Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Ein hirnverletzter, in seiner Erwerbsfähigkeit um 70 v. H. geminderter Kriegsbeschädigter, der keine Pflegezulage nach § 35 des Bundesversorgungsgesetzes erhält, kann den Freibetrag der Gruppe 9 nach § 26 Abs. 1 LStDV 1955 nicht beanspruchen.
Normenkette
EStG § 33a/6; EStDV § 65/9; LStDV § 26/1/9; BVG § 35 Abs. 1
Tatbestand
Streitig ist, ob der durch eine Kriegsbeschädigung hirnverletzte und in seiner Erwerbsfähigkeit dadurch um 70 v. H. geminderte Bf. einen Freibetrag von 3.600 DM nach der Gruppe 9 der Aufstellung in § 26 Abs. 1 LStDV 1955 beanspruchen kann, obwohl er keine Pflegezulage nach § 35 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) erhält. Das Finanzamt hat seinen darauf gerichteten Antrag bei dem Lohnsteuerjahresausgleich für 1956 abgelehnt. Einspruch und Berufung hiergegen hatten keinen Erfolg.
Das Finanzgericht führte aus: Es sei zwar anzunehmen, daß auf diesen Pauschbetrag auch solche Personen Anspruch haben könnten, die keine Zulage wegen besonderer Pflegebedürftigkeit erhielten. Dies könnten aber immer nur Körperbeschädigte sein, die keine Versorgungsansprüche nach dem BVG hätten; denn für die nach diesem Gesetz versorgten Beschädigten enthalte § 35 Abs. 1 BVG eine zutreffende und erschöpfende Begriffsbestimmung der besonders pflegebedürftigen Körperbeschädigten. Da der Bf. keine Pflegezulage nach dieser Vorschrift beziehe, könnte er allenfalls dann als besonders pflegebedürftig im Sinne des § 26 Abs. 1 LStDV 1955 angesehen werden, wenn er außer der Kriegsbeschädigung noch durch eine andere Körperbeschädigung in einem besonders pflegebedürftigen Zustand sei. Das sei jedoch unstreitig nicht der Fall. Der Bf. könne sich demgegenüber nicht auf Abschn. 40 Abs. 3 Satz 2 LStR 1955 stützen. Diese Verwaltungsanweisung enthalte zwar eine brauchbare Auslegung des Begriffs "besonders pflegebedürftige Körperbeschädigte". Die in ihr vorgesehene Gleichstellung ergebe jedoch für die unter die Vorschriften des BVG fallenden Kriegsbeschädigten keinen Sinn. Aber selbst wenn man anderer Auffassung sei, könne die Gleichstellung nur in Betracht kommen für Personen, die ebenso hilflos seien wie die Pflegezulagenempfänger nach dem BVG, die aus diesem Grund eine der versorgungsrechtlichen Pflegezulage vergleichbare laufende Geldleistung erhielten.
Der Bf. wendet sich mit der Rb. dagegen, daß das Finanzgericht die Begriffe "besonders pflegebedürftig" in § 26 Abs. 1 LStDV und "Pflegezulagenempfänger" im Sinne des § 35 BVG gleichgesetzt hat. Unrichtig sei auch die Annahme des Finanzgerichts, daß es sich bei den besonders Pflegebedürftigen um Körperbeschädigte handeln müsse, die so hilflos seien wie die Pflegezulagenempfänger, und daß sie außerdem eine dieser Zulage vergleichbare laufende Geldleistung erhalten müßten. Wenn das Finanzgericht schon nicht zu dem Ergebnis gelangt ist, daß Sonderfürsorgeberechtigte immer zu der Gruppe der den Pflegezulagen- und Pflegegeldempfängern gleichzustellenden Personen gehörten, so hätte es mindestens prüfen müssen, ob nicht den Hirnverletzten wegen der bei ihnen vorliegenden besonderen Verhältnisse ebenso wie den Blinden ganz allgemein eine Sonderstellung zukomme. Eine Beweiserhebung in dieser Richtung hätte ergeben, daß die Hirnverletzten wegen ihrer Beschädigung den Pflegezulagenempfängern nicht nur gleichzustellen seien, sondern daß sie sogar einen Vorrang vor ihnen haben müßten. Schließlich werde gerügt, daß das Finanzgericht nicht dazu Stellung genommen habe, daß die Freibeträge der Gruppe 9 auch für berufstätige Arbeitnehmer mit gutem Einkommen vorgesehen seien, was mit einer Beschränkung auf körperlich vollkommen Hilflose unvereinbar sei.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist nicht begründet.
Nach § 26 Abs. 1 LStDV 1955 steht "Blinden und besonders pflegebedürftigen Körperbeschädigten", wenn sie erwerbstätig sind, für das Streitjahr 1956 ein Freibetrag von 3.600 DM zu. Der Kreis der nach § 26 Abs. 1 LStDV 1955 begünstigten Arbeitnehmer sollte nach Abs. 2 dieser Vorschrift durch die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrats abgegrenzt werden. Dies ist für die besonders pflegebedürftigen Körperbeschädigten in Abschn. 40 Abs. 3 LStR 1955 geschehen, in dem bestimmt wurde, daß zu ihnen auch die Bezieher der versorgungsrechtlichen Zulagen oder des unfallversicherungsrechtlichen Pflegegeldes gehören sowie außerdem solche Personen, die auf Grund gesetzlicher Vorschriften diesen Körperbeschädigten gleichzustellen sind. Der Bf. stützt sich zur Begründung seines Antrags auf Einreihung in den begünstigten Personenkreis im wesentlichen auf Abschn. 40 LStR 1955. Er verkennt dabei, daß diese Bestimmung lediglich eine zur Auslegung des § 26 LStDV ergangene, die Finanzgerichte nicht bindende Verwaltungsanordnung ist. Der erkennende Senat hat außerdem im Urteil VI 72/56 U vom 22. November 1957 (BStBl 1958 III S. 44, Slg. Bd. 66 S. 11) ausgeführt, daß die in § 26 Abs. 2 LStDV 1955 erteilte Ermächtigung ebenso wie die auf ihr beruhenden Abgrenzungsregelungen mit Art. 80 Abs. 1 des Grundgesetzes nicht zu vereinbaren sind und deshalb der Rechtswirksamkeit entbehren. Unter diesen Umständen kann Abschn. 40 LStR 1955 für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits keine wesentliche Bedeutung zukommen. Die Entscheidung hängt vielmehr allein von der Auslegung des § 26 Abs. 1 LStDV 1955 ab.
Der als Arbeitnehmer erwerbstätige Bf. ist infolge einer Kriegsbeschädigung hirnverletzt und dadurch in seiner Erwerbsfähigkeit um 70 v. H. gemindert. Das Finanzgericht hat eine besondere Pflegebedürftigkeit im Sinne des § 26 Abs. 1 Gruppe 9 LStDV 1955 bei ihm verneint mit der Begründung, daß bei den nach dem BVG betreuten Körperbeschädigten der Freibetrag den Bezug einer Pflegezulage nach § 35 BVG voraussetze. Nach dieser Vorschrift erhält ein Beschädigter eine Pflegezulage, wenn er "infolge der Schädigung so hilflos ist, daß er nicht ohne fremde Wartung und Pflege bestehen kann". Der Senat hat keine Bedenken, ebenso wie das Finanzgericht davon auszugehen, daß dieser Zustand dem der besonderen Pflegebedürftigkeit im Sinne des § 26 Abs. 1 Gruppe 9 LStDV 1955 entspricht. Wenn das Finanzgericht daraus die Folgerungen gezogen hat, daß bei Körperbeschädigten, die nach dem BVG versorgt werden, der Freibetrag von 3.600 DM nach der angeführten Bestimmung wegen besonderer Pflegebedürftigkeit nur dann in Betracht kommt, wenn diese Personen eine Pflegezulage nach § 35 BVG erhalten, so bestehen hiergegen keine rechtlichen Bedenken. Die Richtigkeit dieser Auslegung wird bestätigt durch die jetzt geltende Fassung des § 26 Abs. 1 LStDV, die diese Vorschrift durch die Verordnung zur änderung und Ergänzung der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung vom 30. Dezember 1959 (BGBl 1960 I S. 1, BStBl 196O I S. 26) erhalten hat und durch die eine übereinstimmung auch mit dem Wortlaut des § 35 BVG hinsichtlich des Kreises der besonders pflegebedürftigen Personen herbeigeführt wurde. Der Auffassung des Bf., Hirnverletzte seien den Blinden gleichgestellt und deshalb ebenso wie sie immer ohne Rücksicht auf den Grad ihrer Erwerbsminderung der Gruppe 9 einzureihen, kann schon deshalb nicht gefolgt werden, weil in § 35 Abs. 1 letzter Satz BVG für Hirnverletzte im Gegensatz zu Blinden eine Pflegezulage allgemein nur bei Erwerbsunfähigkeit vorgesehen ist.
Für Hirnverletzte ohne Pflegezulage, die nach dem BVG betreut werden, könnte eine Einordnung in die Gruppe 9 allenfalls dann in Betracht kommen, wenn sie außer der Hirnverletzung noch eine andere, nicht durch eine Kriegsverletzung verursachte Beschädigung hätten und sie infolge beider Verletzungen als besonders pflegebedürftig bezeichnet werden könnten. Dieser Fall liegt aber bei dem Bf. unstreitig nicht vor.
Ob und unter welchen Voraussetzungen Körperbeschädigten, die nach einem anderen Gesetz eine Beschädigtenversorgung erhalten, der Freibetrag nach Gruppe 9 des § 26 Abs. 1 LStDV 1955 zugestanden werden kann, braucht hier nicht entschieden zu werden, da diese Frage für die Beurteilung des vorliegenden Rechtsstreits keine Bedeutung hat. Der Senat sieht deshalb auch davon ab, zu den diesbezüglichen Ausführungen in der Vorentscheidung Stellung zu nehmen. Soweit das Finanzgericht zu der Gewährung des Freibetrags an die nach dem BVG betreuten Personen Ausführungen gemacht hat, tritt der Senat ihnen bei. Die hiergegen gerichtete Rb. kann daher keinen Erfolg haben.
Fundstellen
Haufe-Index 409625 |
BStBl III 1960, 165 |
BFHE 1960, 439 |
BFHE 70, 439 |