Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer Gewerbesteuer
Leitsatz (amtlich)
Die Tätigkeit eines Ingenieurs als Kraftfahrzeugsachverständiger und Schätzer ist im allgemeinen der freiberuflichen Tätigkeit eines Ingenieurs ähnlich.
Normenkette
EStG § 15 Nr. 1, § 18 Abs. 1 Nr. 1; GewStG § 2 Abs. 1
Tatbestand
Streitig ist, ob der Steuerpflichtige mit seinen Einkünften als Kraftfahrzeugschätzer und Sachverständiger für Kraftfahrzeugfragen der Gewerbesteuer unterliegt.
Der Steuerpflichtige besuchte nach erlangter Reifeprüfung eine Ingenieurschule und erhielt dort nach Abschluß seiner Studien das Ingenieurzeugnis. Danach war er zunächst als Arbeitnehmer angestellt. Im Laufe des Jahres 1953 machte sich der Steuerpflichtige selbständig und ist seitdem als Kraftfahrzeugsachverständiger und als Kraftfahrzeugschätzer für die Deutsche Automobil-Treuhand-GmbH (DAT) tätig. Als Schätzer für die DAT hat er den Marktwert gebrauchter Kraftfahrzeuge nach den Bestimmungen de Schätzvertrages der DAT und der als Anlage und Teil dieses Vertrages geltenden allgemeinen Vertragsbedingungen in eigener Verantwortung und voller Unparteilichkeit festzustellen. Als Sachverständiger erstattete er bei Kraftfahrzeugunfällen Gutachten für Gerichte und Versicherungsunternehmen in Haftpflicht- und Schadenssachen. Beide Tätigkeiten erfordern eingehende Untersuchung des Zustandes des zu begutachtenden Kraftfahrzeuges und seiner Einzelteile. Für die Bestimmung des Marktwertes der Fahrzeuge wird ihm von der DAT geeignetes Material über die Auswertung von Preisen auf dem Gebrauchtwarenmarkt zur Verfügung gestellt. über das Ergebnis der Schätzung wird eine Schätzungsurkunde ausgestellt. Die Schätzungstätigkeit kann auf Verlangen der Beteiligten von einem Beauftragten der DAT überprüft werden. Für seine Schätzertätigkeit erhält der Steuerpflichtige Gebühren, deren Höhe sich nach Art und Größe der zu bewertenden Kraftfahrzeuge richten. Der Steuerpflichtige ist Mitglied des Verbandes Selbständiger Ingenieure (VSI), der seinerseits Mitglied des Bundesverbandes der freien Berufe ist.
Das Finanzamt zog ab 1953 die Einkünfte des Steuerpflichtigen aus der Schätzer- und Gutachtertätigkeit zur Gewerbesteuer heran.
Die hiergegen mit Zustimmung des Vorstehers des Finanzamts eingelegte Sprungberufung hatte Erfolg.
Das Finanzgericht ließ sich hierbei im wesentlichen von folgenden Erwägungen leiten: Die Tätigkeit des Steuerpflichtigen als Kraftfahrzeugsachverständiger und Schätzer decke sich in wesentlichen Punkten mit der typischen Tätigkeit eines Ingenieurs. Der Sachverständige im Kraftfahrzeugwesen und der Kraftfahrzeugschätzer stellten eine Unterart des Maschineningenieurs dar, die nur deshalb in der Gebührenordnung und den Vertragsbestimmungen nicht namentlich aufgeführt sei, weil das Kraftfahrzeugwesen bei deren Herausgabe in den 30iger Jahren und bei ihrer Ergänzung im Jahre 1950 wirtschaftlich noch nicht die heutige Rolle gespielt habe. Da auch die übrigen Voraussetzungen freier Berufstätigkeit beim Steuerpflichtigen gegeben seien, weise seine Tätigkeit alle Merkmale eines freien Berufes im Sinne von § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG auf. Der Steuerpflichtige sei daher von der Gewerbesteuer freizustellen.
Entscheidungsgründe
Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts ist nicht begründet.
Das Finanzgericht hat das Gesamtbild der beruflichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen ohne Rechtsirrtum als freiberuflich im Sinne des § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG angesehen. Es ging hierbei zutreffend davon aus, daß eine freiberufliche Tätigkeit des Steuerpflichtigen nur dann in Betracht kommt, wenn seine Tätigkeit entweder einem der in § 18 Abs. 1 Ziff 1. EStG angeführten Berufe ähnlich ist, oder wenn eine "wissenschaftliche Tätigkeit vorliegt. Nur wenn die ähnlichkeit mit einem der angeführten Berufe zu bejahen ist, ist es nicht erforderlich, daß es sich um eine wissenschaftliche Tätigkeit im eigentlichen Sinne handelt. Der Senat hat bereits mehrfach, so u. a. in den Entscheidungen IV 601/55 U vom 27. September 1956 (BStBl 1956 III S. 334, Slg. Bd. 63 S. 357) und IV 45/58 U vom 30. April 1959 (BStBl 1959 III S. 267, Slg. Bd. 69 S. 16) ausgesprochen, daß ein allgemeiner Grundsatz aus der Vorschrift des § 18 Abs. 1 EStG nicht hergeleitet werden könne. Die in dieser Vorschrift angeführten freien Berufe haben gegenüber der entsprechenden Vorschrift im EStG 1925 eine erhebliche Erweiterung erfahren. Sie führt nicht mehr nur akademische Berufe an, sondern auch Heilpraktiker, Dentisten und Buchsachverständige. Soweit ähnliche Berufe in Betracht kommen, muß zwar, wenn der zu vergleichende angeführte Beruf ein wissenschaftlicher Beruf ist, auch der andere Beruf auf einer wissenschaftlichen Grundlage beruhen. Das besagt aber nicht, daß in einem solchen Fall beide Berufe akademische Ausbildung voraussetzen, weil etwa der im Gesetz angeführte Beruf ein akademischer ist. Die Ausbildung muß jedoch, wenn sie keine akademische ist, zumindest auf wissenschaftlicher Grundlage beruhen.
Für die Berufstätigkeit des Steuerpflichtigen, der sich selbst als Kraftfahrzeug-Ingenieur bezeichnet, kommt nur ein Vergleich mit dem im Gesetz angeführten Beruf eines Ingenieurs in Betracht. Zur typischen Tätigkeit eines Ingenieurs gehören nicht nur Planungen von Maschinen und maschinellen Anlagen, Fertigung von Zeichnungen und Modellen, nach denen die Maschinen und Anlagen von den Technikern hergestellt werden, das Mitwirken und überwachen dieser Arbeiten, sondern auch die Beurteilung von Maschinen und Wertermittlung für gebrauchte Maschinen (vgl. auch Der Große Brockhaus, 1954, Stichwort: Ingenieur, Technik und Techniker). Gerade die zuletzt genannte Tätigkeit übt der Steuerpflichtige bei den Wertermittlungen für die gebrauchten Kraftfahrzeuge aus. Er hat die Kraftfahrzeuge, insbesondere den Motor und seine Aggregate eingehend zu untersuchen, den Zustand des Kraftfahrzeuges durch eine Probefahrt und den Zustand des Motors durch einen Probelauf zu prüfen. Dabei hat der Steuerpflichtige Fehler und Mängel des Kraftfahrzeuges und seiner Teile festzustellen und diese ferner bei der Wertermittlung - Schätzung des Preises - für das Kraftfahrzeug zu berücksichtigen. Diese Feststellung von Mängeln und die darauf fußende Bewertung des Kraftfahrzeuges trifft der Steuerpflichtige auf Grund seines auf der Ingenieurschule erworbenen, durch praktische Erfahrung vertieften Wissens. Mit Recht nahm daher die Vorinstanz an, daß sich die Tätigkeit des Steuerpflichtigen als Kraftfahrzeugschätzer in wesentlichen Punkten mit der typischen Tätigkeit des Ingenieurs deckt. Der Umstand, daß der Steuerpflichtige bei seinen Schätzungen nicht eigenschöpferisch tätig ist, steht jedenfalls der Annahme einer weitgehenden ähnlichkeit der beiden Berufe nicht entgegen. Dies um so weniger, als die eigenschöpferische Betätigung nicht als ein unabdingbares Merkmal einer als freiberuflich zu bezeichnenden Tätigkeit im Sinne von § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG anzusehen ist. Im übrigen steht auch die Vorentscheidung zu dem in der Entscheidung des Bundesfinanzhofs IV 6/53 U vom 4. Februar 1954 (BStBl 1954 III S. 147, Slg. Bd. 58 S. 618) entwickelten Grundsatz nicht in Widerspruch. In diesem Fall hatte der Senat die Gutachtertätigkeit eines Architekten als Sachverständigen als eine der Tätigkeit des Architekten ähnliche im Sinne des § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG angesehen. In der Aufzählung der einzelnen Gutachtertätigkeiten befanden sich neben der Bewertung industrieller Anlagen und Einrichtungen auch die Beurteilung von Gebäude-, Brand-, Blitz-, Schwamm-, Wasser- und Explosionsschäden. Diese Tätigkeiten sind abgewandelt auf das Kraftfahrzeugwesen jedenfalls der des Steuerpflichtigen in seiner Eigenschaft als Kraftfahrzeugschätzer in etwa wesensgleich zu betrachten. Unter diesen Gesichtspunkten bestehen auch keine Bedenken gegen die Annahme der Vorentscheidung, daß sich die Tätigkeit des Steuerpflichtigen als Kraftfahrzeugschätzer nicht in reiner Tatsachenfeststellung unter Berücksichtigung handwerklicher und marktmäßiger Kenntnisse erschöpft. Der Steuerpflichtige ist vielmehr gleichzeitig Ingenieur und übt seine Schätzertätigkeit auf der Grundlage seiner Kenntnisse als Ingenieur und damit einer Fachrichtung aus, die auch an Hochschulen gelehrt wird. Im übrigen steht nach dem von der Vorinstanz zur Beurteilung herangezogenen Sachverständigengutachten eines Professors einer technischen Hochschule fest, daß die Tätigkeit des Kraftfahrzeugschätzers ein erhebliches Maß an technisch-wissenschaftlichen Kenntnissen voraussetzt, und daß der Steuerpflichtige nach sachlichen und objektiven Gesichtspunkten zunächst die Grundwerte und sodann nach im wesentlichen von der DAT festgelegten Richtlinien den Schätzpreis zu ermitteln hat.
Die gleichen Grundsätze gelten, wie die Vorinstanz zutreffend ausführte, auch für die Beurteilung der Gutachtertätigkeit des Steuerpflichtigen für Versicherungsunternehmen und Behörden. Denn auch die Begutachtung von Unfallschäden setzt eine genaue Untersuchung und Prüfung des beschädigten Fahrzeugs, der eingetretenen Wertminderung und der Kosten für notwendige Reparaturen voraus. Auch die hierzu erforderlichen Feststellungen werden auf Grund der technischen Kenntnisse getroffen, die der Steuerpflichtige dank seiner Ausbildung und praktischen Erfahrung als Ingenieur erworben hat. Soweit darüber hinaus auch Kausalität und Verschulden bei Unfällen zu prüfen sind, kommt der Steuerpflichtige auch an diese nicht typisch technischen, sondern juristischen Fragen von der Ebene des Technikers heran. Sie lassen sich im wesentlichen von seiner technisch bestimmten Gesamttätigkeit nicht lösen und müssen in Anbetracht der Ausdehnung des Aufgabengebietes des Ingenieurs als Randgebiet in dessen Berufsbild miteinbezogen werden.
Schließlich kann der Umstand, daß derartige Schätzungen und Begutachtungen auch von einem handwerklich vorgebildeten Kraftfahrzeugmeister oder von einem Kraftfahrzeughändler im Rahmen eines gewerblichen Unternehmens ausgeführt werden können, zu keiner anderen Beurteilung führen. Einer freiberuflichen Tätigkeit kann die Anerkennung als solcher nicht schon deshalb versagt werden, weil sie im Rahmen einer aus anderen Gründen gewerblichen Tätigkeit ausgeübt werden kann (Vgl. auch das Urteil des Senats IV 84/57 U vom 14. November 1957, BStBl 1958 III S. 3 Slg. Bd. 66 S. 4). Im übrigen fehlt es diesem Personenkreis in der Regel schon an der als Voraussetzung für die Annahme eines freien Berufs im Sinne von § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG zu fordernden Ausbildung auf wissenschaftlicher Grundlage. In der Praxis erworbene gewerbliche Erfahrungen und Marktkenntnisse reichen hierfür nicht aus (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs IV 373/58 vom 9. Februar 1961, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Einkommensteuergesetz, § 18, Rechtsspruch 175).
Unter Berücksichtigung aller Umstände muß deshalb die Tätigkeit des Steuerpflichtigen zumindest als der eines Ingenieurs ähnlich beurteilt werden. Auch die Ausbildung eines Ingenieurs (mit Ausnahme des Diplom-Ingenieurs) ist vielfach keine akademische. In einem gewissen Umfang ist nicht einmal die Ausbildung auf einer Fachschule erforderlich. § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG verlangt auch weder einen akademischen Beruf noch eine gehobene wissenschaftliche Tätigkeit. Ein ähnlicher Beruf im Sinne der genannten Vorschrift ist immer dann gegeben, wenn diese in wesentlichen Punkten mit einem oder mehreren der hier angeführten Berufe verglichen werden kann. Dies ist im Streitfall zu bejahen, da der Steuerpflichtige, wie sich aus seinem Werdegang ergibt, eine abgeschlossene Fachschulausbildung auf wissenschaftlicher Grundlage erhielt und seine Tätigkeit als Kraftfahrzeugsachverständiger und Kraftfahrzeugschätzer mit den in dieser erworbenen Kenntnissen und seinem in praktischer Erfahrung vertieften Wissen ausübte. Die Vorinstanz sah daher die Tätigkeit des Steuerpflichtigen zutreffend als die Ausübung eines freien Berufs im Sinne des § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG an und hat ihn infolgedessen zu Recht von der Gewerbesteuer freigestellt.
Fundstellen
Haufe-Index 410880 |
BStBl III 1963, 557 |
BFHE 1964, 646 |
BFHE 77, 646 |