Leitsatz (amtlich)
1. Ein Veräußerungsgeschäft im Sinne des § 17 EStG liegt auch vor, wenn dem Steuerpflichtigen die Anteile im Wege der Zwangsversteigerung entzogen werden.
2. Ein Veräußerungsgewinn nach § 17 EStG kann auch entstehen, wenn der Veräußerer nur kurze Zeit wesentlich beteiligt war.
2. Anschaffungskosten der Beteiligung sind die tatsächlichen Aufwendungen, die der Veräußerer für die Beteiligung gemacht hat bzw. nach § 53 EStDV der in eine DMEB einzustellende Wert, wenn die Anteile vor dem 21. Juni 1948 erworben worden sind.
Normenkette
EStG § 17; EStDV § 53
Tatbestand
Mit Vertrag vom Juni 1923 brachten die Eheleute S das ihnen je zur Hälfte gehörende Unternehmen mit Aktiven und Passiven in die gleichzeitig gegründete Firma "X-GmbH" ein. Gemäß § 5 des Gesellschaftsvertrages bedarf die Veräußerung von Gesellschaftsanteilen an andere Personen als Gesellschafter der Genehmigung der Gesellschaft. Die Geschäftsanteile übernahmen neben den bisherigen Firmeninhabern deren sechs Kinder, darunter der Revisionskläger (Steuerpflichtiger) S. jun. Am 21. Juni 1948 war der Steuerpflichtige an dem auf 420 000 DM umgestellten Stammkapital der Gesellschaft mit 84 000 DM, also mit 20 v. H. beteiligt. Im Jahre 1960 erwirkte die GmbH ein vollstreckbares Urteil gegen den Steuerpflichtigen und ließ im gleichen Jahr dessen Geschäftsanteil pfänden. Am 14. Oktober 1960 ordnete das Amtsgericht gemäß § 844 ZPO die Versteigerung des gepfändeten Geschäftsanteils an. Am 16. Juli 1962 wurde der Anteil versteigert. Erwerber waren die übrigen GmbH-Gesellschafter bzw. deren Ehegatten. Am 13. Juli 1962 (also drei Tage vor der Versteigerung) hatte F. S., eine Schwester des Steuerpflichtigen, diesem ihren Geschäftsanteil, der ebenfalls auf nominal 84 000 DM lautete, abgetreten. Dabei wurde die Gegenleistung nicht nach dem Wert des GmbH-Anteils, sondern nach den persönlichen Bedürfnissen der F. S. bestimmt. Im notariellen Abtretungsvertrag ist ausdrücklich darauf hingewiesen, daß eine Genehmigung durch die Gesellschaft nicht erforderlich sei, da es sich um eine Abtretung zwischen Gesellschaftern der GmbH handle. Im gleichen Vertrag wurde der soeben erworbene Anteil der Veräußerin zur Sicherung ihrer Ansprüche aus dem Abtretungsvertrag verpfändet. Die Gesellschaft betrieb nun den Ausschluß des Steuerpflichtigen im Prozeßweg. Der Rechtsstreit wurde im Vergleich vom 22. Januar 1963 beendet. Der Steuerpflichtige verpflichtete sich zur Übertragung des GmbH-Anteils an die Gesellschaft, die GmbH zu Gegenleistungen an den Steuerpflichtigen, seine Kinder und seine Schwester F. S.
Der Revisionsbeklagte (FA) hat die im Jahre 1962 erfolgte Versteigerung des Geschäftsanteils als steuerpflichtigen Veräußerungsgewinn angesehen und den Veräußerungsgewinn unter Berufung auf § 17 EStG mit dem ermäßigten Steuersatz des § 34 EStG zur Einkommensteuer herangezogen.
Die Revisionskläger (der Steuerpflichtige und seine Ehefrau) sind der Ansicht, bei einer dem Sinn des Gesetzes entsprechenden Auslegung des § 17 EStG könne diese Bestimmung im vorliegenden Fall nicht zur Anwendung kommen. Der Steuerpflichtige sei an der GmbH nur an wenigen Tagen zu mehr als 25 v. H., nämlich mit 40 v. H. beteiligt gewesen. Angesichts der Pfändung aus dem Jahre 1960 und des für die nächsten Tage bevorstehenden Versteigerungstermins habe der Steuerpflichtige die Vorteile seiner 25 v. H. übersteigenden Beteiligung nie ausnutzen können. So hätte z. B. der Kläger nie die ihm formal zustehenden 40 v. H. des Stammkapitals mit einem Paketzuschlag veräußern können. Die Veräußerung der ursprünglichen Beteiligung sei überhaupt nicht mehr ohne die Gläubiger möglich gewesen. Wirtschaftlich habe der Steuerpflichtige also nie eine wesentliche Beteiligung gehabt. Die von der Schwester F. S. erworbene Beteiligung sei nur Ersatz der eigenen früheren Beteiligung gewesen. Im Hinblick auf § 5 des Gesellschaftsvertrages habe der Steuerpflichtige, wenn er überhaupt in der Gesellschaft habe bleiben wollen, den Anteil der Schwester noch zu einer Zeit erwerben müssen, in welcher er rechtlich noch Gesellschafter war; denn einem Erwerb des Anteils von der Schwester nach dem Verlust des eigenen Anteils hätten sich die Gesellschafter mit Sicherheit widersetzt. Das gehe eindeutig aus der alsbald von der Gesellschaft erhobenen Ausschließungsklage hervor. Im übrigen müsse analog zu den zu § 23 EStG ergangenen Urteilen des BFH VI 82/61 U vom 29. Juni 1962 (BFH 75, 330, BStBl III 1962, 387) und VI 120/62 vom 22. November 1963 (HFR 1964, 157) angenommen werden, daß eine unter Zwang erfolgende Veräußerung dann keine Steuer auslöse, wenn sie wegen der alsbaldigen Anschaffung eines Ersatzwirtschaftsgutes nicht zu einer Gewinnverwirklichung geführt habe.
Wenn § 17 EStG zum Zuge komme, sei der Veräußerungsgewinn falsch berechnet. Ausgangswert sei der Teilwert der Beteiligung zu der Zeit, zu der eine wesentliche Beteiligung entstanden sei, das sei der Tag des Hinzuerwerbs des zweiten Anteils von 20 v. H. Da die veräußerte Beteiligung erst drei Tage vorher formal-rechtlich zu einer "wesentlichen Beteiligung" geworden sei, wären Einlagewert und Veräußerungserlös praktisch der gleiche Betrag; es sei nicht einzusehen, daß in diesen drei Tagen eine irgendwie ins Gewicht fallende Wertsteigerung eingetreten sei, nachdem die veräußerte Beteiligung dem Steuerpflichtigen schon länger als drei Jahre gehört habe.
Die Klage wurde vom FG als unbegründet zurückgewiesen. Mit der Revision beantragen die Revisionskläger, das Urteil des FG aufzuheben und die Einkommensteuer 1962 auf 0 DM festzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist unbegründet.
§ 17 EStG zählt zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb Gewinne, die sich bei der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft ergeben, wenn der Steuerpflichtige am Kapital der Gesellschaft wesentlich beteiligt war und die Anteile zum Privatvermögen gehörten. Daß der Steuerpflichtige im vorliegenden Falle im Zeitpunkt der Versteigerung des gepfändeten Geschäftsanteils wesentlich beteiligt war, wird nicht bestritten. Der Steuerpflichtige stimmt auch der Ansicht zu, daß es nicht darauf ankommt, wie lange die wesentliche Beteiligung bestanden hat. Er meint aber, unter Berufung auf die wirtschaftliche Betrachtungsweise - wie sie Abschnitt 35 EStR für die Rücklage für Ersatzbeschaffung bei Ausscheiden eines Wirtschaftsgutes durch höhere Gewalt vorschreibe - könne § 17 EStG nur angewandt werden, wenn er auch die Machtstellung eines mit 40 v. H. Beteiligten innegehabt habe. Er habe aber nie über eine wesentliche Beteiligung in diesem Sinne frei verfügen können; er habe auch nur eine unwesentliche Beteiligung erhalten, aber keine wesentliche Beteiligung innehaben wollen. Dieser Rechtsansicht vermag der Senat nicht zu folgen. Einer Auslegung des Sachverhalts (§ 1 Abs. 3 StAnpG) bedarf es hier nicht, da der Sachverhalt unstreitig ist und eindeutig feststeht. Ebensowenig führt die Auslegung des Gesetzes zu dem vom Steuerpflichtigen gewünschten Ergebnis. Daß der Wortlaut des Gesetzes den Klageantrag nicht deckt, hat der Steuerpflichtige zugestanden. Das Gericht müßte also gegen den Wortlaut des Gesetzes entscheiden, wenn es dem Vortrag des Steuerpflichtigen folgen wollte. Das ist im vorliegenden Falle aber nicht zulässig, denn die Gerichte sind nicht berechtigt, den Gesetzesbefehl aus Erwägungen, die in der Vorschrift keinen Ausdruck gefunden haben, im Ergebnis in abgeänderter Fassung anzuwenden (vgl. Urteil des BVerfG 2 BvH 2/52 vom 21. Mai 1952, BVerfGE 1, 299). Hiervon hat die Rechtsprechung nur Ausnahmen gemacht, wenn die Wortauslegung zu einem so sinnwidrigen Ergebnis führen würde, daß der Gesetzgeber es nicht gewollt haben konnte (vgl. BFH-Urteil VI 162/55 U vom 14. Februar 1958, BFH 66, 539, BStBl III 1958, 207). Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor. Nach dem Beschluß des BVerfG 2 BvL 3/66 und 2 BvR 701/64 vom 7. Oktober 1969 (HFR 1970, 37) hat der Gesetzgeber mit § 17 EStG von seiner "Freiheit zur Erschließung von Steuerquellen einen zulässigen Gebrauch gemacht", weil Veräußerungsgewinne aus Kapitalanteilen im Privatvermögen solchen aus Anteilen im Betriebsvermögen, die immer und voll besteuert werden, wirtschaftlich und rechtlich vergleichbar sind. Den Vorteil der Nichtbesteuerung von Anteilen im privaten Sektor will der Gesetzgeber nicht mehr in Kauf nehmen, wenn der Gesellschafter an der Kapitalgesellschaft wesentlich beteiligt ist. Gewinne aus der Veräußerung von wesentlichen Beteiligungen an einer Kapitalgesellschaft sollen zur Einkommensteuer herangezogen werden, um sie nicht günstiger zu behandeln als die Beteiligung an einem Personenunternehmen. Legt man dem § 17 EStG diese Bedeutung zugrunde, so ist es keineswegs sinnwidrig oder dem wirtschaftlichen Gehalt der Vorschrift widersprechend, wenn auch bei nur kurzer Dauer der wesentlichen Beteiligung § 17 EStG angewendet wird. Bei einer kurzen Besitzdauer der wesentlichen Beteiligung wird die Einflußmöglichkeit auf den Gang des Unternehmens immer gering sein. Auf die Einflußmöglichkeit und die freie Verfügbarkeit kommt es aber auch nicht an. Auch daß der Erwerb der 20 v. H. von der Schwester dazu diente, überhaupt Gesellschafter zu bleiben, kann nicht zu einer den unbestrittenen Tatsachen widersprechenden Beurteilung des Sachverhalts führen. Wie es zu dem Sachverhalt gekommen ist, ist kein Anlaß, ihn in veränderter Form der Beurteilung zugrunde zu legen.
Die Vorinstanz hat auch zutreffend begründet, daß die Entziehung des Anteils im Wege der Zwangsversteigerung die Steuerfreiheit des Veräußerungsgewinns nicht rechtfertigen kann. Infolgedessen tritt bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns der Erlös aus der Versteigerung an die Stelle des Veräußerungspreises. Es ist kein Grund einzusehen, den Versteigerungserlös anders zu behandeln als den Veräußerungspreis. Den Steuerpflichtigen kann auch nicht in der Ansicht gefolgt werden, als Anschaffungskosten sei der Teilwert der Anteile zu der Zeit anzusetzen, als aus der einfachen eine wesentliche Beteiligung wurde. § 17 Abs. 2 EStG spricht nur von "Anschaffungskosten"; wenn sich der Gesetzgeber eines solchen, im Einkommensteuerrecht häufig vorkommenden Begriffs bedient, so wird er ihn grundsätzlich in der üblichen Bedeutung verwenden. Allgemein sind unter Anschaffungskosten die tatsächlichen Aufwendungen zu verstehen, die der Veräußerer für die Anschaffung der Beteiligung gemacht hat. Im vorliegenden Falle lag der Erwerb der Beteiligung vor dem 21. Juni 1948, so daß gemäß § 53 EStDV die in eine DM-Eröffnungsbilanz einzustellenden Werte für die Berechnung des Veräußerungsgewinns maßgebend sind. Es besteht kein Anlaß, von dieser im Gesetz bzw. der EStDV eindeutig zum Ausdruck gekommenen Regelung abzugehen.
Fundstellen
Haufe-Index 68925 |
BStBl II 1970, 310 |
BFHE 1970, 30 |