Leitsatz (amtlich)
1. Die Vorschrift des § 48 EStG, nach der eine Besteuerung nach dem Verbrauch möglich ist, steht nicht im Widerspruch zum GG, insbesondere nicht zu dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG.
2. Der Umstand, daß die FÄ von der Möglichkeit der Verbrauchsbesteuerung des § 48 EStG nur selten Gebrauch machen, kann allein nicht die Annahme rechtfertigen, daß die Vorschrift den FÄ die Möglichkeit einer willkürlichen Steuererhebung eröffne.
2. Eine Besteuerung nach § 48 EStG kann nur erfolgen, wenn ein FA sie nach pflichtgemäßem Ermessen für geboten erachtet.
Normenkette
EStG § 48; GG Art. 3 Abs. 1
Tatbestand
Die Steuerpflichtige hatte im Jahr 1962 ein Einkommen von 105 265 DM. Ihr Verbrauch im Sinne des § 48 EStG betrug 393 392 DM.
Das FA veranlagte die Steuerpflichtige für das Jahr 1962 nach ihrem Verbrauch und ging dabei gemäß § 48 Abs. 2 und 3 EStG von einem der Besteuerung zu unterwerfenden Betrag von 157 897 DM aus. Die Sprungklage hatte Erfolg. Das FG, dessen Urteil in EFG 1966, 443 veröffentlicht ist, ermittelte die Besteuerungsgrundlagen nach den allgemeinen Vorschriften des EStG und setzte die Einkommensteuer von 98 599 DM auf 44 549 DM herab. Es ist der Auffassung, daß § 48 EStG zu einer willkürlichen Besteuerung führe, aus diesem Grunde gegen Art. 3 und 20 GG verstoße und deshalb nichtig sei und daß die Nichtigkeit von ihm selbst festgestellt werden könne, da es sich um vorkonstitutionelles Recht handele. Die Vorschrift des § 48 EStG stelle einen Fremdkörper im Rahmen des EStG dar und sei systemwidrig. Wenn der Verbrauch als Bemessungsgrundlage herangezogen werde, so stehe dies im Gegensatz zu § 2 Abs. 1 EStG, nach dem die Einkommensteuer sich nach dem Einkommen bemesse. Sie sei allerdings gleichwohl rechtsgültig, wenn sie in sich verständlich sei und nicht dem GG widerspreche. Die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG werde dadurch, daß eine Steuer nicht aus den Erträgnissen des Vermögens aufgebraucht werden könne, nicht verletzt, wenn es der Steuerpflichtige selbst in der Hand habe, einer Besteuerung wegen überhöhten Verbrauchs auszuweichen. Die Verbrauchsbesteuerung nach § 48 EStG als solche stehe auch nicht dem Gleichheitssatz des Art. 3 GG entgegen. Der theoretischen Gleichheit stehe aber in der Durchführung eine krasse Ungleichheit gegenüber. Nach einer Auskunft der OFD sei in ihrem Bereich im Streitjahr allein die Steuerpflichtige nach § 48 EStG besteuert worden. Die Verbrauchsbesteuerung in ihrem allgemeinen und weitgefaßten Wortlaut erfasse nur zufällig und im Ergebnis willkürlich einzelne Personen und sei deshalb mit den vom BVerfG enwickelten Grundsätzen nicht vereinbar. Danach müsse die Steuerlast meßbar und in gewissem Umfang für den Staatsbürger voraussehbar und berechenbar sein (so BVerfG-Beschluß 2 BvL 1/59 vom 10. Oktober 1961, BStBl I 1961, 716).
Die Revision des FA rügt Verletzung des geltenden Rechts. Das FA hält die Besteuerung nach dem Verbrauch für mit dem GG vereinbar. Es bestreitet, die Besteuerung nach § 48 EStG hier willkürlich durchgeführt zu haben. Der BFH habe im Urteil IV 44/50 S vom 2. Februar 1951 (BFH 55, 141, BStBl III 1951, 55) ausgesprochen, daß ein hoher Aufwand die Annahme einer besonders hohen steuerlichen Leistungsfähigkeit rechtfertigen könne. § 48 EStG entbehre nicht der sachlichen Legitimation; er diene dem Zweck, eine vom Gesetzgeber mißbilligte Art der Vermögensverwendung in besonderer und schärferer Weise zu besteuern. Die Steuerpflichtige habe in den Jahren 1961 und 1962 einen nach § 48 EStG steuerpflichtigen Verbrauch von über einer Million DM gehabt und ihr Privatvermögen und das Betriebsvermögen ihrer Einzelfirma erheblich gemindert. Ihr verschwenderisch-luxuriöser Lebensstil stehe außer Verhältnis zu ihrem Einkommen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Es ist dem FG zwar zuzugeben, daß es bedenklich sein kann, wenn das FA einen Steuerpflichtigen nicht wie üblich nach dem Einkommen, sondern ausnahmsweise nach dem höheren Verbrauch zur Einkommensteuer heranzieht. Das FG hat sich für seine Auffassung insbesondere auf die Auskunft der OFD bezogen, daß ihr für das Streitjahr kein anderer Fall einer Besteuerung nach § 48 EStG bekannt sei. Das reicht aber nicht aus, um hierauf die Feststellung zu stützen, daß die Vorschrift des § 48 EStG ganz allgemein zu einer willkürlichen Besteuerung führe und deshalb mit Art. 3 und 20 GG unvereinbar sei.
Eine Besteuerung nach dem Verbrauch hatte bereits das sächsische EStG vom 24. Juli 1900 vorgesehen; sie wurde in das EStG 1925 in § 49 übernommen. Ähnliche Vorschriften bestehen weitgehend auch in ausländischen Steuerrechten (vgl. Herrmann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, Anm. 1 zu § 48 EStG). Die Vorschrift dient nach dem Willen des Gesetzgebers dem Zweck, bei einem krassen Mißverhältnis zwischen Verbrauch und Einkommen den Verbrauch als Maßstab für die steuerliche Leistungsfähigkeit heranzuziehen. Von der Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen geht das EStG im Grundsatz aus, wenn es in der Regel auf das Einkommen und für dessen Ermittlung auf den Zufluß von Gütern oder den Vermögenszuwachs abstellt. Auch ein hoher Verbrauch kann jedoch ein Merkmal der Leistungsfähigkeit sein. Nach der Rechtsprechung des RFH gibt ein Steuerpflichtiger durch einen hohen Verbrauch zu erkennen, daß er seine Leistungsfähigkeit so hoch einschätzt wie derjenige, der ein diesem Verbrauch entsprechendes Einkommen hat (vgl. Herrmann-Heuer, a. a. O.). Außerdem ermöglicht es die Besteuerung nach dem Verbrauch, auch solche Steuerpflichtige zur Einkommensteuer heranzuziehen, die Einkünfte aus nicht erkennbaren oder nicht erfaßbaren Quellen haben, sich aber trotz aufwendiger Lebensführung nicht an den allgemeinen steuerlichen Lasten der übrigen Staatsbürger beteiligen. Daß die Regelung des § 48 EStG nicht schon als solche gegen das GG verstößt, hat auch das FG eingeräumt.
Das FG hat, wenn es im Hinblick auf die Handhabung gleichwohl einen Verstoß gegen Art. 3 GG annahm, nicht genügend beachtet, daß § 48 EStG eine Kannvorschrift ist, die das FA nur anwenden darf, wenn es nach pflichtgemäßem Ermessen eine Besteuerung nach dem Verbrauch für geboten hält, weil eine Besteuerung nach dem grundsätzlich maßgeblichen Einkommen zu keiner oder nur zu einer völlig unzureichenden Beteiligung des Steuerpflichtigen an den von allen Steuerbürgern je nach ihrer Leistungskraft mitzutragenden öffentlichen Lasten führen würde. In der Steuerrechtsliteratur wird überwiegend die Verfassungsmäßigkeit des § 48 EStG bejaht. Mit Herrmann-Heuer (a. a. O.) ist vielmehr davon auszugehen, daß die Möglichkeit einer Besteuerung nach dem Verbrauch eher dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung der Staatsbürger dient, statt gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu verstoßen. Die verhältnismäßig seltene Anwendung der Vorschrift in der Besteuerungspraxis der FÄ allein macht diese nicht verfassungswidrig. Da der erkennende Senat die Verfassungsmäßigkeit des § 48 EStG bejaht, kann es dahingestellt bleiben, ob sie auf vorkonstitutionellem Recht beruht.
Das angefochtene Urteil war danach aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat nicht geprüft, ob gerade die Besteuerung der Steuerpflichtigen nach § 48 EStG dem pflichtgemäßen Ermessen des FA entsprochen hat. Die Beurteilung dieser Frage richtet sich nach den Sachumständen des Einzelfalles. Die notwendigen Sachfeststellungen und die gebotene Sachwürdigung gehören zu den Aufgaben des FG als Gericht der Tatsacheninstanz. Die Sache war demgemäß nach § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO an das FG zurückzuverweisen. Das FG muß nunmehr prüfen, ob im Streitfall der Mehrverbrauch eine Besteuerung aus § 48 EStG zu rechtfertigen vermag oder ob in der Zugrundelegung des Verbrauchs ein Verstoß gegen die Grundsätze von Recht und Billigkeit liegt.
Fundstellen
Haufe-Index 68321 |
BStBl II 1969, 5 |
BFHE 1968, 376 |