Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Für die Erstattung von Einkommensteuervorauszahlungen, die an die Finanzämter der ehemaligen Reichsfinanzverwaltung geleistet worden sind, kommen lediglich die Finanzämter der sowjetischen Besatzungszone in Betracht, wenn die entsprechende Veranlagung im Bereich dieser Zone durchgeführt worden ist.
Normenkette
AO §§ 150, 153; EStG § 47 Abs. 3
Tatbestand
Der Bf. war als vollhaftender Gesellschafter an der KG A. in X. in Sachsen beteiligt. Durch einen an ihn unter der Anschrift "... in Sachsen" gerichteten Einkommensteuerbescheid vom 6. Dezember 1945 wurde er vom Finanzamt X. in Sachsen für 1944 zu einer Einkommensteuer von 10.035 RM veranlagt. Nach dem Bescheid ergab sich zu seinen Gunsten bei den für 1944 geleisteten Vorauszahlungen in Höhe von 60.141 RM eine überzahlung an Einkommensteuer in Höhe von 50.106 RM, über deren "Verwendung" er - nach einem im Bescheid enthaltenen Vermerk - noch besondere Mitteilung erhalten sollte. Mit Schreiben vom 8. Dezember 1945 bestätigte der Prokurist der Gesellschaft, der bereits am 30. November 1945 mit dem Finanzamt X. in Sachsen maßgeblich über die Besteuerungsgrundlagen des Bf. verhandelt hatte, den Empfang des den Bf. betreffenden Einkommensteuerbescheids für 1944, indem er zugleich u. a. beantragte, die für den 10. Dezember 1945 im Bescheid festgesetzte Vorauszahlung von 2.245 RM wegen des für das Geschäftsjahr 1944/1945 zu erwartenden Verlustes auf 0 RM festzusetzen. Mit Schreiben vom 29. März 1946 teilte er dem Finanzamt X. in Sachsen mit, daß der Bf. im März 1945 nach Bayern gezogen sei, so daß er "damit bei dem für seinen jetzigen Wohnsitz zuständigen Finanzamt N. sowohl für Vermögen als auch Einkommen steuerpflichtig geworden sein dürfte". Das Finanzamt N. forderte mit Schreiben vom 15. Juli 1946 die Steuerakten des Bf. an, deren Empfang es mit Schreiben vom 17. Oktober 1946 bestätigte.
Mit Schreiben vom 13. Dezember 1958 beantragte der Bf. bei der Oberfinanzdirektion die Erstattung der überzahlten Einkommensteuer 1944 von 50.106 RM = 5.010 DM (rund). Die Oberfinanzdirektion wies ihn an das Finanzamt A. Das Finanzamt A. lehnte den nunmehr bei ihm mit Schreiben vom 27. April 1959 gestellten Erstattungsantrag durch schriftlichen Bescheid ab (ß 150 Abs. 2 AO). Zur Begründung führte es unter Hinweis auf die Entscheidungen des erkennenden Senats IV 439/51 S vom 21. Februar 1952 (BStBl 1952 III S. 128, Slg. Bd. 56 S. 324) und IV 36/58 U vom 12. Juni 1958 (BStBl 1958 III S. 354, Slg. Bd. 67 S. 212) aus: Für eine Erstattung der dem Finanzamt X. in Sachsen "für das Deutsche Reich" zugeflossenen Einkommensteuervorauszahlungen könne nur dieses Finanzamt, nicht aber das Finanzamt A., in Betracht kommen; denn die Erstattungspflicht des Deutschen Reichs sei auf das Land Sachsen, zu dem das Finanzamt X. in Sachsen gehöre, und nicht auf die Bundesrepublik oder das Land Bayern übergegangen. Abgesehen davon könne der Bf. mit seinem Antrag selbst dann nicht durchdringen, wenn ein Erstattungsanspruch an das Finanzamt A. entstanden sein sollte. Da der Einkommensteuerbescheid dem Bf. im Jahre 1945 (Dezember) zugegangen sei, hätte der in diesem Jahre entstandene Anspruch nach § 153 AO bis zum 31. Dezember 1946 geltend gemacht werden müssen.
Das Finanzgericht ist dem gefolgt und hat daher die statt des Einspruchs eingelegte Berufung des Bf. (ß 261 AO) als unbegründet zurückgewiesen. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - so führt das Finanzgericht aus - seien Bund und Länder zur Erstattung von Vorauszahlungen als Funktionsnachfolger des Reichs nur insoweit verpflichtet, als diese Vorauszahlungen an die Finanzämter der ehemaligen Reichsfinanzverwaltung in den Gebieten östlich der Oder-Neiße geleistet worden seien. Die Steuerüberzahlungen, die vor dem Zusammenbruch an ein zur sowjetischen Besatzungszone gehöriges Finanzamt geleistet worden seien, könnten von einem westdeutschen Finanzamt nicht erstattet werden. Das müsse insbesondere dann gelten, wenn - wie hier - der Erstattungsanspruch auf einen Steuerbescheid gestützt werden, den ein zur sowjetischen Besatzungszone gehöriges Finanzamt nach dem Mai 1945 erlassen habe. Im übrigen sei dem Finanzamt auch darin beizupflichten, daß der Erstattungsanspruch im Hinblick auf die im § 153 AO gesetzte Frist wegen verspäteter Geltendmachung abzulehnen wäre. Wenn der Bf. sich in diesem Zusammenhang darauf berufe, daß ihm der Steuerbescheid erst "viel später" zugegangen sei und daß heute nicht mehr feststellbar sei, wann er ihn erhalten habe, so könne dies dahingestellt bleiben. Jedenfalls habe er ihn nach Lage der Sache zu einem "viele Jahre" zurückliegenden Zeitpunkt erhalten.
Mit der Rechtsbeschwerde macht der Bf. geltend, daß er nur "bis zum April 1945" seinen Wohnsitz in X. gehabt habe. Nach diesem Zeitpunkt sei er im Gebiet der Bundesrepublik ansässig geworden. Er habe daher Anspruch darauf, ebenso behandelt zu werden wie diejenigen Steuerpflichtigen, die aus dem Gebiet östlich der Oder-Neiße in das Gebiet der Westzonen gekommen seien. Im Jahre 1944 habe die Sowjetzone ebenso zum Reichsgebiet gehört wie das Gebiet östlich der Oder-Neiße. Zur Frage der verspäteten Geltendmachung des Erstattungsanspruchs rügt der Bf. mangelhafte Sachaufklärung durch die Vorinstanz. Diese hätte es nicht bei seinem Hinweis bewenden lassen dürfen, daß heute nicht mehr feststellbar sei, zu welchem Zeitpunkt er erstmalig von dem gegen ihn für 1944 ergangenen Einkommensteuerbescheid Kenntnis erlangt habe. Das Finanzgericht sei zu eigenen Ermittlungen in dieser Hinsicht verpflichtet gewesen. Tatsächlich habe er - wie die beigefügte Bestätigung des Dr. B. ergebe - erstmalig im März 1959 von der Existenz dieses Steuerbescheids Kenntnis erhalten. Dr. B. habe diesen Bescheid im März 1946 von dem inzwischen verstorbenen Prokuristen der Gesellschaft erhalten und im Anschluß daran den Anspruch auf Erstattung der Vorauszahlungen bei dem Finanzamt N. mündlich geltend gemacht. Das Finanzamt habe die Erstattung abgelehnt. Daraufhin habe Dr. B. den Bescheid zu seinen Privatakten genommen und ihn erst im März 1959 ihm - dem Bf. - ausgehändigt.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist unbegründet.
Wie der Senat in seiner Entscheidung IV 439/51 S vom 21. Februar 1952 (a. a. O.) erkannt hat, sind die Länder der Westzonen in die Rechte und in die Verpflichtungen des Reichs nur insoweit eingetreten, als die Westzonen an ihnen beteiligt sind. Wie die weiteren Urteilsausführungen eindeutig klarstellen, ist dieser einschränkende Hinweis dahin zu verstehen, daß eine Nachfolge der Länder der Westzonen in die Rechte oder in die Pflichten des Reichs nur hinsichtlich solcher Steuerpflichtiger anzuerkennen ist, für deren Veranlagung im maßgeblichen Zeitpunkt ein Finanzamt im Bereich der Westzonen zuständig ist oder - wie im Falle der übersiedlung aus dem Gebiet östlich der Oder-Neiße - zuständig geworden ist. Daraus folgt weiter zwingend, daß die Nachfolge in Rechte und Pflichten des Reichs für ein Land der Westzonen ausscheidet, soweit es sich um Steuerpflichtige handelt, für deren Veranlagung ein Finanzamt der Sowjetzone zuständig ist oder zuständig geworden ist. Demnach könnte das Finanzamt A. oder ein anderes Finanzamt des Landes Bayern als die für eine Erstattung der Einkommensteuervorauszahlungen 1944 "zuständige Stelle" im Sinne des § 150 Abs. 1 Satz 2 AO nur dann in Betracht kommen, wenn der Bf. bereits hinsichtlich des Einkommensteueranspruchs 1944 der Steuerhoheit des Landes Bayern unterworfen gewesen wäre. Das ist nicht der Fall.
Für die Veranlagung des Bf. zur Einkommensteuer 1944 war das Finanzamt X. in Sachsen zuständig. Das ist nicht bestritten und begegnet auch im Hinblick auf die §§ 75, 79 Abs. 2 AO keinen Bedenken. Der Bf. hat die Wirksamkeit des vom Finanzamt X. in Sachsen für 1944 erlassenen Einkommensteuerbescheids als Verwaltungsakt auch niemals in Zweifel gezogen. Er macht vielmehr die in diesem Bescheid enthaltene Steuerfestsetzung und die sich daraus ergebende Steuerüberzahlung zur Grundlage seines Erstattungsanspruchs im Sinne des § 153 AO, § 47 Abs. 3 EStG 1939. Unter diesen Umständen ist auch die Frage nicht von entscheidender Bedeutung, wann der Bescheid als zugegangen anzusehen ist. Das Finanzgericht hatte im übrigen in dieser Hinsicht auch keinen Anlaß zu weiteren Ermittlungen gemäß § 243 Abs. 1 AO, nachdem der Bf. selbst darauf hingewiesen hatte, daß dieser Zeitpunkt heute nicht mehr feststellbar sei. Daß der Bescheid jedenfalls zugegangen und damit wirksam geworden ist, wird vom Bf. nicht in Abrede gestellt. Nach dem Akteninhalt spricht im übrigen alles dafür, daß der Bescheid bereits im Dezember 1945 dem Prokuristen der Gesellschaft als Zustellungsbevollmächtigtem des Bf. zugegangen ist. Die von diesem Prokuristen dem Finanzamt X. in Sachsen gegenüber entwickelte Tätigkeit läßt auf eine derartig umfassende Vollmacht schließen. Abgesehen davon ist das Vorbringen des Bf. in dieser Hinsicht auch widerspruchsvoll. Seiner Behauptung, von der Existenz des Einkommensteuerbescheids 1944 erst im März 1959 Kenntnis erhalten zu haben, steht die Tatsache gegenüber, daß er bereits im Dezember 1958 einen Erstattungsantrag bei der Oberfinanzdirektion auf der Grundlage der für 1944 ergangenen Steuerfestsetzung gestellt hat. Es ist auch nicht anzunehmen, daß Dr. B., als ihm im März 1956 der Steuerbescheid von dem Prokuristen der Gesellschaft ausgehändigt wurde, den Bf. davon nicht unterrichtet hat.
Fundstellen
Haufe-Index 409649 |
BStBl III 1960, 220 |
BFHE 1960, 595 |
BFHE 70, 595 |