Entscheidungsstichwort (Thema)
Finanzrechtsweg bei Auskunftsbegehren der Finanzbehörden
Leitsatz (NV)
Gegenüber einem im (Steuer-)Strafverfahren ergangenen Auskunftsersuchen ist der Finanzrechtsweg nicht gegeben.
Normenkette
AO 1977 § 208 Abs. 1; FGO § 33 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Umstritten sind die Rechtmäßigkeit eines Auskunftsbegehrens des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) und die Zulässigkeit des Finanzrechtswegs.Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) betreibt eine Einzelfirma. Im Jahr 1975 schloß er mit der Firma A-AG, Vaduz/Liechtenstein, einen Vertrag, wonach sich diese verpflichtete, dem Kläger gegen Sicherheitsleistung ein Darlehen von bis zu . . . Mio. DM zu gewähren. Die Auszahlungen sollten nach Bedarf erfolgen. Unter den gleichen Bedingungen sagte die A-AG dem Kläger im Jahr 1979 ein weiteres Darlehen von . . . Mio. DM zu. Die Geldbewegungen (Valutierungen, Zinszahlungen, Tilgungen) wurden überwiegend in bar im Büro des Verwaltungsrates der A-AG Vaduz vorgenommen.
Die Darlehenszinsen hat der Kläger als Betriebsausgaben behandelt.
Im Rahmen einer Steuerfahndungsprüfung bei der Firma des Klägers, zu deren Beginn am 14. Mai 1982 das FA ein Steuerstrafverfahren gegen den Kläger wegen des Verdachts der Verkürzung von Einkommensteuer, Umsatzsteuer und Gewerbesteuer 1976 bis 1980 einleitete, legte die Steuerfahndungsstelle des FA mit Schreiben vom 29. Juli 1982 unter dem Betreff ,,Geschäftsbeziehungen zu der Firma A-AG, Vaduz" dem Kläger unter Hinweis auf § 16 des Außensteuergesetzes (AStG) i. V. m. § 160 der Abgabenordnung (AO 1977) mehrere Fragen zur Beantwortung vor. Außerdem forderte sie ihn zur Vorlage bestimmter Buchhaltungsunterlagen der Firma A-AG auf. Schließlich verlangte sie vom Kläger die Angabe des tatsächlichen Empfängers der Zinszahlungen.
Der Kläger beantwortete mit Schreiben vom 28. September 1982 einen Teil der Fragen. Der Aufforderung zur Vorlage der Buchhaltungsunterlagen der Firma A-AG kam er nicht nach. Mit Schreiben vom 4. Oktober 1982 wies das FA (Steuerfahndungsstelle) den Prozeßbevollmächtigten darauf hin, daß das Schreiben vom 29. Juli 1982 noch nicht beantwortet und deshalb beabsichtigt sei, die Prüfung abzuschließen. Gleichzeitig wurde ein Termin zur Schlußbesprechung vorgeschlagen. Das Schreiben enthält folgenden Betreff: ,,Steuerstrafverfahren gegen Herrn S, K-Straße, in Z". Da das Finanzamt auch weitere Erläuterungen des Klägers für nicht ausreichend hielt, erhob der Kläger Beschwerde, die keinen Erfolg hatte.
Im Klageverfahren beantragte der Kläger, die Beschwerdeentscheidung aufzuheben und festzustellen, daß die Auskunftsersuchen des FA vom 29. Juli 1982 ausreichend beantwortet seien, hilfsweise, die Auskunftsersuchen insoweit aufzuheben, als das FA die Vorlage von Originalunterlagen der Firma A-AG, Vaduz, begehrt. Mit einem weiteren Hilfsantrag beantragte der Kläger die Verweisung des Rechtsstreits an das Oberlandesgericht (OLG) München.
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage mit ihrem Hauptantrag und dem ersten Hilfsantrag abgewiesen. Auf den zweiten Hilfsantrag hat es den Rechtsstreit an das OLG München verwiesen. Die Entscheidung ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1985, 569 veröffentlicht.
Im Revisionsverfahren macht der Kläger geltend, das FG habe die Streitsache zu Unrecht an das OLG München verwiesen. In der Sache selbst vertritt er nach wie vor die Ansicht, daß er die Auskunftsersuchen des FA ausreichend beantwortet habe.
Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und festzustellen, daß die Auskunftsersuchen des FA ausreichend beantwortet seien, hilfsweise, sie insoweit aufzuheben, als die Vorlage von Originalunterlagen der Firma A-AG, Vaduz, begehrt werde.
Das FA beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen. Seiner Ansicht nach beträgt der Streitwert lediglich 4 000 DM.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision ist unbegründet.
1. Die Revision ist zulässig. Der Wert des Streitgegenstandes übersteigt zehntausend Deutsche Mark.
Der Streitwert ist vom Gericht nach freiem Ermessen festzusetzen (§ 155 der Finanzgerichtsordnung - FGO -, § 3 der Zivilprozeßordnung - ZPO -). Begehrt das FA vom Steuerpflichtigen eine Auskunft, so entspricht der Streitwert dem finanziellen Interesse, das der Steuerpflichtige daran hat, die Auskunft nicht erteilen zu müssen. Dieses Interesse ist regelmäßig ebenso zu bewerten wie das entgegengesetzte Interesse des FA, sich durch die Erlangung der Auskunft die Geltendmachung von möglichen Steueransprüchen zu erleichtern (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 15. Juni 1970 II ZR 150/69, Wertpapier-Mitteilungen - WM - 1970, 1226). Da der Sach- und Streitstand im Streitfall es nicht ermöglicht, hinreichend zu beurteilen, welches Gewicht den begehrten Auskünften im Rahmen der Ermittlungsergebnisse des FA zukommt, ist es gerechtfertigt, den für die Statthaftigkeit der Revision maßgebenden Streitwert in Anlehnung an § 13 Abs. 1 Satz 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG) zu bemessen und ihn auf 4 000 DM je Auskunftsersuchen festzusetzen (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 20. Juli 1982 VII B 154/81, BFHE 136, 195, BStBl II 1982, 705). Dabei sind jedenfalls die Ersuchen um Auskunft über die Umstände der Kontaktaufnahme mit der Firma A-AG (Frage 1), über die begehrten und gewährten Sicherheiten (Frage 2), die Zahlungsmodalitäten (Fragen 3, 4 und 5) sowie die Aufforderung, bestimmte Buchhaltungsunterlagen der Firma A-AG vorzulegen, als verschiedene Auskunftsersuchen zu behandeln. Die für die Revision maßgebliche Streitwertgrenze ist damit überschritten.
2. Die Revision ist jedoch unbegründet. Das FG hat zu Recht entschieden, daß gegenüber den Auskunftsersuchen des FA der Finanzrechtsweg nicht gegeben ist, weil das FA insoweit im Rahmen eines Steuerstrafverfahrens tätig geworden ist.
a) Gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 1 FGO sind die Finanzgerichte zuständig in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten über Abgabenangelegenheiten. Unter diesem Begriff sind die mit der Verwaltung der Abgaben und mit der Anwendung der abgabenrechtlichen Vorschriften durch die Finanzbehörden zusammenhängenden Angelegenheiten zu verstehen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 FGO). Kraft ausdrücklicher Regelung in § 33 Abs. 2 Satz 2 FGO ist der Finanzrechtsweg jedoch nicht in (Steuer-) Strafsachen gegeben.
b) Gemäß § 208 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 AO 1977 besteht die Aufgabe der Steuerfahndung u. a. in der Erforschung der Steuerstraftaten und der Ermittlung ihrer Besteuerungsgrundlagen. Die Steuerfahndung kann sich dazu sowohl der den Finanzbehörden eingeräumten Ermittlungsbefugnisse (§§ 85 ff. AO 1977) als auch der besonderen Befugnisse bedienen, die ihr bzw. ihren Beamten als Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft im Steuerstrafverfahren eingeräumt sind (§ 404 AO 1977). Obwohl die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen - isoliert betrachtet - eine Abgabenangelegenheit i. S. des § 33 Abs. 2 Satz 1 FGO ist, gehört sie in den Fällen, in denen das FA im Steuerstrafverfahren tätig wird, als nicht abtrennbarer Teil unmittelbar zur Erforschung der Steuerhinterziehung. § 33 Abs. 2 Satz 1 FGO ist insoweit nicht anwendbar (BFH-Urteil vom 20. April 1983 VII R 2/82, BFHE 138, 164, BStBl II 1983, 482).
c) Der Senat kann unerörtert lassen, ob sämtliche Maßnahmen der Steuerfahndung nach Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens als Maßnahmen strafrechtlicher Art anzusehen sind (vgl. Klein/Orlopp, Abgabenordnung, 3. Aufl., Anm. 3 zu § 208 AO 1977). Im Streitfall konnte nämlich das FG bereits aufgrund der von ihm getroffenen tatsächlichen Feststellungen zum Ergebnis kommen, daß die Steuerfahndungsstelle die Auskunftsersuchen im Rahmen des Strafverfahrens gestellt hatte. Es hat es zutreffend als mitentscheidungserheblich angesehen, daß dem Kläger die Einleitung des Strafverfahrens bekannt war, und daß die Auskunftsersuchen mit dieser in zeitlichem Zusammenhang standen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß sich die Rechte und Pflichten des Steuerpflichtigen nach Einleitung des Strafverfahrens geändert haben (vgl. § 393 AO 1977; Klein/Orlopp, a. a. O., Anm. 1 ff. zu § 393 AO 1977). Anhaltspunkte dafür, daß die Steuerfahndungsstelle nach dem 14. Mai 1982 außerhalb des Strafverfahrens habe tätig werden wollen, liegen nicht vor. Etwaige Zweifel waren spätestens mit der Übersendung des Schreibens vom 4. Oktober 1982 ausgeräumt, in dem sowohl auf das Schreiben vom 29. Juli 1982 als auch ausdrücklich auf das Steuerstrafverfahren hingewiesen war.
d) Die Einwände des Klägers gegen die Würdigung des FG sind unbegründet.
Die Adressierung des Auskunftsersuchens vom 29. Juli 1982 (,,Fa. S . . .") läßt nicht den Schluß zu, daß das Schreiben im Besteuerungsverfahren ergangen sei. Zu Recht hat das FG dazu die Ansicht vertreten, daß der Einzelkaufmann mit der Firma ebenso persönlich bezeichnet wird wie mit seinem bürgerlichen Namen, und zwar insbesondere dann, wenn - wie hier - beide Bezeichnungen identisch sind.
Unbegründet ist auch der Hinweis darauf, daß die Steuerfahndungsstelle die Vorschriften des § 16 AStG und des § 160 AO 1977 angeführt habe. Zur Erforschung von Steuerstraftaten gehört die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen. In diesem Zusammenhang kann es zweckmäßig sein und unter Umständen sogar erforderlich werden, daß die Steuerfahndung die ihrer Ansicht nach gegebene Rechtslage dem Steuerpflichtigen darlegt.
Entgegen den Vorbringen des Klägers hat das FG München in seinem nicht rechtskräftigen Urteil vom . . . (Az. des BFH: . . .) nicht ausdrücklich zur Statthaftigkeit des Finanzrechtswegs Stellung genommen. Die Entscheidung in dieser Sache wäre insbesondere auch deshalb nicht einschlägig, weil sich das Auskunftsersuchen gegen eine GmbH gerichtet hat und nicht - wie im Streitfall - gegen eine natürliche Person, gegen die zuvor ein Strafverfahren eingeleitet worden war. Unerheblich ist ferner, ob das FG München in der Auskunftssache des B, gegen den zum Zeitpunkt des Auskunftsersuchens ebenfalls ein Strafverfahren anhängig gewesen sein soll, in seinem Urteil vom . . . die Statthaftigkeit des Finanzrechtswegs angenommen hat. Abgesehen davon, daß die - nicht rechtskräftige - Entscheidung den Senat nicht bindet, ist der Sachverhalt in beiden Fällen unterschiedlich.
Der Einwand des Klägers, eine Verweisung der Streitsache an das OLG würde einer Rechtsverweigerung für den Kläger gleichkommen, entbehrt jeder sachlichen Grundlage.
Der Finanzrechtsweg ist ferner nicht deshalb gegeben, weil die Oberfinanzdirektion München in der der Beschwerdeentscheidung beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung dargelegt hat, die Klage sei beim FG München zu erheben. Zutreffend hat dieses Gericht in der Vorentscheidung darauf hingewiesen, daß der nicht statthafte Finanzrechtsweg nicht durch eine unrichtige Rechtsbehelfsbelehrung eröffnet werden kann.
3. Da der Finanzrechtsweg nicht statthaft ist, war es dem Senat verwehrt, darüber zu entscheiden, ob die Auskunftsersuchen des FA rechtmäßig waren.
4. Entgegen der Ansicht des FG war die Klage jedoch nicht mit dem Hauptantrag und dem ersten Hilfsantrag abzuweisen. Vielmehr war gemäß § 34 Abs. 3 Satz 1 FGO lediglich der Finanzrechtsweg für unzulässig zu erklären und der Rechtsstreit aufgrund des zweiten Hilfsantrags des Klägers an das OLG München zu verweisen (vgl. §§ 23 ff. des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz). Entsprechend war der Urteilsausspruch des FG zu ändern.
Fundstellen