Entscheidungsstichwort (Thema)
Zu den Tatbestandsvoraussetzungen des § 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1972
Leitsatz (NV)
1. Die Überschuldung einer Kapitalgesellschaft i. S. des § 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1972 ist unter Ansatz der Liquidationswerte des Aktivvermögens zu ermitteln. Für einen Abschlag gemäß Abschn. 77 Abs. 5 VStR 1980 (= Abschn. 77 Abs. 5 VStR 1986) oder gemäß Abschn. 78 Abs. 5 VStR 1980 (= Abschn. 78 Abs. 3 VStR 1986) ist bei der Aufstellung der Überschuldungsbilanz kein Raum.
2. Der Mietnachlaß eines Gesellschafters gegenüber seiner Kapitalgesellschaft ist eine nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c KVStG 1972 steuerpflichtige Leistung.
Normenkette
KVStG 1972 § 2 Abs. 1 Nrn. 2, 4 Buchst. c, Abs. 2 Nr. 1, § 8 Nr. 2, § 9 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1; BewG §§ 9-10
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin ist eine GmbH, an der die A- AG zu 100 v. H. beteiligt ist. Zwischen der A-AG und der Klägerin bestand ein Ergebnisabführungsvertrag, auf Grund dessen die A-AG die Verluste der Klägerin für die Wirtschaftsjahre 1972 - 1975 ausglich. Außerdem vermietete die A-AG der Klägerin Betriebsräume zu einem unangemessen niedrigen Mietzins.
Das FA sah hierin gesellschaftsteuerpflichtige Leistungen, die es mit dem vollen Steuersatz versteuerte, weil es für den Zeitpunkt der Verlustübernahmen stille Reserven festgestellt hatte, die die Annahme eines Sanierungsvorganges ausschlossen.
Die Klägerin hatte mit ihrer Klage überwiegend Erfolg. Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung des § 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1972.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
A. (Verlustübernahmen)
1. Das FG hat zutreffend in der Übernahme der Verluste 1972 bis 1975 der Klägerin durch die A-AG eine gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1972 gesellschaftsteuerpflichtige Leistung angenommen.
Nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 KVStG 1972 unterliegen der Gesellschaftsteuer Leistungen, die von den Gesellschaftern einer inländischen Kapitalgesellschaft aufgrund einer im Gesellschaftverhältnis begründeten Verpflichtung bewirkt werden. Ergänzend dazu bestimmt § 2 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1972, daß die Übernahme eines Verlustes der Kapitalgesellschaft durch den Gesellschafter als Leistung i. S. des § 2 Abs. 1 Nr. 2 KVStG 1972 gilt, wenn zwischen der Kapitalgesellschaft und dem Gesellschafter ein schriftlicher Ergebnisabführungsvertrag besteht.
Zu diesen Voraussetzungen hat das FG in tatsächlicher Hinsicht festgestellt (§ 118 Abs. 2 FGO), daß die Klägerin in den Streitjahren eine GmbH war. Damit war sie Kapitalgesellschaft i. S. des § 5 Abs. 1 Nr. 3 KVStG 1972. Die A-AG schloß als Gesellschafterin der Klägerin mit dieser einen schriftlichen Ergebnisabführungsvertrag ab. Aufgrund dieses Vertrages übernahm die A-AG die Verluste der Klägerin aus den Geschäftsjahren 1972 bis 1975 in Höhe von insgesamt 6,9 Mio DM. Damit war der Steuertatbestand des § 2 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1972 verwirklicht.
2. Zutreffend haben FA und FG die Gesellschaftsteuer von 6,9 Mio DM berechnet. Nach § 8 Nr. 2 KVStG 1972 ist die Gesellschaftsteuer bei Leistungen i. S. des § 2 Abs. 1 Nr. 2 KVStG 1972 vom Wert der Leistung zu berechnen. Die Leistung bestand in den Verlustübernahmen in Höhe von insgesamt 6,9 Mio DM. Dieser Betrag ist deshalb auch der Steuermaßstab.
3. Das FG hat jedoch unzutreffenderweise zugunsten der Klägerin den ermäßigten Steuersatz gemäß § 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1972 angesetzt.
a) Gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 2 KVStG 1972 beträgt der Steuersatz für die Gesellschaftsteuer grundsätzlich 1 v. H. des Steuermaßstabes. Er ermäßigt sich gemäß § 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1972 nur dann um 50 v. H., wenn der steuerpflichtige Rechtsvorgang entweder zur Deckung einer Überschuldung oder zur Deckung eines Verlustes an dem gezeichneten Kapital erforderlich ist. Im Streitfall ist keine dieser beiden Voraussetzungen erfüllt.
b) Eine Überschuldung i. S. des § 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1972 ist nur gegeben, wenn die Schulden der Kapitalgesellschaft den Wert ihres Aktivvermögens übersteigen. Dazu hat der II. Senat im Urteil vom 27. August 1968 II R 82/67 (BFHE 93, 344, BStBl II 1968, 781) entschieden, daß bei der Ermittlung der Überschuldung das Aktivvermögen der Kapitalgesellschaft nicht mit den Buchwerten der Handels- oder Steuerbilanz, sondern mit den ,,wahren" Werten anzusetzen ist. Dieser Auffassung pflichtet der erkennende Senat bei. Sie ergibt sich aus dem Zweck der Vorschrift. § 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1972 dient dem Ziel, die Sanierung notleidend gewordener Kapitalgesellschaften durch Kapitalaufnahme beim Gesellschafter zu begünstigen. Ein entsprechendes Sanierungsbedürfnis besteht schon bzw. nur dann, wenn die Kapitalgesellschaft rechnerisch überschuldet ist, d. h. wenn sich im Falle ihrer gedachten Abwicklung für die Gläubiger eine Quote von unter 100 v. H. ergeben würde. In diesem Fall ist die Fortführung der Kapitalgesellschaft rechtlich nur möglich, wenn sie entweder saniert oder aber das Insolvenzverfahren eröffnet wird. Für diesen Fall begünstigt es § 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1972, die Kapitalgesellschaft durch Zuführung neuen Eigenkapitals zu sanieren. Aus Gründen des § 63 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) sind die Voraussetzungen des Begünstigungstatbestandes erfüllt, wenn das Aktivvermögen, müßte es für Zwecke der Gläubigerbefriedigung verwertet werden, nicht ausreichen würde, um alle Schulden zu tilgen. Deshalb ist die Überschuldung der Kapitalgesellschaft anhand der Liquidationswerte des Aktivvermögens zu ermitteln. Dabei bezieht sich die Annahme der Liquidation nur auf die Abwicklung der Kapitalgesellschaft, nicht dagegen auf die Zerschlagung des Unternehmens. Der Ansatz der Liquidationswerte läßt keinen Raum für einen Abschlag wegen schlechter Ertragsaussichten. Sollte dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 11. Juli 1973 II R 148/72 (BFHE 110, 305, BStBl II 1973, 855, am Ende) eine andere Rechtsauffassung zu entnehmen sein, so hält der erkennende Senat daran nicht fest.
c) Der Ansatz der Liquidationswerte besagt nichts darüber, ob im Einzelfall von dem gemeinen Wert (§ 9 des Bewertungsgesetzes - BewG -) oder dem Teilwert der einzelnen Vermögensgegenstände (§ 10 BewG) oder dem Gesamtunternehmenswert auszugehen ist. Dies hängt wesentlich davon ab, in welcher Weise das Aktivvermögen voraussichtlich verwertet werden könnte. Die Frage bedarf jedoch im Streitfall keiner weiteren Vertiefung, weil das FA von dem gemeinen Wert (Einzelveräußerungspreisen) ausgegangen ist und der gemeine Wert immer die Untergrenze des Teilwertes bildet (vgl. Hermann / Heuer / Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 6 EStG Rdnrn. 573, 616). Bei einer Zerschlagung des Unternehmens können die Einzelveräußerungspreise auch dann erzielt werden, wenn die Ertragsaussichten schlecht sind und der Wert des Gesamtunternehmens deshalb unter der Summe der Einzelveräußerungspreise liegt.
d) Für einen Abschlag gemäß Abschn. 77 Abs. 5, Abschn. 78 Abs. 5 oder Abschn. 79 Abs. 3 der Vermögensteuer- Richtlinien (VStR) 1980 ist bei der Aufstellung der von § 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1972 geforderten Überschuldungsbilanz kein Raum. Der Abschlag gemäß Abschn. 77 Abs. 5 VStR 1980 hat seinen Grund darin, daß das Vermögen der Gesellschaft oder einzelne Teile davon für den Anteilseigner nicht denselben Wert wie für das Unternehmen selbst haben müssen. Darum geht es jedoch bei der Aufstellung der Überschuldungsbilanz nicht. Dort ist der Wert zu ermitteln, der als Einzelveräußerungspreis für den einzelnen Vermögensgegenstand mindestens erzielt werden könnte. Steht dieser Preis fest, so kommt es nicht mehr auf den Wert an, den der Vermögensgegenstand für den Anteilseigner hat. Ähnlich verhält es sich mit dem Abschlag nach Abschn. 78 Abs. 5 VStR 1980. Dieser Abschlag wird mit Rücksicht darauf vorgenommen, daß bei der Schätzung des Jahresertrages die Betriebsergebnisse der letzten drei Jahre herangezogen werden und es unsicher ist, ob entsprechende Erträge auch in der Zukunft erzielt werden. Solange jedoch in der Überschuldungsbilanz nur der Einzelveräußerungspreis angesetzt wird, kann es auf die Ertragsaussichten nicht ankommen. Der in Abschn. 79 Abs. 3 VStR 1980 vorgesehene Abschlag betrifft Bewertungsrisiken, die sich auf den Anteil an der Kapitalgesellschaft beziehen und ihren Grund in der geringen Verzinslichkeit des eingesetzten Kapitals haben. Auch dieser Gesichtspunkt kommt bei der Aufstellung einer Überschuldungsbilanz nicht zum Tragen. Bei der Nichtanwendung der Abschn. 77 Abs. 5, 78 Abs. 5 und 79 Abs. 3 VStR 1980 ist auch zu berücksichtigen, daß das Stuttgarter Verfahren den Erfordernissen eines Massenverfahrens für Besteuerungszwecke Rechnung tragen muß. Dies geschieht in der Weise, daß Unsicherheiten in der Bewertung durch Risikoabschläge einheitlich zugunsten der Steuerpflichtigen berücksichtigt werden. § 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1972 knüpft dagegen an einen Insolvenztatbestand der Konkursordnung (KO) an. Dort gelten andere Erfordernisse. Die Begünstigung nach § 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1972 soll nur gewährt werden, wenn tatsächlich eine Überschuldung der Kapitalgesellschaft i. S. des § 63 GmbHG eingetreten ist. In diesem Rahmen ist für den Ansatz von Risikoabschlägen kein Raum.
e) Das FG hat zwar in tatsächlicher Hinsicht die vom FA ermittelten ,,wahren" Werte des Aktivvermögens nicht festgestellt. Die Klägerin hat jedoch gegen die Wertansätze als solche durch das FA keine Einwendungen erhoben. Auch gehen beide Beteiligte übereinstimmend davon aus, daß es bei einem Ansatz des Aktivvermögens der Klägerin mit den ,,wahren" Werten ohne Berücksichtigung der negativen Ertragsaussichten an einer Überschuldung der Klägerin fehlt. Hiervon ausgehend kann der erkennende Senat eine Überschuldung der Klägerin verneinen, ohne die Sache an das FG zwecks weiterer tatsächlicher Feststellungen zurückverweisen zu müssen. Durch den Erlaß eines Vorbescheides erhalten die Beteiligten Gelegenheit vorzutragen, ob abweichend von der Annahme des Senats doch ein Bedürfnis für eine weitere Sachverhaltsaufklärung durch das FG besteht.
f) Nach § 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1972 ist der ermäßigte Steuersatz auch dann anzusetzen, wenn der steuerpflichtige Rechtsvorgang zur Deckung eines Verlustes an dem gezeichneten Kapital erforderlich ist. Dazu hat der erkennende Senat in seinem Urteil vom 24. August 1988 I R 220/84 (BFHE 155, 149, BStBl II 1989, 161) entschieden, daß ein Verlust am gezeichneten Kapital gegeben ist, wenn der Aktivsaldo zwischen dem (Brutto-)Vermögen und den Schulden der Kapitalgesellschaft niedriger als das gezeichnete Kapital ist. Dabei sind wiederum die Vermögensgegenstände des Aktivvermögens mit ihren ,,wahren" Werten anzusetzen (vgl. Urteil in BFHE 93, 344, BStBl II 1968, 781). Insoweit gilt das zur Überschuldung der Klägerin Gesagte sinnentsprechend, weshalb im Ergebnis auch ein Verlust am Stammkapital der Klägerin zu verneinen ist.
B. (Mietnachlässe)
1. Das FG hat zutreffend in den Mietnachlässen der A-AG gegenüber der Klägerin gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c KVStG 1972 eine gesellschaftsteuerpflichtige Leistung gesehen.
Nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c KVStG 1972 unterliegt der Gesellschaftsteuer die Überlassung von Gegenständen durch den Gesellschafter an die Gesellschaft zu einer den Wert nicht erreichenden Gegenleistung. Zu diesen Voraussetzungen hat das FG in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, daß die Klägerin eine Kapitalgesellschaft i. S. des § 5 Abs. 1 Nr. 3 KVStG 1972 war und daß die A-AG als Gesellschafterin der Klägerin dieser Betriebsräume zu einem Mietzins überließ, der unangemessen niedrig war. Damit war der Steuertatbestand des § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c KVStG 1972 verwirklicht.
2. Die Gesellschaftsteuer berechnet sich gemäß § 8 Nr. 2 KVStG 1972 nach dem Wert der unentgeltlichen Nutzungsüberlassung. Der Wert betrug für die im Revisionsverfahren noch streitigen Jahre 1972 bis 1975 insgesamt 289 550 DM. Dieser Betrag ist deshalb der Steuermaßstab.
3. Das FG hat auch insoweit unzutreffender Weise den ermäßigten Steuersatz gemäß § 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1972 angesetzt. Dazu nimmt der Senat auf die Ausführungen zu II.A.3 Bezug.
C.
1. Das FG ist von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen. Deshalb kann die Vorentscheidung keinen Bestand haben. Die Sache ist entscheidungsreif. Der Klägerin steht der ermäßigte Steuersatz gemäß § 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1972 nicht zu. Deshalb war die Klage abzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 416056 |
BFH/NV 1989, 397 |