Leitsatz (amtlich)
Aufgrund einer Rechtsprechungsänderung besteht zu einer Billigkeitsmaßnahme dann kein Anlaß, wenn der Steuerpflichtige die Möglichkeit der Änderung bereits in seine Disposition einbezogen hat.
Orientierungssatz
1. Über eine begehrte Billigkeitsmaßnahme nach § 163 Abs. 1 AO 1977 kann nicht im Rahmen der Gewinnfeststellung, sondern nur durch gesonderten Verwaltungsakt entschieden werden (vgl. zur Zweigleisigkeit das BFH-Urteil vom 28.11.1980 VI R 226/77). Hat der Ausgang des Billigkeitsverfahrens aber Einfluß auf den Inhalt des Gewinnfeststellungsverfahrens (hier: wegen beantragter Zuerkennung eines Veräußerungsfreibetrages gemäß § 16 Abs. 4 EStG; vgl. dazu auch das BFH-Urteil vom 10.7.1986 IV R 12/81), so ist es sachgerecht, daß das FA das zur Gewinnfeststellung anhängige Einspruchsverfahren ausgesetzt hat.
2. Weicht eine höchstrichterliche Entscheidung von einer bisher allgemein geübten Verwaltungsauffassung ab oder hat sich die bisherige Rechtsprechung verschärft, so müssen ggf. allgemeine Übergangsregelungen oder Anpassungsregelungen ergehen, um den Steuerpflichtigen im Interesse der Gleichmäßigkeit der Besteuerung einen Steuervorteil zu erhalten oder im Vertrauen auf die bisherige Rechtsprechung getätigte Dispositionen nicht zu enttäuschen. Soweit der Vertrauensschutz nicht durch eine allgemeine Billigkeitsregelung gewährt wird, muß ihm durch Einzelmaßnahmen Rechnung getragen werden (vgl. BFH-Rechtsprechung).
Normenkette
AO 1977 § 163 Abs. 1, § 180 Abs. 1 Nr. 2a, §§ 176, 363 Abs. 1, § 227 Abs. 1; EStG § 16 Abs. 4
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war einziger Kommanditist einer KG; Mitglied war außerdem ein Komplementär. Zum 31.Dezember 1977 schied der Kläger aus der KG aus. Für den Kläger wurde hierbei ein positives, für den Komplementär ein negatives Kapitalkonto errechnet. Der Kläger erhielt eine Abfindung von 91 300 DM. In der Vereinbarung über das Ausscheiden des Klägers war folgendes vorgesehen:
Sollte dem Kläger der Freibetrag gemäß § 16 Abs.4 EStG von 60 000 DM im Rahmen des Ausscheidens zum 31.Dezember 1977 nicht oder nicht in voller Höhe zugerechnet werden, so verpflichtet sich die KG, die sich aus einer berichtigten Steuerveranlagung für den Kläger ergebenden Steuernachzahlungen zu übernehmen. Dies gilt nicht, sofern die Berichtigung der Steuerveranlagung auf einer Änderung der Rechtsprechung oder einer geänderten Rechtsauffassung der Finanzverwaltung beruht.
In der Gewinnfeststellungserklärung der KG für 1977 war für den Kläger kein Veräußerungsgewinn angegeben. Im Einspruchsverfahren gegen den Gewinnfeststellungsbescheid 1977 wurde dieser Gewinn vom Kläger und dem früheren Komplementär schließlich mit 43 879 DM errechnet. Im Juli 1982 erließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) einen entsprechend geänderten Feststellungsbescheid, der unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stand; über den Freibetrag nach § 16 Abs.4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) war darin nicht befunden. Im Oktober 1982 fand eine Betriebsprüfung statt. Der Prüfer errechnete den Veräußerungsgewinn des Klägers mit 42 215 DM und einen anteiligen Veräußerungsfreibetrag in Höhe von 18 222 DM. Bei der Berechnung dieses Freibetrags ging der Prüfer nicht vom Verhältnis der Kapitalkonten, sondern entsprechend dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 17.April 1980 IV R 174/76 (BFHE 130, 497, BStBl II 1980, 566) von den auf den Kläger und den Komplementär entfallenden stillen Reserven des Betriebs aus; hierbei berücksichtigte er auch die stillen Reserven im Sonderbetriebsvermögen des Komplementärs. In dieser Weise änderte das FA den Gewinnfeststellungsbescheid 1977.
Gegen den geänderten Bescheid erhob der Kläger Einspruch, über den noch nicht entschieden ist. Zusätzlich beantragte er, ihm im Wege einer Billigkeitsmaßnahme den Freibetrag in voller Höhe zu gewähren. Im Zeitpunkt seines Ausscheidens aus der KG sei nach der Rechtsprechung und Verwaltungspraxis der Freibetrag im Verhältnis der Kapitalkonten des Ausscheidenden und der verbleibenden Gesellschafter aufgeteilt worden; habe der ausscheidende Gesellschafter über ein positives, der Verbleibende über ein negatives Kapitalkonto verfügt, habe dem ausscheidenden Gesellschafter der volle Freibetrag zugestanden. Hierin sei erst durch das erwähnte BFH-Urteil eine Änderung eingetreten. Wäre sie schon bei Abschluß der Ausscheidungsvereinbarung bekannt gewesen, hätte er auf einer höheren Abfindung bestanden oder wäre überhaupt nicht aus der Gesellschaft ausgeschieden. Zudem hätte das FA den Freibetrag schon in seinem ersten Bescheid vom September 1979 feststellen müssen. Ihm wäre dann der Betrag in voller Höhe zuerkannt worden; gegen die spätere Rechtsprechung wäre er gemäß § 176 Abs.1 Nr.3 der Abgabenordnung (AO 1977) geschützt gewesen.
Das FA hat diesem Antrag nicht stattgegeben; auch die Beschwerde blieb erfolglos. Die hiergegen gerichtete Klage hat das Finanzgericht (FG) abgewiesen, weil der Oberfinanzdirektion (OFD) bei ihrer Entscheidung kein Ermessensfehler unterlaufen sei.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger Fehlanwendung der AO 1977.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. Mit seiner Klage und Revision will der Kläger erreichen, daß ihm im Gewinnfeststellungsbescheid der früheren KG für 1977 der in § 16 Abs.4 EStG für die Veräußerung eines Mitunternehmeranteils vorgesehene Freibetrag im Wege einer Billigkeitsmaßnahme gemäß § 163 Abs.1 AO 1977 in voller Höhe zuerkannt wird. In welchem Umfang einem ausscheidenden Gesellschafter der Freibetrag zusteht, wird in der Tat im Gewinnfeststellungsbescheid festgelegt (BFH-Urteil vom 10.Juli 1986 IV R 12/81, BFHE 147, 63, BStBl II 1986, 811).
Über die begehrte Billigkeitsmaßnahme konnte nicht im Rahmen der Gewinnfeststellung entschieden werden; hierzu mußte vielmehr ein gesonderter Verwaltungsakt ergehen (vgl. BFH-Urteil vom 28.November 1980 VI R 226/77, BFHE 132, 264, BStBl II 1981, 319). Da der Ausgang dieses Verfahrens Einfluß auf den Inhalt des Gewinnfeststellungsbescheids haben kann, ist es sachgerecht, daß das FA das hierzu anhängige Einspruchsverfahren ausgesetzt hat.
2. Der Kläger hält den Erlaß der Billigkeitsmaßnahme aus sachlichen Gründen für erforderlich, weil er im Zeitpunkt der Vereinbarung über sein Ausscheiden aus der KG von der Fortführung einer Verwaltungspraxis ausgegangen sei, die ihm den vollen Freibetrag zuerkannt hätte, während ihm aufgrund einer zwischenzeitlich ergangenen BFH-Entscheidung der Freibetrag nur teilweise zustehe. Dem Kläger ist einzuräumen, daß aufgrund eines derartigen Sachverhalts eine Billigkeitsmaßnahme erforderlich werden kann.
Es entspricht allgemeiner Überzeugung, daß bei einer Verschärfung der bisherigen Rechtsprechung aufgrund der §§ 163 Abs.1 und 227 Abs.1 AO 1977 ggf. allgemeine Übergangs- oder Anpassungsregelungen ergehen müssen, um den Steuerpflichtigen im Interesse der Gleichmäßigkeit der Besteuerung einen Steuervorteil zu erhalten oder im Vertrauen auf die bisherige Rechtsprechung getätigte Dispositionen nicht zu enttäuschen (vgl. BFH-Entscheidung vom 23.Februar 1979 III R 16/78, BFHE 127, 476, BStBl II 1979, 455; BFHE 132, 264, BStBl II 1981, 319). Dieser Vertrauensschutz wird darüber hinaus für den Fall als erforderlich angesehen, daß eine höchstrichterliche Entscheidung von einer bisher allgemein geübten Verwaltungsauffassung abweicht (Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19.Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BStBl II 1972, 603; BFHE 132, 264, BStBl II 1981, 319). Soweit der Vertrauensschutz nicht durch eine allgemeine Billigkeitsregelung gewährt wird, muß ihm durch Einzelmaßnahmen Rechnung getragen werden (vgl. BFH-Beschluß vom 25.Juni 1984 GrS 4/82, BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751, 764).
3. Der in § 16 Abs.4 EStG vorgesehene Freibetrag ist in früherer Zeit auf die Gesellschafter einer gewerblich tätigen Personengesellschaft nach dem Buchwert ihrer Kapitalkonten aufgeteilt worden (BFH-Urteile vom 22.August 1957 IV 154/56 U, BFHE 65, 314, BStBl III 1957, 352; vom 20.September 1963 VI 26/63 U, BFHE 77, 498, BStBl III 1963, 503). Die Finanzverwaltung hat dem auch folgen wollen, wenn ein Gesellschafter mit negativem Kapitalkonto ausscheidet; es sollte dann das negative Kapitalkonto dem Buchwert des gesamten Betriebsvermögens gegenübergestellt werden (Schreiben des Bundesministers für Wirtschaft und Finanzen --BMWF-- vom 26.September 1972, Der Betrieb --DB-- 1972, 1896; Betriebs-Berater --BB-- 1972, 1216). Hieraus ließ sich folgern, daß der mit negativem Kapitalkonto ausscheidende Gesellschafter keinen Anteil am Freibetrag hat, wenn der verbleibende Gesellschafter über ein positives Kapitalkonto verfügte und daß andererseits ein mit positivem Kapitalkonto ausscheidender Gesellschafter den vollen Freibetrag beanspruchen könne, wenn der verbleibende Gesellschafter ein negatives Kapitalkonto hatte.
Von dieser Berechnungsweise ist der erkennende Senat in seinem Urteil in BFHE 147, 63, BStBl II 1980, 566 abgewichen; er geht nunmehr davon aus, daß der Freibetrag in dem Verhältnis unter die Gesellschafter aufzuteilen ist, in dem diese an den stillen Reserven des Unternehmens einschließlich des Sonderbetriebsvermögens beteiligt sind. Danach konnte der Kläger nur einen Teil des Freibetrags in Anspruch nehmen.
4. Gegenüber diesem Wandel in der Rechtsprechung konnte der Kläger zunächst Vertrauensschutz unter den Voraussetzungen des § 176 Abs.1 Nr.3 und Abs.2 AO 1977 beanspruchen. Hiernach ist die Abänderung eines Steuerbescheids ausgeschlossen, in dem die bisherige Rechtsauffassung zugunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt worden ist. Dies ist im Streitfall aber nicht geschehen; vielmehr ist über den Freibetrag zugunsten des Klägers erstmals in dem der Betriebsprüfung folgenden Änderungsbescheid entschieden worden. Der Kläger war damit auf eine Billigkeitsmaßnahme nach § 163 Abs.1 AO 1977 angewiesen. Die Finanzbehörde hat eine derartige Maßnahme unter den besonderen Verhältnissen des Streitfalls jedoch zu Recht abgelehnt.
Sie wäre allenfalls gerechtfertigt, wenn der Kläger bei Abschluß der Ausscheidungsvereinbarung allein aufgrund der bisherigen Verwaltungsübung disponiert hätte. Hierfür spricht, daß die Zurechnung des Freibetrags Grundlage der Vereinbarung war und daß der Kläger eine Nachzahlung erhalten sollte, wenn ihm der Freibetrag nicht oder nicht in voller Höhe gewährt werde. Wie das FG unter Hinweis auf den Schriftwechsel zwischen den Gesellschaftern festgestellt hat, sollte damit der Möglichkeit Rechnung getragen werden, daß sich nach einer Betriebsprüfung auch für den Komplementär ein positives Kapitalkonto ergab und dem Kläger aufgrund der früheren Rechtsauffassung damit nicht mehr der volle Freibetrag zustand. Dagegen war die Nachforderung ausdrücklich für den Fall ausgeschlossen, daß die Berichtigung der Steuerveranlagung auf einer Änderung der Rechtsprechung oder einer geänderten Rechtsauffassung der Finanzverwaltung beruhte. Diese Einschränkung läßt sich möglicherweise daraus erklären, daß das Risiko einer Nachzahlung infolge einer Veränderung der Kapitalkonten nach einer Betriebsprüfung für den Komplementär überschaubar war, während er bei einer Änderung der Rechtsprechung oder der Verwaltungsauffassung mit einer weit höheren Nachzahlung rechnen mußte.
Jedenfalls haben aber die Vertragsbeteiligten einen Wandel in der Rechtsanwendung ins Auge gefaßt und dieses Risiko dem Kläger zugewiesen. Der Kläger kann deswegen gegen den Eintritt dieses Wandels nicht Vertrauensschutz in Anspruch nehmen. Dabei ist unerheblich, aus welchen Gründen der Kläger dieses Risiko übernommen hat und ob er eine Änderung der Rechtsanwendung für unwahrscheinlich hielt, wie die Revision vorträgt. Ausschlaggebend ist allein, daß der Kläger bei seiner Disposition auch einen Rechtsprechungswandel berücksichtigt, also nicht allein auf die Aufrechterhaltung des bisherigen Rechtszustandes vertraut hat.
5. Der Revision ist einzuräumen, daß sich für den Kläger ein günstigeres Ergebnis eingestellt haben könnte, wenn die Finanzverwaltung eine allgemeine Übergangsregelung des Inhalts erlassen hätte, daß die bisherige Rechtsauffassung zugunsten solcher Gesellschafter anzuwenden sei, die ihren Mitunternehmeranteil vor Bekanntwerden der Entscheidung in BFHE 147, 63, BStBl II 1980, 566 übertragen hätten. Die Finanzverwaltung war aber nicht gehalten, eine derartige Übergangsregelung zu erlassen; da die neue Rechtsprechung für ausscheidende Gesellschafter mit negativem Kapitalkonto sowie auch für solche Gesellschafter vorteilhafter ist, die an den stillen Reserven in größerem Umfang als an den Buchwerten des ausgewiesenen Betriebsvermögens beteiligt sind, hätten sich aus einer derartigen Regelung kaum lösbare Probleme ergeben, wenn mehrere Mitunternehmer ihre Anteile veräußerten. Angesichts solcher Schwierigkeiten konnte sich die Finanzverwaltung auf Einzelfallentscheidungen nach § 163 Abs.1, § 227 Abs.1 AO 1977 beschränken (vgl. BFH-Urteil vom 10.November 1982 I R 142/79, BFHE 137, 202, BStBl II 1983, 280). Der Kläger kann deshalb nicht verlangen, so gestellt zu werden, als wäre eine generelle Regelung ergangen.
Fundstellen
Haufe-Index 62828 |
BFH/NV 1989, 13 |
BStBl II 1990, 261 |
BFHE 155, 487 |
BFHE 1989, 487 |
BB 1989, 1609-1611 (LT) |
DB 1989, 863 (KT) |
DStR 1989, 226 (KT) |
HFR 1989, 286 (LT) |