Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht, Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Eine durch Aufnahme der Verfallklausel auflösend bedingte Stundung ist grundsätzlich zulässig. über ihre Anwendung im Einzelfall hat das Finanzamt nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden.
Die Aufnahme der Verfallklausel in eine Stundungsverfügung kann im Beschwerdeverfahren angefochten werden.
Wird die Verfallklausel durch Tilgung der Steuerschuld vor der Entscheidung über den Rechtsbehelf gegenstandslos, so ist der Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt zu erklären und nur noch über die Kostentragung zu entscheiden.
Normenkette
AO §§ 96, 127, 237, 230; GG Art. 19 Abs. 4
Tatbestand
Streitig ist die Zulässigkeit der Verfallklausel in einer Stundungsverfügung.
Der Bf. schuldete im April 1961 1.221 DM Einkommensteuer. Am 18. April 1961 beantragte er, ihm zu gestatten, diese Steuerschuld in drei Teilbeträgen zu entrichten. Das Finanzamt entsprach dem Antrag mit Verfügung vom 22. April 1961 unter Vorbehalt jederzeitigen Widerrufs und unter Anfügung folgender "Verfallklausel": "Wird eine Teilzahlung nicht rechtzeitig entrichtet, so gilt die Stundung als widerrufen. Damit wird die gesamte Steuerschuld sofort fällig und kann ohne weitere Mahnung beigetrieben werden.
Gegen diese Klausel erhob der Bf. Beschwerde mit dem Antrag, sie als rechtswidrig zu streichen. Der Bf. ist der Ansicht, daß ein Widerruf nach § 91 AO und nach allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsätzen dem Betroffenen in der gleichen Form, in der die widerrufene Verfügung ergangen war, und unter Angabe des Tages, an dem der Widerruf wirksam wird, bekanntgegeben werden müsse. Andernfalls sei der Betroffene mangels eines Bescheids gehindert, den Widerruf anzufechten. Es bestehe sonst auch Rechtsunsicherheit über den Widerruf, weil sich die Finanzämter in vielen Fällen nicht an die Klausel hielten. Außerdem sei das Finanzamt vor Ausübung des Widerrufsrechts verpflichtet, zunächst zu prüfen, ob der Widerruf überhaupt rechtmäßig wäre.
Die Oberfinanzdirektion verwarf die Beschwerde als unzulässig wegen fehlender Beschwer. Das Finanzamt habe dem Stundungsantrag in vollem Umfang entsprochen. Die beanstandete Klausel bedeute keine Beschwer für den Bf., weil sie erst durch dessen verschuldetes treuwidriges Verhalten wirksam werden könne.
In der Berufungsinstanz machte der Bf. zur Frage der Beschwer geltend, daß er sich, obwohl die angefochtene Stundungsverfügung durch Bezahlung der Steuern erledigt sei, im Sinne des Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) in seinen Rechten verletzt fühle, weil die Verfallklausel allgemein in Stundungsverfügungen aufgenommen werde und deshalb bei wirtschaftlich schwachen Steuerpflichtigen, zu denen er gehöre, die Gefahr dauernder Wiederholung bestehe. Sein Rechtsmittel habe insofern Feststellungscharakter, wenn auch nicht im Sinne der Rechtsprechung. Außerdem sei er schon wieder unmittelbar beschwert durch die Stundungsverfügung eines anderen Finanzamts, die bei der Bewilligung von Ratenzahlungen bis 1965 ebenfalls die Verfallklausel enthalte.
Die Berufung blieb ohne Erfolg. Die Vorinstanz verneinte das Vorliegen einer Beschwer, bezeichnete die Berufung aber auch als sachlich nicht gerechtfertigt. Im wesentlichen stützt sich die Vorentscheidung auf folgende Begründung: Eine Klage für andere (Popularklage) oder eine Feststellungsklage seien gesetzlich nicht vorgesehen. Der Bf. selbst sei aber nicht beschwert, weil die Stundungsverfügung im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung durch pünktliche Zahlung des gestundeten Steuerbetrages erledigt gewesen sei. Auch schon bei Einlegung der Beschwerde habe keine Beschwer bestanden, weil der Bf. rechtzeitig vor dem Fälligkeitstermin einer Teilzahlung weitere Stundung und Vollstreckungsaufschub habe beantragen und bei Ablehnung Beschwerde einlegen können. Es habe also in seiner Hand gelegen, die Verfallklausel praktisch unwirksam zu machen. Sachlich sei davon auszugehen, daß das Finanzamt bei Bewilligung von Stundungen nach § 127 AO zu prüfen habe, ob die sofortige Einziehung der Steuern mit erheblichen Härten für den Steuerpflichtigen verbunden ist und ob der Anspruch durch die Stundung nicht gefährdet wird. Das Finanzamt könne zu der Ansicht kommen, daß der Steueranspruch bei unpünktlicher Entrichtung der Teilzahlungen gefährdet sei, und es könne dann gleich in der Stundungsverfügung bestimmen, daß die Stundung bei unpünktlicher Zahlung als widerrufen gilt. Es handle sich um einen durch unpünktliche Zahlung bedingten Widerruf, der bei Eintritt der Bedingung, also an einem in der Stundungsverfügung festgelegten Tag (dem Fälligkeitstag der nicht geleisteten Teilzahlung), wirksam werde und genauso mit Rechtsmitteln angegriffen werden könne wie ein besonders ausgesprochener Widerruf. Die Klausel erspare Kosten und Arbeit und sei gegenüber dem Bf. angebracht gewesen, weil er nach seinen eigenen Angaben äußerst finanzschwach sei und das Finanzamt trotzdem keine Sicherheitsleistung verlangt habe. Früher sei zwar die Verfallklausel durch § 128 AO 1931 ausgeschlossen gewesen; diese Bestimmung sei aber im Jahre 1936 aufgehoben und vom Gesetzgeber der Bundesrepublik nicht wieder eingeführt worden. Die Klausel widerspreche auch nicht rechtsstaatlichen Grundsätzen; denn im geschäftlichen und privaten Leben geböten Gesetz und gute Sitten dem Schuldner, sich rechtzeitig an seinen Gläubiger zu wenden, wenn er einen Zahlungstermin nicht einhalten könne.
Mit der Rb. rügt der Bf. unrichtige Rechtsanwendung.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist im Ergebnis unbegründet.
Nach § 237 AO in der Fassung des Steueränderungsgesetzes 1961 (StändG 1961) - BStBl 1961 I S. 444 - ist die Beschwerde statthaft u. a. gegen Verfügungen, die nicht nach den §§ 229, 235, 236 AO anfechtbar sind. Um eine solche Verfügung handelt es sich bei der Stundungsverfügung nach § 127 AO. Der in § 237 AO normierte Rechtsweg gründet sich auf Art. 19 Abs. 4 GG, wonach jedem, der durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird, der Rechtsweg offensteht. Dazu ist anerkannt, daß ein Rechtsmittel nicht nur dann zulässig ist, wenn das Gericht wirklich eine Rechtsverletzung feststellen kann. Vielmehr genügt eine substantiierte Behauptung, aus der sich - ihre Richtigkeit unterstellt - ergibt, daß eine Verletzung eigener Rechte durch eine Maßnahme der öffentlichen Gewalt in Betracht kommt (vgl. Maunz-Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 4 Anm. 39). Das gilt auch für den Finanzrechtsweg als eine Folge des Art. 19 Abs. 4 GG (vgl. Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung, § 237 Anm. 2). Es gilt aber auch für das Beschwerdeverfahren nach § 237 Abs. 1 AO; denn dieses stellt nur ein dem gerichtlichen Verfahren vorgeschaltetes Verwaltungsverfahren dar und soll den gerichtlichen Rechtsschutz nicht beeinträchtigen.
Der Bf. legte gegen die Stundungsverfügung vom 22. April 1961 Beschwerde ein mit der Behauptung, daß durch die Verfallklausel seine Rechtsstellung gegenüber dem in § 96 AO vorgesehenen Widerrufsvorbehalt rechtswidrig verschlechtert worden sei. Es ist nicht zu verkennen, daß eine durch die Verfallklausel auflösend bedingte Stundung dem Steuerpflichtigen mindere Rechte einräumt als eine beantragte unbedingte Stundung. Es kam danach eine Verletzung der Rechte des Bf. durch eine Maßnahme der öffentlichen Gewalt in Betracht. Die Beschwerde war deshalb zulässig. über ihre Berechtigung war durch Sachentscheidung zu befinden.
Im Streitfall entfiel allerdings die Sachentscheidung der Oberfinanzdirektion, weil der Bf. im Laufe des Verfahrens seine Steuerschuld getilgt hatte, die angefochtene Stundungsverfügung dadurch erledigt war und mithin auch der Streitgegenstand, die Verfallklausel, gegenstandslos geworden war. Der Meinung des Bf., er sei trotzdem noch im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG in seinen Rechten verletzt dadurch, daß im Bezirk der Oberfinanzdirektion die Stundungsverfügungen allgemein die Verfallkausel enthielten, vermag der Senat nicht zu folgen. Der Bf. kann sich nicht auf eine ständige latente rechtswidrige Bedrohung durch die Verfallklausel im Hinblick auf künftige Stundungsfälle berufen. Eine Verletzung seiner eigenen Rechte kommt erst in Betracht, wenn die Verfallklausel ihm gegenüber im konkreten Fall angewendet wird. Die abweichende Auffassung des Bf. läuft, was er auch nicht verkennt, auf eine Feststellungsklage über die allgemeine Zulässigkeit der Verfallklausel in Stundungsverfügungen hinaus. Feststellungsklagen sind aber im Rechtsmittelsystem der AO nicht vorgesehen. Ihre Zulässigkeit kann im Streitfall auch nicht unmittelbar aus Art. 19 Abs. 4 GG hergeleitet werden. Denn in welcher Weise der im GG garantierte Rechtsschutz zu verwirklichen ist, richtet sich nach den einzelnen Verfahrensordnungen. Im Bereich des Finanzrechtsweges ist die sachliche Notwendigkeit einer Feststellungsklage zur Durchsetzung des Rechtsschutzes nicht anzuerkennen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs VI 124/59 U vom 13. November 1959, BStBl 1960 III S. 108, Slg. Bd. 70 S. 290).
Der Wegfall des Streitgegenstandes hatte nicht zur Folge, daß die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen war, sondern sie war in der Hauptsache für erledigt zu erklären, und es war nur noch über die Kostentragung zu entscheiden.
Da Finanzgericht und Oberfinanzdirektion von anderen rechtlichen Erwägungen ausgegangen sind, werden die Vorentscheidung und die Beschwerdeentscheidung gemäß §§ 288 Ziff. 1, 296 Abs. 1 AO aufgehoben. Die Sache ist spruchreif.
Die Beschwerde ist in der Hauptsache erledigt. Die Entscheidung über die Kosten ist nach billigem Ermessen zu treffen. Dazu ist im Streitfall davon auszugehen, wie bei der Entscheidung in der Sache selbst nach §§ 307 ff. AO erkannt worden wäre (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs I 203/60 U vom 31. Juli 1963, BStBl 1963 III S. 441, Slg. Bd. 77 S. 332).
Steuern können nach § 127 Abs. 1 AO gestundet werden, wenn ihre Einziehung mit erheblichen Härten für den Steuerpflichtigen verbunden ist und der Anspruch durch die Stundung nicht gefährdet wird. Die Stundung soll in der Regel nur gegen Sicherheitsleistung gewährt werden. Sind die Voraussetzungen erfüllt, so hat das Finanzamt nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob und in welcher Weise es stunden will (Mattern-Meßmer, Reichsabgabenordnung, § 127 Anm. 833). Die Stundungsverfügung fällt unter die begünstigenden Verfügungen des § 96 AO. Sie kann danach unter Auflagen ergehen, z. B. unter der Auflage bestimmter Teilzahlungen. Das Hinzufügen der Verfallklausel bewirkt, daß die Stundung ohne weiteres endet, sobald der Steuerpflichtige einen Teilbetrag nicht rechtzeitig entrichtet. Die Stundung ist dann auflösend bedingt. Auflösende Bedingung ist die nicht pünktliche Entrichtung einer Teilzahlung.
Bedingungen sind als Nebenbestimmungen zu Rechtsgeschäften nach der Rechtsordnung grundsätzlich zulässig (vgl. § 158 BGB; für das Verwaltungsrecht: Turegg-Kraus, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 4. Aufl., S. 120) und werden nur ausnahmsweise dort nicht anerkannt, wo das Erfordernis absolut klarer Rechtsverhältnisse entgegensteht. Eine auflösend bedingte Stundung in der Form der Verfallklausel schafft keine unklaren Rechtsverhältnisse; denn ob und wann die Bedingung - die nicht pünktliche Entrichtung der Teilzahlung - eingetreten ist, steht sowohl für den Steuerpflichtigen wie für das Finanzamt fest. Hinzu kommt, daß der Eintritt der Bedingung allein vom Verhalten des Steuerpflichtigen abhängt. Das ist nicht anders zu beurteilen, wenn die Finanzämter, wie der Bf. behauptet, sich oft selbst nicht an die Verfallklausel halten. Die dadurch etwa entstehende Unsicherheit hätte ihre Ursache nicht in der Verfallklausel, die zu einer klaren Rechtslage führt, sondern in dem nachfolgenden Verhalten der Finanzämter.
Eine auflösende Stundung ist hiernach grundsätzlich zulässig. Das Finanzamt hat im Einzelfall nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob von dieser Form der Stundung Gebrauch zu machen ist. Bei der Ausübung des Ermessens hat das Finanzamt folgendes mit zu berücksichtigen: Auch unbedingte Stundungen können nach § 96 AO bei Nichteinhalten von auferlegten Teilzahlungen vorzeitig aufgehoben werden. Der Widerruf muß von sachlichen Erwägungen getragen sein (Urteil des Bundesfinanzhofs VII 15/60 U vom 6. April 1960, BStBl 1960 III S. 259, Slg. Bd. 71 S. 35). Dabei ist im allgemeinen auf die Verhältnisse im Zeitpunkt des Widerrufs abzustellen. Die auflösend bedingte Stundung führt hingegen bei Eintritt der Bedingung zum Wegfall der Stundung ohne erneute Prüfung. Ob sich daraus Bedenken gegen die Zulässigkeit der Verfallklausel ergeben können, wenn auch längere Zeit gestundet wird und die Entwicklung der Verhältnisse nicht mehr im voraus abgeschätzt zu werden vermag, kann dahingestellt bleiben. Bei kurzfristigen Stundungen, wie im Streitfall, liegt in der Verwendung der Verfallklausel in der Regel kein Fehlgebrauch des Ermessens.
Die Einwendungen des Bf. sind nicht überzeugend. Es ist Sache des Steuerpflichtigen, sich darüber schlüssig zu werden, ob er vor Eintritt der Bedingung die Hinausschiebung des Fälligkeitstermins beantragen oder ob er nachher das Verhalten des Finanzamts klarstellen und gegebenenfalls erneut Stundung beantragen will. Er ist auch nicht in seinen Rechtsbehelfen beschränkt, wie der Bf. meint. Hält er eine weitere Stundung für berechtigt, so kann er sie beantragen; bei Ablehnung durch das Finanzamt steht ihm dasselbe Rechtsmittel zur Verfügung wie gegen einen ausdrücklich erklärten Widerruf. Schließlich läßt sich aus der bis zum Jahre 1936 geltenden gesetzlichen Regelung (ß 128 AO 1931) nichts für die Rechtswidrigkeit der Verfallklausel herleiten, wie das Finanzgericht zutreffend dargelegt hat.
Aus vorstehenden Gründen hält der Senat die Verfallklausel im Streitfall für rechtlich zulässig. Die Beschwerde an die Oberfinanzdirektion hätte deshalb als unbegründet zurückgewiesen werden müssen, falls sachlich zu entscheiden gewesen wäre. Dann hätte der Bf. die Kosten des Verfahrens zu tragen gehabt (ß 307 Abs. 1 AO). Sie waren ihm deshalb auch aufzuerlegen, nachdem sich der Rechtsstreit zur Hauptsache erledigt hatte. Die Kosten des gesamten Rechtsmittelverfahrens gehen zu Lasten des Bf., weil er im Endergebnis unterlegen ist (ß 307 Abs. 1 AO).
Fundstellen
Haufe-Index 411800 |
BStBl III 1965, 721 |
BFHE 1966, 613 |
BFHE 83, 613 |