Entscheidungsstichwort (Thema)
Sonstiges Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Zur rechtlichen Würdigung der Pauschbeträge nach § 33 a Abs. 6 EStG.
Die übertragung des Körperbehinderten-Pauschbetrages auf andere als die im § 65 Abs. 5 EStDV genannten Steuerpflichtigen ist nicht statthaft.
Normenkette
GG Art. 20 Abs. 3, Art. 80/1; EStG § 33a/6; EStDV § 65 Abs. 5
Tatbestand
Zum Haushalt des Steuerpflichtigen gehörte in den Jahren 1960 bis 1961 seine mittellose Großmutter. Nach einer Bescheinigung des Gesundheitsamtes war sie seit 1956 infolge eines Unfalls ständig auf fremde Hilfe und Wartung angewiesen. Bei der Veranlagung des Steuerpflichtigen für die Streitjahre setzte das Finanzamt wegen des Unterhalts der Großmutter gemäß § 33 a EStG einen Freibetrag von 900 DM ab, lehnte es aber ab, dem Steuerpflichtigen darüber hinaus den für die Großmutter nach § 65 Abs. 1 letzter Satz EStDV in Betracht kommenden Pauschbetrag von 3.900 DM zu gewähren.
Die Berufung des Steuerpflichtigen hatte Erfolg. In seiner in den "Entscheidungen der Finanzgerichte" (EFG) 1965 S. 382 veröffentlichten Entscheidung führte das Finanzgericht aus: § 65 Abs. 5 EStDV spreche zwar nur von der übertragung des Pauschbetrages vom Kind auf die Eltern. Doch sei der Körperbehinderten-Pauschbetrag kein höchstpersönlicher Freibetrag. Auch die ursprüngliche Anknüpfung des § 65 Abs. 5 EStDV an die Zusammenveranlagung von Eltern und Kindern sei durch die Nichtigerklärung des § 27 EStG gegenstandslos geworden. Die steuerliche Gerechtigkeit verlange eine über den Wortlaut des § 65 Abs. 5 EStDV hinausgehende übertragbarkeit. Es sei nicht einzusehen, warum der Pauschbetrag den Eltern körperbehinderter Kinder gewährt werde, nicht aber nach dem Tod der Eltern anderen Angehörigen, die wie die Eltern die Pflege übernähmen.
Entscheidungsgründe
Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Durch das Gesetz zur Neuordnung von Steuern vom 16. Dezember 1954 (BStBl 1954 I S. 575) wurde für die steuerliche Behandlung einer Gruppe von häufig vorkommenden außergewöhnlichen Belastungen eine Sonderregelung in § 33 a EStG geschaffen. Darunter fällt nach § 33 a Abs. 1 EStG die Gewährung von Unterhalt an Personen, für die der Steuerpflichtige keine Kinderermäßigung erhält. In typisierender Weise hat der Gesetzgeber in diesen Fällen die außergewöhnliche Belastung auf einen festen Betrag bestimmt. Es handelt sich um eine gegenüber § 33 EStG abschließende Regelung (ß 33 a Abs. 5 EStG), die allerdings nur den gewöhnlichen Unterhalt betrifft. Für außergewöhnliche Aufwendungen, z. B. infolge von Krankheit, kann außerhalb des § 33 a EStG eine Steuerermäßigung nach § 33 EStG gewährt werden. Siehe dazu die Entscheidungen des Senats VI 148/59 U vom 2. Dezember 1960 (BStBl 1961 III S. 76, Slg. Bd. 72 S. 200); VI 273/62 U vom 17. Mai 1963 (BStBl 1963 III S. 367, Slg. Bd. 77 S. 164); VI 175/56 U vom 25. Oktober 1957 (BStBl 1957 III S. 444, Slg. Bd. 65 S. 546); VI 182/60 U vom 10. Februar 1961 (BStBl 1961 III S. 160, Slg. Bd. 72 S. 436). Dem Steuerpflichtigen sind die ihm danach zustehenden Beträge von je 900 DM nach § 33 a Abs. 1 EStG gewährt worden. Besondere Krankheitskosten für die Großmutter hatte er nicht geltend gemacht. Damit ist die außergewöhnliche Belastung des Steuerpflichtigen durch den Unterhalt der Großmutter für die Streitjahre dem Gesetz entsprechend berücksichtigt.
Eine übertragung der Pauschbeträge für Körperbehinderte des § 65 EStDV in dem Umfang, wie das Finanzgericht meint, ist nicht möglich. Die übertragung kann nur auf Grund einer besonderen Rechtsnorm stattfinden. Bei einer gesetzlich vorgesehenen Zusammenveranlagung des Körperbehinderten mit seinem Ehegatten oder mit seinen Eltern bedarf es keiner besonderen Norm. Die Zusammenveranlagung führt, wenn auch die Einkünfte solche der zusammenveranlagten Personen bleiben, zu einer einheitlichen Ermittlung des Einkommens, wie der Senat für die früher vorgesehene Zusammenveranlagung von Eltern und Kindern in der Entscheidung VI 17/58 U vom 18. April 1958 (BStBl 1958 III S. 294, Slg. Bd. 67 S. 56) ausgeführt hat. ähnliches hat für die Zusammenveranlagung von Ehegatten der IV. Senat im Urteil IV 411/56 U vom 19. Juli 1956 (BStBl 1956 III S. 282, Slg. Bd. 63 S. 220) entschieden. Es ist deshalb nur eine Folge der Zusammenveranlagung und nicht etwa einer "übertragung" im engeren Sinn, daß der Pauschbetrag auch den anderen an der Zusammenveranlagung beteiligten Personen zugute kommt, auch wenn der Beteiligte, dem der Pauschsatz im § 65 EStDV zugedacht ist, kein steuerpflichtiges Einkommen hat.
Eine solche Ausnahme von der Nichtübertragbarkeit enthält jedoch § 65 Abs. 5 EStDV. Danach wird der Pauschsatz auf einen anderen Steuerpflichtigen übertragen, wenn diesem nach § 32 Abs. 2 Ziff. 2 EStG für den Körperbehinderten ein Kinderfreibetrag gewährt wird, obwohl schon nach dem früheren Gesetz eine Zusammenveranlagung mit dem Kind nicht stattfand (ß 27 Abs. 1 EStG 1960/61). Es kann dahingestellt bleiben, ob § 65 Abs. 5 EStDV eine einwandfreie gesetzliche Grundlage im Sinne von Art. 80 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) hat oder gehabt hat. Jedenfalls gilt die Vorschrift nur als Ausnahme für das Eltern-Kind-Verhältnis. Diese Ausnahme können die Gerichte nicht entgegen ihrem eindeutigen Wortlaut auf andere Personen und Verhältnisse ausdehnen. Die Entscheidung des Finanzgerichts überschreitet die in Art. 20 Abs. 3 GG der Rechtsprechung gesetzten Grenzen der Rechtsauslegung und greift in die verfassungsmäßig der Gesetzgebung übertragene Aufgabe der Rechtsetzung ein.
Dazu tritt noch folgendes: Die Pauschbeträge mögen zwar großzügig festgesetzt sein. Sie sind aber nicht als Steuervergünstigung durch Freibeträge gedacht. Vielmehr geht der Gesetzgeber von der Tatsache aus, daß Körperbehinderte außergewöhnliche Belastungen haben und deshalb nach dem § 33 EStG einen Anspruch auf eine Steuerermäßigung haben. Erfahrungsgemäß macht die ziffernmäßige Feststellung der außergewöhnlichen Belastung in diesen Fällen Schwierigkeiten. § 33 a Abs. 6 EStG soll für den Körperbehinderten und das Finanzamt diese Schwierigkeiten erleichtern, indem die tatsächliche Belastung mit einem durch die Rechtsverordnung geschätzten Mindestbetrag, eben dem Pauschbetrag, angenommen wird. Die pauschale Regelung der tatsächlichen Ausgaben ist also eine Vereinfachung, an die der Steuerpflichtige übrigens nicht gebunden ist. Liegen die ihm aus der Körperbehinderung erwachsenen Aufwendungen höher als der Pauschbetrag, so kann er gemäß § 33 EStG die höheren Aufwendungen geltend machen (Entscheidungen des Bundesfinanzhofs IV 209/59 U vom 20. Januar 1961, BStBl 1961 III S. 207, Slg. Bd. 72 S. 566; IV 344/58 U vom 23. November 1961, BStBl 1962 III S. 123, Slg. Bd. 74 S. 321; VI 196/63 U vom 29. Oktober 1963, BStBl 1964 III S. 34, Slg. Bd. 78 S. 92). Hat danach der Pauschbetrag nur die Bedeutung einer Vereinfachungsmaßnahme bei der Feststellung des steuererheblichen Tatbestandes, dann ist es nicht möglich, ein vom Körperbehinderten selbst vermeintlich nicht ausgeschöpftes "Recht" auf einen anderen zu übertragen, der sich des Körperbehinderten annimmt. Die Ansprüche dieses anderen ergeben sich nur aus § 33 a Abs. 1 und allenfalls darüber hinaus aus § 33 EStG.
Die angefochtene Entscheidung, der eine andere Rechtsauffassung zugrunde liegt, wird aufgehoben und die Berufung des Steuerpflichtigen gegen die Einspruchsentscheidung vom 27. November 1963 als unbegründet zurückgewiesen.
Fundstellen
Haufe-Index 411896 |
BStBl III 1966, 112 |
BFHE 84, 308 |