Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Ein Notar kann ohne den Nachweis, daß gerade die von ihm ausgeübte Tätigkeit eine Inanspruchnahme befürchten läßt, die über diejenige des Durchschnittsnotariats erheblich hinausgeht, keine Pauschalrückstellung wegen der beruflichen Regreßgefahr bilden. Die Bildung von Einzelrückstellungen ist ihm, sofern deren Voraussetzungen vorliegen, nicht verwehrt.
Normenkette
EStG § 6 Abs. 1 Ziff. 3
Tatbestand
Die Sache befindet sich im zweiten Rechtsgang. Streitig ist die Bildung von Haftpflichtrückstellungen des Steuerpflichtigen, eines buchführenden Notars, für die Veranlagungszeiträume II/1948 und 1949. Wegen des Sachverhalts wird auf die im ersten Rechtsgang ergangene Entscheidung des Senats IV 470/55 U vom 22. Mai 1958 (BStBl 1958 III S. 345, Slg. Bd. 67 S. 192) Bezug genommen. Im zweiten Rechtsgang anerkannte das Finanzgericht die Rückstellung im Wege griffweiser Schätzung in Höhe von 10 % des Gewinns für II/1948 und in Höhe von 6 % des Gewinns für 1949.
Entscheidungsgründe
Die Rb. des Steuerpflichtigen ist unbegründet. Auf die Anschlußbeschwerde des Vorstehers des Finanzamts wird die Vorentscheidung und Einspruchsentscheidung des Finanzamts aufgehoben und die Sache zur Steuerberechnung an das Finanzamt zurückverwiesen.
1. Mit Recht hat das Finanzgericht im zweiten Rechtsgang nicht nur die Frage der Höhe, sondern auch die Frage der Berechtigung einer Rückstellungsbildung dem Grunde nach erneut geprüft. Die Entscheidung des Senats im ersten Rechtsgang enthält keine Rechtsauffassung dahingehend, daß im Streitfall die Rückstellungsbildung dem Grunde nach ohne weiteres berechtigt und nur der Höhe nach noch zweifelhaft sei. Die Entscheidung spricht lediglich davon, daß, wenn sich die vom Steuerpflichtigen vorgetragenen Umstände als richtig erwiesen, "unter Umständen" eine Rückstellungsbildung für Haftpflichtinanspruchnahmen der Notare in Betracht kommen könne, im Gegensatz zu der sonst für die Bildung von Haftpflichtrückstellungen maßgeblichen Beurteilung. Im vorletzten Absatz spricht das Urteil davon, daß die Frage, ob und in welcher Höhe im Einzelfall eine Rückstellung zulässig sei, nach den Verhältnissen am Bilanzstichtag zu beurteilen und es hierzu zweckmäßig sei, die beruflichen Standesorganisationen zu hören sowie sich der mit diesen Versicherungszweig befaßten Versicherungsgesellschaften zu bedienen. Hiernach bestand für das Finanzgericht keine Bindungswirkung dergestalt, daß es im zweiten Rechtsgang davon auszugehen gehabt hätte, die Rückstellung sei im Streitfall dem Grunde nach berechtigt. Aus den gleichen Gründen besteht eine Bindungswirkung auch nicht für die erneute Entscheidung des erkennenden Senats.
2. Nach den vom Finanzgericht ohne Rechtsirrtum getroffenen Feststellungen haben die vom Senat in seinem Urteil im ersten Rechtsgang angeregten Ermittlungen zu keinem brauchbaren Ergebnis geführt. Alle Beteiligten am Rechtsstreit einschließlich der Gutachter sind sich lediglich darüber einig, daß die Tätigkeit der Notare je nach Art der von ihnen zu beurkundenden Geschäfte und nach der Lage der Notariate einem mehr oder minder großen Risiko ausgesetzt ist. Dieser Umstand allein genügt jedoch nicht, die Bildung von Rückstellungen für die Notare ganz allgemein anzuerkennen. Die Bildung von Rückstellungen erfordert, daß am Bilanzstichtag nicht nur mit der Möglichkeit, sondern mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit einer Inanspruchnahme aus einer ungewissen Schuldverbindlichkeit zu rechnen ist. Die ernstzunehmende Gefahr einer Inanspruchnahme kann sich aus den Verhältnissen des Betriebs, aus allgemeinen Brancheerfahrungen für den Betrieb oder aus einer gewissen natürlichen Risikobehaftetheit bestimmter Geschäftsvorfälle ergeben. Das letztere ist z. B. bei den typischen Garantierückstellungen und beim Delkredere der Fall. Hier wird anerkannt, daß Pauschalrückstellungen wegen Garantieverpflichtungen und zu befürchtenden Ausfällen bei Forderungen allein deshalb in einem allerdings mäßigen Rahmen gebildet werden können, weil nach der Lebenserfahrung auch ohne besonderen Nachweis mit Inanspruchnahmen bzw. Ausfällen gerechnet werden muß. Diesem Umstand kann durch eine Pauschalrückstellung Rechnung gegen werden (vgl. insbesondere Urteile des Bundesfinanzhofs I 60/57 U vom 1. April 1958, BStBl 1958 III S. 291, Slg. Bd. 67 S. 47; I 128/60 S vom 9. Mai 1961, BStBl 1961 III S. 336, Slg. Bd. 73 S. 187). Für die Zulässigkeit eines solchen Verfahrens bei Haftpflichtinanspruchnahmen der Notare bestehen nach Auffassung des Senats keine Anhaltspunkte. Die Haftpflichtinanspruchnahmen der Notare können nicht den üblichen Garantieinanspruchnahmen, wie sie z. B. bei Bauunternehmern auftreten, gleichgestellt werden. Zwar besteht eine ähnliche Gefahr wie bei Garantieverbindlichkeiten auch bei beruflichen Haftpflichtverbindlichkeiten. Wesentliche Unterschiede liegen aber darin, daß Haftpflichtverbindlichkeiten nicht die Haftung für mit einer gewissen Gesetzmäßigkeit auftretende Massenrisiken wie Garantieverbindlichkeiten darstellen, soweit für diese nicht Einzelrisiken in Betracht kommen; daß in der Regel Umfang und Inhalt der Inanspruchnahmen anders geartet sind als bei Garantiefällen und daß sie, wie sie hier in Betracht kommen, stets das Vorliegen eines Verschuldens voraussetzen (vgl. auch Urteil des Senats IV 165/59 S vom 17. Januar 1963, BStBl 1963 III S. 237, Slg. Bd. 76 S. 651). Aus all diesen Gründen enthalten die Haftpflichtversicherungsbedingungen durchweg auch den Ausschluß eines Versicherungsschutzes wegen Garantieinanspruchnahmen.
Mit Recht weist schon das Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 407/27 vom 12. August 1927 (RStBl 1928 S. 5) darauf hin, daß es gleichgültig sei, ob am Bilanzstichtag Erfahrungen über die voraussichtliche Höhe einer Inanspruchnahme bereits vorliegen. In diesem Fall muß aber eine Grundlage für die Rückstellungsbildung wenigstens in den Erfahrungen des betreffenden Betriebszweigs gefunden werden können. Diese müssen, darauf weist die genannte Entscheidung des Reichsfinanzhofs ausdrücklich hin, dergestalt sein, daß nach den Umständen mit einer Inanspruchnahme ernstlich zu rechnen und eine solche Inanspruchnahme nicht bloß eine ganz vereinzelte ist. Nach dem Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 2177/30 vom 9. März 1932 (RStBl 1932 S. 512) ist die übliche Regreßgefahr des Notars offenbar eine dem allgemeinen Unternehmerwagnis zuzurechnende Gefahr, für die eine Rückstellung nicht gebildet werden kann. Nur wenn z. B. durch eine änderung der Rechtsprechung die ernstliche Gefahr erwächst, daß nunmehr Schadensersatzansprüche auf Grund einer bestimmten früheren Tätigkeit mit Erfolg geltend gemacht werden können, hält die Entscheidung die Bildung einer Rückstellung für möglich. Hierbei ist zwar nicht erforderlich, daß bereits Schritte im Sinne einer Inanspruchnahme des Notars, etwa durch Streitverkündung, Klageerhebung oder in anderer Weise, unternommen worden sind. Immer aber muß es sich darum handeln, daß für einen aus einer bestimmten früheren Tätigkeit drohenden Schadensersatzanspruch bereits in dem Jahr, für das die Rückstellung gebildet werden soll, die Gefahr der Regreßhaftung erkennbar bestand.
Wendet man diese Grundsätze auf den vorliegenden Streitfall an, so kann das Begehren des Steuerpflichtigen auf Bildung einer Pauschalrückstellung nicht als gerechtfertigt angesehen werden. Das Gutachten Z. gibt zwar auf S. 82 unter Abschn. F eine Methode wieder, nach der der Schätzungsrahmen für eine Rückstellung wegen Haftpflichtverbindlichkeiten des Notars ermittelt werden kann. Der Senat hält diese Methode, die von der Summe der Objekte ausgeht und die durch eine abgeschlossene Haftpflichtversicherung erfolgte Deckung berücksichtigt, für brauchbar. Für die Entscheidende Frage aber, ob und in welcher Höhe im so ermittelten Schätzungsrahmen eine Rückstellung im Einzelfall tatsächlich möglich ist, gibt auch das Gutachten Z. keine brauchbaren Anhaltspunkte. Wenn Z. meint, daß man die Rückstellung etwa mit 1 bis 2 1/2 % des oberen Schätzungsrahmens bemessen könne, so sind hierfür keine Unterlagen beigebracht. Ein solcher Prozentsatz, mag er auch als niedrig erscheinen, bedeutet Willkür. Es fehlt an Feststellungen, in welcher Höhe Inanspruchnahmen etwa bei der Gesamtheit der Notare im Verhältnis zu den von ihnen bearbeiteten Objekten eingetreten sind. Dahingehende Unterlagen konnten auch weder der Sachverständige F. noch die gutachtliche äußerung der X.-Versicherung geben. Nach dem Gutachten des Sachverständigen F. hat jeder Notar durchschnittlich lediglich etwa alle vier Jahre mit einem Regreßanspruch zu rechnen. Im Falle des Steuerpflichtigen sind unwidersprochen in der Zeit von II/1948 bis 31. Dezember 1953 erfolgreiche Inanspruchnahmen gegen ihn nur in Höhe von 4 460 DM feststellbar. Nach Auffassung des Senats lassen diese Feststellungen eine Schluß darauf zu, wie sich die Verhältnisse ganz allgemein bei den Notaren in den zehn Jahren seit II/1948 gestaltet haben. Der Steuerpflichtige hat nicht vorgetragen, daß bei ihm besonders ungünstige Verhältnisse vorgelegen hätten. Auch der vom Steuerpflichtigen gemachte Vorschlag, die Rückstellung etwa in Höhe des Durchschnittsbetrags eines Objekts innerhalb eines Zeitraums von vier Jahren unter Weglassung der nicht risikobehafteten Objekte zu bemessen, der offenbar auf die dargelegte äußerung des Sachverständigen F. über die einmalige Inanspruchnahme jedes Notars durchschnittlich alle vier Jahre zurückgeht, erscheint dem Senat nicht gangbar. Eine einzige zu befürchtende Inanspruchnahme durchschnittlich innerhalb von vier Jahren kann keine Grundlage für eine noch im Rahmen einer ernsthaft drohenden Gefährdung liegende Schätzung sein.
Die im Urteil des Senats des ersten Rechtsgangs angestellte überlegung, für die Höhe der Rückstellung könne der Versicherungsbeitrag als Anhaltspunkt dienen, der aufgewendet werden müßte, wenn eine Versicherungsgesellschaft einen 100 - prozentigen Versicherungsschutz gewähren würde, vermag ebenfalls zu keiner anderen Entscheidung zu führen. In der gutachtlichen äußerung der X.-Versicherung wird dargestellt, daß sich Prämien für Versicherungen, durch die Versicherungsgesellschaften den Notaren einen 100 - prozentigen und der Höhe nach nicht beschränkten Versicherungsschutz gewähren, mit mathematischer Genauigkeit nicht errechnen ließen. Diese Angaben werden durch den mündlich gehörten Sachverständigen F. bestätigt. Es könnte hier lediglich in Frage kommen, eine Rückstellung wegen zu leistender Beiträge zu bilden, wie sie nach den am Bilanzstichtag auf Grund bereits eingetretener Schäden zu befürchtenden Inanspruchnahmen durch die Versicherungsgesellschaften von den einzelnen Versicherungsnehmern anzufordern wären, wenn die Beiträge im Umlageverfahren erhoben würden. In der gutachtlichen äußerung der X.-Versicherung wird übrigens auch darauf hingewiesen, daß hinsichtlich der von den Notaren selbst zu übernehmenden Anteile an Schadensaufwendungen keine systematischen Auswertungen vorlägen, die konkrete Schlüsse über die effektiven Eigenleistungen der Notare zuließen.
Keiner der Gutachter und auch der Steuerpflichtige selbst nicht sind hiernach in der Lage, auf Grund einigermaßen gesicherter Erfahrungen nachprüfbare Angaben zu machen, die eine Schätzung der Rückstellung zuließen. Bei dieser Sachlage muß davon ausgegangen werden, daß es sich bei den drohenden Regreßansprüchen der Notare im allgemeinen um vereinzelte Inanspruchnahmen im Sinne der Entscheidung des Reichsfinanzhofs VI A 407/27 handelt. Für derartig vage Risiken können Pauschalrückstellungen nicht gebildet werden. Ein Notar, der eine solche Pauschalrückstellung bilden will, muß den Nachweis führen, daß gerade seine Tätigkeit eine besondere Häufung von Haftungsrisiken aufweist, die erheblich über das nach den hier für das Durchschnittsnotariat getroffenen Feststellungen hinausgeht.
Den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung würde es entsprechen, wenn ein Notar wegen eines am Bilanzstichtag bereits ernsthaft drohenden bestimmten Einzelrisikos eine Einzelrückstellung bilden würde. Der Senat ist der Auffassung, daß unter den gegebenen Umständen namentlich für die vom Steuerpflichtigen selbst aufgeführten besonders risikobehafteten Geschäfte, wie z. B. Beurkundung schwieriger Testamente, schwieriger Gesellschaftsverträge kurz nach der Währungsumstellung im Zusammenhang mit der Umstellungsgesetzgebung u. ä., nur die Form der Einzelrückstellung in Frage kommt. Hierzu ist aber, wie schon betont, erforderlich, daß die Gefahr der Regreßhaftung am Bilanzstichtag bzw. am Tag der Bilanzaufstellung bereits erkennbar war. Das gleiche gilt für die Eigenschäden des Notars aus Verwahrungsgeschäften, die völlig aus dem Versicherungsschutz durch die Haftpflichtversicherung ausgenommen sind. Es geht nicht an und würde willkürlich erscheinen, wenn man wegen des Risikos, das möglicherweise in den Verwahrungsgeschäften enthalten ist, dem Notar die Bildung einer Rückstellung in einer irgendwie geschätzten Höhe zubilligen würde. Auch hier muß am Bilanzstichtag bzw. am Bilanzaufstellungstag wenigstens erkennbar sein, daß Vorgänge vorgekommen sind, die die ernsthafte Gefahr einer Regreßhaftung heraufbeschworen haben.
Da im Streitfall die Bildung einer Rückstellung nicht anerkannt werden kann, mußte die Rb. des Steuerpflichtigen, der noch eine über die Entscheidung des Finanzgerichts hinausgehende Rückstellung zugebilligt haben will, als unbegründet zurückgewiesen werden. Auf die Anschlußbeschwerde des Vorstehers des Finanzamts mußten darüber hinaus die Vorentscheidung und die Einspruchsentscheidung aufgehoben werden. Die Sache wird zur Steuerberechnung an das Finanzamt zurückverwiesen.
Fundstellen
Haufe-Index 411183 |
BStBl III 1964, 404 |
BFHE 1964, 471 |
BFHE 79, 471 |
BB 1964, 835 |
DB 1964, 1359 |
DStR 1964, 430 |