Leitsatz (amtlich)
Eine Nachforderung im Sinne des § 1 Abs. 3 StSäumG liegt nicht nur dann vor, wenn im Anschluß an eine frühere, zu niedrige Steueranforderung ein weiterer Steuerbetrag angefordert wird, sondern auch dann, wenn eine Steuer, die schon früher hätte angefordert oder entrichtet werden sollen, erstmals angefordert wird.
Normenkette
StSäumG § 1 Abs. 1, 3, § 4a; AO § 94 Abs. 2, § 223
Tatbestand
Die Klägerin gab aus ihrem Mineralölsteuerlager in der Zeit vom 2. Januar bis 20. Dezember 1963 an die Firma A mehrfach unversteuertes Mineralöl (Petroleum) ab, obwohl dieser Firma weder ein Steuerlager noch die begünstigte Verwendung von Petroleum bewilligt war. Das Hauptzollamt (HZA) forderte mit Steuerbescheid vom 17. März 1965 von der Klägerin mit Zahlungsfrist bis zum 1. April 1965 Mineralölsteuer in Höhe von 1 179,35 DM an. Der Steuerbescheid wurde unanfechtbar. Die Klägerin bezahlte den Betrag am 31. März 1965. Mit Verfügung vom 23. März 1966 forderte das HZA Säumniszuschläge von insgesamt 183 DM mit der Begründung an, daß die Steuer mit der Entstehung fällig geworden sei.
Die Beschwerde, mit der die Klägerin geltend machte, daß im Hinblick auf § 1 Abs. 3 StSäumG keine Säumniszuschläge zu erheben seien, hatte keinen Erfolg. Die Klage führte zur Aufhebung der Beschwerdeentscheidung vom 22. Juli 1966 und der Verfügung vom 23. März 1966.
Mit seiner Revision beantragt das HZA, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Zur Begründung trägt es vor, § 1 Abs. 3 StSäumG beziehe sich nur auf nachträgliche Mehranforderungen von Steuern. Im Streitfalle handele es sich aber um die Nacherhebung einer bisher unterbliebenen Steuerfestsetzung. Würde man der Ansicht des Finanzgerichts (FG) folgen, so wäre derjenige, der keine Steueranmeldung abgebe, regelmäßig bessergestellt als der gesetzmäßig Handelnde. Dies würde dem Wesen des Säumniszuschlages als Druckmittel widersprechen. Unbefriedigenden Ergebnissen in Einzelfällen könne im Billigkeitswege abgeholfen werden.
Der Bundesminister der Finanzen (BdF), der dem Verfahren beigetreten ist, in der mündlichen Verhandlung aber nicht vertreten war, hat geltend gemacht, daß der Begriff "Nachforderung" im Sinne des § 1 Abs. 3 StSäumG eng auszulegen sei. Er hat näher ausgeführt, daß darunter nur solche Steueranforderungen zu verstehen seien, die auf der Änderung der Steuerfestsetzung beruhten.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen, mindestens jedoch, den Bescheid vom 23. März 1966 und die Beschwerdeentscheidung insoweit aufzuheben, als höhere Säumniszuschläge als 24 DM festgesetzt worden sind und eine entsprechende Kostenentscheidung zu treffen.
Der klare, eindeutige Gesetzeswortlaut bedürfe keiner Auslegung. Da der Begriff der Nachforderung von dem StSäumG an anderen Stellen, nämlich im § 223 AO verwendet worden sei, bestehe keine Veranlassung, die Nachforderung im Sinne § 1 StSäumG anders als in der vorgenannten Bestimmung zu begreifen oder ihm im Wege der Auslegung einen anderen Sinn zu geben. Gehe man davon aus, daß der Begriff der Nachforderung im Sinne des StSäumG auslegungsbedürftig sei, so gälten auch im Steuerrecht die vom BVerfG in seiner Entscheidung vom 21. Mai 1952 aufgestellten Auslegungsrichtlinien. Der objektivierte Wille des Gesetzgebers sei offensichtlich dahin gegangen, den Begriff der Nachforderung im Sinne des StSäumG übereinstimmend mit demjenigen in § 223 AO zu fassen, denn sonst hätte er dies durch eine entsprechende Gesetzesfassung ausdrücklich kundgetan. Im übrigen ergebe sich aus der Entstehungsgeschichte, daß der Wortlaut dem Willen des Gesetzgebers entspreche. Eine Auslegung gegen den klaren Gesetzeswortlaut sei im vorliegenden Fall durch nichts gerechtfertigt.
Auch aus dem durch das Steueränderungsgesetz (StÄndG) 1965 mit Wirkung vom 1. Januar 1966 in das StSäumG eingefügten § 4a ergebe sich die Richtigkeit der Auffassung der Klägerin. Eine Anwendung des § 1 Abs. 3 StSäumG im Sinne der Ansicht des FG führe keinesfalls zu offenbar sinnwidrigen Ergebnissen, wie dieses in seiner Urteilsbegründung eindeutig dargetan habe.
Der Steuerpflichtige, der seinen Erklärungs- und Anmeldepflichten fristgerecht nachkomme, jedoch verspätet zahle, sei sich der Zahlungspflicht durchaus bewußt, versäume aber, rechtzeitig zu zahlen, sei also wirklich säumig im Sinne des StSäumG. Der bewußt nicht Anmeldende, der dadurch in der Regel eine vorsätzliche Steuerverkürzung begehe, habe nicht nur einen Verspätungszuschlag zu entrichten, sondern werde in Strafe genommen und habe zusätzlich die verkürzten Steuern zu verzinsen. Es sei also lediglich bessergestellt der Steuerpflichtige, dem die Verwirklichung des Steuertatbestandes nicht bekannt gewesen sei, und der deshalb weder habe anmelden noch zahlen können.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision kann keinen Erfolg haben.
Nach § 1 Abs. 1 StSäumG wird Säumniszuschlag erhoben, wenn eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichtet wird. Nach § 1 Abs. 3 (a. a. O.) werden aber bei der Nachforderung von Steuern keine Säumniszuschläge für die bis zur Fälligkeit der Nachforderung verflossene Zeit erhoben. Der Begriff "Nachforderung" kann in einem engeren und in einem weiteren Sinne verstanden werden. Im engeren Sinne bedeutet Nachforderung, daß früher schon ein Steuerbetrag gefordert oder gezahlt wurde, dieser Betrag aber zu gering war und daher nunmehr ein weiterer Steuerbetrag nachgefordert wird. Im weiteren Sinne sind aber auch alle erstmaligen Steueranforderungen Steuer nachforderungen, falls die Steuer schon früher hätte angefordert oder entrichtet werden sollen. Die Vorinstanz legt den Begriff "Nachforderung" im weiteren Sinne als verspätete Steueranforderung aus. Sie führt aus, daß bei Fälligkeitssteuern - im Streitfall ist die Mineralölsteuerschuld mit ihrem Unbedingtwerden gemäß § 36 Abs. 9 Nr. 1, Abs. 5 Satz 2 der Verordnung zur Durchführung des Mineralölsteuergesetzes (MinöStDV) sofort fällig geworden - eine Nachforderung auch dann vorliegt, wenn die ohne besondere Festsetzung geschuldete Steuer zum gesetzlichen Fälligkeitstag nicht oder nicht in voller Höhe entrichtet worden ist.
Der Begriff "Nachforderung" ist auch in der AO enthalten, und zwar in § 223 und § 94 Abs. 2 AO. Dieser Begriff kann in diesen beiden Vorschriften nur einheitlich verstanden werden, weil es schlechterdings ausgeschlossen ist, daß in einem einheitlichen Gesetz gleichlautende Begriffe in verschiedener Bedeutung verwendet werden, ohne daß dies besonders zum Ausdruck gebracht ist (vgl. Urteile des BFH V z 187/57 S vom 26. Juni 1958, BFH 67, 197, BStBl III 1958, 347, und VII 35/57 vom 13. März 1959, BFH 69, 59, BStBl III 1959, 284). In § 223 AO wird unter dem Begriff "Nachforderung" nach der herrschenden Auffassung auch die erstmalige Anforderung einer Steuer verstanden, der Begriff also im weiteren Sinne gebraucht (vgl. auch Urteil des BFH II 147/59 U vom 29. November 1961, BFH 74, 159, BStBl III 1962, 62). Das StSäumG ist ein Ergänzungsgesetz zur AO und knüpft an in der AO enthaltene Begriffe an. Es ist daher mit dem FG davon auszugehen, daß der Gesetzgeber den Begriff "Nachforderung" im Sinne des § 1 Abs. 3 StSäumG nicht anders verstanden wissen wollte als in der AO selbst. Für diese Auslegung spricht auch die Entstehungsgeschichte des StSäumG, die nach der Rechtsprechung des BVerfG (vgl. BVerfGE 1, 299 [312]), zur Auslegung des objektivierten Willens des Gesetzgebers unterstützend herangezogen werden kann, wenn sie die gewonnene Auffassung bestätigt. In der Begründung des Entwurfs zu § 1 Abs. 3 StSäumG (Bundestagsdrucksache Nr. 2573, 3. Wahlperiode S. 34, 35) ist gesagt, daß für die bisherige unterschiedliche Behandlung des Säumniszuschlags bei Veranlagungssteuern und Fälligkeitssteuern kein innerer Grund besteht, so daß es zweckmäßig erscheint, auf eine Erhebung von Säumniszuschlägen bei Nachforderungen allgemein zu verzichten. Es heißt in der Begründung dann weiter, daß die AO andere Möglichkeiten enthält (z. B. Erzwingungsgelder, Verspätungszuschläge, strafrechtliche Verfolgungen), um den Steuerpflichtigen zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten, soweit sich bei Fälligkeitssteuern Nachforderungen ergeben, weil der Steuerpflichtige keine oder eine unrichtige Steuererklärung abgegeben hat.
Es kann nicht mit Erfolg eingewendet werden, daß bei weiter Auslegung des Begriffs "Nachforderung" der Steuerpflichtige, der seinen Pflichten zur Anmeldung nachgekommen ist, in säumnisrechtlicher Hinsicht schlechtergestellt sei als ein Steuerpflichtiger, der diese Pflichten nicht erfüllt hat. Wie die Klägerin zutreffend ausgeführt hat, ist ein Steuerpflichtiger, der die Anmeldung pflichtgemäß abgegeben hat, dann aber nicht rechtzeitig entrichtet, tatsächlich säumig im Sinne des StSäumG. Dagegegen wird derjenige, der überhaupt nicht anmeldet, in der Regel eine Steuerhinterziehung oder leichtfertige Steuerverkürzung begehen und dafür bestraft werden; außerdem kann er gemäß § 168 Abs. 2 AO mit einem Verspätungszuschlag belegt werden. Auf diese Möglichkeit ist, wie schon ausgeführt, auch in der Begründung des Entwurfs zu § 1 Abs. 3 StSäumG hingewiesen worden. Seit der Einfügung des § 4a in das StSäumG mit Wirkung vom 1. Januar 1966 hat er zudem Steuerzinsen zu entrichten. Das FG weist mit Recht darauf hin, daß bei der vom BdF in seinem Erlaß vom 2. Juni 1962 (BZBl 1962 S. 504) vertretenen Auffassung derjenige, der eine Steuer unrichtig angemeldet hat, nicht schlechter behandelt wird als derjenige Steueranmelder, der die Steuer ordnungsgemäß angemeldet hat, weil auch er vom Säumniszuschlag verschont wird. Beachtlich ist auch der Hinweis des FG, daß derjenige, ohne dessen Wissen eine Steuerschuld entstanden ist (z. B. wie im Streitfall durch eine von dem mit der Lieferung des Mineralöls beauftragten Spediteur vorgenommene Fehlleitung), nach Entdeckung der Fehlleitung, also möglicherweise nach Jahren, Säumniszuschläge bis zurück zur Entstehung der Steuerschuld zahlen müßte (vgl. auch Becker-Riewald-Koch, Reichsabgabenordnung, Kommentar, 9. Aufl., Anm. 2 [2] zu § 1 StSäumG). In einem solchen Falle ist es durchaus sinnvoll, daß kein Säumniszuschlag erhoben wird, weil derjenige, der von der Entstehung und Fälligkeit einer Steuerschuld nichts weiß, subjektiv nicht säumig im Sinne des StSäumG sein kann. Für diese Auffassung spricht auch § 168 Abs. 2 Satz 2 AO, wonach das Finanzamt einen Verspätungszuschlag zu unterlassen oder zurückzunehmen hat, wenn die Versäumnis entschuldbar erscheint.
Nach allem war daher die Revision mit der Kostenfolge des § 135 Abs. 2 FGO als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 68944 |
BStBl II 1970, 354 |