Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Der Senat tritt der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs im Urteil II A 106/22 vom 16. Juni 1922 (Slg. Bd. 9 S. 349) bei. Danach kann ein Steuerpflichtiger den Anschluß an das von einem anderen eingelegte Rechtsmittel nur erklären, wenn dieser andere die Gegenpartei ist.
Normenkette
AO § 247
Tatbestand
Der Bf. betreibt Diapositiv- und Filmwerbung in Lichtspieltheatern. In seiner Umsatzsteuererklärung für den Veranlagungszeitraum 1957 waren die Vorführgebühren für die Werbevorführungen in voller Höhe enthalten. Die Umsatzsteuer wurde durch förmlichen Bescheid entsprechend seiner Erklärung festgesetzt. In seinem Einspruch gegen diesen Bescheid machte der Bf. geltend, er sei Werbungsmittler im Sinne des § 53 UStDB und daher berechtigt, der Berechnung der Steuer lediglich die Vermittlungsgebühr zugrunde zu legen.
Das Finanzamt wies den Einspruch als unbegründet zurück und bezog sich dabei auf das zwischenzeitlich ergangene Urteil des Bundesfinanzhofs V 165/58 U vom 1. September 1960 (BStBl 1960 III S. 454, Slg. Bd. 71 S. 523). Die Einspruchsentscheidung wurde dem Bf. am 17. Oktober 1961 zugestellt.
Gegen die Einspruchsentscheidung legte der Bf. mit Schriftsatz vom 23. Dezember 1961 - beim Finanzamt eingegangen am 29. Dezember 1961 - Berufung ein. Er machte geltend, daß eine andere Werbefirma in einem gleichgelagerten Fall Rb. eingelegt habe. In diesem Streitfall werde das Urteil des Bundesfinanzhofs V 165/58 U (a. a. O.) bekämpft. Dieses Verfahren werde als Musterprozeß seiner Branche betrieben; er sei deshalb nach § 247 Satz 1 AO berechtigt, sich diesem Rechtsmittel anzuschließen; die Rechtsmittelfrist brauche gemäß § 247 Satz 2 AO von ihm nicht eingehalten zu werden.
Die Berufung wurde wegen Versäumung der Rechtsmittelfrist als unzulässig verworfen.
Entscheidungsgründe
Auch die Rb. kann keinen Erfolg haben.
Der Bf. verkennt die Bedeutung des § 247 AO, wie das Finanzgericht zutreffend ausgeführt hat. Unter "anderer Seite" im Sinne des § 247 Satz 1 AO kann nur die Gegenseite verstanden werden, wie schon der Reichsfinanzhof im Urteil II A 106/22 vom 16. Juni 1922 (Slg. Bd. 9 S. 349) entschieden hat (ebenso Becker, Die Reichsabgabenordnung, 7. Auflage, § 232, Anm. 1; Hübschmann in Hübschmann-Hepp-Spitaler u. a., Kommentar zur Reichsabgabenordnung, § 247). Es besteht keinerlei Anlaß, einer Partei, die eine Entscheidung gegen sich hat rechtskräftig werden lassen, die Möglichkeit zu geben, gegen diese Entscheidung noch nachträglich vorzugehen, wenn, wie im Streitfall, ein am Rechtsstreit des Bf. unbeteiligter Dritter in eigener Sache ein Rechtsmittel eingelegt hat. Der Bf. hätte die Möglichkeit gehabt, alles, was zu seinen Gunsten spricht, durch Einlegung eines eigenen Rechtsmittels geltend zu machen, oder er hätte, nachdem er das weitere Rechtsmittel der Berufung eingelegt und damit die Rechtskraft der gegen ihn ergangenen Einspruchsentscheidung verhindert hat, beantragen können, die Entscheidung über seine Berufung bis zum Ergehen eines Urteils im Musterprozeß auszusetzen.
Bei dieser klaren Rechtslage können die von der Vorinstanz weiterhin erörterten Fragen offen bleiben. Da die Vorinstanz auch die Möglichkeit, Nachsicht zu gewähren, von Amts wegen geprüft und zutreffend verneint hat, war die Rb. als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 411474 |
BStBl III 1965, 102 |
BFHE 1965, 285 |
BFHE 81, 285 |