Leitsatz (amtlich)
§ 55 UStDB 1938 ist durch § 1 Nr. 25 der Verordnung zur Änderung und Ergänzung der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz vom 29. Juni 1951 (BGBl 1951 I S. 418) aufgehoben worden und daher nicht mehr anwendbar.
Normenkette
UStDB 1938 § 55
Tatbestand
Die Steuerpflichtige betreibt eine Baumwollspinnerei und -weberei. Bei den Umsatzsteuerveranlagungen für 1955, 1956, 1957 und 1959 erhob das Finanzamt neben der allgemeinen Umsatzsteuer Textileinzelhandelszusatzsteuer gemäß § 55 UStDB 1938. Außerdem unterwarf es den Übergang der Garne aus der Spinnerei in die Weberei gemäß § 59 Abs. 1 UStDB 1951 der Spinnweberzusatzsteuer. Es wandte ferner das Anrechnungsverfahren des § 60 UStDB an, d. h. es kürzte die geschuldete Steuer um die auf gezahlten Veredlungslöhnen ruhende Steuer. Mit der gegen die Zusatzbesteuerung eingelegten Sprungberufung hatte die Steuerpflichtige Erfolg. Das Finanzgericht schloß sich der Auffassung des Senats an, daß die §§ 59 bis 62 UStDB 1951 über die Zusatzsteuer in der Textilwirtschaft nachkonstitutionelles Recht darstellten und wegen der vom Bundesverfassungsgericht durch Urteil 2 BvL 18/56 vom 5. März 1958 (Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 7 S. 282) festgestellten Ungültigkeit der Ermächtigungsvorschriften der §§ 8 und 18 Abs. 1 Ziff. 1 UStG 1951 nichtig seien (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs V 226/57 S vom 22. Oktober 1959, BStBl 1959 III S. 441, Slg. Bd. 69 S. 486; V 231/54 S vom 7. April 1960, BStBl 1960 III S. 339, Slg. Bd. 71 S. 244; V 85/60 U vom 9. Februar 1961, BStBl 1961 III S. 114, Slg. Bd. 72 S. 307). Das Finanzgericht kam zu einer um die Einzelhandelszusatzsteuer und die Spinnweberzusatzsteuer niedrigeren Umsatzsteuer.
Hiergegen richtet sich die Rb. des Vorstehers des Finanzamts, mit der geltend gemacht wird, daß nach dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts 2 BvF 1/60 vom 16. Mai 1961 (BStBl 1961 I S. 432) § 54 Abs. 1 UStDB 1938 -- derzeit angewandt als § 59 Abs. 1 UStDB 1951 -- mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar ist. Dagegen sieht das Finanzamt im Rechtsbeschwerdeverfahren § 55 UStDB 1938 als mit Wirkung vom 1. Juli 1951 aufgehoben an und hält daher den Anspruch auf Textileinzelhandelszusatzsteuer nicht mehr aufrecht.
Die Steuerpflichtige erhebt gegen den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Mai 1961 keine Einwendungen, erkennt ihn vielmehr als verbindlich an. Sie beantragt in erster Linie, das Verfahren als erledigt zu erklären, weil ihm durch den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts materiell-rechtlich der Boden entzogen sei. In zweiter Linie bittet sie um Erlaß oder wenigstens Teilerlaß der Rechtsmittelkosten gemäß § 319 AO.
Entscheidungsgründe
Die Rb. Führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Der Senat hat in der Sache V 71/61 S vom 29. Juli 1965 (BStBl 1965 III S. 545) entschieden, daß der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts 2 BvF 1/60 vom 16. Mai 1961 (a. a. O.) die Rechtslage am Tage der Beschlußfassung wiedergibt und den Senat für die Zeit bis zum 16. Mai 1961 bindet (§ 31 Abs. 1 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht -- BVerfGG --). Danach ist für die im Streitfalle in Betracht kommenden Veranlagungszeiträume die Spinnweberzusatzsteuer zu erheben. Der Senat hat in dem genannten Urteil weiter entschieden, daß -- mindestens bis zum 16. Mai 1961 -- auch die anderen Vorschriften über die Textilzusatzsteuer, insbesondere diejenigen, die den Steuerpflichtigen Begünstigungen gewähren, anzuwenden sind. Im Streitfalle handelt es sich um § 60 UStDB 1951. Auf die Gründe des Urteils V 71/61 S vom 29. Juli 1965 (a. a. O.) wird Bezug genommen.
Das Finanzamt hat den Anspruch auf Textileinzelhandelszusatzsteuer zutreffend fallen gelassen. Seit 1934 wurden die Einzelhandelslieferungen selbsthergestellter Garne und Gewebe einer Zusatzsteuer unterworfen (§ 55 UStDB 1938). Durch die Verordnung zur Änderung und Ergänzung der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz vom 29. Juni 1951 (BGBl 1951 I S. 418) wurde eine allgemeine Herstellerzusatzsteuer neu eingeführt, die die Einzelhandelslieferungen grundsätzlich aller selbsthergestellter Gegenstände, also auch die der selbsthergestellten Garne und Gewebe, erfaßte (§ 58 UStDB 1951). Damit wären zwei Vorschriften vorhanden gewesen, die die Lieferungen dieser selbsthergestellten Textilerzeugnisse im Einzelhandel zur Zusatzsteuer herangezogen hätten. Deshalb war es erforderlich, die Spezialvorschrift des § 55 UStDB 1938 "zur Abgrenzung der Steuerpflicht" aufzuheben. Dies geschah durch § 1 Nr. 25 der Verordnung vom 29. Juni 1951. Die Streichung der Vorschrift ist auf die Ermächtigung des § 18 Abs. 1 Ziff. 3 UStG 1951 gestützt. Nachdem durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts 2 BvL 18/56 vom 5. März 1958 (a. a. O.) die Vorschrift des § 58 UStDB 1951 hinfällig geworden ist, fehlt es an einer Bestimmung, auf Grund deren die Einzelhandelslieferungen selbsthergestellter Garne und Gewebe einer Zusatzsteuer unterworfen werden könnten.
Dem Antrage der Steuerpflichtigen, das Verfahren als erledigt zu erklären, kann nicht stattgegeben werden. Das Verfahren ist nicht erledigt, weil die Rb. des Finanzamts gegen die Vorentscheidung vorliegt. Würde das Finanzamt die Rb. zurücknehmen, so würde das Urteil des Finanzgerichts rechtskräftig werden. Eine Vereinbarung zwischen Finanzamt und Steuerpflichtigen, daß diesem Urteil keine Wirkung beizumessen sei und die Steuerbescheide gelten sollen, wäre nach den Vorschriften der AO nicht zulässig und daher rechtsunwirksam. Eine analoge Anwendung des § 94 Abs. 1 AO würde schon am Absatz 2 dieser Vorschrift scheitern, nach dem Absatz 1 dann nicht anwendbar ist, wenn bereits Rb. eingelegt worden ist.
Die Umsatzsteuer berechnet sich (nach Absetzung der Textileinzelhandelszusatzsteuern) ....
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 307 und 309 AO.
Der Senat hat es aus den im Urteil V 71/61 S (unter V) dargelegten Gründen für angemessen erachtet, der Steuerpflichtigen die Rechtsmittelgebühren und die den Rechtsmittelbehörden erwachsenen Auslagen für die Berufungs- und für die Rechtsbeschwerdeinstanz gemäß § 319 Abs. 1 AO zu erlassen.
Fundstellen
Haufe-Index 411761 |
BStBl III 1965, 701 |
BFHE 1966, 558 |