Keine erweiterte Kürzung bei Überlassung von Gewerberäumen an geringfügig beteiligte Genossin
Hintergrund: Vermietung an eine Genossin zur gewerblichen Nutzung
Streitig war die erweiterte Kürzung des Gewerbeertrags (§ 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG) einer eingetragenen Genossenschaft.
Die Genossenschaft mit rund 6.000 Mitgliedern war in 2014 bis 2016 ausschließlich mit der Vermietung von Grundstücken befasst (Wohnungen und Gewerbeflächen). Eine Mieterin (M) hatte seit 2012 von der Genossenschaft Räume gemietet, in denen sie ein Einzelhandelsgeschäft betrieb. Ihre Gewinne erreichten nicht den gewerbesteuerlichen Freibetrag des § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 GewStG von 24.500 EUR.
In 2014 wollte M von der Genossenschaft eine Wohnung mieten. Da die Genossenschaft nach ihrer Satzung Wohnungen bevorzugt an ihre Mitglieder vermietete, erwarb M in 2014 einen Geschäftsanteil und die Genossenschaft überließ ihr ab 2015 eine Wohnung. Der Anteil der M an der Genossenschaft betrug am 31.12.2016 lediglich 0,0168 %. Außer M waren keine weiteren gewerblichen Mieter als Genossen beteiligt.
Das FA lehnte den Antrag der Genossenschaft auf Gewährung der erweiterten Kürzung mit der Begründung ab, das an M vermietete Ladenlokal diene dem Geschäftsbetrieb der M (§ 9 Nr. 1 Satz 5 Nr. 1 GewStG).
Das FG gab der Klage statt. Es war der Auffassung, einer Genossenschaft, die neben Wohnungen auch gewerblich genutzte Flächen vermiete, stehe die erweiterte Kürzung des Gewerbeertrags auch dann zu, wenn der Grundbesitz zu einem Teil dem Gewerbebetrieb einer Genossin diene, die zu weniger als 1 % an der Genossenschaft beteiligt sei, dieser Beteiligung nur geringe Bedeutung zukomme und die Genossin selbst wegen niedriger Einkünfte keiner Gewerbesteuerbelastung ausgesetzt sei. § 9 Nr. 1 Satz 5 GewStG bedürfe bei einer derartigen Bagatellbeteiligung einer Einschränkung.
Entscheidung: Auch im Bagatellfall keine erweiterte Kürzung
Der BFH widerspricht dem FG. Das FG-Urteil wurde aufgehoben und die Klage abgewiesen. Der Genossenschaft steht die erweiterte Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 2 i.V.m. Satz 5 GewStG nicht zu.
Die Voraussetzungen der erweiterten Kürzung sind nicht gegeben
Die Inanspruchnahme der erweiterten Kürzung ist nach § 9 Nr. 1 Satz 5 Nr. 1 GewStG ausgeschlossen, wenn der Grundbesitz ganz oder zum Teil dem Gewerbebetrieb eines Gesellschafters oder Genossen dient. Diese Ausnahme von der Begünstigung des § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG beruht darauf, dass in der Überlassung von Grundbesitz an einen Gesellschafter oder Genossen zu dessen gewerblichen Zwecken keine reine Vermögensverwaltung mehr gesehen werden kann. Denn bei einer Nutzung des Grundstücks im Gewerbebetrieb des Gesellschafters oder Genossen (ohne Zwischenschaltung eines weiteren Rechtsträgers) fließen die Grundstückserträge in den Gewerbeertrag ein und würden damit der GewSt unterliegen (BFH v. 17.1.2006, VIII R 60/02, BStBl II 2006 S. 434, Rz. 27). An dieser Einschränkung scheitert die erweiterte Kürzung für die Genossenschaft. Denn M hatte Grundbesitz der Genossenschaft zur Erzielung gewerblicher Einkünfte aus ihrem Einzelhandelsgeschäft gemietet. Der Grundbesitz diente ihrem Gewerbebetrieb i.S.v. § 9 Nr. 1 Satz 5 Nr. 1 GewStG (BFH v. 18.12.2014, IV R 50/11, BStBl II 2015 S. 597, Rz. 27).
Der BFH anerkennt keine Bagatellgrenze
Der Versagung der erweiterten Kürzung steht nicht entgegen, dass die betragsmäßige Beteiligung und der Stimmenanteil der M äußerst geringfügig sind. Denn nach dem eindeutigen Wortlaut des § 9 Nr. 1 Satz 5 Nr. 1 GewStG ("wenn") ist der Umfang der Beteiligung an der Grundstücksgesellschaft und auch die Größe des vermieteten Grundstücksteils unerheblich (BFH v. 7.8.2008, IV R 36/07, BStBl II 2010 S. 988; BFH v. 26.6.2007, IV R 9/05, BStBl II 2007 S. 893, Rz. 21). Dem Gesetzgeber war bekannt, dass von der Versagung der erweiterten Kürzung auch Gesellschaften und Genossenschaften betroffen sind, an denen der das Grundstück nutzende Unternehmer nur einen geringen Anteil hält und/oder die einem Gesellschafter oder Genossen für dessen Gewerbebetrieb nur einen geringen Teil ihres Grundbesitzes überlassen. Der Gesetzgeber hat dies zur Vermeidung von Abgrenzungsschwierigkeiten in Kauf genommen.
Auch das Nichterreichen des Freibetrags durch M ist unerheblich
§ 9 Nr. 1 Satz 5 GewStG ist zwar im Wege der teleologischen Reduktion dahin einzuschränken, dass dem Grundstücksunternehmen die erweiterte Kürzung auch dann zusteht, wenn das überlassene Grundstück dem Gewerbebetrieb eines Gesellschafters oder Genossen dient, der mit den gesamten (positiven wie negativen) Einkünften von der GewSt befreit ist (BFH v. 26.6.2007, IV R 9/05, BStBl II 2007 S. 893). Diese Ausnahme kann aber nicht auf den hier vorliegenden Fall erstreckt werden, dass der mietende Gewerbebetrieb keine GewSt schuldet, weil der Gewerbeertrag unter 24.500 EUR liegt. Denn die Ausnahme wäre dann von den zufällig schwankenden Gewinnen des mietenden Unternehmens abhängig und Änderungen der GewSt-Messbescheide des mietenden Unternehmens würden zu kaum handhabbaren Folgeänderungen bei dem Grundstücksunternehmen führen.
Hinweis: Appell an den Gesetzgeber
Der BFH hebt deutlich hervor, dass die am Gesetzeswortlaut orientierte Rechtsprechung zu als unbillig empfundenen Ergebnissen führen kann. Das gilt insbesondere im Streitfall, der durch die Überlassung relativ unwesentlichen Grundbesitzes an eine mit nur etwa 1/6000 beteiligte Genossin geprägt ist. Die gewerbesteuerlichen Nachteile stehen in einem groben Missverhältnis zur wirtschaftlichen Bedeutung der Überlassung der Geschäftsräume an M. Gleichwohl sieht der BFH keine rechtliche Grundlage für die vom FG angestellte Gesamtbetrachtung unter Anerkennung mehrerer "Bagatellaspekte". Eine Abhilfe könnte letztlich nur durch den Gesetzgeber bewirkt werden.
Zwischenschaltung einer GmbH
Eine Grundstücksgesellschaft kann die Vergünstigung behalten, wenn sie ihr Grundstück einer Kapitalgesellschaft überlässt, an der die Gesellschafter beteiligt sind (BFH v. 15.4.1999, IV R 11/98, BStBl II 1999 S. 532).
BFH Urteil vom 29.06.2022 - III R 19/21 (veröffentlicht am 27.10.2022)
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