Entscheidungsstichwort (Thema)
Zusammenballung von Einkünften, Berechnungsjahr
Leitsatz (NV)
Eine Zusammenballung von Einkünften ist nur gegeben, wenn der Steuerpflichtige unter Einschluss der Entschädigung infolge der Beendigung des Arbeitsverhältnisses in dem jeweiligen Veranlagungszeitraum insgesamt mehr erhält, als er bei ungestörter Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses, also bei normalem Ablauf der Dinge erhalten hätte.
Normenkette
EStG § 24 Nr. 1a, § 34 Abs. 1, 2 Nr. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, sie wurden für 2003 (Streitjahr) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der im Streitjahr 61jährige Kläger arbeitete als Werkzeugmacher in einem im Bereich Werkzeug- und Vorrichtungsbau tätigen Betrieb. Seine Einkünfte aus dieser Tätigkeit beliefen sich im Jahr 2002 auf 88 287 €. Weitere Einkünfte bezogen die Kläger nicht.
Ende Mai 2002 kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger betriebsbedingt zum 31. Dezember 2002 und bot ihm ab dem 1. Januar 2003 den Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages mit geänderten (reduzierten) finanziellen und arbeitszeitlichen (Verminderung der Wochenarbeitszeit) Bedingungen an, mit denen sich der Kläger einverstanden erklärte. Ende November 2002 kündigte der Arbeitgeber das "bestehende Arbeitsverhältnis" ordentlich und fristgerecht zum 30. Juni des Streitjahres.
Im Februar des Streitjahres schlossen der Kläger und sein Arbeitgeber einen "Abwicklungsvertrag". Unter Bezugnahme auf die betriebsbedingte Kündigung vom November 2002 vereinbarten die Vertragsparteien, dass der Kläger unter Freistellung von der Arbeitsverpflichtung ein monatliches Nettogehalt von 1 650 € erhalten, das Arbeitsverhältnis aber bei vorzeitigem Rentenbeginn enden sollte; außerdem sollte der Arbeitgeber eine Abfindung in Höhe von 40 000 € netto zahlen.
Im Streitjahr erhielt der Kläger für den Monat Januar das in der Änderungskündigung vereinbarte Gehalt und im Februar die vereinbarte Abfindung. Seit Februar bezog der Kläger eine Rente von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, eine Berufsunfähigkeitsrente von einer Lebensversicherung sowie eine Betriebspension.
Mit der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr beantragte der Kläger die ermäßigte Besteuerung des nach Abzug des Freibetrages i.S. des § 3 Nr. 9 des Einkommensteuergesetzes (EStG) steuerpflichtigen Teils der Abfindungszahlung gemäß § 34 EStG, der sich auf 27 729 € belief. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) lehnte dies ab, da es an einer Zusammenballung von Einkünften im Streitjahr fehle. Der Einspruch blieb erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt (Urteil in Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 1777): Bei der Abfindung lt. Auflösungsvertrag handele es sich um eine Entschädigung i.S. von § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG. Für die Berechnung der Zusammenballung von Einkünften sei auf die durch die vom Kläger akzeptierte Änderungskündigung veränderten Verhältnisse mit einem wesentlich geringeren Lohn ab Januar des Streitjahres abzustellen. Danach ergebe sich eine Zusammenballung von Einkünften, die Tarifermäßigung nach § 34 EStG sei zu gewähren.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts (§ 24 Nr. 1 Buchst. a, § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 EStG). Nach den durch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) entwickelten Grundsätzen sei bei der Beurteilung einer ermäßigten Besteuerung auf die Lohneinkünfte des Vorjahres abzustellen und nicht auf die durch die Änderungskündigung herbeigeführten Verhältnisse des Streitjahres (Abfindungsjahr). Im Übrigen habe das FG die Abfindung zu Unrecht als Entschädigung i.S. von § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG behandelt. Zum Zeitpunkt der Vertragsabschlüsse sei die Rente des Klägers bereits bewilligt gewesen; die Verträge seien daher unter dem Aspekt zu sehen, vorzeitig in den Ruhestand zu gehen. Dass der Kläger bei der Aufgabe seiner Rechte auf Veranlassung seines Arbeitgebers unter einem nicht unerheblichen rechtlichen, wirtschaftlichen oder tatsächlichen Druck gehandelt habe, sei nicht ersichtlich.
Das FA beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen FG-Urteils die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen sinngemäß, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet und daher gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Zu Recht hat das FG entschieden, dass der steuerpflichtige Teil der dem Kläger zugeflossenen Abfindungszahlung gemäß § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 EStG ermäßigt zu besteuern ist.
1. Eine Entschädigung gemäß § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG ist nur dann gemäß § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 EStG tarifbegünstigt, wenn sie zu einer Zusammenballung von Einnahmen innerhalb eines Veranlagungszeitraums führt. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, wenn die anlässlich der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses gezahlte Entschädigung die bis zum Ende des Veranlagungszeitraums (Jahresende) entgehenden Einnahmen nicht übersteigt und der Steuerpflichtige keine weiteren Einnahmen bezieht, die er bei Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht bezogen hätte (BFH-Urteil vom 4. März 1998 XI R 46/97, BFHE 185, 429, BStBl II 1998, 787, m.w.N.). Diese Zusammenballung von Einkünften ist nur gegeben, wenn der Steuerpflichtige unter Einschluss der Entschädigung infolge der Beendigung des Arbeitsverhältnisses in dem jeweiligen Veranlagungszeitraum insgesamt mehr erhält, als er bei ungestörter Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses, also bei normalem Ablauf der Dinge erhalten hätte (vgl. BFH-Urteile in BFHE 185, 429, BStBl II 1998, 787; vom 24. Oktober 2007 XI R 33/06, BFH/NV 2008, 361; so auch Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen --BMF-- vom 24. Mai 2004, BStBl I 2004, 505, Tz. 12 --1. Absatz--).
Zwar hat der BFH in BFHE 185, 429, BStBl II 1998, 787, für die Berechnung der maßgebenden Einkünfte die Orientierung an den Einkünften der Vorjahre nicht beanstandet. In diesem Fall waren aber --anders als hier-- neben dem Fixgehalt auch variable Gehaltskomponenten (Provisionen) zu berücksichtigen, die im Wege einer Prognoseentscheidung nur unter Rückgriff auf die Vorjahre ermittelt werden konnten. Ansonsten verbleibt es bei dem zuvor dargestellten Grundsatz (vgl. BFH-Beschluss vom 26. Januar 2006 XI B 54/05, BFH/NV 2006, 937; Mellinghoff in Kirchhof, EStG, 8. Aufl., § 34 Rz 17 a.E.; Herrmann in Frotscher, EStG, 6. Aufl., Freiburg 1998 ff., § 34 Rz 29; Horn in Herrmann/Heuer/Raupach, § 34 EStG Rz 54; insoweit a.A. BMF in BStBl I 2004, 505, Tz. 12 --2. Absatz--).
2. Nach diesen Maßstäben hat das FG zutreffend eine Zusammenballung von Einkünften angenommen und die vom Kläger begehrte ermäßigte Besteuerung nach § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG gewährt.
a) Zu Recht hat das FG das durch die vom Kläger akzeptierte Änderungskündigung mit Beginn des Streitjahres geänderte Vertragsverhältnis und die daraus resultierenden Einkünfte der Berechnung zugrunde gelegt, zumal sich die gezahlte Abfindung am geändert vereinbarten Arbeitslohn orientierte. Die Einkünfte im Streitjahr (Abfindungsjahr) waren auch konkret ohne Prognose feststellbar. Danach überwog die bei normalem Verlauf der Dinge, also ohne Berücksichtigung der betriebsbedingten Kündigung des neuen Arbeitsverhältnisses zum 30. Juni des Streitjahres, gezahlte Abfindung (abzüglich des nach § 3 Nr. 9 EStG steuerfreien Betrags) zusammen mit den anderen Einkünften des Klägers die Einkünfte bei ungestörter Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses deutlich.
b) Soweit das FA mit der Revision (erstmals) den Charakter der streitbefangenen Abfindung als Entschädigung in Frage stellt, greift dieser Einwand nicht durch. Die Würdigung des FG, der Kläger habe die Zahlung zum Ausgleich für die Nachteile wegen der betriebsbedingten Auflösung seines Dienstverhältnisses durch die Kündigung vom November 2002 erhalten, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden; sie ist nach Maßgabe seiner tatsächlichen Feststellungen (vgl. § 118 Abs. 2 FGO) möglich und verstößt auch nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze. Zudem kann im Regelfall davon ausgegangen werden, dass bei Zahlung einer Abfindung der Arbeitgeber die Auflösung gewollt und damit auch veranlasst hat (vgl. BFH-Urteile vom 2. April 2008 IX R 82/07, BFH/NV 2008, 1325; vom 10. November 2004 XI R 64/03, BFHE 207, 336, BStBl II 2005, 181, m.w.N.).
Soweit sich der Einwand des FA gegen den dieser Beurteilung zugrunde liegenden (vermeintlich) unzureichend aufgeklärten Sachverhalt richten sollte, fehlt es an einer zulässigen und begründeten Verfahrensrüge der fehlerhaften Sachaufklärung (s. im Einzelnen Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 120 Rz 69, 70, m.w.N.).
Fundstellen
Haufe-Index 2118216 |
BFH/NV 2009, 558 |
HFR 2009, 569 |