Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
1.Versorgungsrenten, die auf einer früheren gewerblichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen oder seines Rechtsvorgängers beruhen, gehören zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb.
2.Für solche Versorgungsrenten gilt nicht die Neuregelung der Leibrentenbesteuerung in § 22 Ziff. 1 a EStG 1955 (und später), wonach der Empfänger einer Leibrente nur deren Ertragsanteil zu versteuern hat. Solche Renten hat vielmehr der Empfänger als nachträglich gewerbliche Einkünfte voll zu versteuern.
EStG 1958 §§ 2 Abs. 3 Ziff. 2, 22 Ziff. 1a, 24 Ziff. 2
Normenkette
EStG § 2 Abs. 3 Ziff. 2, § 22/1/a, § 24 Ziff. 2, § 15
Tatbestand
Der Ehemann der Steuerpflichtigen (Stpfl.) war Handelsvertreter und starb im Jahre 1950. Bei ihm war seit 1949 der jetzige Handelsvertreter H. zunächst als Untervertreter und seit dem 20. März 1950 als Teilhaber tätig. Auftraggeber waren die Firmen D- AG, GmbH und F-AG. Anfang 1951 wurde eine OHG gegründet; Gesellschafter waren zunächst H. und die Stpfl.; seit dem 25. Mai 1951 ist H. Alleininhaber.
Die Stpfl. schloß am 12. September 1952 mit H. einen notariellen Vertrag, in dem sich H. verpflichtete, der Stpfl. ab 1. August 1952 eine Leibrente zu zahlen. Die Stpfl. erhielt monatlich 540 DM, die die D-AG von der dem H. zustehenden Provision einbehalten und an die Stpfl. überweisen sollte; die Rente minderte sich bei Fortfall der Vertretung der D-AG um 415 DM, bei Fortfall der Vertretung der GmbH um 75 DM und bei Fortfall der Vertretung der F-AG um 50 DM monatlich. Wenn die Provisionen wesentlich zurückgehen sollten, konnte H. im Einvernehmen mit der D-AG die Rentenleistungen herabsetzen. In den Vorverhandlungen hatte die D-AG der Stpfl. mit Schreiben vom 28. Juni 1952 zugesagt, dafür zu sorgen, daß auch ein Nachfolger der H. im Vertreterbezirk die Rente weiter zahlen werde. Mit der GmbH kam es zu einer ähnlichen Abmachung. Die Zahlungen des H. wurden später herabgesetzt. Im Dezember 1953 erlosch die Vertretung der F-AG und im Jahre 1956 die Vertretung der GmbH. Von dieser Firma erhält die Stpfl. jedoch eine Ausgleichszahlung. Weiter bezieht sie eine monatliche Rente von 35 DM von einer Frau L., die einen Teil des ursprünglichen Vertreterbezirks des verstorbenen Ehemannes der Stpfl. übernommen hatte. Im Jahre 1958 erhielt die Stpfl. von H. 4.980 DM, von der GmbH 900 DM sowie von Frau L. 420 DM, insgesamt also 6.300 DM. Für 1952 erklärte sie für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Juli 1952 einen Gewinn aus Gewerbebetrieb von 2.257 DM und sonstige Einkünfte aus der ihr bis August 1952 von der GmbH und der F-AG gewährten Unterhaltsrente von zusammen 900 DM. Die Steuererklärungen für 1953 und 1954 füllte sie nicht aus, und für 1955 erklärte sie als sonstige Einkünfte eine Leibrente von 6.300 DM. Für 1958 bezeichnete sie den Gesamtbezug von 6.300 DM als freiwillige Zuwendung unter "sonstige Einkünfte".
Das Finanzamt sah die Bezüge der Stpfl. in Übereinstimmung mit dem rechtskräftigen Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 16. Oktober 1959, durch das für 1953 die Zahlungen bei H. voll als Betriebsausgaben anerkannt worden waren, als betriebliche Versorgungsrenten an. Es zog die Stpfl. gemäß § 24 Ziff. 2 EStG in Verbindung mit § 2 Abs. 3 Ziff. 2 EStG zur Einkommensteuer heran. Den für die Jahre 1952 bis 1957 eingelegte Einspruch hatte dem Grunde nach keinen Erfolg. Den Bescheid für das Jahr 1958 focht die Stpfl. mit der Sprungberufung an. Das Finanzgericht betrachtete die Bezüge als betriebliche Versorgungsrenten, wandte aber die Bestimmungen über die Besteuerung von Leibrenten, besonders § 22 Ziff. 1 Buchst. a EStG 1955 an. Es entschied getrennt für das Jahr 1958 und die Jahre 1952 bis 1957. Die Entscheidung des Finanzgerichts für 1958 ist in "Entscheidungen der Finanzgerichte" (EFG) 1962 S. 153 veröffentlicht.
Im einzelnen führte das Finanzgericht aus: Die Steuerforderungen für 1952 bis 1954 seien nicht verjährt, wie die Stpfl. annehme. Die Verjährung sei mehrfach, zuletzt durch das Schreiben des Finanzamts vom 15. September 1956, unterbrochen worden. Das Finanzamt habe sein Recht auf die Steueransprüche auch nicht verwirkt. Sachlich betrachtete das Finanzgericht die wiederkehrenden Bezüge der Stpfl. als Versorgungsrenten. Ob eine Versorgungsrente eine betriebliche oder außerbetriebliche Versorgungsrente sei, müsse in erster Linie vom Standpunkt des Leistenden aus beurteilt werden. Die Verpflichtung des H. zur Rentenzahlung sei nur aus dem früher gemeinsam von ihm und dem verstorbenen Ehemann der Stpfl. betriebenen Unternehmen und den getroffenen Abmachungen zu erklären; sie stehe wirtschaftlich mit dem Betriebe des H. im Zusammenhang. Auch die Bezüge, die die Stpfl. über den Monatsbetrag von 415 DM hinaus beziehe, seien ebenso zu beurteilen. Die Bezüge der Stpfl. seien also insgesamt betriebliche Versorgungsrenten. Nach der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs seien betriebliche Versorgungsrenten nicht nach § 22 EStG, sondern als Einkünfte aus einer ehemaligen Tätigkeit im Sinne des § 24 Ziff. 2 EStG in Verbindung mit § 15 EStG zu besteuern gewesen (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs VI 91/40 vom 7. Mai 1941, RStBl 1941 S. 553). Diese Rechtsprechung könne aber nach der Neuregelung der Rentenbesteuerung im EStG 1955 nicht aufrechterhalten werden. Einkunftsquelle des Berechtigten sei das Rentenstammrecht. Gehöre es zu seinem privaten Vermögen, so seien die laufenden Bezüge Leibrenten im Sinne des § 22 Ziff. 1 a EStG 1955 und darum nur mit dem Ertragsanteil einkommensteuerpflichtig. Dem stehe nicht entgegen, daß H. die Zahlungen voll als Betriebsausgaben absetzen könne. Für die Jahre 1952 bis 1954 müsse dagegen die Stpfl. die Rentenbezüge nach dem alten Rechtszustand voll versteuern.
Gegen die Vorentscheidung haben der Vorsteher des Finanzamts und die Stpfl. - letztere nur für die Jahre 1952 bis 1954 - Rb. eingelegt. Der Vorsteher des Finanzamts will die Einkünfte der Stpfl. als nachträglich gewerbliche Einkünfte gemäß § 24 in Verbindung mit § 15 EStG versteuert wissen. Weiter macht er geltend, der Stpfl. seien im Jahre 1952 2.335 DM zugeflossen. Das Finanzamt habe aber versehentlich nur 2.160 DM erfaßt.
Die Stpfl. hält die Steueransprüche für die Jahre 1952 und 1953 für verjährt. Sie betrachtet ihre Bezüge im übrigen für freiwillige Leistungen, die einkommensteuerlich bei ihr überhaupt nicht erfaßt werden dürften.
Entscheidungsgründe
Der Senat hat die Verfahren für die Jahre 1952 bis 1957 und 1958 aus Zweckmäßigkeitsgründen verbunden. Die Rb. der Stpfl. hatte keinen Erfolg, während die Rb. des Vorstehers des Finanzamts zur Aufhebung der Vorentscheidungen führte.
I. Zur Rb. der Stpfl. Die Einwendungen der Stpfl. gegen die Steuerpflicht ihrer Bezüge sind unbegründet. Steuerlich ist entscheidend, ob eine betriebliche oder außerbetriebliche Versorgungsrente vorliegt. Die Entscheidung liegt im wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet. Der Senat kann nur prüfen, ob die Würdigung des Finanzgerichts, das eine betriebliche Versorgungsrente angenommen hat, rechtlich möglich ist (§ 288 in Verbindung mit § 296 Abs. 1 AO). Die Entscheidung des Finanzgerichts entspricht den Grundsätzen der Entscheidung des Bundesfinanzhofs I 238/60 U vom 15. Januar 1963 (BStBl 1963 III S. 237, Slg. Bd. 76 S. 649). Mit Recht hat das Finanzgericht darauf hingewiesen, daß die Frage, ob eine Versorgungsrente eine betriebliche oder außerbetriebliche Versorgungsrente ist, wesentlich vom Standpunkt des Leistenden aus beurteilt werden muß. Es hat rechtskräftig festgestellt, daß die Leistungen des H. an die Stpfl. auf dem früheren gemeinsam betriebenen Unternehmen beruhen, also wirtschaftlich mit dem Betrieb des H. zusammenhängen. Dasselbe stellt es für die anderen Bezüge der Stpfl. fest. Zu diesen Feststellungen konnte es rechtlich bedenkenfrei kommen. Die Stpfl. führt selbst aus, daß ihr Rentenanspruch mindestens moralisch begründet sei. Damit sind die von der Rechtsprechung für den Begriff der entgehenden Einnahmen im Sinne des § 24 EStG aufgestellten Voraussetzungen erfüllt, wie sich aus den Urteilen des Bundesfinanzhofs IV 260/52 U vom 11. Dezember 1952 (BStBl 1953 III. S. 57, Slg. Bd. 57 S. 144)und I 238/60 U a. a. O. ergibt.
Die Stpfl. betrachte die erhaltenen Zahlungen nicht als Renten, weil es an einem Rentenstammrecht und an der für Leibrenten notwendigen Schriftform fehle. Dem stehen aber die tatsächlichen Feststellungen des Finanzgerichts entgegen. Der notarielle Vertrag vom 12. September 1952 zwischen der Stpfl. und H. begründete für die Stpfl. einen rechtswirksamen Anspruch. Weiter hat die Stpfl. vor dem Finanzgericht selbst vorgetragen, daß der Zahlung durch die GmbH eine schriftliche Zahlungszusage zugrunde gelegen habe. Auch Frau L. erklärte sich auf Vorschlag der D-AG zur Zahlung der ab 1952 zu zahlenden Beträge bereit. Es liegen bürgerlich-rechtlich wirksame Zahlungsversprechen vor. Die Zahlungen sind nicht freiwillig an die Stpfl. geleistet worden, sondern waren rechtlich erzwingbar.
Das Finanzgericht hat auch mit Recht die Steueransprüche als nicht verjährt betrachtet. Das Schreiben des Finanzamts vom 15. September 1956 hat die Verjährung unterbrochen. Die Stpfl. konnte daraus erkennen, daß sich das Finanzamt mit der Besteuerung ihrer Bezüge befaßte.
II. Zur Rb. des Vorstehers des Finanzamts Das Finanzgericht will auch betriebliche Versorgungsrenten nach § 22 Ziff. 1 Buchst. a EStG 1955 besteuern. Der Bundesfinanzhof hat dagegen in den Entscheidungen IV 630/55 U vom 21. Februar 1957 (BStBl 1957 III S. 164, Slg. Bd. 64 S. 437)und I 238/60 U a. a. O. ausgesprochen, daß Einkünfte, die auf einer früheren gewerblichen Tätigkeit beruhen, grundsätzlich zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb gehören und nach § 24 in Verbindung mit § 15 EStG zu versteuern sind. Zutreffend macht der Vorsteher des Finanzamts geltend, die Änderung der Rentenbesteuerung durch das Steuerneuordnungsgesetz vom 16. Dezember 1954 (BGBl 1954 I S. 373, BStBl 1954 I S. 575) könne nicht für Renten gelten, die als betriebliche Versorgungsrenten den Einkünften aus Gewerbebetrieb zuzurechnen seien. Es lag nicht in der Absicht des Gesetzgebers, die Systematik des EStG in der Abgrenzung der Einkunftsarten zu ändern. Er wollte mit der Neuregelung nur die Schwierigkeiten beseitigen, die durch die neuere Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs in der Behandlung außerbetrieblich begründeter Leibrenten entstanden waren. Es darf auch nicht außer Betracht bleiben, daß § 22 EStG nur (subsidiär) eingreift, wenn Einkünfte nicht einer anderen Einkunftsart zuzurechnen sind. Dieser Grundsatz ist durch die Neuregelung im EStG 1955 nicht berührt worden. Bei betrieblichen Versorgungsrenten der vorliegenden Art kommen Einkünfte aus Gewerbebetrieb im Sinne von § 15 EStG in Betracht. Dabei wird auch eine unterschiedliche Behandlung der Leistungen beim Verpflichteten und Berechtigten vermieden, zu der das Finanzgericht von seiner Rechtsauslegung aus kommen muß. Es ist indessen nicht sinnvoll, dem H. zu gestatten, die gezahlten Beträge voll als Betriebsausgaben abzusetzen, die Bezüge der Stpfl. aber nur mit dem Ertragsanteil gemäß § 22 Ziff. 1 a EStG 1955 (und später) zu erfassen.
Die Entscheidungen des Finanzgerichts, die von anderen rechtlichen Gesichtspunkten ausgegangen sind, waren danach wegen unrichtiger Anwendung von §§ 22 Ziff. 1 a, 24, 15 EStG aufzuheben. Wegen des Streitjahres 1952 war die Sache an das Finanzamt zurückzuverweisen, damit es der Besteuerung die Beträge zugrunde legt, die der Stpfl. nach den tatsächlichen Feststellungen des Finanzgerichts zugeflossen sind.
Fundstellen
Haufe-Index 424147 |
BStBl III 1963, 592 |
BFHE 1964, 741 |
BFHE 77, 741 |
StRK, EStG:15 R 427 |