Entscheidungsstichwort (Thema)
Gemeinschaftsrechtswidriger Tabaksteuersatz für Zigarillos; steuererhaltende richtlinienkonforme Auslegung
Leitsatz (amtlich)
1. Die nach dem Urteil des EuGH vom 15. Juni 2000 Rs. C-365/98 (EuGHE 2000, I-4619) hinsichtlich des Steuersatzes für Zigarren/Zigarillos gemeinschaftsrechtswidrige Norm des § 4 Abs. 1 Nr. 2 TabStG i.d.F. von Art. 1 des Verbrauchsteuer-Binnenmarktgesetzes vom 21. Dezember 1992 ist konform der Richtlinie 92/80/EWG in dem Sinne steuererhaltend auszulegen, dass allein die reine Ad-Valorem-Komponente dieses Steuersatzes (5 v.H. des Kleinverkaufspreises) für die Besteuerung maßgeblich ist; die den Ad-Valorem-Satz modifizierende Mindestbetragsregelung ("mindestens 3,1 Pf je Stück") darf nicht angewendet werden.
2. Das Fehlen eines subjektiven Anspruchs des Steuerpflichtigen auf Anwendung allein der Ad-Valorem-Komponente des Steuersatzes schließt es nicht aus, dass eine richtlinienkonforme Auslegung der nationalen Steuervorschrift gerade zu diesem Ergebnis führt.
3. Ist einer gemeinschaftsrechtswidrigen Norm, um das mit einer Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen, gleichwohl im Wege gemeinschaftsfreundlicher richtlinienkonformer Auslegung ein Anwendungsbereich beizumessen, so können die üblichen Auslegungskriterien nur dann berücksichtigt werden, wenn sie auch im Wortlaut oder in den Zielen der entsprechenden Richtlinie zum Ausdruck kommen.
Normenkette
TabStG § 4 Abs. 1 Nr. 2; EG Art. 10, 249 Abs. 3; EWGRL 80/92 Art. 3 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) hatte für die Entnahme von Zigarillos aus ihrem Steuerlager im Zeitraum vom 1. August 1996 bis zum 16. Juli 1997 bei dem Beklagten und Revisionskläger (Hauptzollamt ―HZA―) zahlreiche Steueranmeldungen unter Anwendung des Steuersatzes gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 2 des Tabaksteuergesetzes (TabStG) i.d.F. von Art. 1 des Verbrauchsteuer-Binnenmarktgesetzes vom 21. Dezember 1992 (BGBl I, 2150) abgegeben ("5 vom Hundert des Kleinverkaufspreises, mindestens 3,1 Pf je Stück"). Gegen ihre Steueranmeldungen legte die Klägerin jeweils Einspruch ein, wobei sie im Wesentlichen vorbrachte, der Mindeststeuersatz von 3,1 Pf je Stück sei in der maßgeblichen Richtlinie 92/80/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 zur Annäherung der Verbrauchsteuern auf andere Tabakwaren als Zigaretten ―RL 92/80― (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften ―ABlEG― Nr. L 316/10) nicht vorgesehen; es dürfe nur ein Ad-Valorem-Steuersatz angewendet werden. Nach erfolglosen Einspruchsverfahren erhob die Klägerin Klage vor dem Finanzgericht (FG) mit dem Antrag, die betreffenden Steueranmeldungen aufzuheben, soweit damit die Tabaksteuer unter Anwendung des Mindeststeuersatzes von 3,1 Pf je Stück berechnet worden ist.
Das FG gab der Klage statt. Dabei stützte es sich auf das in einem Parallelverfahren eingeholte Vorabentscheidungsurteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 15. Juni 2000 Rs. C-365/98 ―Brinkmann― (EuGHE 2000, I-4619, Zeitschrift für Zölle + Verbrauchsteuern ―ZfZ― 2000, 303). Darin hatte der EuGH erkannt, dass der in § 4 Abs. 1 Nr. 2 TabStG geregelte Steuertarif für Zigarren und Zigarillos gegen Art. 3 Abs. 1 RL 92/80 verstößt. Dem EuGH-Urteil entsprechend habe die Klägerin zwar keinen Anspruch darauf, dass aus dem vom nationalen Gesetzgeber in § 4 Abs. 1 Nr. 2 TabStG gewählten, aber nach Gemeinschaftsrecht unzulässigen Besteuerungsmodell eines Ad-Valorem-Steuersatzes, der aber einen Mindestbetrag nicht unterschreiten darf, unter Außerachtlassung der spezifischen Mindeststeuer von 3,1 Pf je Stück allein der Ad-Valorem-Steuersatz in Höhe von 5 v.H. des Kleinverkaufspreises auf die von ihr hergestellten Zigarillos zur Anwendung komme. Eine richtlinienkonforme Auslegung dieser Vorschrift führe aber gerade zu diesem und zu keinem anderen Ergebnis. Dabei sei § 4 Abs. 1 Nr. 2 TabStG allein entsprechend dem Wortlaut und dem Zweck der RL 92/80 auszulegen; auf die Absichten des nationalen Gesetzgebers, der nach den Gesetzesmotiven dem spezifischen Steuersatz wohl eine größere Bedeutung beigemessen habe als dem Ad-Valorem-Steuersatz, und auf die größere fiskalische Bedeutung des spezifischen Mindeststeuersatzes dürfe nicht abgestellt werden. Zweck der Richtlinie sei es, zur Verwirklichung des Binnenmarktes eine Mindestverbrauchsteuer für Zigarren und Zigarillos vorzuschreiben. Die Höhe dieser Mindestverbrauchsteuer sei "nach oben hin" nicht festgelegt worden. Ferner seien die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet gewesen, unter den in Art. 3 RL 92/80 zur Wahl gestellten Steuersätzen den jeweils höheren anzuwenden. Dem Zweck der RL 92/80 werde daher bereits dadurch entsprochen, dass lediglich der Ad-Valorem-Steuersatz von 5 v.H. des Kleinverkaufspreises angewandt werde. Dieser Steuersatz erfülle auch die in Art. 3 Abs. 1 Anstrich 3 Unteranstrich 1 RL 92/80 festgelegte Mindesthöhe.
Gegen dieses Urteil des FG richtet sich die Revision des HZA. Es rügt die Verletzung des § 4 Abs. 1 Nr. 2 TabStG. Bei der vom EuGH aufgegebenen Auslegung nach dem Wortlaut und dem Zweck der Richtlinie habe das FG zu Unrecht den Willen des nationalen Gesetzgebers außer Acht gelassen. Aus dem historischen Kontext der Versteuerung von Zigarren/Zigarillos in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) ergebe sich klar, dass die Stückversteuerung die Hauptversteuerungsart sein solle, denn über 77 v.H. der Steuereinnahmen bei dieser Tabakart entfielen auf die Niedrigpreisware unter 62 Pf/Stück. Somit sei es der eindeutige gesetzgeberische Wille gewesen, für das Gros der zu versteuernden Zigarren/Zigarillos einen Steuerbetrag von mehr als 5 v.H. des Kleinverkaufspreises zu erheben. Dies hätte das FG bei der Auslegung der Vorschrift berücksichtigen müssen. Eine Gesetzesauslegung finde nämlich immer dort ihre Grenze, wo sie gegen den Willen des Gesetzgebers den Gehalt einer Bestimmung ins Gegenteil verkehre, wie es durch das angefochtene Urteil geschehen sei.
Entscheidungsgründe
1. Die Revision des HZA ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Das FG hat im Ergebnis zutreffend entschieden, dass die streitgegenständlichen Zigarillos mit dem Ad-Valorem-Steuersatz in Höhe von 5 v.H. des Kleinverkaufspreises zu besteuern sind. Eine Anwendung des spezifischen Mindeststeuersatzes von 3,1 Pf/Stück kommt nicht in Betracht.
a) Nach der vom FG in Bezug genommenen Vorabentscheidung des EuGH vom 15. Juni 2000 (EuGHE 2000, I-4619), die hinsichtlich ihrer autoritativen Auslegung des Gemeinschaftsrechts auch den erkennenden Senat bindet, steht fest, dass § 4 Abs. 1 Nr. 2 TabStG gemeinschaftsrechtswidrig ist, weil er für Zigarren und Zigarillos ein Besteuerungsmodell vorschreibt, das in Art. 3 Abs. 1 RL 92/80 nicht vorgesehen ist (Abs. 27 bis 29 der Gründe). Die Erhebung einer Tabaksteuer auf die streitgegenständlichen Zigarillos, die nach dem Wert berechnet wird ("5 vom Hundert des Kleinverkaufspreises"), dabei aber einen Mindestbetrag ("mindestens 3,1 Pf je Stück") nicht unterschreiten darf, ist hiernach ausgeschlossen. Hierauf kann sich auch die Klägerin in diesem Verfahren unmittelbar berufen (vgl. Abs. 33 der Gründe). Ohne Bedeutung ist es dabei, dass das Gemeinschaftsrecht später geändert worden ist und mit Wirkung ab 1. Januar 1999 auch ein Besteuerungsmodell wie dasjenige des § 4 Abs. 1 Nr. 2 TabStG zulässig geworden ist (vgl. Art. 3 Abs. 1 RL 92/80 i.d.F. der Richtlinie 1999/81/EG des Rates vom 29. Juli 1999 zur Änderung u.a. der Richtlinie 92/80/EWG zur Annäherung der Verbrauchsteuern auf andere Tabakwaren als Zigaretten, ABlEG Nr. L 211/47), denn eine Rückwirkung dieser Regelung ist in der Richtlinie nicht vorgesehen. Gleichzeitig verbietet es sich für den Senat, die Frage nach der Sinnhaftigkeit der einen oder der anderen Regelung zu stellen.
b) Zu welcher Rechtsfolge die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit der Norm im Hinblick auf die Besteuerung der Zigarillos in der Bundesrepublik führt, hat der EuGH nicht unmittelbar entschieden. Er hat jedoch sehr deutlich gemacht, dass die hiernach durchaus in Frage kommende Nichtbesteuerung der Zigarillos keine mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbare Lösung des Problems darstellt. Er hat auf die sich aus Art. 10 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft i.d.F. des Vertrags von Amsterdam (EG) für alle Träger öffentlicher Gewalt in den Mitgliedstaaten, also auch für die Gerichte, ergebende Verpflichtung zu gemeinschaftsfreundlichem Verhalten hingewiesen, insbesondere auf die Verpflichtung, das mit einer Richtlinie verfolgte Ziel mit allen geeigneten Maßnahmen zu erreichen und somit Art. 249 Abs. 3 EG (Art. 189 Abs. 3 EG a.F.) nachzukommen (Abs. 40 der Gründe). Ziel der RL 92/80 war es, im Hinblick auf die Schaffung des Binnenmarktes zum 1. Januar 1993 eine gemeinschaftsweit harmonisierte Mindestverbrauchsteuer für derselben Gruppe von Tabakwaren (außer Zigaretten) angehörenden Erzeugnissen festzulegen (vgl. den dritten und vierten Erwägungsgrund der Richtlinie). Im Hinblick darauf und auf die in Art. 3 der Richtlinie vorgegebenen Steuersätze entspricht eine Nichtbesteuerung nicht dem Ziel der Richtlinie.
c) Es bleibt daher nichts anderes übrig, als das gemeinschaftsrechtswidrige Besteuerungsmodell des § 4 Abs. 1 Nr. 2 TabStG steuererhaltend auszulegen. Dabei ist die Auslegung nach den Vorgaben des EuGH "soweit wie möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie" auszurichten, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen (Abs. 40 der Gründe).
aa) Das FG hat sich die richtlinienkonforme Auslegung des § 4 Abs. 1 Nr. 2 TabStG unnötig erschwert, weil es zu Unrecht davon ausgegangen ist, dass diese Vorschrift zwei Steuersätze (einen Ad-Valorem-Steuersatz von 5 v.H. des Kleinverkaufspreises und einen spezifischen Steuersatz von mindestens 3,1 Pf je Stück) enthält. Mit der Formulierung "5 vom Hundert des Kleinverkaufspreises, mindestens 3,1 Pf je Stück" wird nämlich lediglich ein Ad-Valorem-Steuersatz festgelegt, dessen Anwendung allerdings eine Vergleichsberechnung verlangt. In einem ersten Schritt sind die 5 v.H. des Kleinverkaufspreises zu berechnen und ―bei einer Verkaufspackung― ggf. auf das Stück umzulegen (Betrag 1); in einem zweiten Schritt ist der so ermittelte Betrag mit der spezifischen Komponente von 3,1 Pf je Stück (Betrag 2) zu vergleichen. Ist der Betrag 1 gleich oder höher als der Betrag 2, ist Betrag 1 der zu erhebende Steuerbetrag (reine Anwendung des Ad-Valorem-Steuersatzes); ist der Betrag 1 hingegen niedriger, kommt der Betrag 2, also allein die spezifische Komponente von 3,1 Pf je Stück, zur Anwendung, dies allerdings, wie die Erforderlichkeit der Vergleichsberechnung deutlich macht, im Rahmen der Anwendung oder unter dem Mantel des Ad-Valorem-Steuersatzes (modifizierte Anwendung des Ad-Valorem-Steuersatzes als Mindestbetragsberechnung). Diese besondere Art eines Ad-Valorem-Steuersatzes ist im Übrigen auch im internationalen Rahmen bekannt, denn dieses Besteuerungsmodell kam bereits in den GATT-Zollsenkungsrunden mit den sog. konsolidierten Zollsätzen (dort allerdings regelmäßig mit einer Höchstbetragsberechnung) zur Anwendung.
Ist der vom Gesetzgeber in § 4 Abs. 1 Nr. 2 TabStG vorgeschriebene Steuersatz aber seiner Natur nach ein Ad-Valorem-Steuersatz, so folgt hieraus zwangsläufig, dass sich der Gesetzgeber damit im Ansatz auf ein Besteuerungsmodell festgelegt hat, welches der Gemeinschaftsgesetzgeber in Art. 3 Abs. 1 erster Gedankenstrich der RL 92/80 den Mitgliedstaaten zur Auswahl angeboten hat. Denn von den drei in Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie angebotenen Arten von Steuersätzen scheiden sowohl eine spezifische Verbrauchsteuer nach der Menge (Art. 3 Abs. 1 zweiter Gedankenstrich) als auch eine gemischte Verbrauchsteuer mit einem Ad-Valorem-Anteil und ―d.h. zuzüglich (vgl. Abs. 25 der Gründe der Vorabentscheidung)― einem spezifischen Anteil (Art. 3 Abs. 1 dritter Gedankenstrich) von vornherein aus.
Ferner ist festzustellen, dass auch die Höhe des in § 4 Abs. 1 Nr. 2 TabStG enthaltenen Steuersatzes dem in Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie vorgeschriebenen Mindestprozentsatz von "5 % des Kleinverkaufspreises einschließlich sämtlicher Steuern" entspricht. Dabei geht der Senat davon aus, dass sich die in Art. 3 Abs. 1 RL 92/80 festgelegten Mindestprozentsätze oder -beträge nicht nur auf das im dritten Gedankenstrich enthaltene Besteuerungsmodell der gemischten Verbrauchsteuer beziehen (wie die äußere Gliederung der Vorschrift nahe legen könnte), sondern auf alle drei in Art. 3 Abs. 1 RL 92/80 zur Wahl gestellten Besteuerungsmodelle, denn nur ein solches Verständnis der Vorschrift gewährleistet im Einklang mit dem 5. Erwägungsgrund der Richtlinie die Erreichung einer gemeinschaftsweiten Mindestbesteuerung für andere Tabakwaren als Zigaretten.
Der Ad-Valorem-Steuersatz in § 4 Abs. 1 Nr. 2 TabStG entspricht somit dem Grunde und auch der Höhe nach dem Wortlaut der Richtlinie. Nicht richtlinienkonform ist dabei freilich die Komponente eines Mindestbetrags, welcher bei der Anwendung des Steuersatzes von 5 v.H. nicht unterschritten werden darf, denn das Gemeinschaftsrecht sieht beim Ad-Valorem-Steuersatz gemäß Art. 3 Abs. 1 erster Gedankenstrich RL 92/80 eine solche Einschränkung nicht vor. Diese Komponente darf daher bei der Besteuerung im Rahmen der Anwendung des Ad-Valorem-Steuersatzes nicht zur Anwendung kommen. Damit verbleibt es bei der Anwendung des Ad-Valorem-Steuersatzes von 5 v.H. des Kleinverkaufspreises.
bb) Auch dem Zweck der Richtlinie wird bereits dadurch entsprochen, dass der Ad-Valorem-Steuersatz ohne Einschränkung zur Anwendung kommt. Ziel der Richtlinie ist es allein, zur Verwirklichung des Binnenmarktes eine harmonisierte Mindestverbrauchsbesteuerung in der Gemeinschaft zu gewährleisten. Durch deren Einführung sollten hauptsächlich Wettbewerbsverzerrungen im Bereich der Tabakwaren vermieden werden, die aus einer besonders niedrigen Besteuerung von in bestimmten Mitgliedstaaten hergestellten Tabakwaren resultieren können (vgl. Abs. 62 der Schlussanträge des Generalanwalts Mischo vom 16. Dezember 1999 im erwähnten Vorabentscheidungsverfahren). Dieses Ziel wird, wie ausgeführt, bereits durch die Anwendung des Ad-Valorem-Steuersatzes von 5 v.H. des Kleinverkaufspreises erfüllt. Ziel der Richtlinie ist es hingegen nicht, wie das FG bereits ausgeführt hat, eine möglichst hohe Besteuerung in den Mitgliedstaaten herbeizuführen oder diese zu verpflichten, ggf. unter zwei möglichen Steuersätzen den jeweils höheren anzuwenden, obschon es den Mitgliedstaaten unbenommen ist, höhere Steuern als die in Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie vorgeschriebene "globale Mindestverbrauchsteuer" festzusetzen, denn "nach oben hin" enthält die Richtlinie keine Festsetzungen.
d) Im Gegensatz zur Auffassung des HZA dürfen bei der richtlinienkonformen Auslegung des § 4 Abs. 1 Nr. 2 TabStG Auslegungskriterien, die sich aus dem Willen des nationalen Gesetzgebers oder aus dem historischen Kontext der Besteuerung von Zigarillos in der Bundesrepublik ergeben könnten, nur berücksichtigt werden, wenn diese Kriterien auch im Wortlaut und in den Zielen der zur Anwendung kommenden Gemeinschaftsrichtlinie zum Ausdruck kommen (a.A. Scheuer, Anmerkungen zum Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf zur Besteuerung von Zigarillos nach § 4 Absatz 1 Nr. 2 des Tabaksteuergesetzes vom 21. Dezember 1992 ―4 K 5505/97 VTa―, ZfZ 2001, 113). Wenn das HZA insoweit vorträgt, aus dem Kontext der Versteuerung von Zigarren/Zigarillos in der Bundesrepublik ergebe sich klar, dass die Stückversteuerung die Hauptversteuerungsart sein solle, weil über 77 v.H. der Steuereinnahmen bei dieser Tabakart auf Niedrigpreisware unter 62 Pf/Stück entfielen, und es infolgedessen der eindeutige gesetzgeberische Wille gewesen sei, für das Gros der zu versteuernden Zigarren/Zigarillos unter Anwendung der spezifischen Komponente von 3,1 Pf je Stück einen Steuerbetrag von mehr als 5 v.H. des Kleinverkaufspreises zu erheben, so werden damit Gesichtspunkte geltend gemacht, die sich weder aus dem Wortlaut noch aus den Zielen der Richtlinie ergeben.
Zunächst stellt Art. 3 Abs. 1 RL 92/80 die drei angebotenen Besteuerungsmodelle gleichrangig gegenüber. Daher kann keine Rede davon sein, dass es ein Ziel der Richtlinie gewesen sein könnte, die Stückversteuerung als Hauptversteuerungsart festzulegen. Dies kommt nicht einmal im Wortlaut der nationalen Vorschrift zum Ausdruck, weil das dort vorgeschriebene gemeinschaftsrechtswidrige Besteuerungsmodell im Grundsatz, wie ausgeführt, ein Ad-Valorem-Steuersatz ist. Offensichtlich ist hier dem Gesetzgeber bei der Umsetzung der Richtlinie ein gravierender Fehler unterlaufen. Er hat nicht nur das bisherige Besteuerungsmodell (Ad-Valorem-Steuersatz, eingeschränkt durch eine Mindestbesteuerung von 3,1 Pf je Stück) beibehalten, sondern dabei noch durch die Verminderung des bis dahin maßgeblichen Ad-Valorem-Satzes von 13 v.H. auf 5 v.H. "das Verhältnis der wertbezogenen zur stückbezogenen Steuer für Zigarren und Zigarillos bei der Umsetzung der Richtlinie also sehenden Auges umgekehrt, ohne dies in der sprachlichen Diktion der Steuerformel zum Ausdruck zu bringen" (vgl. Jarsombeck, Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur deutschen Besteuerung von Zigarren und Zigarillos usw., ZfZ 2000, 362, der für mitursächlich für diesen "lapsus linguae" die Tatsache hält, dass die Steuerformel als Folge erfolgreicher Lobbyistentätigkeit überraschend im Finanzausschuss geändert worden ist).
Auch die fiskalischen Erwägungen, die das HZA aufgrund der überragenden Bedeutung der spezifischen Steuerkomponente bei der Besteuerung von Zigarillos in der Bundesrepublik als maßgebliches Auslegungskriterium gewertet haben möchte, rechtfertigen kein anderes Auslegungsergebnis. Denn fiskalische Erwägungen sind weder im Wortlaut noch in den Zielen der Richtlinie angelegt. Die Absicht einer möglichst hohen Einnahmenerzielung oder überhaupt eine möglichst positive Auswirkung der Besteuerung von Zigarren oder Zigarillos auf den Haushalt der Mitgliedstaaten war kein Grund für die Harmonisierung der Steuer auf niedriger Ebene. Im Hinblick auf fiskalische Gesichtspunkte hat sich der Gemeinschaftsgesetzgeber mit der Richtlinie völlig neutral verhalten. Es ist daher nicht angebracht, bei der gebotenen richtlinienkonformen Auslegung des § 4 Abs. 1 Nr. 2 TabStG fiskalische Gesichtspunkte ins Spiel zu bringen. Erst recht können die Steuerausfälle, die bei der hier für richtig befundenen richtlinienkonformen Auslegung eintreten, kein Grund für eine Berücksichtigung solcher Überlegungen sein, denn nicht die richtlinienkonforme Auslegung des Gerichts, sondern die mangelhafte Umsetzung der Richtlinie in das nationale Recht durch den Gesetzgeber ist letzten Endes ursächlich für den eingetretenen Steuerausfall.
e) Der Senat teilt damit im Ergebnis das Auslegungsergebnis, zu dem bereits das FG gekommen ist. Die gemeinschaftsrechtswidrige Norm des § 4 Abs. 1 Nr. 2 TabStG in der im Streitfall maßgeblichen Fassung ist richtlinienkonform in dem Sinne steuererhaltend auszulegen, dass allein der Ad-Valorem-Satz in Höhe von 5 v.H. des Kleinverkaufspreises für die Besteuerung maßgeblich ist.
Diesem Ergebnis steht nicht entgegen, dass dem betroffenen Steuerpflichtigen aus Art. 3 Abs. 1 RL 92/80 selbst kein Anspruch zusteht, dass auf ihn allein die spezifische Komponente des Besteuerungsmodells nicht angewendet und er folglich nur mit dem reinen Ad-Valorem-Satz veranlagt werde (vgl. Abs. 41 der Vorabentscheidung des EuGH). Insoweit hat bereits das FG zutreffend ausgeführt, dass das Fehlen eines entsprechenden subjektiven Rechts des Steuerpflichtigen es nicht ausschließt, dass eine richtlinienkonforme Auslegung der nationalen Steuervorschrift gerade zu diesem Ergebnis führt.
Fundstellen
Haufe-Index 923897 |
BFH/NV 2003, 878 |
BFHE 2003, 359 |
BFHE 201, 359 |
DB 2003, 922 |
DStRE 2003, 684 |
HFR 2003, 585 |
NWB 2003, 1299 |
IStR 2003, 348 |