Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Der Steuerpflichtige ist auch durch die Festsetzung einer zu niedrigen Steuer beschwert, wenn sich diese Festsetzung in späteren Veranlagungszeiträumen zuungunsten des Steuerpflichtigen auswirken kann (BFH-Urteil IV 129/61 vom 12. November 1964, HFR 1965 S. 283).
In diesen Fällen ist die mögliche Auswirkung auf die künftigen Veranlagungszeiträume bei der Bemessung des Streitwerts zu berücksichtigen.
Ein Darlehen nach § 7 c EStG kann nicht mit der Wirkung aus dem Betriebsvermögen entnommen werden, daß dadurch der Rückfluß eintritt und damit eine steuerpflichtige Betriebseinnahme entsteht.
Normenkette
AO § 232 Abs. 1, § 231; FGO § 140 Abs. 3, § 146 Abs. 1; EStG § 7c
Tatbestand
Der Ehemann der Revisionsbeklagten (Steuerpflichtigen - Stpfl. -) war Handelsvertreter. Er starb im April 1960. Nach den Vertreterverträgen, die er geschlossen hatte, erloschen die Vertretungen mit seinem Tode. Der Betrieb wurde daher nicht fortgeführt. Die Stpfl. zog die ausstehenden Forderungen ein und erfüllte bestehende Verbindlichkeiten. Sie veräußerte die zum Betriebsvermögen gehörenden Sachen (zwei PKW, geringwertige Wirtschaftsgüter und Inventar) und erzielte dafür einen Veräußerungsgewinn von 9.508 DM. Zum Vermögen ihres Mannes gehörten außerdem drei Darlehen nach § 7 c EStG in Höhe von insgesamt 35.000 DM, die im Dezember 1952, Dezember 1953 und Dezember 1954 gewährt wurden. Diese behandelte die Stpfl. in ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1960 als entnommen und beantragte für den Betrag der Entnahme und für den Veräußerungsgewinn, zusammen 44.508 DM, Steuerermäßigung nach § 34 Abs. 2 EStG.
Der Revisionskläger (Finanzamt - FA -) lehnte diesen Antrag ab. Er vertrat die Auffassung, daß die 7c-Forderungen nicht entnommen werden konnten, sondern notwendiges Betriebsvermögen blieben. Da somit nicht die wesentlichen Grundlagen des Betriebs veräußert worden seien, könne auch für den Veräußerungsgewinn von 9.508 DM der ermäßigte Steuersatz nach § 34 Abs. 2 EStG nicht angewandt werden.
Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Auf die Berufung hin änderte das Finanzgericht (FG) den Steuerbescheid und die Einspruchsentscheidung. Das FG hat die 7c- Forderungen als entnommen betrachtet. Da die gesamten 35.000 DM an den maßgeblichen Bilanzstichtag auf den 31. Dezember 1961 kündbar gewesen seien, sei der Betrag auf ein Jahr mit 8 % abzuzinsen. Der Teilwert der entnommenen Forderung betrage somit 32.200 DM. Auf diesen Betrag und auf den Veräußerungsgewinn von 9.508 DM hat das FG den ermäßigten Steuersatz nach § 34 Abs. 2 EStG angewandt.
Dagegen richtet sich die Rb. (Revision) des FA, das unter Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) IV 266/63 U vom 7. November 1963 (Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 77 S. 756 - BFH 77, 756 -, BStBl III 1963, 598) daran festhält, daß die 7c-Forderungen nicht entnommen werden konnten und daß daher auch im übrigen die Voraussetzungen für die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nach § 34 Abs. 2 EStG nicht erfüllt seien.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Einspruchsentscheidung wiederherzustellen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zulässig (§§ 232, 233 AO a. F., § 184 Abs. 2 Ziff. 2 FGO) und im wesentlichen begründet.
Zutreffend haben das FA und das FG eine Beschwer der Stpfl. bejaht, obgleich die Stpfl. für das Streitjahr eine höhere Einkommensteuer erstrebt, als sie im angefochtenen Bescheid festgesetzt ist. Denn auch die Festsetzung einer zu niedrigen Steuer kann nach § 232 Abs. 1 AO a. F. angefochten werden, wenn sie sich in späteren Veranlagungszeiträumen zuungunsten des Steuerpflichtigen auswirken kann (Urteil des BFH IV 129/61 vom 12. November 1964, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1965 S. 283). Diese Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt. Wenn die Stpfl. in dem Veranlagungszeitraum, in dem die 7c- Darlehen zurückbezahlt werden, gegen die Besteuerung des Rückflusses einwenden sollte, die Darlehen seien bereits im Jahr 1960 entnommen worden und damit zurückgeflossen, so könnte es ihr zum Nachteil gereichen, daß im Steuerbescheid für 1960 der Rückfluß nicht angenommen wurde und sie dies ohne Widerspruch hinnahm.
Der IV. Senat des BFH hat durch das Urteil IV 266/63 U, a. a. O., entschieden, daß die nach § 7 c EStG als Betriebsausgabe abgezogene Darlehnsforderung, solange nicht zwingende Gründe für eine andere Behandlung vorliegen, erst dann zu einer Gewinnerhöhung führt und damit steuerlich zu erfassen ist, wenn das Darlehen zurückgezahlt wird. Das kann bei einer Betriebsveräußerung, die sich nicht auf die Darlehnsforderungen erstreckt, und bei einer Betriebsaufgabe nur in der Weise geschehen, daß die 7c-Forderung zunächst weiter als Betriebsvermögen angesehen wird und erst jeweils die Rückzahlungen als laufende gewerbliche Einnahmen der Besteuerung unterworfen werden. Der Senat folgt - jedenfalls im Ergebnis - dieser Entscheidung. Nach § 7 c EStG 1953 konnten Steuerpflichtige unverzinsliche Darlehen unter bestimmten Voraussetzungen als Betriebsausgaben abziehen. Nach § 7 c Abs. 6 EStG 1953 und bei den vor dem 1. Juni 1953 hingegebenen Darlehen nach § 11 f. EStDV 1953 stellen Beträge, die zur Tilgung von abzugsfähigen Darlehen gezahlt werden, beim Darlehnsgeber Betriebseinnahmen dar. Der Rückzahlung werden bestimmte andere Vorgänge (z. B. die Abtretung), die im wirtschaftlichen Ergebnis beim Darlehnsgeber zu einer Tilgung des Darlehens führen, gleichgestellt (vgl. auch BFH- Urteil I 222/65 vom 21. Juni 1966, BFH 86, 366, BStBl III 1966, 538). Dazu gehört aber nicht die Entnahme. Dieser kann daher die steuerliche Wirkung eines Rückflusses des 7c-Darlehens nicht beigelegt werden. Betriebseinnahmen entstehen vielmehr nach den angeführten gesetzlichen Vorschriften erst dann, wenn das Darlehen getilgt wird. Das bedeutet für den Fall einer Betriebsaufgabe oder Betriebsveräußerung, bei der das 7c-Darlehen zurückbehalten wird, daß im Jahr der Tilgung nachträgliche Einkünfte aus Gewerbebetrieb im Sinne des § 24 Ziff. 2 EStG anfallen, und zwar auch dann, wenn sie - wie im Streitfall - dem Stpfl. als Rechtsnachfolger zufließen. Für diese Einkünfte gilt kein ermäßigter Steuersatz.
Nimmt man mit dem IV. Senat in dem Urteil IV 266/63 U, a. a. O., an, daß die 7c-Darlehen notwendiges Betriebsvermögen darstellen, so handelt es sich doch nur um eine aus den gesetzlichen Vorschriften über 7c-Darlehen gewonnene Fiktion, die lediglich die zutreffende steuerliche Behandlung dieser Darlehen gewährleisten soll. Wegen dieses begrenzten Zweckes der Zurechnung der 7c- Darlehen zum notwendigen Betriebsvermögen kann auf diese allein die Feststellung nicht gestützt werden, die Stpfl. habe bei der Aufgabe des Betriebs ihres verstorbenen Ehemannes wesentliche Teile des Betriebsvermögens (die 7c-Darlehen) nicht entnommen, eine Betriebsaufgabe liege daher nicht vor. Der Veräußerungsgewinn von 9.508 DM ist daher nach § 16 Abs. 1, 3, 4 EStG 1960 steuerbegünstigt und bleibt steuerfrei, da er die Freigrenze von 10.000 DM nicht übersteigt. Dagegen bleiben die 7c-Darlehen bei der Veranlagung für das Streitjahr außer Betracht. Die Einkommensteuer ist daher für das Jahr 1960 wie folgt neu festzusetzen:
zu versteuernder Einkommensbetrag laut Steuerbescheid vom 30. Januar 1962 -------- 13.866 DM davon steuerfreier Veräußerungsgewinn ----- 9.508 DM nach der Tabelle zu versteuern ------------- 4.358 DM Einkommensteuer nach Tabelle (Splitting) ----- 192 DM.Die Steuerfreiheit für den Veräußerungsgewinn von 9.508 DM kann der Stpfl. ohne Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO gewährt werden. Ihr Begehren ist zwar in erster Linie darauf gerichtet, die Entnahme der 7c-Forderungen anzuerkennen und dann den ganzen bei der Betriebsaufgabe erzielten Gewinn dem ermäßigten Steuersatz zu unterwerfen. Bei verständiger Würdigung muß jedoch das Vorbringen der Stpfl. so verstanden werden, daß sie für den Fall, daß die Entnahme der 7c-Darlehen nicht für möglich gehalten wird, wenigstens die steuerliche Vergünstigung für den verbleibenden Veräußerungsgewinn in Anspruch nehmen will.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 FGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 140 Abs. 3, § 146 Abs. 1 FGO. Im allgemeinen haben zwar die Auswirkungen des Rechtsstreits auf spätere Veranlagungszeiträume keinen Einfluß auf die Höhe des Streitwerts (BFH-Urteile VI 195/56 U vom 24. Januar 1958, BFH 66, 318, BStBl III 1958, 122; VI 127/58 U vom 8. August 1958, BFH 67, 293, BStBl III 1958, 385). Eine andere Beurteilung hält aber der Senat dann für geboten, wenn, wie im Streitfall, die Beschwer des Steuerpflichtigen, der den Steuerbescheid anficht, allein darin liegt, daß die Sachbehandlung des angefochtenen Bescheids, die dem Steuerpflichtigen an sich günstig ist, für spätere Veranlagungszeiträume nachteilig sein kann.
Fundstellen
Haufe-Index 412424 |
BStBl III 1967, 215 |
BFHE 1967, 431 |
BFHE 87, 433 |