Leitsatz (amtlich)
1. Zur Aktivierung eines Anspruchs auf Warenrückvergütungen.
2. Zum Ansatz der Gewerbesteuerrückstellung nach der sog. 9/10-Methode.
Normenkette
EStG § 5
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die für das Streitjahr 1974 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden.
Der Kläger (Ehemann) betrieb als Einzelunternehmer einen Handel mit Maschinen. Seinen Gewinn ermittelte er nach § 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Das Wirtschaftsjahr war gleich dem Kalenderjahr. Der Kläger war Mitglied der I. e. G. (im folgenden: Genossenschaft) und gehörte auch dem Aufsichtsrat dieser Genossenschaft an. Gegenstand des Unternehmens der Genossenschaft ist der Ein- und Verkauf von Maschinen. Das Wirtschaftsjahr der Genossenschaft ist gleich dem Kalenderjahr. Seit 1967 hat der Kläger alljährlich von der Genossenschaft in steigender Höhe Warenrückvergütungen erhalten. Die für das jeweils abgelaufene Kalenderjahr zu erwartenden Warenrückvergütungen wurden in den Bilanzen des Klägers bis 1973 - nach Darstellung der Kläger auf Veranlassung der Finanzverwaltung - stets als Aktivposten ausgewiesen. In der Bilanz zum 31. Dezember 1974, vom Kläger am 30. September 1975 unterzeichnet, hat der Kläger die Warenrückvergütungen für 1974 nicht mehr aktiviert.
Die Warenrückvergütungen für 1974 hat die Generalversammlung der Genossenschaft am 5. November 1975 auf der Grundlage des Anfang September aufgestellten und dem Aufsichtsrat am 18. September 1975 vorgelegten Jahresabschlusses beschlossen. Nach einer Mitteilung der Genossenschaft vom 12. Dezember 1975 an den Kläger betrug dessen Anspruch auf Warenrückvergütung für 1974 netto 45 480 DM.
Im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung für das Streitjahr 1974 vertrat der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) die Auffassung, in der Bilanz zum 31. Dezember 1974 sei der Anspruch auf Warenrückvergütungen für 1974 in Höhe von 45 480 DM (Warenrückvergütung 50 482,80 DM minus Umsatzsteuer 5 002,80 DM) zu aktivieren. Demgemäß erhöhte das FA den erklärten Gewinn aus Gewerbebetrieb von 120 534 DM unter Berücksichtigung einer Gewerbesteuerrückstellung von 11 800 DM auf 160 715 DM und setzte eine Einkommensteuerschuld 1974 von 61 795 DM fest (Einkommensteuerbescheid vom 23. April 1976; Einspruchsentscheidung vom 14. März 1977).
Die Klage, mit der die Kläger eine Herabsetzung der Einkommensteuerschuld auf 42 003 DM begehrten, hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) entschied, das FA habe den Anspruch des Klägers gegen die Genossenschaft auf Warenrückvergütungen für 1974 zu Recht in der Bilanz zum 31. Dezember 1974 aktiviert, weil der Kläger am Bilanzstichtag fest damit habe rechnen können, daß er in 1975 für 1974 von der Genossenschaft, wie in den Vorjahren, eine Warenrückvergütung in der dann tatsächlich gewährten Höhe erhalten werde. Auch die Gewerbesteuerrückstellung sei zutreffend berechnet.
Mit der Revision beantragen die Kläger, das angefochtene Urteil, die Einspruchsentscheidung und den Einkommensteuerbescheid 1974 aufzuheben und "eine Veranlagung entsprechend der eingereichten Steuererklärung für das Jahr 1974 gutzuheißen", hilfsweise, die Gewerbesteuerrückstellung von 11 800 DM um 900 DM auf 12 700 DM zu erhöhen. Die Kläger rügen Verletzung materiellen Rechts, insbesondere der handelsrechtlichen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nur zu einem geringen Teil begründet.
1. Der Senat pflichtet dem FG darin bei, daß jedenfalls dann, wenn, wie im Streitfall nach den tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils anzunehmen ist, bereits in der Satzung der Genossenschaft ein Anspruch auf Warenrückvergütung begründet ist, der Kläger seinen Anspruch auf Warenrückvergütungen für 1974 in seiner Steuerbilanz zum 31. Dezember 1974 aktivieren mußte.
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) muß in der Steuerbilanz aktiviert werden, was handelsrechtlich wenigstens aktiviert werden darf (grundlegend Beschluß vom 3. Februar 1969 GrS 2/68, BFHE 95, 31, 36, BStBl II 1969, 291; ferner z. B. Urteil vom 9. Februar 1978 IV R 201/74, BFHE 124, 520, 522, BStBl II 1978, 370). Nach Handelsrecht richtet sich die Aktivierung von Vermögensgegenständen (Wirtschaftsgütern), wozu auch Forderungsrechte gehören, nicht allein nach bürgerlichrechtlichen, sondern auch nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Voraussetzung für eine Aktivierung ist danach, daß ein Forderungsrecht zivilrechtlich bereits entstanden ist oder daß "wenigstens die für seine Entstehung wesentlichen wirtschaftlichen Ursachen im abgelaufenen Geschäftsjahr gesetzt worden sind" (BFH-Urteil vom 6. Dezember 1978 I R 35/78, BFHE 126, 549, 552, BStBl II 1979, 262, m. w. N.) und der Kaufmann mit der künftigen zivilrechtlichen Entstehung des Anspruchs "fest rechnen kann" (Urteil in BFHE 124, 520, 523, BStBl II 1978, 370). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt.
b) Die genossenschaftliche Warenrückvergütung ist eine besondere Form der Überschußverteilung, die nicht unter § 19 des Genossenschaftsgesetzes (GenG) fällt und auch sonst im GenG im einzelnen nicht geregelt ist. Ihr Wesen besteht darin, daß die im Mitgliedergeschäft erwirtschafteten Überschüsse einer Genossenschaft an die Genossen im Verhältnis der von den einzelnen Genossen mit der Genossenschaft getätigten Umsätze ausgeschüttet werden. Die Rückvergütung ist allerdings kein Preisnachlaß; vielmehr ist das Recht auf Rückvergütung ein Ausfluß der Mitgliedschaft bei der Genossenschaft und damit gesellschaftsrechtlicher Natur (Meyer/Meulenbergh/Beuthien, Genossenschaftsgesetz, 12. Aufl., § 19 Rz. 15, mit Nachweisen).
Nach herrschender Lehre steht der aus dem Mitgliedergeschäft erwirtschaftete Überschuß grundsätzlich (mit gewissen Einschränkungen, die sich aus dem in § 1 GenG festgelegten Förderungszweck ergeben) zur freien Disposition der Genossenschaft - ebenso wie der Bilanzgewinn i. S. von § 19 GenG (Klaus Müller, Genossenschaftsgesetz, § 19 Rz. 25). Enthält die Satzung einer Genossenschaft keine Bestimmung über die Gewährung einer Warenrückvergütung an die Genossen, kann die Genossenschaft im wesentlichen frei darüber entscheiden, ob und inwieweit sie den Überschuß aus dem Mitgliedergeschäft zur Bildung von Reserven verwendet oder als Gewinn nach Maßgabe des § 19 GenG nach dem Verhältnis der Geschäftsguthaben der Genossen verteilt oder als Warenrückvergütung nach dem Verhältnis der getätigten Umsätze ausschüttet (Klaus Müller, a. a. O.). Für diesen Fall, über den der Senat indessen nicht zu entscheiden braucht, wird angenommen, daß ein schuldrechtlicher Anspruch der einzelnen Genossen gegen die Genossenschaft auf Warenrückvergütung dem Grunde und der Höhe nach nur insoweit und erst zu dem Zeitpunkt entsteht, zu dem die zuständigen Organe der Genossenschaft die Ausschüttung einer Rückvergütung beschließen.
Anders ist die Rechtslage jedenfalls, wenn bereits die Satzung einer Genossenschaft vorsieht, daß der Überschuß aus dem Mitgliedergeschäft oder ein bestimmter bzw. bestimmbarer Teil dieses Überschusses als Warenrückvergütung an die Mitglieder auszuschütten ist. In einem solchen Fall ist es der Genossenschaft verwehrt, über die Verwendung des Überschusses aus dem Mitgliedergeschäft frei zu verfügen; sie muß diesen als Warenrückvergütung an die Genossen ausschütten. Ein Anspruch der einzelnen Genossen gegen die Genossenschaft auf Warenrückvergütung entsteht damit dem Grunde nach bereits mit Ablauf der Rechnungsperiode, für die der Überschuß aus dem Mitgliedergeschäft zu ermitteln ist, also in der Regel mit Ablauf des Geschäftsjahres (Meyer/Meulenbergh/Beuthien, a. a. O., 12. Aufl., § 19 Rz. 17; Klaus Müller, a. a. O., § 19 Rz. 25 am Ende; Schubert, Betriebs-Berater - BB - 1959, 225; Zülow/Henze/Schubert, Die Besteuerung der Genossenschaften, 5. Aufl., S. 139). Dazu ist nicht erforderlich, daß sich die Höhe des Rückvergütungsanspruchs im einzelnen betragsmäßig bereits aus der Satzung ergibt; es reicht aus, daß die Satzung einen bestimmbaren Anspruch einräumt, wobei die Bestimmbarkeit auch dann noch zu bejahen ist, wenn den für die Ermittlung der Höhe der Warenrückvergütungen zuständigen Organen der Genossenschaft ein gewisser Beurteilungs- und Ermessensspielraum (z. B. Berücksichtigung der wirtschaftlichen Lage der Genossenschaft) eingeräumt ist.
Im Streitfall muß der Senat auf der Grundlage der für ihn bindenden tatsächlichen Feststellungen des FG davon ausgehen, daß den Genossen bereits in § 44 der Satzung der Genossenschaft dem Grunde nach ein Anspruch auf Warenrückvergütung eingeräumt ist, die zuständigen Organe der Genossenschaft also nicht frei sind in der Verfügung über den Überschuß aus dem Mitgliedergeschäft, sondern dem Vorstand und Aufsichtsrat lediglich obliegt, die Warenrückvergütungen betragsmäßig "unter Zugrundelegung der getätigten Einzelumsätze der Mitglieder unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Lage der Genossenschaft" zu ermitteln. Daraus folgt, daß ein Anspruch des Klägers auf Warenrückvergütung für 1974 dem Grunde nach bereits mit Ablauf des Wirtschaftsjahres 1974 entstanden und der Kläger daher verpflichtet war, diesen Anspruch in seiner Steuerbilanz zum 31. Dezember 1974 zu aktivieren, und zwar mit dem Betrag, mit dessen Ausschüttung der Kläger nach den bis zur Aufstellung seiner Bilanz erlangten Kenntnissen fest rechnen konnte.
c) Die hiergegen erhobenen Einwände der Revision greifen nicht durch.
aa) Es trifft zwar zu, daß Gewinne (Dividenden) aus Beteiligungen an Kapitalgesellschaften im allgemeinen - von bestimmten Sonderfällen einer Mehrheitsbeteiligung abgesehen - erst dann im Jahresabschluß des Gesellschafters zu aktivieren sind, wenn ein Gewinnverwendungsbeschluß der Beteiligungsgesellschaft vorliegt und hierdurch ein verfügbarer Rechtsanspruch auf einen Gewinnanteil in bestimmter Höhe begründet worden ist (BFH-Urteile vom 3. Dezember 1980 I R 125/77, BFHE 132, 80, 82, BStBl II 1981, 184; vom 2. April 1980 I R 75/76, BFHE 131, 196, BStBl II 1980, 702; Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 3. November 1975 II ZR 67/73, BGHZ 65, 230), Mit der Rechtsstellung eines Gesellschafters einer Kapitalgesellschaft hinsichtlich des von der Kapitalgesellschaft erwirtschafteten Bilanzgewinns ist aber die Rechtsstellung des Mitglieds einer Genossenschaft hinsichtlich des aus dem Mitgliedergeschäft erwirtschafteten Überschusses, wie zu b) dargelegt, jedenfalls dann nicht vergleichbar, wenn in der Satzung der Genossenschaft den Genossen bereits dem Grunde nach ein bestimmbarer Anspruch auf Warenrückvergütungen eingeräumt ist.
bb) Es trifft auch zu, daß das Urteil des Senats in BFHE 124, 520, BStBl II 1978, 370 zur Aktivierung von Umsatzprämien auf den Streitfall nicht unmittelbar anwendbar ist und daß zwischen einer Umsatzprämie und einer Warenrückvergütung insofern ein Unterschied besteht, als eine Umsatzprämie nur einen Warenbezug in bestimmter Höhe, eine Warenrückvergütung aber auch einen Überschuß der Genossenschaft aus dem Mitgliedergeschäft voraussetzt. Hierauf kommt es aber für die Frage, ob ein Genosse einen in der Satzung der Genossenschaft dem Grunde nach fixierten Anspruch auf Warenrückvergütung zu aktivieren hat, nicht an; denn ob die Genossenschaft einen Überschuß erwirtschaftet hat,steht mit Ablauf des Wirtschaftsjahres der Genossenschaft objektiv fest; dies bedarf lediglich noch der subjektiven Aufhellung.
cc) Daß und weshalb der Kläger mit der Ausschüttung einer Warenrückvergütung für 1974 in der vom FA bei der Gewinnermittlung für das Streitjahr angesetzten Höhe nicht habe fest rechnen können, haben die Kläger nicht substantiiert dargetan.
dd) Der Annahme des FG, daß den Mitgliedern in der Satzung der Genossenschaft mindestens dem Grunde nach ein Rechtsanspruch auf Warenrückvergütung eingeräumt ist, steht nicht entgegen, daß in der Satzung nicht ausdrücklich bestimmt ist, Vorstand und Aufsichtsrat hätten nur "über die Höhe" der Warenrückvergütung zu beschließen. Wäre der Genossenschaft die freie Verfügung über den Überschuß aus dem Mitgliedergeschäft belassen worden, wie die Revision offenbar geltend machen will, wäre die Satzungsbestimmung über die Gewährung einer Warenrückvergütung leerlaufend und damit ohne Sinn.
2. Zu Recht beanstandet die Revision jedoch, daß das FA die Gewerbesteuerrückstellung zu niedrig angesetzt hat.
Nach handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung, die gemäß § 5 Abs. 1 EStG auch für die einkommensteuerrechtliche Gewinnermittlung maßgeblich sind, müssen Abschlußzahlungen an Gewerbesteuer, die sich auf der Grundlage des ermittelten Gewerbeertrags und Gewerbekapitals für ein Wirtschaftsjahr ergeben, durch Bildung oder Erhöhung einer Rückstellung für dieses Wirtschaftsjahr gewinnmindernd berücksichtigt werden. Dazu ist in Abschn. 22 Abs. 2 Satz 2 der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) bestimmt, "zur Berechnung der Rückstellung kann die Gewerbesteuer schätzungsweise mit 9/10 des Betrags der Gewerbesteuer angesetzt werden, die sich ohne Berücksichtigung der Gewerbesteuer als Betriebsausgabe ergeben würde".
In der Rechtsprechung des BFH ist anerkannt, daß allgemeine Verwaltungsanweisungen, die Schätzungen zum Inhalt haben, aus Gründen der Gleichbehandlung zu einer Selbstbindung der Verwaltung führen. Den Finanzbehörden ist es danach verwehrt, in Einzelfällen, die offensichtlich von der Verwaltungsanweisung gedeckt werden, deren Anwendung ohne triftige Gründe abzulehnen (z. B. BFH-Urteile vom 27. Oktober 1978 VI R 8/76, BFHE 126, 217, 219, BStBl II 1979, 54; vom 30. Juli 1982 VI R 257/80, BFHE 136, 399, 401, BStBl II 1982, 779). Der Steuerpflichtige hat einen auch von den Steuergerichten zu beachtenden Rechtsanspruch darauf, nach Maßgabe der allgemeinen Verwaltungsanweisungen besteuert zu werden.
Abschn. 22 Abs. 2 Satz 2 EStR hat eine Schätzung der Gewerbesteuerrückstellung zum Inhalt. Wenn es darin heißt, die Gewerbesteuer könne schätzungsweise mit 9/10 des Betrages angesetzt werden, der sich ohne Berücksichtigung der Gewerbesteuer als Betriebsausgabe ergeben würde, so kommt darin zum Ausdruck, daß dem Steuerpflichtigen auch dann nicht verwehrt werden kann, die Gewerbesteuerrückstellung nach der sog. 9/10-Methode zu berechnen, wenn exakte mathematische Berechnungen zu einem hiervon abweichenden Ergebnis führen, und zwar jedenfalls dann, wenn es sich nur um relativ geringfügige Differenzen handelt.
Im Streitfall führt die sog. 9/10-Methode unstreitig zum Ausweis einer Gewerbesteuerrückstellung, die um 900 DM höher ist als die vom FA berücksichtigte Rückstellung. Die Berechnungen des FA in der Revisionserwiderung, mit denen dargetan werden soll, daß die berücksichtigte Gewerbesteuerrückstellung ausreichend ist, beruhen auf einer anderen Methode; sie können deshalb keinen Ansatz rechtfertigen, der niedriger ist als der Betrag, der sich nach Abschn. 22 Abs. 2 Satz 2 EStR mit Hilfe der sog. 9/10-Methode errechnet.
Die neue Berechnung der Einkommensteuer war gemäß Art. 3 § 4 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit dem FA zu übertragen.
Fundstellen
Haufe-Index 75024 |
BStBl II 1984, 554 |
BFHE 1985, 45 |