Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Außergewöhnliche Belastung durch Unterstützung mittelloser Angehöriger.
Normenkette
EStG § 33
Tatbestand
Der Steuerpflichtige (Stpfl.) ist als Wirtschaftsprüfer und Steuerberater bei einer Treuhandgesellschaft tätig. Er ist verheiratet und hat 5 minderjährige Kinder. Für 1951 stellte er den Antrag auf Berücksichtigung einer außergewöhnlichen Belastung für die Unterstützung seiner Mutter, die im Alter von 77 Jahren in X lebt und dort einen eigenen Haushalt führt. Sie bezieht als Heimatvertriebene monatlich 70 DM Soforthilfe. Der Stpfl. machte eine Unterstützung von 100 DM geltend. Das Finanzamt erkannte ihm hierfür die Vergünstigung des § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu, rechnete aber von dem Betrag von 100 DM 40 DM ab (Abschn. 39 Abs. 3 Ziff. 2 der Lohnsteuer-Richtlinien - LStR - 1950) und kam zu einem Mehraufwendungsbetrag von 60 DM monatlich (720 DM jährlich). Den Jahresbetrag kürzte es um 140 DM als Mehrbelastungsgrenze nach § 51 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV).
Das Finanzgericht gab der Berufung statt und begründete das wie folgt:
Es schätze den für den Lebensunterhalt der Mutter notwendigen Betrag auf 170 DM monatlich, 2.040 DM jährlich. Hierauf sei die Soforthilfe mit monatlich 70 DM, jährlich 840 DM anzurechnen, so daß der vom Stpfl. gewährte Monatsbetrag von 100 DM als zusätzlicher notwendiger Lebensunterhalt angesehen werden müsse. Den Jahresbetrag von 1.200 DM kürzte es um die zumutbare Mehrbelastung in Höhe von 139 DM und kam zu einem anrechnungsfähigen Betrag nach § 33 EStG 1951 in Höhe von 1.061 DM jährlich.
Die Rechtsbeschwerde (Rb.) des Vorstehers des Finanzamts ist der Auffassung, daß diese Entscheidung mit den Grundsätzen des Urteils des Bundesfinanzhofs IV 278/50 U vom 2. Februar 1951, Bundessteuerblatt (BStBl) III S. 85, nicht vereinbar sei. Das Urteil habe sich für die Typisierung bestimmter Fälle des § 33 EStG ausgesprochen. Die Beschränkung der Aufwendungen für mittellose Angehörige auf 60 bzw. 100 DM monatlich diene dazu, die Entscheidung der Finanzämter über viele Tausende gleich gearteter Fälle zu erleichtern und die gleichmäßige steuerliche Behandlung aller Stpfl. zu gewährleisten. Im vorliegenden Fall sei noch zu beachten, daß tatsächlich ein Betrag von 130 DM vom Finanzamt anerkannt worden sei, da die Einkünfte der Mutter des Stpfl. aus Soforthilfe in dieser Höhe unberücksichtigt geblieben seien. Bei Beurteilung des Problems dürfe auch nicht außer Betracht bleiben, daß der Gesetzgeber von einem Arbeitnehmer der Steuerklasse I bei einem Monatsgehalt von mehr als 127,58 DM Lohnsteuer, Notopfer Berlin usw. fordere. Des weiteren werde für die Ehefrau und die Kinder nur ein steuerfreier Jahresbetrag von 600 DM anerkannt.
Entscheidungsgründe
Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Für die Anwendung des § 33 ist eine Typisierung in der Weise unzulässig, daß ungleichartige Fälle eine gleichartige Steuerermäßigung erhalten. Die Vorschrift muß unter Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse des einzelnen Falles angewandt werden. Dem steht aber nicht entgegen, daß zur Durchführung der Veranlagung für Gruppen von Fällen, die im Ergebnis im wesentlichen gleichartig sind, Richtsätze aufgestellt werden. Ein anderes Verfahren wäre schon im Hinblick auf die große Zahl von Anträgen, die wegen Unterstützung mittelloser Angehöriger gestellt werden, nicht durchführbar. Es müsse zu einer ganz ungleichmäßigen Behandlung der Stpfl. führen, da die Ansichten über die notwendigen Beträge bei den Stpfl. und auch bei den veranlagenden Beamten ohne die Grundlagen derartiger Richtlinien sehr weit auseinandergehen würden. Hierzu kommt, daß es für die Steuerbehörden sehr schwer ist, zu prüfen, ob und in welchem Umfange die behaupteten Leistungen auch tatsächlich getätigt werden. Es handelt sich hier um Vorgänge, die sich zwischen nahen Verwandten abspielen.
Es mag zutreffen, daß ein Betrag von 170 DM unter Berücksichtigung der gegenwärtigen Kaufkraft der DM nicht überhöht ist. Wie jedoch in der Entscheidung IV 42/51 vom 10. Juni 1952, BStBl. III S. 253 ausgeführt wird, darf bei der Höhe der zu gewährenden Ermäßigung nicht außer acht gelassen werden, daß nach der Systematik des Einkommensteuergesetzes nicht alle für den Unterhalt an sich erforderlichen Aufwendungen steuerlich als abzugsfähig anzuerkennen sind. Dieser Gedanke komme bei der im § 32 EStG gewährten Ermäßigung für Ehefrau und Kinder zum Ausdruck. Wenn auch die nach dieser Vorschrift zu berücksichtigenden Beträge für die nach § 33 zu gewährende Steuerermäßigung nicht maßgebend sein könnten, so werde der Bestimmung doch entnommen werden müssen, daß der Gesetzgeber nur einen Teil der tatsächlich notwendigen Lebenshaltungskosten steuerlich habe berücksichtigt wissen wollen.
Diese Grundsätze kommen im § 33 EStG dadurch zum Ausdruck, daß zwischen Belastung und Steuerermäßigung ausdrücklich unterschieden wird. Der Betrag, der am Einkommen gekürzt wird, um die Steuerermäßigung zu berechnen, deckt sich nicht mit dem Belastungsbetrag. Dieser Gedanke tritt auch in den Mindestbelastungsgrenzen des § 51 EStDV in Erscheinung. Die allgemein vorgesehenen Sätze des § 51 EStDV können aber nur insoweit angewandt werden, als sie im Einzelfall nicht zu einem Ergebnis führen, das mit den Vergünstigungen für Angehörige im Sinne des § 32 EStG unvereinbar ist. Wie bereits in der Entscheidung IV 42/51 ausgesprochen ist, verbietet es die Verschiedenartigkeit der wirtschaftlichen Verhältnisse zwischen den Fällen des § 32 und des § 33, die Sätze des § 32 auf den § 33 ohne weiteres zu übertragen. Es besteht deshalb hinsichtlich der Sätze für mittellose Angehörige im Sinne des § 33 ein verhältnismäßig weiter Spielraum. Immerhin muß ein Ergebnis erzielt werden, das gegenüber den Vergünstigungen des § 32 noch vertretbar erscheint. Das Finanzgericht hat im vorliegenden Fall für die Mutter, die beachtliche Bezüge aus der Soforthilfe erhält, eine Ermäßigung gewährt, die nahezu der doppelten Ermäßigung für ein Kind entspricht. Unter Berücksichtigung der gesamten Verhältnisse erscheint es angemessen, dem Stpfl. eine Ermäßigung von 600 DM, also eine Ermäßigung, die dem Betrag für eine weitere Kinderermäßigung entspricht, zuzubilligen. Die Minderbelastungsgrenze des § 51 EStDV ist dabei schon abgegolten.
Die Vorentscheidung und der Bescheid des Finanzamts sind deshalb aufzuheben. Es ergibt sich für den Stpfl. ein Ermäßigungsbetrag von 5.839 DM.
Fundstellen
Haufe-Index 407638 |
BStBl III 1953, 170 |
BFHE 1954, 436 |
BFHE 57, 436 |