Leitsatz (amtlich)
1. Ein Unternehmen, das außer der Verwaltung und Nutzung eigenen Grundbesitzes eine Tätigkeit ausübt, die ihrer Art nach gewerblicher Natur ist und die nicht zu den in § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG genannten Nebentätigkeiten gehört, kann die für Wohnungsunternehmen geltende erweiterte Kürzung des Gewerbeertrags nicht in Anspruch nehmen.
2. Ob eine solche Tätigkeit - z. B. bei wiederholtem An- und Verkauf von Grundstücken - vorliegt, ist nicht nach den Verhältnissen eines einzigen Erhebungszeitraums, sondern nach dem Gesamtbild der Verhältnisse eines mehrjährigen Zeitraums zu beurteilen.
Normenkette
GewStG § 9 Nr. 1 S. 2
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine im Jahre 1955 gegründete GmbH, besaß im Jahre 1968 (Streitjahr) eine Anzahl von Grundstücken, die teils unbebaut, teils bebaut, teils im Bau befindlich waren. In den Jahren vor 1968 war der Bestand durch Grundstückskäufe und die Errichtung neuer Gebäude wie auch durch Verkäufe starken Schwankungen unterworfen. Durch Gesellschafterbeschluß vom 31. Januar 1968 wurde der Zweck des Unternehmens dahin festgelegt, daß die Tätigkeit des Unternehmens sich auf die Verwaltung und Nutzung des eigenen Grundbesitzes, auf die Betreuung von Wohnungsbauten sowie auf die Errichtung und Veräußerung von Kaufeigenheimen, Kleinsiedlungen und Eigentumswohnungen beschränkte. Die Klägerin erwarb im Streitjahr weiteres Bauland. Sie veräußerte zwei bebaute Grundstücke zum Preise von 600 000 DM und 470 000 DM, außerdem eine Eigentumswohnung für 114 000 DM. Im Bestand des Unternehmens befanden sich am Jahresende noch vier Eigentumswohnungen. In den Jahren zuvor (1966 und 1967) hatte die Klägerin bereits Eigentumswohnungen errichtet. Davon waren im Jahre 1967 fünf Eigentumswohnungen für insgesamt 838 230 DM veräußert worden. In den Folgejahren 1969 und 1970 erwarb die Klägerin weitere Grundstücke, und zwar zum Preis von 232 800 DM, 710 500 DM und 461 905 DM. Im Jahre 1970 veräußerte sie ein Grundstück um 610 000 DM, ein weiteres für 362 480 DM. Im Jahre 1971 betrafen die Veräußerungen einen Bauplatz zu 16 892 DM und ein Grundstück zu einem Verkaufspreis von 658 000 DM.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) versagte bei der Gewerbesteuermeßbetragsveranlagung 1968 die erstmals von der Klägerin geltend gemachte erweiterte Kürzung des Gewerbeertrags nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.
Das FG führte aus, daß die Voraussetzungen der Vorschrift des § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG bei dem Unternehmen der Klägerin nicht vorlägen. Zur Beurteilung der Tätigkeit der Klägerin sei nicht auf das Streitjahr allein abzustellen, sondern auch auf die folgenden Jahre. Von den am 1. Januar 1968 zum Betriebsvermögen gehörenden 12 Grundstücken im Gesamtwert von 3 544 505,68 DM habe die Klägerin im Jahre 1968 und in den Folgejahren vier Grundstücke mit einem Gesamterlös von 1 696 992 DM veräußert und in diesem Zeitraum vier Grundstücke zu einem Gesamtpreis von 1 448 705 DM erworben. Die von der Klägerin durchgeführten Grundstücksverkäufe stünden der erweiterten Kürzung des Gewerbeertrages entgegen, da sie weder als zwingend notwendiger Teil einer wirtschaftlich sinnvoll gestalteten eigenen Grundstücksverwaltung und -nutzung angesehen werden könnten noch gelegentliche Verkäufe darstellten. Allein solche zum Verkauf eines Grundstücks führenden Gründe seien für die Anwendung des § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG als "unschädlich" anerkannt und rechtfertigten es, ein Unternehmen trotz vorgenommener Verkäufe von Grundstücken als ausschließliches Grundstücksverwaltungsunternehmen zu betrachten (vgl. Urteile des BFH vom 23. Juli 1969 I R 134/66, BFHE 96, 403, BStBl II 1969, 664; vom 24. September 1970 I R 21/70, BFHE 100, 210, BStBl II 1970, 871; vom 24. Februar 1971 I R 174/69, BFHE 101, 396, BStBl II 1971, 338). Die Zahl und der Umfang der Grundstücksverkäufe schlössen aus, daß es sich dabei nur um gelegentliche Verkäufe gehandelt habe. Die Klägerin habe in den Jahren 1968 bis 1971 einen Gesamtverkaufserlös von weit mehr als 2 Mio. DM erzielt (den Verkauf der Eigentumswohnungen nicht eingerechnet) und damit rund 1/3 ihres Betriebsvermögens veräußert. Damit sei ersichtlich, daß die Klägerin neben dem in dem - im Jahre 1968 geänderten - Gesellschaftsvertrag festgelegten Zweck des Unternehmens auch nachhaltig den Zweck verfolgt habe, durch Erwerb und Verkauf von Grundstücken das Grundvermögen umzuschichten und aus der allgemeinen Preisentwicklung auf dem Immobilienmarkt Gewinne zu ziehen. Diese Zweckrichtung lasse daher das Unternehmen der Klägerin nicht als reines Grundstücksverwaltungsunternehmen erscheinen.
Die Klägerin beantragt in der Revision, die Vorentscheidung und die Einspruchsentscheidung des FA aufzuheben sowie bei der Feststellung des Gewerbesteuermeßbetrages die erweiterte Kürzung des Gewerbeertrags gemäß § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG zu gewähren. Sie rügt Verletzung des Verfahrensrechts und des sachlichen Rechts. Zwar hätten bis zum Jahre 1967 die Voraussetzungen für die Anwendung der Kürzungsvorschrift nicht vorgelegen. Aufgrund der Änderung des Gesellschaftsvertrages vom 31. Januar 1968 habe aber die Klägerin die für die Inanspruchnahme der Vergünstigung des § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG schädlichen Tätigkeiten aufgegeben und auf den Gesellschafter G als Einzelunternehmen übertragen. Zwar habe die Klägerin auch im Jahre 1968 zwei Grundstücke verkauft, die nicht zu den durch die Vorschrift begünstigten Grundstücken gehörten. Hierdurch habe sie aber ihre Eigenschaft als Grundstücksunternehmen nicht verloren, weil es sich um gelegentliche Verkäufe gehandelt habe, die aus besonderen, schon in der Vorinstanz dargelegten, vom FG zu Unrecht jedoch nicht berücksichtigten Gründen geboten gewesen seien. Das FG hätte sodann die Vorgänge der Folgejahre nicht in seine Betrachtung einbeziehen dürfen (vgl. BFH-Urteil vom 13. September 1972 I R 185/70, BFHE 106, 546, BStBl II 1972, 887). In dem hier zu beurteilenden Erhebungszeitraum 1968 seien nur zwei Grundstücke verkauft worden.
Das FA beantragt die Zurückweisung der Revision.
Während des Revisionsverfahrens erließ das FA einen berichtigten Gewerbesteuermeßbescheid für 1968. Die Klägerin beantragte, diesen Bescheid zum Gegenstand des Verfahrens zu machen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung.
1. Das FG hat im Ergebnis zu Recht die erweiterte Kürzung des Gewerbeertrags nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG versagt.
a) Der Sinn der Vorschrift des § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG liegt darin, solche Unternehmen zu begünstigen, die nach der Art ihrer Tätigkeit nicht gewerbesteuerpflichtig wären und die es nur auf Grund ihrer Rechtsform sind (Kapitalgesellschaften, die nur eigenen Grundbesitz verwalten und nutzen), außerdem solche Unternehmen, die zwar nicht wegen ihrer Rechtsform, wohl aber deshalb gewerbesteuerpflichtig sind, weil sie eine der in § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG bezeichneten, wenngleich für die Inanspruchnahme der erweiterten Kürzung des Gewerbeertrags unschädlichen Nebentätigkeiten ausüben. Dieser Regelungsinhalt der Vorschrift hat sich, ausgehend von einer Begünstigung der vermögensverwaltenden Kapitalgesellschaften, durch eine Reihe von Gesetzesänderungen herausgebildet (vgl. zur Entstehungsgeschichte BFH-Urteile vom 7. April 1967 VI 294/65, BFHE 89, 130, BStBl III 1967, 559; vom 29. März 1973 I R 174/72, BFHE 109, 456, BStBl II 1973, 686; vom 28. Juni 1973 IV R 97/72, BFHE 109, 459, BStBl II 1973, 688).
b) Die Rechtsprechung hat die Anwendung der Begünstigungsvorschrift auf solche Unternehmen abgelehnt, bei denen die Grundstücksverwaltung über den Rahmen einer Vermögensverwaltung (§ 9 GewStDV) hinausgeht und gewerblichen Charakter annimmt (vgl. BFH-Urteile I R 174/72; IV R 97/72, beide Besitzpersonengesellschaften in Fällen der Betriebsaufspaltung betreffend).
Diese Auslegung der Vorschrift des § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG muß auch für andere Unternehmen gelten, die außer der Verwaltung und Nutzung eigenen Grundbesitzes und einer der bezeichneten (unschädlichen) Nebentätigkeiten eine Tätigkeit ausüben, die den Tatbestand des gewerblichen Betriebs im Sinn des § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG i. V. m. § 1 GewStDV erfüllen. Diese Voraussetzung ist nach ständiger Rechtsprechung gegeben, wenn bei Grundstücksgeschäften der Rahmen der Vermögensverwaltung überschritten wird (vgl. BFH-Urteil vom 17. Januar 1973 I R 191/72, BFHE 108, 190, BStBl II 1973, 260), so wenn innerhalb eines Zeitraums von wenigen Jahren Grundbesitz in erheblichem Umfang durch Veräußerungen und Ankäufe, namentlich unter Verwertung günstiger Gelegenheiten, umgeschichtet wird, so daß diese Umschichtung und Substanzverwertung gegenüber einer auf bloße Fruchtziehung gerichteten Tätigkeit in den Vordergrund tritt (vgl. BFH-Urteile vom 15. Dezember 1971 I R 179/68, BFHE 104, 77, BStBl II 1972, 279; vom 29. März 1973 I R 153/71, BFHE 109, 431, BStBl II 1973, 661, mit weiteren Nachweisen). Es handelt sich hierbei somit um Tätigkeiten, die, wenn sie von einem Privatmann ausgeübt werden, die Gewerbesteuerpflicht auslösen. Für eine Kapitalgesellschaft folgt hieraus, daß sie die für Wohnungsunternehmen geltende erweiterte Kürzung des Gewerbeertrags nicht in Anspruch nehmen kann, wenn sie außer der Verwaltung und Nutzung eigenen Grundbesitzes eine Tätigkeit ausübt, die ihrer Art nach gewerblicher Natur ist und die nicht zu den in § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG genannten Nebentätigkeiten gehört.
c) Bei der Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die Annahme einer gewerblichen Tätigkeit in dem vorstehend bezeichneten Sinne erfüllt sind, ist nicht auf die Umstände eines einzelnen Erhebungszeitraums, sondern auf das Gesamtbild der Verhältnisse eines mehrjährigen Zeitraums abzustellen. Der vom erkennenden Senat in dem von der Klägerin angeführten Urteil I R 185/70 aufgestellte Grundsatz trifft hier nicht zu. Der Senat hat dort entschieden, daß die Frage, ob die Betreuung von Wohnungsbauten neben der Verwaltung und Nutzung eigenen Grundbesitzes eine Nebentätigkeit von untergeordneter Bedeutung ist, in der Regel nach den Verhältnissen beurteilt werden muß, wie sie in dem jeweiligen, für die Ermittlung des Gewerbeertrags des Steuerpflichtigen maßgebenden Erhebungszeitraum bestanden haben. Die Entscheidung betraf das Verhältnis dieser Nebentätigkeiten zur Haupttätigkeit "Verwaltung und Nutzung eigenen Grundbesitzes". Um diese Frage geht es im Streitfall nicht. Hier ist vielmehr zu entscheiden, ob die Klägerin im Rahmen ihrer Haupttätigkeit Geschäfte gewerblichen Charakters betrieben hat. Diese Frage muß nach den allgemeinen Grundsätzen beurteilt werden.
Mit Recht hat deshalb das FG die Entwicklung der Grundstücksankäufe und -verkäufe der Klägerin im Zusammenhang der Jahre, zu denen der streitige Zeitraum gehört, untersucht und gewürdigt. Es ist dabei ohne Rechtsirrtum zu dem Ergebnis gelangt, daß das Unternehmen der Klägerin nicht als reine Grundstücksverwaltung zu werten sei. Die vom FG getroffenen unstreitigen Feststellungen ergeben, daß sich die Klägerin, ungeachtet des im Streitjahr geänderten Gesellschaftsvertrags, in dem hier in Betracht kommenden gesamten Zeitraum tatsächlich als gewerbliches Grundstücksunternehmen im Sinn des § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG i. V. m. § 1 GewStDV betätigt hat. Auf die für einzelne Grundstücksveräußerungen geltend gemachten Motive brauchte das FG nicht einzugehen, da es für die Würdigung der Tätigkeit auf das objektive Gesamtbild ankommt (vgl. BFH-Urteile I R 153/71; vom 29. März 1973 I R 90-91/71, BFHE 109, 427, BStBl II 1973, 682). Die von der Klägerin erhobenen Verfahrensrügen betreffen sämtlich die Aufklärung dieser Beweggründe. Auch wenn die Richtigkeit des Vorbringens der Klägerin unterstellt wird, müssen die Grundstücksgeschäfte der Klägerin als solche gewerblicher Natur beurteilt werden.
2. Gleichwohl ist die Sache nicht spruchreif. Da die Klägerin gemäß § 68 FGO beantragt hat, den während des Revisionsverfahrens vom FA erlassenen Gewerbesteuerberichtigungsbescheid 1968 zum Gegenstand des Verfahrens zu machen, die Auswirkung dieses Bescheids auf den Streitfall in diesem Verfahren nicht abschließend zu beurteilen ist, muß die Sache an das FG zurückverwiesen werden (§ 127 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 71148 |
BStBl II 1975, 44 |
BFHE 1975, 463 |