Anforderungen an einen Durchsuchungsbeschluss

Nur Beschlagnahme- oder Durchsuchungsanordnungen der Verfolgungsbehörde oder des Richters unterbrechen nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 OWiG die Verfolgungsverjährung, nicht aber Anordnungen der Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft.

Hintergrund: Gesetzliche Regelung

Gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 OWiG wird die Verfolgungsverjährung unter anderem durch Beschlagnahme- oder Durchsuchungsanordnungen der Verfolgungsbehörde oder des Richters unterbrochen.

Sachverhalt: Darf ein Gericht den Sachverhalt dahingehend würdigen, dass eine gerichtliche Durchsuchungsanordnung vorliege, wenn der entsprechende richterliche Beschluss nicht mehr auffindbar ist und demgemäß keinerlei Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass die gerichtliche Anordnung den verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen genügt?

Auf den Namen der Klägerin war im Streitjahr 2001 ein gewerbliches Einzelunternehmen unter der Bezeichnung X angemeldet. Die Klägerin reichte ihre Einkommensteuererklärung 2001 im Jahr 2002 ein. Der erklärungsgemäße erstmalige Einkommensteuerbescheid 2001 wurde am 6.3.2003 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erlassen. Am 28.1.2010 erging der im vorliegenden Verfahren angefochtene Änderungsbescheid, der verfahrensrechtlich auf § 164 Abs. 2 AO gestützt wurde. Darin wurde der Gewinn aus Gewerbebetrieb erheblich erhöht, weil Beträge, die die Klägern als Betriebsausgaben erklärt hatte, nicht mehr gewinnmindernd berücksichtigt wurden. Streitig ist, ob der Änderungsbescheid noch innerhalb der Festsetzungsfrist erlassen worden ist.

Am 3.5.2006 hatte eine Durchsuchung in den Geschäftsräumen der X stattgefunden, die sich zunächst nicht gegen die Klägerin, sondern gegen eine dritte Person richtete. Nachdem der Steuerfahndungsbeamte die Überzeugung gewonnen hatte, dass er gegen die falsche Person ermittelte, leitete er gegen die Klägerin am selben Tag ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Hinterziehung von Einkommensteuer für 2001 ein, gab die Einleitung der Klägerin förmlich jedoch nicht bekannt.

Ferner ordnete er am selben Tag in dieser Ermittlungssache gegen die Klägerin wegen Gefahr im Verzug "als Ermittlungsperson der Staatsanwaltschaft" die "Durchsuchung der Geschäftsräume der Fa.(X)" an und protokollierte im Rahmen einer "Nachweisung" in einem Formular der Steuerfahndungsstelle, wiederum im Strafverfahren gegen die Klägerin, die Beschlagnahme und Sicherstellung von Unterlagen.

In dem steuerstrafrechtlichen Ermittlungsberichts über die gegen die Klägerin geführten Ermittlungen der Steuerfahndung vom 2.11.2009 heißt es unter der Überschrift "Strafrechtliche Verfahrenshandlungen":

"Bl. 108-110 d.A.) b) Erlass eines von Durchsuchungsbeschlüssen durch das AG N… im Steuerstrafverfahren gegen … 27.10.06".

Die Akten dieses steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens waren jedoch bereits vernichtet und standen dem Finanzgericht (FG) daher nicht zur Verfügung. Der Fahndungsprüfer und sein Sachgebietsleiter haben bei ihren schriftlichen Befragungen durch das FG angegeben, sich an Einzelheiten des Vorgangs nicht mehr erinnern zu können.

Am 13.1.2010 wurde das gegen die Klägerin geführte steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren eingestellt, weil ein Vorsatznachweis nicht geführt werden konnte. Am 19.7.2012 wurde gegen sie wegen leichtfertiger Steuerverkürzung eine Geldbuße festgesetzt.

Das FG wies die Klage gegen den Änderungsbescheid ab. Die fünfjährige Festsetzungsfrist (§ 169 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 AO) sei bis zum 27.10.2011 gehemmt gewesen. Der Nachweis eines gegen die Klägerin ergangenen Durchsuchungsbeschlusses sei durch den Vermerk im steuerstrafrechtlichen Ermittlungsbericht erbracht, was zur Unterbrechung der Verfolgungsverjährung geführt habe (§ 33 As. 1 Satz 1 Nr. 4 OWiG).

Im Revisionsverfahren rügt die Klägerin, dass keine Feststellungen dazu getroffen worden seien, ob die Durchsuchungsanordnung die erforderlichen inhaltlichen Mindestanforderungen erfüllt habe.

Entscheidung: BFH hebt das Urteil der Vorinstanz auf

Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung.

Verjährungsfrist

Die wegen leichter Steuerverkürzung fünfjährige Festsetzungsfrist bzgl. der Einkommensteuer 2001 hat mit Ablauf des Jahres 2002 begonnen und grundsätzlich mit Ablauf des Jahres 2007 geendet. Allerdings endet gemäß § 171 Abs. 7 AO in den Fällen des § 169 Abs. 2 Satz 2 AO die Festsetzungsfrist nicht, bevor die Verfolgung der Steuerstraftat oder der Steuerordnungswidrigkeit verjährt ist. Die Verfolgungsverjährung beginnt, sobald die Handlung beendet ist, jedoch nicht vor dem Eintritt des Erfolgs (§ 31 Abs. 3 OWiG). Der Erfolg ist hier mit der Bekanntgabe des fehlerhaften Einkommensteuerbescheids 2001 am 10.3.2003 eingetreten. Da die Verfolgungsverjährungsfrist bei Steuerordnungswidrigkeiten i.S.d. § 378 AO fünf Jahre beträgt (§ 384 AO), wäre die reguläre Verfolgungsverjährung am 10.3.2008 eingetreten, sofern nicht zuvor ein Unterbrechungstatbestand verwirklicht worden wäre.

Unterbrechung der Verjährungsfrist

Gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 OWiG wird die Verfolgungsverjährung u.a. durch Beschlagnahme- oder Durchsuchungsanordnungen der Verfolgungsbehörde oder des Richters unterbrochen.

Maßgebend ist grundsätzlich der Zeitpunkt, in dem die Entscheidung abgefasst wird (§ 33 Abs. 2 OWiG). Nach einer Unterbrechung, die nur gegenüber demjenigen wirkt, auf den sich die Handlung bezieht (§ 33 Abs. 4 Satz 1 OWiG), beginnt die Verjährung von neuem, endet jedoch spätestens mit Eintritt der absoluten Verjährung, im Streitfall mit Ablauf des Doppelten der gesetzlichen Verjährungsfrist (§ 33 Abs. 3 Satz 1 und 2 OWiG).

Anordnung von Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft

Beschlagnahmeanordnungen von Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft lösen die verjährungsunterbrechende Wirkung des § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 OWiG allerdings nicht aus.

Der klare Wortlaut des § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 OWiG beschränkt sich auf Beschlagnahme- oder Durchsuchungsanordnungen "der Verfolgungsbehörde oder des Richters". Bei der Verfolgungsbehörde handelt es sich um die für die Verfolgung und Ahndung der Ordnungswidrigkeit zuständige Behörde nach §§ 35 ff. OWiG. § 53 Abs. 2 OWiG kennt jedoch daneben auch Beschlagnahme- und Durchsuchungsanordnungen durch die "Beamten des Polizeidienstes, die zu Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft bestellt sind" (im Steuerstrafverfahren: Beamte der Steuerfahndung gemäß § 404 AO). Das Tätigwerden in dieser Funktion ist jedoch kein Tätigwerden für die "Verfolgungsbehörde" im Sinne des OWiG.

Im Streitfall hatten zwar die am 3.5.2006 durchgeführten Durchsuchungs- und Beschlagnahmemaßnahmen in einem gegen die Klägerin geführten Verfahren stattgefunden, das unmittelbar zuvor eingeleitet worden war. Die Anordnungen vermochten die Verjährung dennoch nicht zu unterbrechen, weil der Steuerfahnder sie in seiner Eigenschaft als Ermittlungsperson der Staatsanwaltschaft ausgesprochen hatte. Für die Durchsuchung hat er dies ausdrücklich so protokolliert.

Mindestanforderungen an Durchsuchungsbeschlüsse

Unter der Voraussetzung, dass am 27.10.2006 tatsächlich ein die Verfolgungsverjährung unterbrechender Durchsuchungsbeschluss gegen die Klägerin ergangen ist, hat das FG die Dauer der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 7 AO zutreffend berechnet. Durchsuchungsbeschlüsse haben jedoch aus verfassungsrechtlichen Gründen inhaltlichen Mindestanforderungen an ihre Bestimmtheit zu genügen.

Der Durchsuchungsbeschluss muss tatsächliche Angaben über den Inhalt des Tatvorwurfs enthalten, wofür die lediglich schlagwortartige Bezeichnung der jeweiligen Straftat nicht genügt. Ferner muss der Beschluss die Art sowie den denkbaren Inhalt der Beweismittel, denen die Durchsuchung gilt, erkennen lassen. Durchsuchungsbeschlüsse, die die genannten verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen an ihre inhaltliche Bestimmtheit nicht erfüllen, haben nicht die in § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 OWiG vorgesehene verjährungsunterbrechende Wirkung.

Das OWiG enthält keine eigenen Regelungen über die Anordnung von Durchsuchungen, sondern verweist insoweit in vollem Umfang auf die Strafprozessordnung (§ 46 Abs. 1 OWiG). Damit gelten die §§ 102 ff. StPO auch für Durchsuchungen im Rahmen von Ordnungswidrigkeitenverfahren.

Feststellungslast beim FA

Das FG hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob der Durchsuchungsbeschluss vom 27.10.2006 die dargestellten inhaltlichen Mindestanforderungen, die für den Eintritt der verjährungsunterbrechenden Wirkung erforderlich sind, erfüllt.

Solche Feststellungen wären im Streitfall erforderlich gewesen. Die inhaltlichen Mindestanforderungen können angesichts des Umstands, dass sie recht hoch sind und in der Praxis daher mitunter nicht erfüllt werden, nicht einfach als gegeben unterstellt werden.

Vorliegend ist weder festgestellt noch feststellbar, dass bzw. ob der amtsgerichtliche Durchsuchungsbeschluss vom 27.10.2006 der Klägerin überhaupt bekanntgegeben oder ob er vollzogen worden ist und sie damit Gelegenheit hatte, den Beschluss anzufechten.

Eine Nachholung der erforderlichen Tatsachenfeststellungen zum Inhalt des Durchsuchungsbeschlusses ist wegen der Vernichtung aller maßgeblichen Akten und des fehlenden Erinnerungsvermögens der vom FG befragten Beamten nicht möglich. Dies geht zu Lasten des FA, sodass die Voraussetzungen für den Eintritt einer Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 7 AO als nicht erwiesen anzusehen sind. Schon nach den allgemeinen Regeln liegt die Feststellungslast für Umstände, die den ausnahmsweisen Erlass eines Steuerbescheids nach Ablauf der regulären Verjährungsfrist ermöglichen würden, beim FA, das sich auf den Eintritt der Voraussetzungen eines Tatbestands der Ablaufhemmung beruft. Dies gilt erst recht unter den Umständen des Streitfalls. Denn nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung fällt es in den Risikobereich der Behörde und hat Einfluss auf das von den Tatsachengerichten anzuwendende Beweismaß, wenn verfahrensrelevante Akten zu einem Zeitpunkt – vorzeitig – vernichtet werden, in dem ein Besteuerungsverfahren noch nicht bestands- oder rechtskräftig abgeschlossen ist.

Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 5 Satz 1 AO

Da das FG ausdrücklich offengelassen hat, ob die Voraussetzungen für den Eintritt einer Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 5 Satz 1 AO erfüllt sind, geht die Sache zur Nachholung der hierfür erforderlichen tatsächlichen Feststellungen an die Vorinstanz zurück. Sollte die Festsetzungsfrist unter diesem Gesichtspunkt gewahrt sein, wäre der Vorbehalt der Nachprüfung im Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Änderungsbescheids noch nicht entfallen gewesen (§ 164 Abs. 4 Satz 1 AO), sodass auch eine Änderungsbefugnis bestünde. In § 164 Abs. 4 Satz 2 AO, dem zufolge bestimmte Verlängerungen der Festsetzungsfrist nicht die Fortdauer des Nachprüfungsvorbehalts zur Folge haben, ist § 171 Abs. 5 AO nicht genannt.

BFH, Urteil v. 31.1.2024, X R 7/22; veröffentlicht am 18.7.2024

Alle am 18.7.2024 veröffentlichten Entscheidungen des BFH mit Kurzkommentierungen