Leitsatz (amtlich)
1. Eine Entschädigung im Sinn des § 24 Nr. 1 Buchst. a oder b EStG kommt nicht in Betracht, wenn ein Arbeitnehmer aufgrund einer mit ihm getroffenen Vereinbarung vorzeitig aus dem Dienstverhältnis ausscheidet, aber aufgrund der getroffenen Vereinbarung noch für eine Mehrzahl von Jahren die Bezüge erhält, die ihm beim Verbleiben im Dienst zugestanden hätten.
2. Erhält der ausgeschiedene Arbeitnehmer die Abfindung für das Ausscheiden aus dem Dienstverhältnis nicht in einer Summe, sondern in Form der Fortzahlung bisheriger Bezüge, so kommen außerordentliche Einkünfte im Sinn des § 34 Abs. 1 und 2 EStG nicht in Betracht.
Normenkette
EStG § 24 Nrn. 1a, 1b, § 34 Abs. 1-2
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten wurden für das Streitjahr 1963 gem. § 26b EStG zur Einkommensteuer zusammen veranlagt. Dabei begehrten sie für einen Teil der Einkünfte des Ehemannes (Steuerpflichtigen) die Steuervergünstigung des § 34 Abs. 1 EStG. Im Gegensatz zur Auffassung des FA gab das FG mit seinem in den EFG 1966, 175 veröffentlichten Urteil dem Klagebegehren des Steuerpflichtigen statt. Nach den Feststellungen des FG war der Steuerpflichtige fast 40 Jahre lang im Konzern B tätig. Bis 1961 war er Vorstandsvorsitzender der A. AG, einer Tochter der Firma B. AG, deren Vorstand er gleichzeitig als Mitglied angehörte. Wegen Unstimmigkeiten mit dem Vorstandsvorsitzenden der B. AG schied er bereits am 30. Juni 1961 aus beiden Unternehmen aus, obwohl sein Dienstvertrag noch bis zum 31. März 1963 lief. Aufgrund einer am 29. Mai 1961 mit dem Steuerpflichtigen getroffenen Vereinbarung sollten ihm die aufgrund seiner Anstellungsverträge zustehenden Bezüge noch bis zum 31. März 1965 fortgewährt werden; anschließend sollte die in seinen Dienstverträgen vorgesehene Pension gezahlt werden. Als Übergangsregelung sollte der Steuerpflichtige eine zusätzliche Zahlung in den Jahren 1965 bis 1967 in Höhe von je 1/3 der Tantieme für das Jahr 1964 erhalten. Mit diesen Zahlungen sollte die dem Steuerpflichtigen zustehende Karenzentschädigung abgegolten sein.
Nach seinem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst wurde dem Steuerpflichtigen neben seiner Pension von 72 000 DM ein sog. Übergangsgeld gezahlt, das 1962 rund 150 000 DM und 1963 230 846 DM betrug. Das FG folgte der Auffassung der Steuerpflichtigen, daß er durch das Übergangsgeld für einen nicht unerheblichen Ausfall an Einnahmen hätte entschädigt werden sollen. Das ergebe sich auch daraus, daß nach der mit dem Steuerpflichtigen getroffenen Vereinbarung die ihm nach dem Dienstvertrag zustehende Karenzentschädigung abgegolten sein sollte. Die an den Steuerpflichtigen gezahlten Entschädigungen seien auch außerordentliche Einkünfte i. S. des § 34 Abs. 1 EStG. Nach der Überzeugung des FG hätte der Steuerpflichtige bei seiner guten geistigen und körperlichen Verfassung noch mindestens zehn Jahre weiter arbeiten können. Die an ihn in der Zeit vom 1. Juli 1961 bis zum 31. März 1965, also in 3 3/4 Jahren, zu zahlenden Beträge seien die Entschädigung für die dem Steuerpflichtigen während mindestens zehn Jahren entgangenen und entgehenden Einnahmen. Wäre die Entschädigung, die insgesamt rund 850 000 DM betrage, auf zehn Jahre verteilt worden, so hätte der Steuerpflichtige in jedem Jahr nur 157 000 DM, nämlich 85 000 DM Entschädigung + 72 000 DM Pension zu versteuern gehabt. Die Zusammenballung der Einnahmen in einem kurzen Zeitraum würde zu einer unbilligen Härte führen. Durch § 34 EStG sollten derartige Unbilligkeiten verhindert werden. Die Entschädigungszahlungen seien hier, obwohl sie nicht in einem Jahr angefallen seien, doch außerordentliche Einkünfte i. S. des § 34 EStG.
Die Revision des FA rügt Verletzung geltenden Rechts, nämlich der §§ 24 Nr. 1a und b und 34 Abs. 1 und 2 Nr. 2 EStG. Die streitigen rund 230 000 DM könnten keine Entschädigung sein, weil der Steuerpflichtige mit dem Ausscheiden aus dem Dienstverhältnis keine Einnahmen verloren habe, mit denen zunächst zu rechnen gewesen wäre. Nach der getroffenen Vereinbarung habe der Steuerpflichtige über das ursprüngliche Vertragsende hinaus noch bis zum 31. März 1965 Bezüge nach seinen Anstellungsverträgen weiter erhalten, wie wenn er noch im aktiven Dienst gewesen wäre. Zusätzliche Zahlungen wären erst für die Jahre 1965 bis 1967 über den Pensionsanspruch hinaus vereinbart worden. Für die Inanspruchnahme der Karenzverpflichtung habe der Steuerpflichtige nichts erhalten, weil diese durch die Weitergewährung der Gehalts- und Pensionsansprüche abgegolten seien. Dafür, daß der Steuerpflichtige durch die Gehaltsnachzahlungen auch für den Verlust weiterer Einnahmen entschädigt werden sollte, finde sich in der Vereinbarung vom 29. Mai 1961 keine Stütze. Außerordentliche Einkünfte i. S. des § 34 Abs. 2 EStG kämen ebenfalls nicht in Betracht, weil der Steuerpflichtige wirtschaftlich nichts anderes erhalten habe als die Fortzahlung seines Gehalts und der sonstigen Bezüge. Auch aus § 34 Abs. 3 EStG könne für die Auffassung des FG nichts hergeleitet werden.
Der Steuerpflichtige hält die Revision des FA für unbegründet. Er hält die Schadensfeststellung des FG für zutreffend, weil ihm die bei normalem Verlauf der Dinge sonst nach dem 65. Lebensjahr erzielbaren Einkünfte durch das vorzeitige Ausscheiden vorenthalten worden seien, so daß er nicht aufgrund freier Mitarbeiterverträge oder Übernahme von Aufsichtsratsmandaten zusätzliche Einkünfte habe erzielen können. Auch durch die Karenzverpflichtung seien erzielbare Einkünfte nicht zu erhalten gewesen. Die Karenzverpflichtung beruhe auch nicht auf einer allgemeinen Treuepflicht der Arbeitnehmer. Die ihm über die zustehende Pension hinaus gezahlten Bezüge müßten deshalb als Entschädigung gewertet werden.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision des FA ist begründet.
Das Urteil des FG geht davon aus, daß die auf der Vereinbarung vom 29. Mai 1961 beruhenden Zahlungen an den Steuerpflichtigen Entschädigungen i. S. des § 24 EStG seien. Es legt dar, welche Verluste der Steuerpflichtige im Hinblick auf weitere Einnahmequellen durch das Ausscheiden aus dem Dienst bei seinen Gesellschaften erlitten habe, und beurteilt im Hinblick hierauf die auf der Vereinbarung beruhenden Zahlungen als eine Entschädigung für diese Verluste. Dabei hat das FG aber die insbesondere von der Rechtsprechung des BFH zur Auslegung des Begriffs "Entschädigung" i. S. des § 24 Nr. 1a EStG ergangene Rechtsprechung nicht berücksichtigt. Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH muß eine solche Entschädigung unmittelbar durch den Verlust steuerpflichtiger Einnahmen bedingt sein und einen Schadensausgleich bewirken. Dazu gehört insbesondere, daß die wirtschaftliche Lage des Steuerpflichtigen zunächst durch den Wegfall einer Einnahmequelle gegen seinen Willen verschlechtert worden ist. Wenn auch diese Rechtsprechung im Schrifttum und in der Rechtsprechung einiger FG auf Widerspruch gestoßen ist, so hat doch der BFH und insbesondere der erkennende Senat an dieser Rechtsprechung festgehalten (vgl. dazu das Urteil des Senats VI R 66/67 vom 17. Juli 1970, BFH 99, 381, BStBl II 1970, 683, und die hier angeführte Rechtsprechung und das Schrifttum). Das Urteil des FG steht mit der sich aus der Rechtsprechung des BFH ergebenden folgerichtigen Sachbeurteilung nicht im Einklang. Es war deshalb wegen Rechtsirrtums gemäß § 118 Abs. 1 und 2, § 126 Abs. 3 FGO aufzuheben.
Für die Beurteilung des Streitfalles kann es nicht wesentlich sein, daß der Steuerpflichtige mit dem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst erhebliche Verluste an Einnahmen erlitten hat, die er sich bei einem Verbleiben in seinem bisherigen Dienstverhältnis errechnen zu können glaubte. Nach den vom FG getroffenen und unbestrittenen Feststellungen endete das vertraglich vereinbarte Dienstverhältnis des Steuerpflichtigen am 31. März 1963. Einen Rechtsanspruch auf eine Verlängerung seines aktiven Dienstverhältnisses hatte der Steuerpflichtige nicht; er sollte nach seinem Dienstvertrag vielmehr zu diesem Zeitpunkt in den Ruhestand treten und nunmehr nur noch das vereinbarte Ruhegeld erhalten. Die vom Steuerpflichtigen am 29. Mai 1961 mit dem Vorstandsvorsitzenden der Muttergesellschaft getroffene Vereinbarung hat die Rechtsansprüche des Steuerpflichtigen aus seinem Dienstvertrag auf Zahlung von Gehalt und Tantieme nicht verschlechtert, sondern sogar wesentlich verbessert. Danach sollte er anstelle der ihm ab 1. April 1963 nur noch zu zahlenden Ruhegelder für weitere zwei Jahre die Bezüge erhalten, die ihm beim Verbleiben im aktiven Dienst zugestanden hätten. Geht man davon aus, daß der Steuerpflichtige keinen Rechtsanspruch auf ein Verbleiben im aktiven Dienst und auf die sich daraus ergebenden Gehaltsansprüche hatte, so kann die Vereinbarung vom 29. Mai 1961 nur dahin beurteilt werden, daß der Steuerpflichtige hierdurch nicht gegen seinen Willen Einnahmen i. S. des § 24 Nr. 1a EStG verloren hat. Es mag dem Steuerpflichtigen zuzugeben sein, daß er bei Fortsetzung seines Dienstverhältnisses noch mit erheblichen Nebeneinkünften rechnen konnte. Sein Rechtsanspruch endete aber mit dem 31. März 1963. Der Senat berücksichtigt auch, daß der Steuerpflichtige sich dem Ansinnen des Vorstandsvorsitzenden kaum entziehen konnte, kurzfristig den aktiven Dienst zu beendigen. Für die Beurteilung des Streitfalles muß aber entscheidend allein darauf abgestellt werden, daß der Steuerpflichtige mit der Vereinbarung vom 29. Mai 1961 eine wesentliche Verbesserung seiner Rechtsansprüche erreicht hat. Aus der getroffenen Vereinbarung läßt sich nichts dafür herleiten, daß die Fortzahlung aktiver Dienstbezüge den Steuerpflichtigen für den Wegfall anderer möglicher Einnahmen entschädigen sollte.
Das Urteil des FG steht auch im Widerspruch zu § 34 Abs. 1 und 2 EStG, wenn das FG die hier streitigen Bezüge des Steuerpflichtigen für das Jahr 1963 als außerordentliche Einkünfte gewertet hat, die nur zu dem ermäßigten Tarifsatz der Einkommensteuer unterworfen werden können. Die Steuervergünstigung des § 34 Abs. 1 EStG kann für die in Abs. 2 angeführten Einkünfte nur gewährt werden, wenn es sich um "außerordentliche" Einkünfte handelt. Als solche hat der BFH in der Regel nur einen einmaligen größeren Zufluß anerkannt, wenn dieser eine Zusammenballung von Einnahmen darstellt, die sich bei normalem Ablauf auf eine Mehrzahl von Jahren verteilt hätten (vgl. BFH-Entscheidung IV 223/58 S vom 17. Dezember 1959, BFH 70, 195, BStBl III 1960, 72, und die hier angeführte Rechtsprechung). Nur in besonders gelagerten Fällen kann diese Steuervergünstigung noch gewährt werden, wenn diese Einkünfte statt in einem Jahr erst innerhalb von zwei Jahren zugeflossen sind (vgl. das angeführte Urteil IV 223/58 S, ferner IV 210/61 vom 4. April 1968, BFH 92, 15, BStBl II 1968, 411 a. E.).
Die Notwendigkeit dieser Beschränkung auf den Zufluß solcher als "außerordentlich" anzuerkennenden Einkünfte auf den Zeitraum eines Jahres und nur in besonderen Fällen auf den zweier Jahre ergibt sich aus dem Sinn dieser Vorschrift, die im Hinblick auf die Härte aus der erhöhten Progression im Fall der Zusammenballung von Einkünften eine Steuerminderung ermöglichen soll. Das FG hat sich zu Unrecht auf das Urteil des erkennenden Senats VI 87/55 U vom 1. Februar 1957 (BFH 64, 271, BStBl III 1957, 104) berufen. Hier hatte der Senat den Zufluß einer Entschädigung, auf die bereits im Vorjahr ein Vorschuß gezahlt worden war, zu den außerordentlichen Einkünften des § 34 Abs. 1 und 2 EStG gerechnet. Der Senat hält aber daran fest, wie er bereits in diesem Urteil ausgesprochen hatte, daß ein Bedürfnis auf diese Tarifvergünstigung gewöhnlich nicht besteht, wenn sich der Zufluß auf mehrere Jahre verteilt.
Im vorliegenden Streitfall haben sich die an den Steuerpflichtigen nach seinem Ausscheiden aus dem Dienst weitergezahlten Gehälter auf einen Zeitraum von fünf Kalenderjahren verteilt. Auch wenn man mit dem FG in diesen weiteren Zahlungen eine Entschädigung, etwa i. S. des § 24 Nr. 1b EStG sehen wollte, so fehlt diesen Einkünften der nach § 34 Abs. 1 und 2 EStG erforderliche Charakter des "Außerordentlichen". Das Urteil des FG wäre deshalb auch aus diesem Grund wegen Rechtsirrtums aufzuheben gewesen.
Die Sache ist spruchreif. Der Senat ist in der Lage, selbst zu erkennen (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO). Das hier streitige Übergangsgeld in Höhe von 230 846 DM ist keine begünstigte Entschädigung i. S. der §§ 24 Nr. 1a und b, 34 Abs. 1 und 2 EStG. Bei der Veranlagung zur Einkommensteuer für das Jahr 1963 hat das FA somit zutreffend die begehrte Steuervergünstigung des § 34 Abs. 1 EStG versagt. Die als Klage zu behandelnde Sprungberufung des Steuerpflichtigen und seiner Ehefrau war nach Aufhebung der Vorentscheidung als unbegründet abzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 69325 |
BStBl II 1971, 137 |
BFHE 1971, 530 |