Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Zur persönlichen Haftung des Geschäftsführers einer GmbH für Lohnsteuer der Arbeitnehmer der GmbH gemäß § 103 und § 109 AO.
An die Sorgfalt des Geschäftsführers hinsichtlich der Abführung von der GmbH einbehaltener Lohnsteuer der Arbeitnehmer sind strenge Anforderungen zu stellen.
Ist die Lohnsteuer falsch berechnet und infolgedessen zu niedrig einbehalten worden, so kann der Geschäftsführer der GmbH nur haftbar gemacht werden, wenn ihn ein wesentliches Verschulden trifft. Hat der Steuerberater der GmbH die Lohnsteuer zu niedrig berechnet, so braucht der Geschäftsführer dafür im allgemeinen nicht einzustehen.
Zur Bedeutung des Verschuldens eines Geschäftsführers einer GmbH, wenn die GmbH mehrere Geschäftsführer hat.
Normenkette
AO §§ 103, 109 Abs. 1
Tatbestand
Durch eine Lohnsteueraußenprüfung bei der X.-Film-GmbH wurde, wie das Finanzgericht ausführt, festgestellt, daß bei der GmbH in der Zeit vom 1. Dezember 1954 bis 31. März 1955 insgesamt 8.516,58 DM Lohnsteuer, Kirchensteuer und Abgabe "Notopfer Berlin" "zu wenig einbehalten und abgeführt" worden waren. Die durch Haftungsbescheid in Anspruch genommene GmbH deckte einen Teil von 5.438,59 DM ab; der Rest konnte weder von der GmbH noch von der Alleingesellschafter-Geschäftsführerin, Frau A., beigetrieben werden. Daraufhin wurde der Bf., der in der fraglichen Zeit neben Frau A. als Geschäftsführer der GmbH im Handelsregister eingetragen war, für den Rest von 3.077,99 DM in Anspruch genommen. Der Einspruch und die Berufung, mit denen der Bf. sein Verschulden an der Nichtabführung der Steuerbeträge bestritt, blieben ohne Erfolg.
Mit der Rb. weist der Bf. besonders darauf hin, daß ihm Frau A. ab Ende März 1955 jeden Einfluß auf die Geschäftsführung verwehrt habe; er sei Ende März 1955 tatsächlich aus der Geschäftsführung ausgeschieden; die Verkürzung sei auch dadurch eingetreten, daß die Lohnsteuer von dem Steuerberater der GmbH unrichtig berechnet worden sei.
Entscheidungsgründe
Die Rb. führte zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.
Der Bf. war bis zum 12. Mai 1955 im Handelsregister eingetragener Geschäftsführer. Deshalb konnte das Finanzgericht an sich davon ausgehen, daß er gesetzlicher Vertreter der GmbH war und ihn als solchen nach § 103 AO die Verpflichtung traf, dafür zu sorgen, daß die fälligen Steuern aus den Mitteln der GmbH, die er zu verwalten hatte, entrichtet wurden.
Ein Geschäftsführer haftet persönlich nach § 109 AO allerdings nur, wenn er durch schuldhafte Verletzung der ihm nach § 103 AO auferlegten Pflichten Steueransprüche verkürzt. Dabei sind Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit der Einbehaltung der Lohnsteuer hinsichtlich des Verschuldens nicht ohne weiteres gleichzustellen mit Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit der Abführung einbehaltener Lohnsteuer. Die Frage des Verschuldens bei der Abführung einbehaltener Lohnsteuer ist streng zu beurteilen (Urteile des Bundesfinanzhofs IV 319/52 U vom 19. Februar 1953, BStBl 1953 III S. 161, Slg. Bd. 57 S. 412; VI 40/57 vom 3. Juli 1959, "Der Betrieb" 1959 S. 1129), weil die Lohnsteuer die Einkommensteuer der Arbeitnehmer ist, die der Arbeitgeber gewissermaßen nur treuhänderisch für den Arbeitnehmer und den Steuerfiskus einhebt; der Arbeitgeber darf diese Beträge deshalb nicht sach- und zweckwidrig für sich selbst verwenden. Bei der Einbehaltung der Lohnsteuer muß dagegen das Verschulden des Geschäftsführers einer GmbH erheblich sein, um seine Haftung nach § 109 AO zu begründen. Den Arbeitgebern ist mit der Pflicht zur Einbehaltung der Lohnsteuer vom Gesetzgeber eine schwierige Arbeit auferlegt worden, die sogar unentgeltlich geleistet werden muß. Die Arbeitgeber sind in der Regel nicht Steuerfachleute; die Anforderungen an ihre Kenntnisse in der komplizierten Materie des Lohnsteuerrechts dürfen daher nicht überspitzt werden. Darum muß in jedem Fall unter vernünftiger Abwägung aller Umstände und der Interessen des Steuerfiskus und der Arbeitgeber festgestellt werden, ob Verstöße der mit der Bearbeitung der Lohnsteuer beauftragten Personen so erheblich sind, daß ihre persönliche Inanspruchnahme wegen der nicht richtigen Einbehaltung der Lohnsteuer gerechtfertigt ist. Hat sich der Geschäftsführer einer GmbH bei dem Steuerberater der Firma über seine steuerlichen Pflichten erkundigt oder hat er sich auf die vom Steuerberater vorgenommene Lohnsteuerberechnung verlassen, so trifft ihn im allgemeinen kein so wesentliches Verschulden, daß seine Haftung aus § 109 AO eintritt. Jedenfalls bedarf es in solchen Fällen der Darlegung besonderer Umstände, wenn der Geschäftsführer persönlich haftbar gemacht werden soll.
Sind bei Kapitalgesellschaften mehrere gesetzliche Vertreter vorhanden, so hat zwar grundsätzlich jeder von ihnen alle steuerlichen Pflichten, die der juristischen Person auferlegt sind, zu erfüllen. Auf der anderen Seite ist eine vernünftige Arbeitsteilung zwischen den mehreren Vertretern üblich und notwendig. So wird sich z. B. der technische Direktor im allgemeinen nicht um die Steuerbearbeitung kümmern, sondern sie dem kaufmännischen Direktor überlassen. Diese Sachlage muß auch bei der Prüfung des Verschuldens im Sinne von § 109 AO beachtet werden. In aller Regel ist darum, wenn mehrere Geschäftsführer einer GmbH bestellt sind (Kollektivvertretung), nur derjenige von ihnen nach § 109 AO in Anspruch zu nehmen, der nach der internen Geschäftsverteilung im Unternehmen die Bearbeitung der Lohnsteuer übernommen hatte. Ein anderer Geschäftsführer kann nur unter besonderen Umständen in Anspruch genommen werden, z. B. wenn er seine Pflichten dadurch grob verletzte, daß er trotz Kenntnis von Unregelmäßigkeiten nichts unternahm, um Abhilfe zu schaffen.
Es ist zweifelhaft, ob die Vorentscheidung diesen Rechtsgrundsätzen entspricht. Der Bf. hatte Beweis dafür angeboten, wie es um seine Stellung als Geschäftsführer bestellt war, besonders, daß seine Maßnahmen durch seine Mitgeschäftsführerin durchkreuzt wurden. Auch sei er bereits Ende März 1955 tatsächlich aus der Firma weggegangen und damit aller Macht entkleidet worden, wennschon die Löschung seiner Vertretungsbefugnis im Handelsregister erst am 12. Mai 1955 erfolgt sei. Der Bf. bestreitet damit wohl sinngemäß, daß ihn ein Verschulden an der Nichtabführung der zum 10. April 1955 fälligen Lohnsteuerbeträge treffe. Es ist aus den Urteilsgründen nicht klar zu entnehmen, ob das Finanzgericht ein Verschulden des Bf. bei der Nichteinbehaltung oder bei der Nichtabführung der Lohnsteuer annimmt. Das Finanzgericht ist auch nicht darauf eingegangen, wie die Befugnisse des Bf. im Verhältnis zu seiner Mitgeschäftsführerin und Alleingesellschafterin geregelt waren. Es genügt zur Begründung der Haftung des Bf. nach § 109 AO jedenfalls nicht allein, daß der Bf. bis zum 12. Mai 1955 als Geschäftsführer im Handelsregister eingetragen war. Es kommt vielmehr darauf an, ob er schon vor dem 12. Mai 1955 als Geschäftsführer tatsächlich ausgeschieden und nicht mehr als Vertreter der GmbH tätig war. Denn nach dem tatsächlichen Ausscheiden hatte er keine Mittel mehr zu verwalten, aus denen er die Steuern hätte entrichten können (Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 179/34 vom 11. April 1934, Steuer und Wirtschaft 1934 Nr. 425). Trifft das Vorbringen des Bf. zu, so bedürfte es jedenfalls der Darlegung von Umständen, daß den Bf. an der Nichtabführung der zum 10. April 1955 abzuführenden einbehaltenen Lohnsteuer ein Verschulden traf. Bezüglich der bereits vor Ende März 1955 fällig gewordenen Rückstände könnte es allerdings anders sein. Eine abschließende rechtliche Beurteilung dieser Fragen ist aber nicht möglich, solange nicht feststeht, was im einzelnen geschehen ist.
Es bleibt auch zu prüfen, was der Bf. damit sagen will, daß die streitige Lohnsteuernachforderung auf unrichtigen Berechnungen des von der GmbH bestellten Steuerberaters beruhe. Wenn der Bf. damit bestreitet, daß die gegen die GmbH erhobene Steuernachforderung der Höhe nach sachlich zu Recht bestehe, so ist sein Einwand erheblich; denn wer als Haftender für eine fremde Steuerschuld in Anspruch genommen wird, kann die sachliche Richtigkeit der zugrunde liegenden Forderung gegen den Hauptschuldner bestreiten (Hartz-Over, Lohnsteuer, Stichwort "Haftung für Lohnsteuer" unter Ziffern 4 b und 7 b; vgl. auch Beschluß des Bundesfinanzhofs I 58/59 U vom 31. Januar 1961, BStBl 1961 III S. 171, Slg. Bd. 72 S. 468). Wenn der Bf. aber damit vorträgt, daß Lohnsteuer nicht einbehalten worden sei, weil der Steuerberater die Lohnsteuer falsch berechnet habe, so kann auch dieser Einwand für das Verschulden des Bf. Bedeutung haben.
Da die Sachlage in wesentlichen Punkten noch ungeklärt ist, wird die angefochtene Entscheidung aufgehoben. Das Finanzgericht, an das die Sache zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen wird, hat die tatsächlichen Verhältnisse in vollem Umfang zu überprüfen und, soweit erforderlich, dem Bf. Gelegenheit zu geben, sein Vorbringen zu präzisieren.
Fundstellen
Haufe-Index 410472 |
BStBl III 1962, 342 |
BFHE 1963, 206 |
BFHE 75, 206 |