Leitsatz (amtlich)
1. Das FA war nach Ergehen des BFH-Urteils vom 4. Jull 1973 I R 216/71 (BFHE 110, 37, BStBl II 1973, 742), wonach bel Unterbllanz der Ausweis eines ausschüttungs- oder verteilungsfählgen Reingewinns elner GmbH ausgeschlossen ist, gemäß Treu und Glauben nicht verpflichtet, die Grundsätze einer aufgegebenen Rechtsprechung (Urteil vom 26. April 1963 I 86/61 U, BFHE 76, 834, BStBl III 1963, 303) weiterhln anzuwenden, wenn der Steuerpflichtige auf den Fortbestand der bisherigen Rechtsprechung vertraut hat.
2. Durch die genannte Änderung der Rechtsprechung ist keine Verpflichtung der Verwaltung ausgelöst worden, im Wege einer Anpassungsregelung die Anwendung der verschärfenden Rechtsprechung eine Zeitlang auszusetzen.
Normenkette
KStG a.F. § 19 Abs. 3; AO § 131; AO 1977 § 163
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) -- eine unbeschränkt steuerpflichtige GmbH -- hatte in ihrer Körperschaftsteuererklärung 1971 angegeben, daß sie den ausgewiesenen Bilanzgewinn des Geschäftsjahres 1971 im Betrage von ... DM aufgrund des Gesellschafterbeschlusses vom 15. September 1972 ausgeschüttet habe. In einem vorläufigen Körperschaftsteuerbescheid 1971 lehnte es der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) ab, auf den ausgeschütteten Betrag den ermäßigten Körperschaftsteuersatz von 15 v. H. für berücksichtigungsfähige Ausschüttungen (§ 19 Abs. 1 Nr. 1 des Körperschaftsteuergesetzes -- KStG -- a.F.) anzuwenden. Der erklärte Gewinn sei um Rückstellungen für Gewerbesteuern, Vermögensteuern und für weitere Körperschaftsteuern zu ermäßigen. Infolge eines Verlustvortrags aus vorhergehenden Geschäftsjahren habe sich für 1971 kein Reingewinn ergeben, der aufgrund gesellschaftsrechtlicher Vorschriften hätte ausgeschüttet werden können. Das FA besteuerte das ermittelte Einkommen mit dem Regelsteuersatz von 51 v. H.
Die Klägerin erhob nach erfolglosem Einspruch Klage. Während des finanzgerichtlichen Verfahrens legte sie eine berichtigte Bilanz für das Geschäftsjahr 1971 vor, nach der sich der ursprünglich erklärte Gewinn auf ... DM minderte. Mit der berichtigten Bilanz reichte die Klägerin einen neuen Beschluß der Gesellschafterversammlung ein, in dem der Gewinnverwendungsbeschluß vom 15. September 1972 dahin geändert wurde, daß statt der ursprünglich beschlossenen Gewinnausschüttung nur der in der berichtigten Bilanz ausgewiesene Gewinn ausgeschüttet werden sollte. Das FA ersetzte daraufhin den angefochtenen Körperschaftsteuerbescheid durch einen neuen vorläufigen Bescheid, in dem es entsprechend den Angaben der Klägerin ein Einkommen von ... DM zugrunde legte; es erkannte jedoch die beschlossenen Ausschüttungen wiederum nicht als berücksichtigungsfähig an.
Auf Antrag der Klägerin wurde der Änderungsbescheid Gegenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens (§ 68 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Die Klägerin räumte ein, daß für 1971 kein Reingewinn vorhanden gewesen sei und deshalb die beschlossenen Ausschüttungen nicht den gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen entsprächen. Ihr müsse aber nach Treu und Glauben für diese Ausschüttungen der ermäßigte Steuersatz gewährt werden. Denn das FA habe in übereinstimmung mit Abschn. 57 der Körperschaftsteuer-Richtlinien (KStR) und dem dort angeführten Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 26. April 1963 I 86/61 U (BFHE 76, 834, BStBl III 1963, 303) bei den Veranlagungen der Vorjahre die beschlossenen Ausschüttungen immer als berücksichtigungsfähig anerkannt, auch soweit es sich dabei nicht um Reingewinn gehandelt habe. Auf die Änderung der Rechtsprechung durch das Urteil des BFH vom 4. Juli 1973 I R 216/71 (BFHE 110, 37, BStBl II 1973, 742) habe sie sich nicht einrichten können, da diese Entscheidung erst nach dem Gesellschafterbeschluß über die Gewinnverwendung für 1971 und auch nach Einreichung der Körperschaftsteuererklärung 1971 bekanntgeworden sei.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Der ermäßigte Körperschaftsteuersatz könne auf die Ausschüttungen der Klägerin nicht angewendet werden. Der Gewinnverteilungsbeschluß und der spätere Änderungsbescheid hätten gegen die Vorschriften des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) verstoßen. Berücksichtigungsfähig im Sinn der Anwendung des ermäßigten Körperschaftsteuersatzes seien nur solche Ausschüttungen, die den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften entsprächen.
Der angefochtene Steuerbescheid, der die neuere höchstrichterliche Rechtsprechung berücksichtige, verstoße nicht gegen Treu und Glauben. Die Verwaltung habe keinen Zustand geschaffen, auf den die Klägerin hätte vertrauen dürfen. Zwar habe das FA in der Vergangenheit der Klägerin den begünstigten Steuersatz für ihre gesamten Ausschüttungen zugebilligt, auch soweit es sich dabei nicht um ausgeschüttete Reingewinne gehandelt habe. Dies begründe jedoch kein schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin darauf, daß das FA auch in Zukunft an dieser Handhabung festhalten werde. Denn es bestehe grundsätzlich weder gegen das FA noch umgekehrt gegen den Steuerpflichtigen ein Anspruch auf Beibehaltung einer früher vertretenen Rechtsauffassung. Daran ändere sich auch nichts, wenn die Finanzverwaltung wie hier ihre Auffassung in Verwaltungsrichtlinien zum Ausdruck gebracht habe.
Gegen die Entscheidung des FG wendet sich die Klägerin mit der Revision. Sie rügt Verletzung materiellen Rechts. Die Klägerin habe im Vertrauen in die höchstrichterliche Rechtsprechung und die unbeanstandete Hinnahme ihrer Gepflogenheit in den vorangegangenen Jahren ihren Bilanzgewinn 1971 ausgeschüttet, obwohl aus früherer Zeit eine Unterbilanz von ... DM vorhanden gewesen sei. Die Klägerin fühle sich durch die Weigerung, diese Ausschüttungen als berücksichtigungsfähige Ausschüttungen anzuerkennen, in ihrem schutzwürdigen Vertrauen auf die bisherige Gesetzesauslegung verletzt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
1. Die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes von 15 v. H. ist nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 KStG a. F. auf die berücksichtigungsfähigen Ausschüttungen beschränkt. Berücksichtigungsfähige Ausschüttungen sind nach Abs. 3 dieser Vorschrift die aufgrund eines den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften entsprechenden Gewinnverteilungsbeschlusses vorgenommenen Gewinnausschüttungen. In der Entscheidung in BFHE 110, 37, BStBl II 1973, 742 hat der Senat unter Bezugnahme auf die Urteile vom 18. November 1970 I R 88/69 (BFHE 100, 400, BStBl II 1971, 73) und vom 12. Juli 1972 I R 205/70 (BFHE 107, 186, BStBl II 1973, 59) darauf hingewiesen, daß der Begriff der Gewinnausschüttung sowohl formal als auch sachlich im handelsrechtlichen Sinn zu verstehen ist. Er erfaßt alles, was die Gesellschaft handelsrechtlich zutreffend als Reingewinn (Bilanzgewinn) ausgewiesen und an die Gesellschafter ausgeschüttet hat. Ausschüttungsoder verteilungsfähig ist aber nur derjenige Gewinn, der nach Maßgabe des GmbHG ermittelt worden ist. Ergibt sich nach der aufgrund des § 42 GmbHG aufzustellenden Bilanz eine Unterbilanz, liegt schon rein begrifflich ein Gewinn, der zur Verteilung an die Gesellschafter hätte gelangen können, nicht vor.
In der Entscheidung in BFHE 76, 834, BStBl III 1963, 303 hatte der BFH noch die Auffassung vertreten, daß auch im Falle einer Unterbilanz -- die Passivposten sind höher als die Aktivposten -- sich ein ausschüttungsfähiger Gewinn ergeben könne. Diese Auffassung ist zehn Jahre später in der Entscheidung in BFHE 110, 37, BStBl II 1973, 742 ausdrücklich aufgegeben worden. Der erkennende Senat hält an der neueren Entscheidung fest. Nach der für das Streitjahr geltenden Fassung des KStG steht der Klägerin der ermäßigte Körperschaftsteuersatz für beschlossene Ausschüttungen nicht zu.
2. FA und FG haben nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen, wenn sie bei der Veranlagung der Klägerin für das Streitjahr 1971 die strengere Auffassung der Entscheidung in BFHE 110, 37, BStBl II 1973, 742 angewendet haben.
Das FA ist bei der Veranlagung an eine Rechtsauffassung, die es bei vorhergehenden Veranlagungen zugrunde gelegt hat, grundsätzlich nicht gebunden, und zwar selbst dann nicht, wenn der Steuerpflichtige im Vertrauen auf die Richtigkeit objektiv unrichtiger Verwaltungsentscheidungen disponiert haben sollte (BFH-Urteil vom 22. Juni 1971 VIII 23/65, BFHE 103, 77, BStBl II 1971, 749, m. w. N.). Eine Bindung tritt nur ein, wenn die Behörde in der Vergangenheit in einem konkreten Einzelfall eine Zusage oder verbindliche Auskunft gegeben hat, auch wenn sich später erweist, daß die Zusage oder Auskunft nicht der wirklichen Rechtslage entsprochen hat. Ein derartiger Sachverhalt ist von der Klägerin nicht behauptet worden.
Die Klägerin möchte einer Zusage oder verbindlichen Auskunft den Fall gleichstellen, daß in Abschn. 57 Abs. 1 KStR angeordnet ist, gemäß der früheren Entscheidung aus dem Jahre 1963 (BFHE 76, 834, BStBl III 1963, 303) zu verfahren und daß diese Verwaltungsanordnung selbst dann nicht geändert worden ist, als der BFH an dieser Entscheidung nicht mehr festgehalten hat. Allgemeine Verwaltungsanweisungen wie Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) und KStR oder ministerielle Entschließungen erzeugen nicht die gleichen Wirkungen wie eine Zusage oder verbindliche Auskunft für den Einzelfall. Der Grundsatz von Treu und Glauben setzt ein konkretes Verhältnis zwischen dem Steuerpflichtigen und dem FA voraus, aus dem heraus Bindungswirkungen entstehen können (BFH-Urteil vom 21. Dezember 1972 IV R 53/72, BFHE 107, 564, BStBl II 1973, 298 unter IV.). Verwaltungsanordnungen sind innerdienstliche Anweisungen an die nachgeordneten Behörden und stehen damit begrifflich im Gegensatz zu den verbindlichen Auskünften oder Zusagen, die sich an die Steuerpflichtigen als Außenstehende richten. Verwaltungsanordnungen haben keine Rechtsnormqualität und binden die Steuergerichte nicht. Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) verlangt vom Richter, nur das Gesetz anzuwenden (BFH-Urteil vom 16. September 1970 I R 133/68, BFHE 100, 199, BStBl II 1970, 865).
Auch Gerichtsentscheidungen erzeugen keine rechtlichen Wirkungen der Art, daß Verwaltung und Rechtsprechung nach Treu und Glauben daran gebunden wären. Gerichtsentscheidungen ergehen stets in Einzelfällen. Andernfalls würden die Gerichte an die Stelle des Gesetzgebers treten (vgl. BFHE 107, 564, BStBl II 1973, 298 unter IV.).
3. Das Rechtsstaatsprinzip kann es im Einzelfall gebieten, Vertrauensschutz zu gewähren, wenn der Bürger durch Anwendung einer verschärfenden Rechtsprechung auf einen schon abgeschlossenen Sachverhalt beeinträchtigt wird. Diesem Anliegen wird in der Regel durch Anpassungsregelungen der Verwaltung, die ihre Rechtsgrundlage in § 131 der Reichsabgabenordnung (AO), § 163 der Abgabenordnung (AO 1977) haben, Rechnung getragen. In der Entscheidung vom 23. Februar 1979 III R 16/78 (BFHE 127, 476, BStBl II 1979, 455) hat der BFH die Grundsätze zusammengestellt, die für derartige Anpassungsregelungen maßgeblich sind. Sie stehen dem Grunde und ihrer rechtlichen Ausgestaltung nach im Ermessen der Verwaltung. Die Verwaltung muß sich von sachgerechten Gesichtspunkten leiten lassen. Welche dies sind, kann nur von Fall zu Fall aus der jeweiligen Interessenlage entschieden werden. Wegen der großen Breitenwirkung einzelner höchstrichterlicher Urteile ist anläßlich der Versagung und Einengung bisher gewährter Steuervergünstigungen auf die Notwendigkeit solcher Anpassungsregelungen hingewiesen worden (BFH-Urteil vom 16. August 1967 VI 170/65, BFHE 89, 447, BStBl III 1967, 700 zur Einengung der Berücksichtigung von Aussteueraufwendungen als außergewöhnliche Belastungen). In der erwähnten Entscheidung in BFHE 127, 476, BStBl II 1979, 455 hat der BFH bei der Verschärfung der Rechtsprechung zu Gesetzen mit wirtschaftslenkendem Inhalt, wie es beispielsweise die Investitionszulagengesetze sind, eine Anpassungsregelung ebenfalls für notwendig gehalten. Es wird aber auch ausgeführt, daß das Vertrauen in die bisherige Rechtsprechung nur dann und so lange geschützt ist, als die Steuerpflichtigen mit einer Änderung der Rechtsprechung nicht rechnen müssen. In dem Beschluß vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70 (BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603) hat der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes bemerkt, daß nicht jede Rechtsprechungsänderung zuungunsten des Steuerpflichtigen eine allgemeine Verpflichtung für die Verwaltungsbehörde auslöst, die Anwendung der geänderten Rechtsprechung für eine Übergangszeit auszusetzen.
Als Anpassungsregelung ist es nicht zu werten, daß nach Bekanntwerden der Entscheidung in BFHE 110, 37, BStBl II 1973, 742 zur Ermittlung und Berechnung der berücksichtigungsfähigen Ausschüttungen Abschn. 57 Abs. 1 KStR 1969 nicht geändert und der Hinweis auf die überholte Entscheidung in BFHE 76, 834, BStBl III 1963, 303 nicht gestrichen worden ist. Diese Richtlinien haben sich, als sie erlassen worden sind, auf die reine Gesetzesauslegung beschränkt, und sie hatten keine Rechtsgrundlage in § 131 Abs. 2 AO (vgl. BFHE 100, 199, BStBl II 1970, 865).
Nach Ergehen des Urteils in BFHE 76, 834, BStBl III 1963, 303 ist zwar mehrfach entschieden worden, daß Gewinnausschüttungen nach § 19 Abs. 3 Satz 1 KStG a. F. nur berücksichtigungsfähig sind, wenn sie auf einem den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften entsprechenden, handelsrechtlich weder nichtigen noch auf Anfechtung für nichtig erklärten Gewinnverteilungsbeschluß beruhen (so z. B. BFHE 100, 400, BStBl II 1971, 73). Bis zu der im Jahre 1973 ergangenen Entscheidung in BFHE 110, 37, BStBl II 1973, 742 ist aber die zehn Jahre zurückliegende Entscheidung in BFHE 76, 834, BStBl III 1963, 303 weder aufgegeben worden noch ist die spätere Rechtsprechung erkennbar von ihr abgerückt. Die Steuerpflichtigen brauchten daher bis zum Bekanntwerden der neuen verschärfenden Rechtsprechung nicht mit einer Änderung zu rechnen.
Gleichwohl vermag der erkennende Senat nicht dahin zu entscheiden, daß bei Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung, die auch bei einer Unterbilanz eine berücksichtigungsfähige Gewinnausschüttung bejaht hat, die Verpflichtung der Verwaltung ausgelöst werde, im Wege einer Anpassungsregelung die Anwendung der verschärfenden Rechtsprechung eine Zeitlang auszusetzen. Die neue verschärfende Rechtsprechung über die Ermittlung der berücksichtigungsfähigen Gewinnausschüttungen hat nicht die Breitenwirkung wie z. B. Änderungen der Rechtsprechung auf dem Gebiet der außergewöhnlichen Belastungen oder zu Gesetzen, die sich mit wirtschaftspolitisch erwünschten Investitionen befassen. Mit der Entscheidung in BFHE 110, 37, BStBl II 1973, 742 ist eine besondere Rechtsfrage bei Auslegung des § 19 Abs. 3 KStG a. F. im Lichte neuerer Rechtserkenntnis unter Aufgabe eines zehn Jahre zurückliegenden Urteils neu entschieden worden. Die von der neueren Rechtsprechung umgriffenen Fälle erweisen sich als besonders gelagerte Einzelfälle, die, wie auch aus dem Streitfall hervorgeht, einer allgemeinen Anpassungsregelung nicht oder schwer zugänglich sind. Über Billigkeitsmaßnahmen kann in einer Einzelfallentscheidung nach § 163 Abs. 1, § 227 Abs. 1 AO 1977 befunden werden. Hierüber ist in einem besonderen Verfahren zu entscheiden.
Fundstellen
Haufe-Index 74562 |
BStBl II 1983, 280 |
BFHE 1982, 202 |