Leitsatz (amtlich)
Arbeitslöhne, bei denen die auf sie entfallende Einkommensteuer nach dem Montageerlaß erlassen worden ist, bleiben bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage für die Berlin-Zulage nach § 28 Abs. 2 letzter Satz BerlinFG i. d. F. vom 21. Dezember 1974 außer Betracht.
Normenkette
BerlinFG i.d.F. des Änderungsgesetzes vom 21. Dezember 1974 § 28
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war im Streitjahr 1976 als Arbeitnehmer in Berlin tätig. In der Zeit vom 2. Juni 1976 bis 10. Oktober 1976 war er jedoch von seiner Arbeitgeberin zur Durchführung von Montagearbeiten in die Türkei entsandt worden. Mit der Türkei bestand zu dieser Zeit kein Doppelbesteuerungsabkommen (DBA).
Auf Antrag der Arbeitgeberin verzichtete der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) in Anwendung des sogenannten Montageerlasses (vgl. den Erlaß des Senators für Finanzen in Berlin vom 8. September 1975 III C 1-S 2379-1/75, Steuer- und Zollblatt Berlin -- StZBl. BIn. -- 1975, 1927) unter bestimmten Voraussetzungen auf den Abzug von Arbeitslohn für die Tätigkeit des Klägers in der Türkei. Der Kläger beantragte die Festsetzung einer Zulage nach § 28, § 29 Abs. 2 des Berlinförderungsgesetzes (BerlinFG) i. d. F. des Änderungsgesetzes vom 21. Dezember 1974 (BGBl I 1974, 3656, 3658) für den "Lohnabrechnungszeitraum vom 2. Juni 1976 bis 10. Oktober 1976". Das FA lehnte diesen Antrag ab und wies den gegen die Ablehnung erhobenen Einspruch als unbegründet zurück.
Das Finanzgericht (FG) hob die angefochtenen Entscheidungen auf. Es führte u. a. aus:
Die Berlin-Zulage sei zwar nicht für steuerfreie Einnahmen zu gewähren. Dem Kläger stehe die Zulage aber zu, weil der Montageerlaß keine sachliche Steuerbefreiung begründe. Der Erlaß beruhe auf § 34c Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes 1975 (EStG). Diese Vorschrift räume der Finanzverwaltung das Recht ein, die auf ausländische Einkünfte entfallende deutsche Einkommensteuer ganz oder zum Teil zu erlassen. Sie sei daher folgerichtig im v. Teil des EStG aufgeführt, der mit "Steuerermäßigungen" überschrieben sei. Eine Steuerermäßigung sei einer Steuerfreiheit nicht gleichzusetzen. Während nämlich bei steuerfreien Einnahmen eine Steuer gar nicht erst entstehe, setze der Erlaß einer Steuer voraus, daß diese zunächst entstanden, eine Steuerfreiheit also zu verneinen sei. Es entspreche dem Sinn und Zweck des § 28 BerlinFG, den Zuzug von Montagearbeitern nach Berlin (West) auch dann zu fördern, wenn diese zeitweilig im Ausland eingesetzt würden.
Anders sei allerdings die Rechtslage, wenn der Arbeitslohn für eine Tätigkeit im Ausland nicht nach dem Montageerlaß begünstigt, sondern nach einem DBA von der Einkommensteuer befreit sei. Die Zulage nach dem BerlinFG sei bei Anwendung eines DBA wegen der Steuerfreiheit zu versagen, während sie im Streitfall bei Anwendung des Motageerlasses zu gewähren sei. Diese Diskrepanz befriedige zwar nicht. Die Rechtsprechung könne die insoweit ersichtliche Lücke des Gesetzes aber nicht ausfüllen. Denn es stehe nicht fest, wie der Gesetzgeber die Lücke, wenn er sie erkannt hätte, unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung wirtschaftlich gleichliegender Fälle geschlossen hätte, ob er die Zulagebegünstigung nämlich für Arbeitnehmer, die unter den Montageerlaß fielen, ausgeschlossen oder aber die Zulagen beiden Gruppen von Arbeitnehmern gewährt hätte.
Das FA rügt mit der Revision die Verletzung des § 28 Abs. 2 letzter Satz BerlinFG. Zur Begründung führt es im wesentlichen aus:
Wegen der Zielsetzung des BerlinFG habe der Senator für Finanzen im Erlaß vom 30. Juni 1976 III C 1-S 1977 b-13/74 (StZBl. Bln. 1976, 1288) die im Gesetz erkennbare Lücke zu schließen versucht, indem er Arbeitnehmer bei Montagetätigkeiten im Ausland ohne Rücksicht darauf von der Berlin-Zulage ausgeschlossen habe, ob der Arbeitslohn durch die Anwendung eines DBA oder des Montageerlasses von der inländischen Besteuerung ausgenommen werde. Solange der Gesetzgeber keine Konsequenzen aus der Verschiedenartigkeit dieser Regelungen ziehe, sei die mit dem Erlaß erzielte Gleichstellung beider Gruppen von Arbeitnehmern die bessere Lösung.
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 BerlinFG erhalten Arbeitnehmer, denen Arbeitslohn für eine Beschäftigung in Berlin (West) aus einem gegenwärtigen Dienstverhältnis i. S. des § 23 Nr. 4 Buchst. a BerlinFG zufließt, eine Vergünstigung durch Gewährung von Zulagen. Nach § 28 Abs. 2 BerlinFG ist Bemessungsgrundlage für diese Zulage grundsätzlich der aus einem gegenwärtigen Dienstverhältnis bezogene Arbeitslohn des Lohnabrechnungszeitraumes. Dabei bleiben jedoch nach § 28 Abs. 2 letzter Satz BerlinFG steuerfreie Einnahmen mit Ausnahme der steuerfreien Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit außer Betracht.
Entgegen der Ansicht des FG sind steuerfreie Einnahmen in diesem Sinne auch die Arbeitslöhne, die nach dem Montageerlaß nicht besteuert werden.
Der auf der Ermächtigung des § 34c Abs. 3 EStG beruhende Montageerlaß beinhaltet zwar gemäß den zutreffenden Ausführungen des FG Anweisungen, die sich formell nicht mit einer Steuerbefreiung, sondern mit einer Steuerermäßigung befassen. Die Ermächtigungsvorschrift zu dieser Regelung befindet sich im V. Teil des EStG, der mit "Steuerermäßigung" überschrieben ist. Sie erteilt den obersten Finanzbehörden der Länder die Befugnis, mit Zustimmung des Bundesministers der Finanzen (BMF) die auf ausländische Einkünfte entfallende deutsche Einkommensteuer ganz oder zum Teil zu "erlassen" oder in einem Pauschbetrag festzusetzen, wenn dies aus volkswirtschaftlichen Gründen zweckmäßig oder die Anwendung des § 34c Abs. 1 EStG besonders schwierig ist. Wie das FG zu Recht hervorgehoben hat, setzt ein hiernach möglicher Erlaß von Steuern begrifflich die Entstehung einer Steuerschuld kraft Gesetzes voraus. Demgemäß bestimmt Abschn. I Abs. 1 des Montageerlasses, daß bei im Ausland tätigen unbeschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmern unter bestimmten Voraussetzungen "von der Besteuerung des Arbeitslohns abgesehen" wird, den die Arbeitnehmer aufgrund eines gegenwärtigen Dienstverhältnisses für eine Tätigkeit im Ausland erhalten.
Nach Ansicht des Senats kommt es hier jedoch nicht entscheidend auf den Wortlaut des § 28 Abs. 2 letzter Satz BerlinFG an. Der Senat ist der Überzeugung, daß dem Sinn und Zweck des § 28 Abs. 2 letzter Satz BerlinFG nur durch eine Auslegung Rechnung getragen werden kann, die es nicht für allein maßgeblich erachtet, ob ein Verzicht auf die Besteuerung formell durch eine Steuerbefreiung oder durch eine Steuerermäßigung auf null bewirkt wird. Der Gesetzgeber hat sich in § 28 Abs. 2 letzter Satz BerlinFG offensichtlich von dem Gedanken leiten lassen, daß Arbeitslohn grundsätzlich nicht doppelt begünstigt, auf steuerbefreiten Arbeitslohn also nicht noch eine Berlin-Zulage gewährt werden soll. Da bei Anwendung dieser Vorschrift -- wie bei allen Regelungen einer gewährenden Verwaltung (vgl. auch Tipke, Steuerrecht, 8. Aufl., S. 492) -- nicht so sehr am Wortlaut zu haften ist, ist im Streitfall entscheidend darauf abzustellen, ob sich eine Steuerermäßigung materiell wie eine Steuerbefreiung auswirkt. Das ist beim Verzicht auf die Lohnsteuer nach den Bestimmungen des Montageerlasses zu bejahen. Denn hier ist der begünstigte Arbeitslohn beim Lohnsteuer-Jahresausgleich und bei der Einkommensteuerveranlagung der Arbeitnehmer ebenso außer Betracht zu lassen, wie wenn er von vornherein kraft Gesetzes von der Lohnsteuer bzw. Einkommensteuer befreit worden wäre. So ist nach Abschn. I Abs. 5 des Montageerlasses als Arbeitslohn beim Lohnsteuer-Jahresausgleich oder bei der Einkommensteuerveranlagung nur der im Inland verdiente Arbeitslohn anzusetzen und es ist auf ihn bei der Durchführung des Lohnsteuer-Jahresausgleichs durch den Arbeitgeber die Jahreslohnsteuertabelle anzuwenden. Ferner ist ein auf der Lohnsteuerkarte eingetragener Jahresfreibetrag im Rahmen eines vom Arbeitgeber durchgeführten Lohnsteuer-Jahresausgleichs grundsätzlich vom Inlandslohn ungekürzt abzuziehen. Eine Aufteilung des Jahresfreibetrages auf die Inlandsund auf die Auslandstätigkeit hat der Arbeitgeber also nicht vorzunehmen.
Damit übereinstimmend hat der Senat im Urteil vom 18. Juli 1980 VI R 97/77 (BFHE 131, 339, BStBl II 1981, 16) den nach dem Montageerlaß begünstigten Arbeitslohn im Rahmen des § 10 Abs. 2 Nr. 2 EStG ebenfalls als "steuerfreie" Einnahme angesehen. Nach dieser Vorschrift sind die in § 10 Abs. 1 Nr. 2 und 3 EStG genannten Versicherungs- und Bausparkassenbeiträge nicht als Sonderausgaben abziehbar, wenn sie in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen stehen. Es erschien dem Senat auch in jener Entscheidung nicht mit dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift vereinbar, die Vorsorgeaufwendungen zum Abzug zuzulassen, wenn die damit im unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang stehenden Arbeitslöhne nach dem Montageerlaß bei der Einkommensteuerveranlagung nicht erfaßt werden. Denn der Gesetzgeber wollte in § 10 Abs. 2 Nr. 2 EStG -- ebenso wie hier nach § 28 Abs. 2 letzter Satz BerlinFG -- eine doppelte steuerliche Begünstigung verhindern. Aus den gleichen Gründen bestimmt der Montageerlaß in Abschn. I Abs. 5 Nr. 3 zu Recht, daß bei einem vom FA durchgeführten Lohnsteuer-Jahresausgleich und bei einer Einkommensteuerveranlagung hinsichtlich der Berücksichtigung von Werbungskosten § 3 c EStG anzuwenden ist.
Diese Auslegung widerspricht entgegen der Ansicht des Klägers nicht dem Umstand, daß der Gesetzgeber in § 28 Abs. 2 Satz 1 BerlinFG nähere Bestimmungen dazu getroffen hat, was als Besteuerungsgrundlage für die Berlin-Zulage anzusehen ist. Denn aus dieser Vorschrift sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß es bei den in § 28 Abs. 2 letzter Satz BerlinFG genannten "steuerfreien Einnahmen" allein auf die formelle Steuerbefreiung ankommt.
Die vorstehende Auslegung des § 28 Abs. 2 letzter Satz BerlinFG ist auch deshalb gerechtfertigt, weil kein Grund dafür ersichtlich ist, daß der Gesetzgeber Arbeitnehmer, deren Löhne unter den Montageerlaß fallen, bei der Gewährung der Berlin-Zulage hätte besserstellen wollen als Arbeitnehmer, die Montagearbeit in einem Land zu verrichten haben, mit dem ein DBA besteht, und deren Arbeitslohn nach dem DBA ggf. von der inländischen Einkommensteuer befreit ist. Denn es handelt sich insoweit um wirtschaftlich gleichliegende Sachverhalte. Unerheblich ist, daß die Steuerbefreiung nach den DBA im allgemeinen erst nach einer 183 Tage dauernden Abwesenheit im Ausland eintritt, während eine Steuervergünstigung nach dem Montageerlaß schon bei einer mehr als dreimonatigen Montagearbeit im Ausland gewährt wird. Denn maßgebend für die Anwendung des § 28 Abs. 2 letzter Satz BerlinFG ist allein der Umstand, daß nach dem Willen des Gesetzgebers keine Berlin-Zulage zu gewähren ist, wenn der Arbeitnehmer bereits materiell gesehen von der Einkommensteuer bzw. Lohnsteuer entsprechend den Voraussetzungen des DBA oder des Montageerlasses befreit worden ist. Dabei kommt es entgegen der Ansicht des Klägers nicht darauf an, daß mit der Berlin-Zulage einerseits und den Steuerbefreiungen nach den DBA und dem Montageerlaß andererseits unterschiedliche wirtschaftliche Ziele verfolgt werden. Bei dieser Interpretation der vorgenannten Vorschrift ist bezüglich dieser beiden Gruppen von Arbeitnehmern mithin keine Regelungslücke erkennbar, die von der Rechtsprechung zu schließen wäre.
Die Vorentscheidung ist aufzuheben, weil das FG von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist. Die Sache ist entscheidungsreif. Zwischen den Beteiligten besteht zwar Streit, ob dem Kläger für den Zeitraum vom 2. Juni bis 30. Juni 1976 die Zulage entsprechend der Übergangsregelung des Senators für Finanzen in Berlin im Erlaß vom 30. Juni 1976 (a. a. O.) belassen oder diese zurückgefordert wurde. Hierüber hat der Senat jedoch nicht zu befinden. Denn im vorliegenden Verfahren ist nur zu prüfen, ob das FA den Antrag auf Festsetzung einer Zulage nach §§ 28, 29 Abs. 2 BerlinFG zu Recht abgelehnt hat. Dies ist zu bejahen und die Klage deshalb abzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 74529 |
BStBl II 1983, 188 |
BFHE 1982, 335 |