sein. Davon wird im allgemeinen bei der Erhöhung von Gesellschafter-Geschäftsführergehältern auszugehen sein. Anhaltspunkt für eine ausnahmsweise abweichende Beurteilung im Streitfall könnte sein, daß das Gehalt des Z in sämtlichen Streitjahren nicht erhöht wurde.
3. Im zweiten Rechtsgang wird das FG auch noch folgenden Widerspruch tatsächlicher Art zu klären haben: Nach seinem Lohnkonto erhielt E 1989 bis einschließlich Mai ein monatliches Gehalt in Höhe von 11 035 DM, während beispielsweise in der Einspruchsentscheidung betreffend Gewerbesteuermeßbescheide 1987 bis 1991 die tatsächlichen Bezüge des E für 1989 mit 3771 DM ausgewiesen werden. Unklar ist auch, auf welcher Feststellung die Annahme des FA beruht, das vereinbarte Gehalt für E habe 1989 nur 0 DM betragen.
Zu klären ist ggf. auch, aus welchen Gründen die Klägerin die Gehaltszahlungen an Z ab Juni 1989 vorübergehend einstellte. Da Z ab 1. August 1989 die Anteile des E erwarb, war er spätestens ab diesem Zeitpunkt beherrschender Gesellschafter. Das FG muß daher ggf. prüfen, ob die mangelnde Vertragsdurchführung Indiz für die Annahme verdeckter Gewinnausschüttungen sein kann. Einem Fremdvergleich wären ggf. auch die jeweiligen Gehaltsansprüche zu unterziehen.
Fundstellen
Haufe-Index 422235 |
BFH/NV 1997, 808 |