Leitsatz (amtlich)
Fehlt es an einer ausreichenden baulichen Verschachtelung zwischen Alt- und Neubau, so ist dieser ein selbständiges Gebäude, d. h. ein Wirtschaftsgut im Sinne von § 30 Abs. 2 Satz 1 UStG 1967, ohne daß es darauf ankommt, ob der Neubau dem Altbau wert- und größenmäßig untergeordnet ist oder ob die Baulichkeiten in ihrer Nutzung aufeinander abgestimmt sind.
Normenkette
UStG 1967 § 30 Abs. 2 S. 1
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) betrieb bis 1969 eine Werkzeugfabrik in einer Fabrikhalle auf eigenem Grundstück. Im Jahre 1969 nahm er eine in diesem Jahre fertiggestellte neue Halle in Betrieb, die er auf einem im Jahre 1968 erworbenen Nachbargrundstück errichtet hatte. Eine Wand des Neubaus verläuft in einem Abstand von 5m teilweise parallel zu einer Wand des versetzt stehenden Altbaus. In diesem Zwischenraum verläuft die über eine Rampe führende, in Leichtbauweise überdachte Anfahrt zu einem massiv überdachten Verbindungsgang zwischen den beiden eingeschossigen, nur teilweise unterkellerten Hallen. Der Verbindungsgang ist u. a. dadurch entstanden, daß in den beiden an der Anfahrt liegenden Wänden von Alt- und Neubau zwei gegenüberliegende, jeweils 6m breite Durchlässe geschaffen wurden.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) setzte im vorläufigen Umsatzsteuerbescheid 1969 für die Ingebrauchnahme der neuen Halle Selbstverbrauchsteuer fest. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das FG hat den Neubau unter Berufung auf das Urteil des BFH vom 23. März 1972 V R 104/71 (BFHE 105, 409, BStBl II 1972, 681) als ein gegenüber der bereits vorhanden gewesenen Fabrikhalle selbständiges Wirtschaftsgut beurteilt.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers. In der Begründung seines Rechtsmittels trägt er im wesentlichen vor: Der Neubau erfülle alle im Urteil V R 104/71 aufgeführten, für die Annahme eines unselbständigen Erweiterungsbaus erforderlichen Voraussetzungen. Die Vorentscheidung enthalte einen entscheidenden Rechtsirrtum, soweit das FG der Tatsache keine Bedeutung beigemessen habe, daß der Zugang zum Neubau allein über die zum Altbau führende Rampe führe. Zwar könne das Untergeschoß des Neubaus durch einen selbständigen Zugang betreten werden. Entscheidend sei aber, daß das Erdgeschoß der neuen Halle nur über die gemeinsame Rampe und den Verbindungsgang zwischen den Gebäudeteilen produktionstechnisch genutzt werden könne.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Nach § 30 Abs. 2 Satz 1 UStG 1967 liegt Selbstverbrauch nur bei Zuführung körperlicher Wirtschaftsgüter vor, nicht jedoch bei Erweiterungs- oder Verbesserungsinvestitionen, auch wenn dabei aktivierungspflichtiger Aufwand anfällt. Wirtschaftsgüter im Sinne dieser Vorschrift sind alle Güter, die nach der Verkehrsanschauung und den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung selbständig bewertungs- und bilanzierungsfähig sind und dem Betrieb in irgendeiner Form dienen oder zu dienen bestimmt sind. Die selbständige Nutzungsfähigkeit ist kein Merkmal des Wirtschaftsguts schlechthin, sondern lediglich zusätzliches Erfordernis für die Annahme eines geringwertigen Wirtschaftsguts nach § 6 Abs. 2 EStG (vgl. BFH-Urteil vom 19. August 1971 V R 18/71, BFHE 103, 282, BStBl II 1972, 75 mit zahlreichen Rechtsprechungshinweisen). Nach dem BFH-Urteil V R 104/71 ist es bei Anbauten gerechtfertigt, eine nicht steuerbare Gebäudeerweiterung anzunehmen, wenn der angefügte Neubau als Teil des schon vorhandenen Gebäudes erscheint. Dazu hat der erkennende Senat in diesem Urteil ausgeführt, der Neubau müsse im Verhältnis zum vorhandenen Gebäude wert- und größenmäßig untergeordnet sein; Gebäude und Anbau müßten miteinander verschachtelt sein; seien sie in ihrer Nutzung aufeinander abgestimmt, so spreche dies für Einheitlichkeit.
Zur Frage, ob Alt- und Neubau des Klägers miteinander baulich verschachtelt sind, hat das FG u. a. festgestellt: Der Neubau ruhe auf eigenen Fundamenten, habe vier freistehende Wände und sei massiv gebaut. Seine Nutzungsdauer sei unabhängig von derjenigen des Altbaus. Die beiden Hallen seien unterschiedlich hoch (Altbau 4,34m - Neubau 4,80 m). Zwischen ihren Untergeschossen bestehe kein Durchgang. Ihre gegenseitig zugewandten, teilweise parallel verlaufenden Wände hätten einen Abstand von 5 m. Aufgrund dieser tatsächlichen Feststellungen ist das FG ohne Rechtsverstoß zu dem Ergebnis gelangt, daß die beiden Hallen in ihrem baulichen Bestand voneinander unabhängig, d. h. nicht im erforderlichen Maße baulich miteinander verschachtelt sind. Im Rahmen der Würdigung der tatsächlichen Gegebenheiten des konkreten Einzelfalls hat das FG den bestehenden baulichen Verbindungen zwischen den beiden Hallen angesichts der für die Selbständigkeit des Neubaus sprechenden Umstände zu Recht keine entscheidende Bedeutung beigemessen. Es bestehen keine rechtlichen Bedenken gegen die Ausführungen in der Vorentscheidung, eine bauliche Einheit sei nicht dadurch geschaffen worden, daß die Leitungen für die sanitären Anlagen des Neubaus und die Energieleitungen über den Altbau laufen würden und daß zwischen den beiden Hallen ein 6m breiter, massiv überdachter Verbindungsgang bestehe, zu dem die gemeinsame Anfahrt führe. Diese auf tatsächlichem Gebiet liegende Würdigung beruht weder auf einem Verstoß gegen die Denkgesetze noch auf einer Verletzung von Erfahrungssätzen. Einen Verfahrensfehler des FG hat der Kläger nicht gerügt.
Fehlt es jedoch bereits an einer ausreichenden baulichen Verschachtelung, so ist der Neubau ein (selbständiges) Wirtschaftsgut, ohne daß es darauf ankommt, ob die neue Halle der alten wert- und größenmäßig untergeordnet ist oder ob die Baulichkeiten in ihrer Nutzung aufeinander abgestimmt sind. Der Kläger beruft sich daher zu Unrecht auf den Nutzungszusammenhang der beiden selbständigen Gebäude.
Fundstellen
BStBl II 1973, 834 |
BFHE 1974, 150 |