Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer Gewerbesteuer
Leitsatz (amtlich)
Die Tätigkeit eines Ingenieurs als Gutachter in Fahrzeugsachen ist im allgemeinen der freiberuflichen Tätigkeit eines Ingenieurs ähnlich.
Normenkette
EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1, § 15/1; GewStG § 2/1
Tatbestand
Streitig ist für die Einkommensteuer 1953 bis 1955, ob die Einkünfte des Steuerpflichtigen aus seiner Tätigkeit als Sachverständiger für Kraftfahrzeugfragen Einkünfte aus selbständiger Arbeit im Sinn des § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG sind und ihm demgemäß der Pauschbetrag für Betriebsausgaben bei Einkünften aus freier Berufstätigkeit nach der Verordnung vom 22. Oktober 1954 (BStBl 1954 I S. 52) bzw. der Freibetrag nach § 18 Abs. 4 EStG in Höhe von jährlich 1.200 DM zusteht.
Der Steuerpflichtige besuchte nach seinen Angaben während seiner vierjährigen Lehrzeit jeden Abend drei Stunden und an allen Sonntagvormittagen eine Ingenieurschule. Eine Abschlußprüfung legte er nicht ab. Seit Jahrzehnten ist er als Sachverständiger für Kraftfahrzeugfragen tätig. In erster Linie erstattete er bei Kraftfahrzeugunfällen Gutachten für Gerichte und Versicherungsunternehmen in Haftpflicht- und Schadenssachen. Daneben war er auch als Kraftfahrzeugschätzer tätig.
Das Finanzamt billigte dem Steuerpflichtigen als freiberuflich Tätigen zunächst den Abzug des Pauschbetrags (Freibetrags) von 1.200 DM jährlich zu. In dem wegen anderer Streitpunkte vom Steuerpflichtigen anhängig gemachten Einspruchsverfahren lehnte der Steuerausschuss diesen Abzug ab, da der Steuerpflichtige als Kraftfahrzeugsachverständiger gewerblich tätig sei und keinen der in § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG aufgezählten oder ihnen vergleichbaren Berufe ausübe.
Die Berufung des Steuerpflichtigen hatte Erfolg. Das Finanzgericht ließ sich im wesentlichen von folgenden Erwägungen leiten. Der Steuerpflichtige übe zwar keine wissenschaftliche Tätigkeit aus. Doch sei der in § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG nicht bezeichnete Beruf des Steuerpflichtigen dem des in dieser Vorschrift aufgeführten Ingenieurs ähnlich. Das ergebe sich aus seiner technisch beratenden Tätigkeit, die auch Hauptinhalt des Ingenieurberufs sein könne. An die ähnlichkeit mit einem der in § 18 EStG angeführten Berufe dürfe kein zu strenger Maßstab angelegt werden. Wenn ein Steuerpflichtiger auf Grund einer gehobenen Bildung und Begabung eine Tätigkeit ausübe, die nur auf seinen eigenen Fähigkeiten und Kenntnissen und auf seiner Arbeitskraft beruhe, sollte man einen besonders hohen Grad der ähnlichkeit zu einem der in § 18 EStG aufgeführten Berufe in streng fachlicher Hinsicht nicht verlangen.
Mit der Rb. wendet sich der Vorsteher des Finanzamts in der mündlichen Verhandlung im wesentlichen dagegen, daß der Steuerpflichtige schon deshalb nicht mit einem Ingenieur verglichen werden könne, weil ihm eine entsprechende Berufsausbildung fehle. Auch sei er zu einem nicht unwesentlichen Teil als Schadensregulierer gewerblich tätig gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Der Steuerpflichtige ist Freiberufler, wenn seine Tätigkeit entweder einem der in § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG angeführten Berufe ähnlich ist oder als "wissenschaftlich" bezeichnet werden kann. Der Senat hat bereits mehrfach, so in den Urteilen IV 601/55 U vom 27. September 1956 (BStBl 1956 III S. 334, Slg. Bd. 63 S. 357) und IV 45/58 U vom 30. April 1959 (BStBl 1959 III S. 267, Slg. Bd. 69 S. 16) ausgesprochen, daß allgemeine Merkmale, nach denen eine Tätigkeit als freiberuflich charakterisiert werden könnte, aus der Vorschrift des § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG nicht hergeleitet werden könnten. Die Erweiterung des Kreises der "ähnlichen" Berufe ergibt sich daraus, daß die in dieser Vorschrift angeführten freien Berufe gegenüber der entsprechenden Vorschrift im EStG 1925 eine erhebliche Erweiterung erfahren haben. Das Gesetz führt nicht nur akademische Berufe an, sondern auch Heilpraktiker, Dentisten, Buchsachverständige, Ingenieure usw., die zum Teil keine bestimmte Vorbildung erfordern. Wenn der zu vergleichende, im Gesetz bezeichnete Beruf aber eine wissenschaftliche Ausbildung verlangt, so muß grundsätzlich auch der ähnliche Beruf auf einer wissenschaftlichen Grundlage beruhen. Ist der zu vergleichende Beruf jedoch, wie z. B. der des Ingenieurs, in seiner Berufsbezeichnung rechtlich ungeschützt und kann er ohne eine vorgeschriebene Berufsausbildung ausgeübt werden, so können an die Vorbildung des ähnlichen Berufs keine höheren Anforderungen gestellt werden. Es darf dann bei der Beurteilung der ähnlichkeit weder auf die Vorbildung noch auf eine wissenschaftliche Grundlage abgestellt werden. Entscheidend ist die ähnlichkeit der Tätigkeit. Soweit im Urteil des Bundesfinanzhofs IV 120/62 U vom 18. Juli 1963 (BStBl 1963 III S. 557) weitergehende Voraussetzungen gefordert werden, wird an dieser Auffassung nicht mehr festgehalten.
Für die Berufstätigkeit des Steuerpflichtigen, der nach seinen Angaben in der Hauptsache als Gutachter in Kraftfahrzeugfragen, daneben im geringeren Umfang als Kraftfahrzeugschätzer tätig ist, kommt nur ein Vergleich mit dem im Gesetz aufgeführten Beruf eines Ingenieurs in Betracht. Zur typischen Tätigkeit eines Ingenieurs gehören nicht nur Planungen und überwachungen von Maschinen und maschinellen Anlagen und die Fertigung von Zeichnungen und Modellen, nach denen die Maschinen und Anlagen von Technikern hergestellt werden, sondern auch die Prüfung, Begutachtung und Wertermittlung von neuen und gebrauchten Machinen (vgl. auch Der Große Brockhaus 1954, Stichworte: Ingenieur, Technik und Techniker). Die zuletzt genannte Tätigkeit übte der Steuerpflichtige als Sachverständiger in Kraftfahrzeugfragen für Gerichte, Behörden und Versicherungen und als Schätzer von gebrauchten Kraftfahrzeugen aus, weil er als Voraussetzung für die Erstattung seiner Gutachten die Kraftfahrzeuge eingehend zu untersuchen und bei der Begutachtung von Schadensfällen und der Schätzung gebrauchter Kraftfahrzeuge Fehler und Mängel des Kraftfahrzeugs festzustellen hat. Daß der Steuerpflichtige hierbei nicht eigenschöpferisch tätig wird, steht der Annahme der ähnlichkeit der beiden Berufe nicht entgegen, weil die eigenschöpferische Betätigung kein entscheidendes Merkmal einer freiberuflichen Tätigkeit ist. Der hier zu entscheidende Fall zeigt eine gewisse ähnlichkeit mit dem Sachverhalt, der der Entscheidung des Bundesfinanzhofs IV 6/53 U vom 4. Februar 1954 (BStBl 1954 III S. 147, Slg. Bd. 58 S. 618) zugrunde lag. Dort hatte der Senat die Gutachtertätigkeit eines Architekten als Sachverständigen als der Tätigkeit des Architekten ähnlich angesehen. Ebenso wie die dort bezeichnete Gutachtertätigkeit des Architekten der Tätigkeit dieses Berufes ähnlich ist, erscheint es gerechtfertigt, die ebenfalls auf Grund technischer und handwerklicher Kenntnisse ausgeübte Gutachtertätigkeit des Steuerpflichtigen als eine dem Beruf des Ingenieurs ähnliche Betätigung anzusehen. Daß diese Tätigkeit, wie in dem Sachverständigengutachten eines Leiters eines Instituts für Kraftfahrwesen an einer Technischen Hochschule ausgeführt wird, ein erhebliches Maß an technisch-wissenschaftlichen Kenntnissen voraussetzt, spricht für die ähnlichkeit mit dem Beruf des Ingenieurs, von dem im allgemeinen gleichartige Kenntnisse und Fähigkeiten erwartet werden.
Daß die Schätzungen und Begutachtungen des Steuerpflichtigen auch von einem handwerklich vorgebildeten Kraftfahrzeugmeister im Rahmen eines gewerblichen Unternehmens ausgeführt werden können, führt zu keiner anderen Beurteilung der Rechtslage. Denn eine freiberufliche Tätigkeit wird nicht deshalb gewerblich, weil sie auch im Rahmen einer aus anderen Gründen gewerblichen Tätigkeit ausgeübt werden kann (vgl. auch das Urteil des Bundesfinanzhofs IV 84/57 U vom 14. November 1957, BStBl 1958 III S. 3, Slg. Bd. 66 S. 4).
Es ist zweifelhaft, ob die Einkünfte des Steuerpflichtigen aus der freien Berufstätigkeit die nicht freiberuflichen Einkünfte überwiegen (ß 18 Abs. 4 EStG 1955). Denn der Steuerpflichtige selbst hat dem Finanzgericht vorgetragen, daß er häufig beauftragt worden sei, im Namen von Haftpflicht-Versicherungsgesellschaften die Schadensabschluß- und Vergleichsverhandlungen zu führen. Es liegt nahe, hierin eine schadenregulierende Tätigkeit zu sehen, die keine freiberufliche, sondern eine gewerbliche Tätigkeit ist (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs I 21/61 U vom 29. August 1961, BStBl 1961 III S. 505, Slg. Bd. 73 S. 656). Da die Vorinstanz Art und Umfang dieser Tätigkeit nicht im einzelnen festgestellt hat, muß die Vorentscheidung aufgehoben werden. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Finanzgericht zurückverwiesen. Kommt das Finanzgericht zu dem Ergebnis, daß dieser Teil der Tätigkeit des Steuerpflichtigen schadenregulierender Art gewerblich ist und die Einkünfte hieraus die übrigen Einkünfte aus dem freiberuflichen Teil der Tätigkeit übersteigen, so ist der Pauschbetrag für Betriebsausgaben für Einkünfte aus freier Berufstätigkeit zu versagen. Bei gegenteiliger Feststellung kann er anerkannt werden, wenn eine Trennung zwischen der freiberuflichen und gewerblichen Betätigung möglich ist.
Fundstellen
Haufe-Index 411066 |
BStBl III 1964, 136 |
BFHE 1964, 349 |
BFHE 78, 349 |