Entscheidungsstichwort (Thema)
Derivativer Geschäftswert als Wirtschaftsgut des Betriebsvermögens; Leibrentenverpflichtung als Schuld i. S. des § 103 BewG bei Übernahme einer Apotheke
Leitsatz (NV)
1. Für die Frage, ob ein Geschäftswert entgeltlich erworben ist, ist entscheidend, ob sich die Beteiligten bei Übertragung des Betriebes überwiegend vom Gedanken der Gegenleistung für die erworbenen Wirtschaftsgüter leiten ließen.
2. Eine betriebliche Rentenverpflichtung ist unabhängig davon, ob die vereinbarte Leibrente als betriebliche Versorgungsrente oder als betriebliche Veräußerungsrente zu werten ist, als Schuld i. S. des § 103 BewG in die Vermögensaufstellung aufzunehmen.
3. Die Leibrentenverpflichtung ist nicht mit dem versicherungsmathematischen Wert, sondern mit dem Teilwert (§ 109 Abs. 1 BewG), anzusetzen, der sich nach § 12 BewG bemißt.
Normenkette
BewG §§ 12, 95, 103, 109 Abs. 1
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erwarb im Jahre 1971 eine Apotheke. Sie verpflichtete sich, an den Veräußerer und dessen Ehefrau eine Rente auf Lebenszeit in Höhe von 75 v. H. der Bezüge eines Oberregierungsrates in der letzten Dienstaltersstufe zu zahlen. Des weiteren war vereinbart, daß nach dem Tode des Veräußerers die Rente in Höhe von 60 v. H. des gesamten Betrags an dessen Ehefrau auf Lebenszeit weitergezahlt werden sollte. Beim Tode beider Eheleute hatten die Klägerin an deren Tochter monatlich 1 000 DM, befristet auf einen Zeitraum von 10 Jahren seit der Übergabe der Apotheke zu zahlen.
Die anläßlich der Betriebsübertragung vereinbarten Rentenzahlungen machte die Klägerin als betriebliche Versorgungsrente geltend.
Im Anschluß an eine Betriebsprüfung, bei der der Apothekenkaufvertrag vorgelegt wurde, beurteilte das Finanzamt (FA) die Rentenabrede als Vereinbarung einer betrieblichen Veräußerungsrente und stellte erstmals die Einheitswerte des Betriebsvermögens zum 1. Januar 1974 und zum 1. Januar 1975 fest.
Die dagegen eingelegten Einsprüche und Klagen blieben erfolglos.
Mit der Revision rügt die Klägerin mangelnde Sachaufklärung durch das Finanzgericht (FG) und Verletzung materiellen Rechts. Es habe kein Geschäftswert bestanden. Hilfsweise rügt die Klägerin unzutreffende Berechnung des angesetzten Geschäftswertes.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zulässig und begründet. Das Urteil der Vorinstanz ist aufzuheben und die Rechtssache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Die von der Klägerin geltend gemachten Verfahrensmängel greifen nicht durch. Der Senat sieht insoweit von einer Begründung ab (Art. 1 Nr. 8 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs).
2. Die Feststellungen des FG ermöglichen kein Entscheidung darüber, ob die Bescheide betreffend die Einheitswerte des Betriebsvermögens zum 1. Januar 1974 und zum 1. Januar 1975 zu Recht ergingen, insbesondere ob und bejahendenfalls in welcher Höhe der von der Vorinstanz angenommene Geschäftswert ein Wirtschaftsgut des Betriebsvermögens ist und in welcher Höhe für die vereinbarte Rente an den ehemaligen Inhaber der Apotheke in der Vermögensaufstellung ein Schuldposten anzusetzen ist.
Gemäß § 95 des Bewertungsgesetzes (BewG) 1965 gehören zum Betriebsvermögen alle Teile einer wirtschaftlichen Einheit, die dem Betrieb eines Gewerbes als Hauptzweck dient, soweit die Wirtschaftsgüter dem Betriebsinhaber gehören (gewerblicher Betrieb). Ein entgeltlich erworbener Geschäftswert ist als immaterielles Wirtschaftsgut in die Vermögensaufstellung aufzunehmen (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 17. Januar 1975 III R 69/73, BFHE 114, 543, BStBl II 1975, 324; Rössler/Troll, Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, Kommentar, 15. Aufl., § 95 BewG Anm. 35).
Für die Frage, ob ein Geschäftswert entgeltlich erworben ist, ist entscheidend, ob sich die Beteiligten bei Übertragung des Betriebes überwiegend vom Gedanken der Gegenleistung für die erworbenen Wirtschaftsgüter leiten ließen (Leistungsaustausch). Überwiegt der Gedanke der Gegenleistung, so sind die vom Erwerber des Betriebs gezahlten Erwerbskosten (z. B. der Wert der Rentenverbindlichkeit) als Anschaffungskosten nach dem Verhältnis der Teilwerte der Wirtschaftsgüter auf diese aufzuteilen (BFH-Urteil vom 23. Februar 1984 IV R 128/81, BFHE 140, 548, BStBl II 1984, 516). Der VIII. Senat des BFH hat im Urteil vom 20. Dezember 1988 VIII R 121/83 auf die Revision der Klägerin das Urteil der Vorinstanz bezüglich der Einkommensteuer 1973 sowie der Gewerbesteuermeßbeträge 1971 und 1973 aufgehoben und zurückverwiesen, damit das FG noch aufklärt, wie die Interessenlage der Beteiligten bei Abschluß des Vertrages war. Nach Ansicht des VIII. Senats konnte aufgrund der bisherigen Feststellungen nicht ausgeschlossen werden, daß eine Versorgungsrente vorgelegen hat.
Diese Erwägungen treffen auch für das Bewertungsrecht zu. Nur bei Vorliegen einer betrieblichen Veräußerungsrente wäre der Ansatz eines Geschäftswerts, der sich aus dem Wert der Rentenbarverpflichtung abzüglich des Werts der sonstigen Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögen ergibt, möglich.
3. Unabhängig von der Frage, ob die vereinbarte Leibrente als betriebliche Versorgungsrente oder als betriebliche Veräußerungsrente zu werten ist, ist der Kapitalwert der Rentenverpflichtung als Schuldposten in die Vermögensaufstellung aufzunehmen (§ 103 BewG). Denn nach den Feststellungen des FG handelt es sich in beiden Fällen um eine betriebliche Rentenverpflichtung (vgl. BFH-Urteil vom 3. Februar 1961 III 343/57 U, BFHE 72, 551, BStBl III 1961, 202, 204).
Den Wert der Rentenbarverpflichtung hat das FG mit Hilfe eines versicherungsmathematischen Gutachtens ermittelt. Dies ist nur insoweit nicht zu beanstanden, als das FG damit die Gegenleistung für die Übernahme der Apotheke zur Ermittlung des Geschäftswertes bewertet. Denn maßgeblich ist der wirtschaftliche Wert der Gegenleistung und nicht der steuerliche (Gürsching/Stenger, Bewertungsgesetz, Kommentar, Anm. 67 zu § 95). Im wirtschaftlichen Verkehr pflegt man deshalb bei der Bestimmung des Wertes von Leibrenten die versicherungsmathematischen Grundsätze anzuwenden (BFH-Urteil vom 30. Juli 1965 VI 264/64 U, BFHE 83, 454, BStBl III 1965, 663).
Zu Unrecht hat jedoch das FG angenommen, der gleiche versicherungsmathematische Wert gelte auch für den Ansatz der Rentenverbindlichkeit als Schuld gemäß § 109 Abs. 1 BewG. Die zu einem gewerblichen Betrieb gehörenden Wirtschaftsgüter sind in der Regel mit dem Teilwert anzusetzen. Dieser bemißt sich nach ständiger Rechtsprechung des BFH und der herrschenden Meinung im Schrifttum bei Kapitalschulden nach den Vorschriften der §§ 12 f. BewG (BFH-Beschluß vom 11. Juli 1980 III B 3/80, BFHE 131, 82, BStBl II 1980, 559, m.w.N.). Leibrenten sind gemäß §§ 14 ff. BewG zu bewerten.
Zur Ermittlung des Kapitalwertes hat das FG keine Feststellungen (Alter der Rentenberechtigten, Zahlungsweise, Bezugsgröße) getroffen.
Da die Vorentscheidung von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, war sie aufzuheben und die nicht spruchreife Sache an das FG zur nochmaligen Entscheidung zurückzuverweisen.
Das FG hat für eine abschließende Beurteilung ausreichende Feststellungen zu treffen, insbesondere, ob eine betriebliche Veräußerungsrente oder eine betriebliche Versorgungsrente vorliegt mit der Folge, daß im ersteren Fall ein Wirtschaftsgut ,,Geschäftswert" in der Vermögensaufstellung anzusetzen ist. Ferner hat es den zur Errechnung des Kapitalwerts gemäß § 14 BewG notwendigen Sachverhalt zu ermitteln.
Fundstellen
Haufe-Index 417121 |
BFH/NV 1991, 18 |