Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeldfestsetzung als teilbarer Verwaltungsakt; Verzicht auf die Rückforderung von Kindergeld in sog. Weiterleitungsfällen
Leitsatz (NV)
- Eine Kindergeldfestsetzung ist ein zeitlich teilbarer Verwaltungsakt. Die Familienkasse ist daher befugt, die Festsetzung für verschiedene Zeiträume in mehreren Schritten aufzuheben oder zu ändern.
- Es ist nicht zu beanstanden, wenn die Familienkasse in sog. Weiterleitungsfällen den Verzicht auf die Rückforderung des zu Unrecht gewährten Kindergeldes davon abhängig macht, dass der vorrangig Berechtigte bestätigt, das Kindergeld erhalten zu haben.
Normenkette
EStG § 64
Verfahrensgang
FG Baden-Württemberg (EFG 2001, 581) |
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist der Vater einer im Jahre 1987 geborenen Tochter. Bis Ende März 1998 lebte der Kläger zusammen mit seiner mittlerweile von ihm geschiedenen Ehefrau und der Tochter in einem gemeinsamen Haushalt. Das Kindergeld wurde an den Kläger gezahlt.
Die Trennung der Eheleute wurde dem Beklagten und Revisionskläger (Arbeitsamt ―Familienkasse―) im Juli 1999 durch telefonische Mitteilung der Ehefrau des Klägers bekannt. Die Ehefrau gab an, dass das Kindergeld seit ihrem Auszug aus der gemeinsamen Wohnung nicht weitergeleitet worden sei. Mit Bescheid vom 3. August 1999 hob die Familienkasse daraufhin unter Berufung auf § 70 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) die Festsetzung des Kindergeldes gegenüber dem Kläger ab August 1999 auf. Mit weiterem Bescheid vom 22. November 1999 hob sie ebenfalls unter Berufung auf § 70 Abs. 2 EStG auch die Festsetzung des Kindergeldes rückwirkend ab April 1998 auf und forderte das danach für die Monate April 1998 bis Juli 1999 zuviel gezahlte Kindergeld in Höhe von 3 730 DM zurück.
Der Einspruch des Klägers gegen den letztgenannten Bescheid, mit dem er geltend machte, er habe im Rahmen der Unterhaltszahlungen für seine Tochter das Kindergeld zur Hälfte an seine geschiedene Ehefrau weitergeleitet, blieb ohne Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2001, 581 veröffentlichten Gründen statt.
Mit ihrer Revision rügt die Familienkasse die Verletzung der §§ 118 bis 128 der Abgabenordnung (AO 1977) sowie des in Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) verankerten Grundsatzes der Gewaltenteilung. In dem Aufhebungsbescheid vom 3. August 1999 habe sie nicht zum Ausdruck gebracht, dass eine weitergehende Aufhebung der Kindergeldfestsetzung ausgeschlossen sei. Es gebe auch keine Bestimmung, nach der ein Bescheid nicht in mehreren Schritten korrigiert werden dürfe. Der Bescheidadressat genieße insoweit keinen Vertrauensschutz. Der Grundsatz der Gewaltenteilung erlaube die Überprüfung von Verwaltungsentscheidungen nur im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit in Bezug auf Form und Inhalt; Art, Weise und Zeitpunkt des Verwaltungshandelns seien einer Überprüfung jedoch entzogen.
Die Familienkasse beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).
1. Dem Kläger stand ab April 1998 Kindergeld für seine Tochter nicht mehr zu. Gemäß § 64 Abs. 1 EStG wird für jedes Kind nur einem Berechtigten Kindergeld gezahlt. Bei mehreren Berechtigten wird Kindergeld demjenigen gezahlt, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat (§ 64 Abs. 2 Satz 1 EStG). Die Tochter des Klägers lebte ab April 1998 im Haushalt der Ehefrau des Klägers.
2. War das Kindergeld in einem solchen Fall zugunsten des nachrangig Berechtigten festgesetzt, so ist die Festsetzung des Kindergeldes gemäß § 70 Abs. 2 EStG vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse an aufzuheben. Hier änderten sich die Verhältnisse durch den Haushaltswechsel des Kindes ab April 1998.
3. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz war die Familienkasse auch nicht gehindert, nach Erlass des ersten Änderungsbescheides vom 3. August 1999 einen weiteren Änderungsbescheid zu erlassen. Der zweite Bescheid vom 22. November 1999 änderte nicht den Bescheid vom 3. August 1999, sondern die ursprüngliche Kindergeldfestsetzung. Wie der erkennende Senat bereits mit Urteil vom 26. Juli 2001 VI R 163/00 (BFHE 196, 274; BFH/NV 2002, 248) entschieden hat, ist die Festsetzung von Kindergeld ein teilbarer Verwaltungsakt und kann dementsprechend grundsätzlich für einzelne Monate aufgehoben oder geändert werden und für andere Monate unverändert bestehen bleiben.
4. Der gleichfalls angegriffene Rückforderungsbescheid erweist sich auch als rechtmäßig. Er ist insbesondere nicht deshalb zu beanstanden, weil der Kläger vorgetragen hat, er habe das Kindergeld teilweise an seine geschiedene Ehefrau weitergeleitet. Die Familienkasse hat den Verzicht auf die Rückforderung des Kindergeldes deshalb abgelehnt, weil die geschiedene Ehefrau des Klägers nicht bestätigt hat, dass der Kläger das erhaltene Kindergeld hälftig an sie weitergeleitet habe. Diese Entscheidung ist nicht zu beanstanden.
Fundstellen
Haufe-Index 707117 |
NWB 2002, 946 |