Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Die Bildung von Garantierückstellungen oder von Rückstellungen für Haftpflichtverbindlichkeiten richtet sich auch bei einem Prüfingenieur für Baustatik und beratenden Ingenieur nach den für Kaufleute geltenden Grundsätzen. Die Ausführungen des die Bildung von Rückstellungen bei Notaren betreffenden Urteils des Senats IV 470/55 U vom 22. Mai 1958 (BStBl 1958 III S. 345, Slg. Bd. 67 S. 192) treffen auf Ingenieure nicht zu. EStG § 5, § 6 Abs. 1 Ziff. 3.
Normenkette
EStG §§ 5, 6/1/3
Tatbestand
In der Rb. ist noch streitig, ob der Steuerpflichtige, Prüfingenieur für Baustatik und beratender Ingenieur für das gesamte Bauwesen, auf den 31. Dezember 1954 eine Haftpflicht- oder Garantierückstellung in Höhe von 49 081 DM bilden durfte. Die von ihm zunächst in der Bilanz 1954 gebildete Rückstellung betrug 109 081 DM. Auf seine Berufung, die sich gegen die Streichung dieser Rückstellung durch das Finanzamt richtete, anerkannte das Finanzgericht die Rückstellung dem Grunde nach, ermäßigte sie aber mit Rücksicht darauf auf den Betrag von 49 081 DM, daß der Steuerpflichtige das Haftpflichtrisiko aus seiner freiberuflichen Tätigkeit durch eine Fremdversicherung bis zu 30 000 DM für jeden einzelnen Schadensfall abgesichert hatte. Es ging davon aus, daß die Rückstellungsmöglichkeit für die Tätigkeit als Prüfingenieur und für diejenige als beratender Ingenieur getrennt zu beurteilen sei. Deshalb setzte das Finanzgericht die Deckungssumme von 30 000 DM zweimal ab. Es begründete die Berechtigung des Steuerpflichtigen, eine Rückstellung zu bilden, im wesentlichen wie folgt:
Nach dem Verhalten mehrerer Auftraggeber habe der Steuerpflichtige mit Recht befürchten müssen, daß er auf Schadenersatz aus Fehlern während seiner Tätigkeit als Prüfingenieur und als beratender Ingenieur in Anspruch genommen werde. Deshalb sei die Rückstellungsbildung dem Grunde nach berechtigt. Auch gegen die Höhe der Rückstellung sei unter Berücksichtigung der Deckung durch die Haftpflichtversicherung nichts einzuwenden, weil der Steuerpflichtige sich an die anerkannten Sätze für Bauunternehmer gehalten habe. Der Steuerpflichtige sei in gleicher Weise wie ein Kaufmann berechtigt, den gebotenen Satz zu bestimmen. Da nur wenige Schäden bisher aufgetreten seien und es deshalb an ausreichenden Erfahrungen für die Rückstellungsbildung fehle, bestünden gegen die Anwendung der Sätze für Bauunternehmer keine Bedenken.
Der Vorsteher des Finanzamts begründete seine Rb. im wesentlichen damit, der Steuerpflichtige sei nach dem Inhalt der Versicherung für jedes Schadenereignis bis zur Höhe von 30 000 DM Sachschaden versichert. Die Versicherung sei für den Fall eingegangen, daß der Steuerpflichtige auf Grund eines von ihm bei Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit begangenen Verstoßes auf Schadenersatz in Anspruch genommen werde. Diesen Tatbestand habe das Finanzgericht verkannt, wie sich vor allem aus der Anwendung der Grundsätze über Garantierückstellungen für Bauunternehmer zeige. Es handle sich nicht um Garantierückstellungen, sondern um Rückstellung für mögliche Haftpflichtverbindlichkeiten. Das seien zwei wesentlich verschiedene Rückstellungsgründe, die nicht miteinander verglichen werden könnten. Bei beratenden Ingenieuren und Prüfingenieuren kämen Haftpflichtverbindlichkeiten allgemein sehr selten vor, während bei Bauunternehmern Garantieverpflichtungen laufend in Erscheinung träten. Es lägen deshalb auch keine allgemein anwendbaren Erfahrungssätze für die Bildung von Haftpflichtrückstellungen vor. Zwar seien auch bei Freiberuflern Rückstellungen für Haftpflichtverbindlichkeiten grundsätzlich zulässig, wenn und soweit am Bilanzstichtag bestehende Verbindlichkeiten mit Sicherheit oder mindestens mit einiger Wahrscheinlichkeit dargetan werden könnten. Es genüge jedoch nicht die Möglichkeit einer Inanspruchnahme. Daß der Steuerpflichtige mit einiger Wahrscheinlichkeit mit Haftpflichtinanspruchnahmen zu rechnen habe, sei ihm erst mit den Schreiben vom 8. Januar 1957, 21. August 1957 und 9. Januar 1958 bekanntgeworden. Am Bilanzstichtag und am Tag der Aufstellung der Bilanz 1954 hätten jedenfalls keinerlei Anhaltspunkte dafür bestanden, daß Ansprüche geltend gemacht werden könnten und daß der Versicherungsschutz zur Deckung von etwaigen Haftpflichtverbindlichkeiten nicht ausreichen werde.
Entscheidungsgründe
Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts, über die mündliche Verhandlung stattfand, ist begründet.
Die Ausführungen der Rb. sind im wesentlichen rechtlich einwandfrei. Die vom Steuerpflichtigen vorgebrachten Einwendungen überzeugen nicht. Der Steuerpflichtige irrt, wenn er die Rb. schon deshalb für unbegründet hält, weil der Vorsteher des Finanzamts lediglich Kritik an den tatsächlichen Feststellungen des Finanzgerichts bezüglich der Möglichkeit oder hohen Wahrscheinlichkeit einer Inanspruchnahme übe, und es nicht Aufgabe des Bundesfinanzhofs sei, das Ermessen eines Steuerpflichtigen beim Ansatz von Bilanzposten in der Weise zu überprüfen, daß an die Stelle des Ermessens des Steuerpflichtigen das Ermessen der Finanzbehörden gesetzt werde. Eine Rb. kann jedenfalls darauf gestützt werden, daß das Finanzgericht aus unstreitigen Tatsachen falsche rechtliche Schlüsse gezogen habe. Zu falschen rechtlichen Schlüssen zählt auch eine Würdigung der unstreitigen Tatsachen durch das Finanzgericht, die gegen die Denkgesetze oder das geltende Recht verstößt oder mit dem Inhalt der Akten nicht vereinbar ist. Im Streitfall wehrt sich der Vorsteher des Finanzamts dagegen, daß das Finanzgericht aus den drei Schreiben vom 8. Januar 1957, 21. August 1957 und 9. Januar 1958 den Schluß zog, der Steuerpflichtige habe am Bilanzstichtag vom 31. Dezember 1954 ernsthaft mit Inanspruchnahmen auf Grund von ihm begangener Vertragsverletzungen rechnen müssen. Diese Rüge des Vorstehers des Finanzamts ist begründet.
Rückstellungen werden für ungewisse Schuldverbindlichkeiten, drohende Verluste und selbständig bewertungsfähige Lasten gebildet. Ihre Höhe muß geschätzt werden. Die Schätzungen müssen in einem objektiv nachprüfbaren Rahmen liegen (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs IV 142/53 U vom 19. November 1953, BStBl 1954 III S. 16, Slg. Bd. 58 S. 264; I 137/59 U vom 29. November 1960, BStBl 1961 III S. 154, Slg. Bd. 72 S. 416). Selbst bei großzügiger Anwendung dieses Grundsatzes kann eine Schätzung nicht anerkannt werden, für die nicht die geringsten Anhaltspunkte und Grundlagen erkennbar sind. Im Streitfall macht der Steuerpflichtige Rückstellungen sowohl wegen Garantieverpflichtungen als auch wegen Haftpflichtverbindlichkeiten geltend. In keinem Fall liegen hinreichende Grundlagen für eine Schätzung vor.
Kostenlose Nacharbeiten oder Ersatzlieferungen sowie Schadenersatz wegen Nichterfüllung auf Grund gesetzlicher oder vertraglicher Garantie sind Erlösschmälerungen. Weist ein Kaufmann, der zu Garantieleistungen verpflichtet ist, in einem Wirtschaftsjahr das volle Leistungsentgelt als Bruttoertrag aus, so kann sich ein zu günstiges Bild ergeben. Unter dem Gesichtspunkt dynamischer Bilanzbetrachtung und richtiger Periodenabgrenzung kann der Kaufmann künftige Erlösschmälerungen durch Garantierückstellungen berücksichtigen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs I 60/57 U vom 1. April 1958, BStBl 1958 III S. 291, Slg. Bd. 67 S. 47). Er ist dabei berechtigt, solche Rückstellungen auf Grund der in der Vergangenheit gemachten Erfahrungen auch dann in gewissem Umfang zu bilden, wenn zwar am Bilanzstichtag oder am Tag der Bilanzaufstellung Garantiefälle noch nicht bekanntgeworden sind, er aber auf mit einer gewissen Regelmäßigkeit nach Grund und Höhe auftretende tatsächliche Garantieinanspruchnahmen hinweisen kann (vgl. besonders Urteil des Bundesfinanzhofs I 198/60 U vom 18. Oktober 1960, BStBl 1960 III S. 495, Slg. Bd. 71 S. 659). Selbst dort, wo das letztere nicht der Fall ist, ist eine vorsichtige Rückstellungsbildung zulässig, sofern sich aus den branchenmäßigen Erfahrungen und der individuellen Gestaltung des Betriebs die Wahrscheinlichkeit ergibt, Garantieleistungen auf Grund gesetzlicher Mängelhaftung oder vertraglicher Vereinbarung erbringen zu müssen. Diese Grundsätze gelten auch für Angehörige der freien Berufe.
Rückstellungen für Haftpflichtverbindlichkeiten können in dieser mehr oder weniger pauschalen Weise nicht zugelassen werden. Die Voraussetzungen für Haftpflichtinanspruchnahmen sind andere als die für Garantieleistungen. Sie sind grundsätzlich von einem schuldhaften Verhalten des Verpflichteten abhängig und erstrecken sich nicht lediglich auf kostenlose Nacharbeiten, Ersatzlieferungen und Ersatzleistungen oder auf Schadenersatz wegen Nichterfüllung, sondern betreffen die Inanspruchnahme wegen weitergehender Schäden dritter Personen (vgl. auch die Unterscheidung in den Versicherungsbedingungen der Haftpflichtversicherung in B § 5 Ziff. 8, wo die reinen Garantieleistungen aus der Haftpflichtversicherung des Steuerpflichtigen ausdrücklich ausgenommen sind. Die Versicherung erstreckt sich nach § 2 Abs. 1 der Versicherungsbedingungen auf Personen- oder Sachschäden, für deren Ersatz der Unternehmer auf Grund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privaten Inhalts auf Schadenersatz in Anspruch genommen wird). Haftpflichtverbindlichkeiten treten im allgemeinen selten und vereinzelt auf und können durch eine Rückstellung in der Bilanz nur insoweit berücksichtigt werden, als die Haftpflichtinanspruchnahme wenigstens dem Grunde nach am Bilanzstichtag ernsthaft zu befürchten war. Das kann nur in Fällen anerkannt werden, in denen spätestens bis zum Tag der Bilanzaufstellung ein Schadenersatz gegenüber dem Verpflichteten geltend gemacht wird oder wenigstens die den Anspruch begründenden Tatsachen im einzelnen bekanntgeworden sind. Nur dann kann die entscheidende Voraussetzung jeder Rückstellung als erfüllt angesehen werden, daß mit dem Eintritt einer Verbindlichkeit oder eines Verlustes am Bilanzstichtag ernstlich zu rechnen war (vgl. Urteile des Reichsfinanzhofs VI A 1413/32 vom 13. Juli 1933, RStBl 1933 S. 1085; VI 382/41 vom 14. Januar 1942, RStBl 1942 S. 183).
Dem Vorsteher des Finanzamts ist darin beizupflichten, daß die Voraussetzung für die Geltendmachung einer Haftpflichtrückstellung für den Bilanzstichtag vom 31. Dezember 1954 nicht vorlagen. Die erst Jahre später an den Steuerpflichtigen herangetragenen drei Schadensfälle genügen nicht, um Rückschlüsse auf den 31. Dezember 1954 ziehen zu können. Die besonderen Schwierigkeiten der Tätigkeit des Steuerpflichtigen rechtfertigen keine andere Würdigung. Am Bilanzstichtag drohten hieraus keine Haftpflichtfälle. Der Steuerpflichtige schätzte die ihn angeblich bedrohende Haftpflichtgefahr offensichtlich deshalb selbst nicht sehr hoch ein. Denn er versicherte sich nur verhältnismäßig gering, obwohl bei einer mäßigen Prämienerhöhung eine etwa dreimal so hohe Versicherung möglich gewesen wäre. Es muß zwar dem Steuerpflichtigen überlassen bleiben, ob er sich gegen mögliche Haftpflichtinanspruchnahmen versichert. Unterläßt er eine Versicherung oder versichert er sich im Verhältnis zu den von ihm behaupteten wahrscheinlichen Inanspruchnahmen nur unzureichend, obwohl eine ausreichende Versicherung im Bereich des leicht Möglichen lag, so kann hieraus aber der Schluß gezogen werden, daß er selbst das Eintreten von Haftpflichtfällen nur in einer Höhe befürchtete, die einer höhere Versicherung unvernünftig hätte erscheinen lassen. Er kann dann jedenfalls im Steuerprozeß nicht erfolgreich geltend machen, ihn bedrohten am Bilanzstichtag ganz bestimmte abschätzbare und erhebliche Haftpflichtrisiken. In einem solchen Fall sind an den Nachweis des Bestehens von Haftpflichtverbindlichkeiten am Bilanzstichtag besonders strenge Anforderungen zu stellen.
Auch die Anwendung der Rechtsgrundsätze über die Zulässigkeit von Garantierückstellungen führt im Streitfall nicht zur Anerkennung der begehrten Rückstellung. Auch für die Anerkennung einer Garantierückstellung fehlt jede tatsächliche Grundlage. Der Steuerpflichtige übte bis zum Jahr 1954 seine frei Berufstätigkeit bereits 20 Jahre lang aus, ohne, was unstreitig ist, bisher aus gesetzlicher oder vertraglich vereinbarter Garantiepflicht in Anspruch genommen worden zu sein. Auch bis zur mündlichen Verhandlung lag keine Inanspruchnahme vor, die zu einer eigenen Zahlung des Steuerpflichtigen führte. Dieser Tatbestand ist offenbar symptomatisch für die Angehörigen eines freien Berufs. Deshalb kommt auch eine Rückstellungsbildung zu irgendeinem späteren Zeitpunkt nicht in Betracht. Selbst wenn in Zukunft gelegentlich ein durch die Versicherung nicht gedeckter Garantiefall eintreten sollte, so handelt es sich bei der Art der Berufstätigkeit des Steuerpflichtigen offenbar um Ausnahmen, die die Möglichkeit einer pauschalen Rückstellung nicht eröffnen. Aus solchen Einzelfällen kann eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für das regelmäßige Auftreten von Garantieverpflichtungen nicht entnommen werden. Hieran vermag auch das Vorbringen des Steuerpflichtigen nichts zu ändern, er habe sich mit seiner Tätigkeit auf unerforschtes Neuland begeben. Will ein Steuerpflichtiger die bisherige Garantierückstellung wesentlich erhöhen, so muß er hierfür konkrete und im einzelnen nachprüfbare Tatsachen anführen. Das gilt erst recht, wenn ein Steuerpflichtiger wegen bisherigen Fehlens eines Rückstellungsgrundes erstmals zur Bildung von Garantierückstellungen übergehen will. Bei Veränderung der betrieblichen Verhältnisse können allerdings auch ohne Anführung solcher Tatsachen aus der Vergangenheit und in gewissem Umfang auch aus der künftigen Entwicklung Schlüsse gezogen werden (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs I 198/60 U, a. a. O.). Im Streitfall sind aber auch zukünftige Umstände, die eine wohlfundierte Schätzung der begehrten Garantierückstellung ermöglichen, nicht ersichtlich. Auch mit den Verhältnissen der Bauunternehmer können die Verhältnisse des Steuerpflichtigen in diesem Punkt nicht verglichen werden. Für die Bauunternehmer ergibt sich aus branchenmäßigen Erfahrungen eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für das Eintreten mangelhafter Werkherstellung, um Garantierückstellungen in bestimmten Prozentsätzen des Umsatzes anzuerkennen. Gerade das aber ist bei der Tätigkeit des Steuerpflichtigen nicht der Fall.
Der Steuerpflichtige kann sich nicht auf die Entscheidung des Senats IV 470/55 U vom 22. Mai 1958 (BStBl 1958 III S. 345, Slg. Bd. 67 S. 192) stützen, nach der bei buchführenden Notaren die Bildung einer Rückstellung zur Berücksichtigung von Haftpflichtverbindlichkeiten nicht dadurch ausgeschlossen wird, daß zum Bilanzstichtag noch keine Inanspruchnahme durch einen Auftraggeber vorliegt. Die Würdigung des Senats im Fall des Urteils IV 470/55 U beruhte auf der Annahme, daß bei der Eigenart der Tätigkeit der Notare Garantie- oder Haftpflichtfälle mit gewisser Regelmäßigkeit auftreten würden. Sollte diese auf tatsächlichem Gebiet liegende Annahme nicht zutreffen, so gelten die hier entwickelten Grundsätze auch für Notare.
Fundstellen
Haufe-Index 410730 |
BStBl III 1963, 237 |
BFHE 1963, 651 |
BFHE 76, 651 |
BB 1963, 547 |
DB 1963, 641 |