Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufwendungen wegen doppelter Haushaltsführung bei erfolglosem Asylverfahren
Leitsatz (NV)
Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen Aufwendungen wegen doppelter Haushaltsführung bei einem sog. Asylbewerber, der zum Zwecke der Arbeitsaufnahme in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist, als Werbungskosten oder außergewöhnliche Belastung abziehbar sind.
Normenkette
EStG 1981 § 9 Abs. 1 Nr. 5, § 33
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger, Revisionsbeklagte und Anschlußrevisionskläger (Kläger), ein türkischer Staatsangehöriger, reiste Ende 1979 in die Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) ein. Noch in demselben Jahr beantragte er, ihm wegen politischer Verfolgung Asyl zu gewähren. Er machte geltend, als Mitglied einer politischen Partei der Verfolgung ausgesetzt gewesen und in die Bundesrepublik nur deshalb geflüchtet zu sein, um sein Leben zu retten. Der Asylantrag wurde mit der Begründung abgewiesen, daß die vom Kläger vorgetragenen Gründe nicht ausreichend seien. Die hiergegen erhobene Klage nahm der Kläger Mitte 1982 zurück und kehrte zu seiner Familie in die Türkei heim. Bereits im Februar des Streitjahres 1981 war ihm sein Reisepaß wieder ausgehändigt worden.
In seinem Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich für das Streitjahr machte der Kläger Aufwendungen für doppelte Haushaltsführung im Gesamtbetrag von 7 030 DM als Werbungskosten geltend. Der Beklagte, Revisionskläger und Anschlußrevisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) versagte den begehrten Abzug. Das FA war - auch im Einspruchsverfahren - der Auffassung, die doppelte Haushaltsführung sei nicht beruflich veranlaßt, weil der Kläger den Haushalt in der Türkei erst nach der Einreise in die Bundesrepublik begründet habe.
Die Klage hatte zum Teil Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) vertrat die Auffassung, die berufliche Veranlassung der geltend gemachten Aufwendungen habe sich nicht nachweisen lassen. Die Aufwendungen wegen doppelter Haushaltsführung seien jedoch unter dem Gesichtspunkt der außergewöhnlichen Belastung abziehbar. Der Kläger könne den zweiten Haushalt in der Bundesrepublik nämlich nur aus zwei Gründen eingerichtet haben: Entweder aus beruflichen oder aus solchen (privaten) Gründen, die eine außergewöhnliche Belastung für ihn darstellen. Lasse sich eine berufliche Veranlassung nicht nachweisen, komme deshalb eine Berücksichtigung als außergewöhnliche Belastung in Betracht. Da die außergewöhnliche Belastung wegen der zu berücksichtigenden zumutbaren Eigenbelastung zu einem gegenüber den Werbungskosten eingeschränkteren Abzug führe, sei dem Kläger zumindest der Abzug der Aufwendungen unter dem Gesichtspunkt der außergewöhnlichen Belastung zuzugestehen. Folge man den Angaben des Klägers, so sei er in die Bundesrepublik geflüchtet, um sich politischer Verfolgung in der Türkei zu entziehen. Unter diesen Umständen seien die Aufwendungen der doppelten Haushaltsführung zwangsläufig i. S. von § 33 Abs 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Denn der Kläger habe sich ihnen aus ,,tatsächlichen Gründen" nicht entziehen können.
Mit der vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision rügt das FA einen Verstoß der Vorentscheidung gegen materielles Recht. Die vom Kläger geltend gemachten Aufwendungen für Unterkunft und Verpflegung seien ihrer Art nach nicht außergewöhnlich i. S. von § 33 EStG. Sie entständen einer großen Zahl von Steuerpflichtigen gleicher Einkommens- und Vermögensverhältnisse sowie gleichen Familienstandes, z. B. geschiedenen Personen, Hinterbliebenen und getrenntlebenden Ehegatten.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger rügt mit seiner Anschlußrevision ebenfalls Verletzung materiellen Rechts. Er macht geltend, die Voraussetzungen für eine doppelte Haushaltsführung hätten im Streitfall vorgelegen. Er sei in die Bundesrepublik eingereist, um hier zu arbeiten. Die Führung eines doppelten Haushalts sei, wie er stets geltend gemacht habe, nicht aus politischen Gründen, sondern beruflich veranlaßt gewesen. Er habe sich mit Unterhaltszahlungen finanziell an dem in der Türkei unterhaltenen Haushalt beteiligt. Wegen des laufenden Asylverfahrens habe er im Streitjahr darauf verzichtet, eine Familienheimfahrt in die Türkei durchzuführen.
Der Kläger beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und seine Aufwendungen infolge doppelter Haushaltsführung als Werbungskosten zu berücksichtigen. Hilfsweise beantragt er, die Revision des FA als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision und die Anschlußrevision sind begründet. Sie führen zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Der Senat braucht im Streitfall nicht zu entscheiden, ob der Begriff der außergewöhnlichen Belastungen i. S. von § 33 Abs. 1 EStG - wie das FA meint - voraussetzt, daß die Aufwendungen ihrer Art nach außergewöhnlich sind und ob Mehraufwendungen wegen doppelter Haushaltsführung geeignet sind, diesem Erfordernis zu entsprechen. Der Senat kann des weiteren offenlassen, ob die Auffassung des FA zutrifft, daß Aufwendungen der hier streitigen Art einer Vielzahl von Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes (z. B. Geschiedenen und getrennt lebenden Ehegatten) erwachsen, ohne daß die Möglichkeit einer Steuerermäßigung gemäß § 33 Abs. 1 EStG besteht.
2. Die Berücksichtigung der vom Kläger geltend gemachten Kosten wegen doppelter Haushaltsführung gemäß § 33 EStG scheitert daran, daß die Zwangsläufigkeit dieser Aufwendungen nicht in einer den Senat bindenden Weise festgestellt ist. Zu Unrecht hat das FG den Abzug der Aufwendungen gemäß § 33 EStG als ein Minus gegenüber jenem nach § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG angesehen. Es hat dabei verkannt, daß die Vorschrift des § 33 EStG den Abzug der Aufwendungen von anderen Voraussetzungen abhängig macht als § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG. Rechtsfehlerhaft hat es das FG unterlassen, die Voraussetzungen für den Abzug der Aufwendungen gemäß § 33 EStG in einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Weise festzustellen. Das FG hat die Zwangsläufigkeit der vom Kläger geltend gemachten Aufwendungen lediglich damit begründet, daß es den Angaben des Klägers gefolgt sei, wonach dieser in die Bundesrepublik geflüchtet sei, um sich politischer Verfolgung in der Türkei zu entziehen. Dabei hat das FG nicht berücksichtigt, daß der Kläger seine Aufwendungen bei FA und FG stets nur unter dem Gesichtspunkt der als Werbungskosten abziehbaren Mehraufwendungen infolge doppelter Haushaltsführung (§ 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG) geltend gemacht hat. Dem Umstand, daß der Kläger den Antrag auf Asylgewährung im Dezember 1979 nur vorgeschoben hat, um eine Arbeitserlaubnis in der Bundesrepublik zu erhalten, hat das FG keine weitere Bedeutung beigemessen. Das FG hat auch nicht berücksichtigt, daß - in Übereinstimmung mit diesem Vortrag - der Antrag auf Gewährung von Asyl von den Ordnungsbehörden der Stadt H mit der Begründung abgewiesen wurde, die vom Kläger vorgetragenen Gründe seien nicht ausreichend. Daß dem Kläger der Reisepaß bereits im Februar 1981 wieder ausgehändigt worden ist und er, wie das FG festgestellt hat, Mitte 1982 in die Türkei zurückgekehrt ist, hat die Vorinstanz nicht beachtet.
Unter diesen Umständen erscheint die Folgerung, die geltend gemachten Aufwendungen seien dem Kläger - nach seinem eigenen Vortrag - wegen politischer Verfolgung aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig im Sinne vom § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG entstanden, nicht nachvollziehbar.
3. Der Senat kann mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen nicht in der Sache selbst entscheiden. Das FG wird bei seiner tatsächlichen und rechtlichen Würdigung des Streitfalls das erst nach Erlaß der Vorentscheidung veröffentlichte Urteil des Bundesfinanzhofs vom 16. Dezember 1983 VI R 93/81 (BFHE 140, 87, BStBl II 1984, 271) zu berücksichtigen haben. Nach der vorstehend genannten Entscheidung ist eine beruflich veranlaßte doppelte Haushaltsführung auch dann anzuerkennen, wenn ein Ausländer in die Bundesrepublik zum Zwecke der Arbeitsaufnahme einreist und hier auch Arbeit findet, er zur Vermeidung einer Abschiebung wahrheitswidrig, im Ergebnis aber erfolglos, in einem Asylverfahren behauptet, politisch verfolgt zu sein.
Fundstellen
Haufe-Index 416111 |
BFH/NV 1989, 299 |