Entscheidungsstichwort (Thema)

Erstmalige Verwendung maßgebend für Vorsteuerabzug

 

Leitsatz (NV)

Für den Vorsteuerabzug ist die erstmalige Verwendung von Bauleistungen zur Herstellung von Gebäudeteilen maßgebend. Wenn als Büroräume errichtete, aber nicht vermietete Räume umgebaut und erstmals als Wohnungen vermietet worden sind, ist eine vorsteuerabzugsschädliche Verwendung gegeben. Die Steuerfestsetzungen, in denen Vorsteuerbeträge während der Bauzeit abgezogen worden sind, müssen insoweit nachträglich geändert werden.

 

Normenkette

UStG 1980 § 4 Nr. 12 Buchst. a, § 9 Abs. 1-2, § 15 Abs. 2 Nr. 1; AO 1977 § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erwarb von der X-GmbH (GmbH) aufgrund eines notariellen Kaufvertrages vom 24. Januar 1989 ein Grundstück, auf dem ein Gebäude mit zwei Läden und mit einem Selbstbedienungsmarkt im Erdgeschoß, mit Büroräumen im Obergeschoß sowie mit fünf Wohnungen im Dachgeschoß bis zum 1. November 1989 errichtet werden sollte. Die GmbH verpflichtete sich, bis dahin für die Erstvermietung des gesamten Kaufobjekts zu sorgen. Außerdem war vereinbart:

"Sollte der Verkäufer bis zu diesem Zeitpunkt nicht für das gesamte Kaufobjekt Mietverträge mit den unter §4 bezeichneten Mindestanforderungen vermittelt haben, so ist er verpflichtet, die vorstehend bezeichneten Nettomietzinserträge, deren jeweilige Höhe sich aus dem beiliegenden Mietspiegel ergibt, für die zu diesem Zeitpunkt nicht vermieteten Räumlichkeiten an den Käufer zu zahlen und zwar solange, bis die betreffenden Räume gemäß §4 dieser Urkunde vermietet sind und die jeweils 1. Mietzahlung erfolgt ist."

Vereinbarungen über eine Nutzung der Räume durch die GmbH enthält der Vertrag nicht.

Da die GmbH für die am 1. November 1989 fertiggestellten Büroräume keinen Mieter fand, zahlte sie dem Kläger unter Hinweis auf den notariellen Vertrag vom 24. Januar 1989 monatlich Beträge und rechnete darüber z. B. wie folgt ab:

" ... gemäß notarieller Vereinbarung nehmen wir für den Mietmonat ... folgende Abrechnung vor: Büroflächen I. Obergeschoß laufende Positionen 6 --11 Gesamtmietpreis 5 962,00 DM zzgl. 14 % MwSt 834,68 DM, gesamt 6 796,68 DM."

Ab Februar 1991 wurden die Büroräume im ersten Obergeschoß des Gebäudes zu sieben Wohnungen umgebaut. Aufgrund einer entsprechenden Vereinbarung vom 27. Mai 1991 verpflichtete sich die GmbH, dafür die Kosten zu tragen und bis zur Fertigstellung und Vermietung dieser Wohnungen für das erste Obergeschoß Mieten entsprechend den Vereinbarungen in dem Vertrag vom 24. Januar 1989 zu zahlen. Dazu heißt es in dem Vertrag:

"Klarstellend wird vermerkt, daß die X-Gesellschaft mit beschränkter Haftung bis zur Fertigstellung und Vermietung aller Wohnungen zur Mietzahlung gemäß Anlage 13 ... , weiterhin verpflichtet ist. Bis dahin stehen die evtl. gezahlten wohnwirtschaftlichen Mieten der X-Gesellschaft mit beschränkter Haftung zu."

Die Wohnungen wurden ab 1. Juni 1991 steuerfrei vermietet und dem Kläger am 1. Januar 1992 übergeben.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) änderte nach einer Umsatzsteuersonderprüfung die Steuerfestsetzung für 1989, ließ die Vorsteuerbeträge, die auf die im Obergeschoß errichteten Wohnungen entfielen (28,51 v. H. der gesamten Vorsteuerbeträge), nicht mehr zum Abzug zu und setzte Nachzahlungszinsen fest. Den gegen diesen Steueränderungsbescheid und den gegen die Zinsfestsetzung gerichteten Einspruch wies das FA zurück.

Mit der Klage gegen die Festsetzung der Umsatzsteuer und der Zinsen für 1989 begehrte der Kläger den Abzug der auf die Räume im Obergeschoß entfallenden Vorsteuerbeträge und die Aufhebung des Zinsbescheids. Zur Begründung machte er im wesentlichen geltend, daß er die bezeichneten Räume an die GmbH als Büroräume vermietet habe, bevor sie zu Wohnräumen umgebaut worden waren. Die GmbH habe diese Räume als Lager- und Abstellräume nutzen dürfen. Sie habe die Räume vom 1. November 1989 bis zum 30. September 1991 auch zur Lagerung von Archivmaterial, Akten, Bemusterungstafeln und als Zwischenlager für Baustoffmuster und Möbel für ein Musterhaus genutzt.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage gegen den während des finanzgerichtlichen Verfahrens aus anderen Gründen geänderten und zum Gegenstand des Verfahrens erklärten Umsatzsteuerbescheid für 1989 vom 18. Dezember 1995 ab. Zur Begründung führte es u. a. aus, der Kläger könne Vorsteuern aus Rechnungen über die Errichtung des Obergeschosses in seinem Wohn- und Geschäftshaus nicht abziehen, weil er die Räume nicht für Umsätze verwendet habe, die den Vorsteuerabzug zuließen. Soweit er der GmbH die Räume nach anfänglichem -- rechtsunerheblichem -- Leerstand zur Nutzung überlassen habe, sei dies unentgeltlich geschehen und schließe den Vorsteuerabzug aus (§15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 des Umsatzsteuergesetzes -- UStG 1980 -- i. V. m. §4 Nr. 12 UStG 1980).

Zur Überzeugung des Gerichts stehe aufgrund der Beweisaufnahme fest, daß die GmbH das erste Obergeschoß des seit dem 1. November 1989 fertiggestellten Gebäudes durch Einlagerung von Gegenständen seit dem Frühjahr 1990 bis zum III. Quartal 1991 zwar wirklich genutzt habe, daß dafür aber kein Entgelt geleistet worden sei.

Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung von sachlichem Recht. Er führt aus, das FG habe verkannt, daß die Garantieübernahme eine Nebenleistung zu den aus dem Bauvertrag geschuldeten Bauleistungen und wie diese steuerpflichtig sei. Das FG hätte außerdem als erste Verwendung der Räume im Obergeschoß deren Nutzung als Lagerräume aufgrund eines Mietvertrages und nicht als Wohnräume würdigen müssen.

Im übrigen sie der Vorsteuerabzug schon aufgrund der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften in dem Urteil vom 29. Februar 1996 Rs. C-110/94 -- Inzo (Slg. 1996, I 857, 870, BStBl II 1996, 655) gerechtfertigt, der für die Annahme einer umsatzsteuerrechtlichen Unternehmereigenschaft das ernsthafte Bemühen für ausreichend erachtet habe, umsatzsteuerrechtliche Leistungen zu erbringen. Ein Leistungsaustausch sei danach, wie bisher vom Bundesfinanzhof (BFH) angenommen, nicht mehr erforderlich.

Der Kläger beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und weitere Vorsteuerbeträge von ... DM zu berücksichtigen.

Das FA ist der Revision entgegengetreten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet (§126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Rechtlich zutreffend hat das FG für die abschließende Beurteilung des Vorsteuerabzugs aus Rechnungen über die Herstellung der Räume in dem Obergeschoß auf die erstmalige Verwendung dieser Räume durch Umsätze gegen Entgelt abgestellt. Revisionsrechtlich unangreifbar hat es erkannt, daß die für den Vorsteuerabzug maßgebliche erstmalige Verwendung dieser Räume durch steuerfreie Vermietung als Wohnungen (§4 Nr. 12 Buchst. a UStG) ausgeführt wurde. Dadurch wurde der Vorsteuerabzug nach §15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG 1980 ausgeschlossen. Der angefochtene Umsatzsteuerbescheid durfte nach §164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) -- wie geschehen -- geändert werden.

1. Nach der Rechtsprechung des Senats (Urteile vom 26. Februar 1987 V R 1/79, BFHE 149, 307, BStBl II 1987, 521, und vom 9. September 1993 V R 42/91, BFHE 173, 231, BStBl II 1994, 269) hängt der Anspruch auf Vorsteuerabzug nicht vom Zeitpunkt der Verwendung der bezogenen Leistungen ab. Vielmehr entsteht der Vorsteuerabzugsanspruch materiell-rechtlich abschließend mit Ablauf des Besteuerungszeitraums, in dem die umsatzbezogenen Merkmale des §15 Abs. 1 UStG 1980 vorliegen. Er entfällt jedoch mit Rückwirkung auf den Entstehungszeitpunkt, wenn die bezogenen Leistungen später innerhalb der Festsetzungsfrist erstmals für abzugsschädliche Umsätze eingesetzt werden. Dieses Regelungskonzept kann durch eine Änderung einer damit nicht vereinbarten Steuerfestsetzung verwirklicht werden. Bei dieser (erstmaligen oder geänderten) Steuerfestsetzung können alle bis dahin vorliegenden erheblichen Umstände berücksichtigt werden (so BFH in BFHE 149, 307, BStBl II 1987, 521, unter 2.).

2. Die Revision hat keinen Erfolg, weil das FG revisionsrechtlich unangreifbar als erstmalige Verwendung der Bauleistungen zur Herstellung der Räume im Obergeschoß deren steuerfreie Vermietung als Wohnungen angesehen hat (§15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG 1980). Die dafür herangezogenen tatsächlichen Feststellungen des FG, die der Kläger mit begründeten Verfahrensrügen nicht angegriffen hat, sind für das Revisionsgericht bindend (§118 Abs. 2 FGO).

Die Würdigung des FG, die Nutzung der bezeichneten Räume bis zur Vermietung als Wohnräume sei nicht durch Umsatz gegen Entgelt ausgeführt worden, beruht nicht auf fehlerhafter Rechtsanwendung (§96 Abs. 1 FGO). Das FG hat dabei die gesetzlichen Regeln für die Auslegung von Willenserklärungen unter Einbeziehung der wesentlichen Begleitumstände (vgl. dazu BFH-Urteil vom 6. Oktober 1988 V R 124/83, Umsatzsteuer-Rundschau 1989, 156, unter 1. c) beachtet und im Ergebnis mögliche, nicht Denkgesetzen oder allgemeinen Erfahrungssätzen widersprechende tatsächliche Schlußfolgerungen gezogen. Zwingend brauchen diese Folgerungen nicht zu sein (vgl. dazu Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, §118 Rz. 17, m. w. N.).

Das FG hat aufgrund des widersprüchlichen Vortrags des Klägers, der schriftlichen Vereinbarungen mit der GmbH in dem Kaufvertrag vom 24. Januar 1989 und dem Schreiben vom 27. Mai 1991 sowie der Aussage des Prokuristen der GmbH die Überzeugung gewonnen, daß die GmbH das Obergeschoß nicht gemietet hatte, sondern daß sie es nur zur Begrenzung eines bereits eingetretenen Schadens benutzen durfte. Die Zahlungen der GmbH waren nach den Feststellungen des FG nicht Mietentgelt, sondern Erfüllung der Mietgarantie. Daß zwischen den Beteiligten auch über Nebenkosten abgerechnet worden war, hat das FG beachtet. Es hat diesem Umstand aber nicht den von dem Kläger dargelegten Beweiswert für den Abschluß eines Mietvertrags beigemessen, weil die Nebenkosten, die durch die Nutzung der Räume entstanden waren, nur gering waren, weil nicht der Kläger, sondern die GmbH darüber abgerechnet hatte, weil dies nachträglich (am 27. Juni 1991) geschehen war und weil der Kläger und die GmbH nach der schriftlichen Vereinbarung vom 27. Mai 1991 einvernehmlich davon ausgegangen waren, daß die GmbH weiter ausschließlich aufgrund der in dem Kaufvertrag vom 24. Januar 1989 kalkulierten Mietzinsen zur Zahlung einer Mietgarantie für nicht vermietete Räume verpflichtet war.

Die Schlußfolgerung des FG, daß der Kläger die Räume nicht an die GmbH vermietet hatte und die Zahlungen der GmbH nicht als Mietentgelt zu beurteilen seien, ist danach möglich. Eine andere Nutzung der Räume im Obergeschoß gegen Entgelt hat das FG nicht festgestellt.

Die rechtliche Beurteilung, daß die Räume im Obergeschoß vor der vorsteuerabzugsschädlichen Vermietung als Wohnräume nicht durch einen entgeltlichen steuerpflichtigen Umsatz, der den Vorsteuerabzug zuläßt, verwendet worden sind, ist nicht zu beanstanden. Sie trägt die Klageabweisung.

 

Fundstellen

Haufe-Index 67029

BFH/NV 1998, 891

HFR 1998, 675

UR 1998, 232

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