Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
6 Ziffer 5 EStG ist für die Zeit des rapiden Währungsverfalls (1945 bis 21. Juni 1948) dahin zu verstehen, daß die Höchstwertvorschrift keine Anwendung finden kann, wenn der Erwerb der eingelegten Wirtschaftsgüter ohne jeden Zusammenhang mit dem Betriebe erfolgt war.
Normenkette
EStG § 6 Ziff. 5, § 2; StAnpG § 1
Tatbestand
Der Steuerpflichtige (Stpfl.) betrieb eine Buchhandlung nebst Leihbücherei, sowie einen Tabakwarenhandel. Im April 1945 wurde der Betrieb ausgebombt und im Juli 1945 in verkleinertem Umfange wieder aufgenommen. Zu gleicher Zeit beteiligte sich der Stpfl. als stiller Gesellschafter an einem Betriebe für Haushaltungsgegenstände; noch im Jahre 1945 entschloß er sich, diesen Handel selbst in die Hand zu nehmen und ihn seinem bestehenden Unternehmen anzugliedern. In der Zeit von Juli 1945 bis Dezember 1945, mithin zu gleicher Zeit veräußerte er durch drei Kaufabschlüsse 15 Privatgegenstände an Angehörige der Besatzungsmacht. Es handelte sich um sechs goldene Ringe mit Steinen, zwei Bilder, einen Teppich, eine goldene Uhr, eine Brillantnadel, ein goldenes Armband, ein Zigarettenetui, einen Photoapparat und ein Fernglas, für die er insgesamt 129 500 RM erlöste. Den allergrößten Teil dieses Erlöses benutzte er zum Ausbau des Betriebes (Haushaltsgegenstände), und zwar überwiegend im Jahre 1946.
Das Finanzamt sah in der Veräußerung der Gegenstände und der Verwendung des Erlöses für den Betrieb eine gewerbliche Betätigung und setzte dem bisher für 1945 versteuerten Gewinn von 3 400 RM den Veräußerungserlös von 129 500 RM abzüglich eines Anschaffungswertes für die Gegenstände von 4 500 RM = 125 000 RM hinzu.
Der erhobene Einspruch blieb erfolglos. Die Berufung wurde damit begründet, daß es sich um steuerfreie Privatgeschäfte gehandelt habe, daß aber mindestens als Teilwert der 15 Gegenstände im Zeitpunkt der Einbringung bzw. Veräußerung 90 v. H. des erzielten Erlöses abgesetzt werden müßte.
Das Finanzgericht erblickte in der Veräußerung der 15 Gegenstände, die systematisch und nachhaltig in einem Zeitraume von 6 Monaten erfolgt sei, und deren Erlös dem Betriebe in verschiedenen Raten zugeführt sei, ebenso wie das Finanzamt, eine einheitliche geschäftliche Maßnahme, mithin eine gewerbliche Betätigung. Die Steuerpflicht sei grundsätzlich zu bejahen. Die für den laufenden Betrieb und seinen Aufbau zu verwertenden Sachgüter selbst hätten als in den Betrieb einverleibt zu gelten. Zu Unrecht habe aber das Finanzamt unter Anwendung der Vorschrift des § 6 Ziffer 5 des Einkommensteuergesetzes ( EStG ) nur 4 500 RM von dem Erlöse von 129 500 RM abgesetzt. Dem Wortlaute der Bestimmung des § 6 Ziffer 5 EStG entspreche dies zwar, aber nicht im Sinne dieser Vorschrift. Der Ansatz der Anschaffungskosten als Höchstwert sei auf die Fälle zu beschränken, in denen Wirtschaftsgüter zwecks Einbringung in den Betrieb bereits erworben seien, in allen anderen Fällen sei der Teilwert zur Zeit der Einbringung anzusetzen. Nur eine solche Auslegung des § 6 Ziffer 5 EStG werde seinem Sinn gerecht.
Den Teilwert der 15 verkauften Gegenstände schätzte das Finanzgericht auf 2/3 des Erlöses und kam so dazu, nach Absetzung der Gewerbe- und Umsatzsteuer dem bisher für 1945 versteuerten Gewinn 34 900 RM statt 125 00 RM hinzuzusetzen. Die Einkommensteuer ermäßigte sich dadurch von 77 087 RM auf 14 644,40 RM.
Mit der Rechtsbeschwerde (Rb.) rügt der Finanzamtsvorsteher unrichtige Anwendung des § 6 Ziffer 5 EStG.
Mit der Anschlußbeschwerde wird, wie schon im bisherigen Verfahren, die Steuerpflicht der Verkäufe bestritten und Aufhebung des berichtigten Einkommensteuerbescheides für 1945 begehrt. Zu Unrecht seien die Verkäufe als gewerbliche Betätigung angesehen worden.
Entscheidungsgründe
Die Anschlußbeschwerde des Stpfl. sowohl wie die Rb. des Finanzamtsvorstehers sind unbegründet.
Das Finanzgericht hat in dem von ihm festgestellten, auch unbestrittenen Tatbestand der Veräußerung der 15 Gegenstände und der Verwendung des Erlöses zum Ausbau eines gewerblichen Betriebes eine gewerbliche Betätigung des Stpfl. erblickt und hat demgemäß die Steuerpflicht grundsätzlich für gegeben erachtet. Dem ist beizutreten. Nach dem Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 806/34 vom 19. Februar 1936, Reichssteuerblatt (RStBl.) 1936 S. 766, ist davon auszugehen, daß auch die auf Eröffnung eines Gewerbebetriebes gerichtete vorbereitende Tätigkeit bereits Gewerbebetrieb ist. Der Gewerbebetrieb im Sinne der Einkommensteuer beginnt bereits mit der ersten Vorbereitungshandlung (vgl. Blümich, § 15 Anm. 6 EStG). Demgemäß sind von den Vorbehörden die Veräußerungen der Gegenstände mit Recht in den gewerblichen Betrieb des Stpfl. einbezogen und zur Steuer herangezogen worden. Die Ausführungen der Anschlußbeschwerde können demgegenüber nicht durchschlagen. Die Heranziehung des Erlöses von 129 500 RM zur Einkommensteuer war also berechtigt. Dabei konnte - und das ist auch von den Vorbehörden nicht verkannt - nicht der Gesamterlös als Gewinn behandelt werden. Als Gewinn ergab sich nur die Differenz zwischen Erlös und Wert der Einlagegegenstände.
Für die Bewertung von Einlagen schreibt § 6 Ziffer 5 EStG vor: "Einlagen sind mit dem Teilwert für den Zeitpunkt der Zuführung, höchstens jedoch mit den tatsächlichen Anschaffungs- oder Herstellungskosten anzusetzen". über die Auslegung dieser Vorschrift herrscht Streit. Während die für das Streitjahr gültigen Richtlinien (Einkommensteuer-Richtlinien - EStR - 1941 Abschnitt 39) und auch die zur Zeit in Kraft befindlichen Richtlinien diese Vorschrift streng nach dem Wortlaut ausgelegt wissen wollen, mithin den Anschaffungswert in jedem Falle als Höchstwert gelten lassen wollen, steht nahezu die gesamte maßgebende Literatur auf einem anderen Standpunkt (vgl. Blümich, § 6 Ziffer 5 Anm. 44; Becker in Steuer und Wirtschaft - StW - 1938 Spalte 1323; Zitzlaff in Deutsches Steuerblatt 1939 Nr. 9 vom 10. Mai 1939 S. 331, derselbe in Deutsche Steuerzeitung - DStZ - 1950 S. 313 ff., und zuletzt in DStZ 1951 S. 336 ff; Lademann, EStG Anm. 64 zu § 4 bis 7; Hartmann-Böttcher, EStR VIII C - XVI und ebenda XXVIII Abschnitt 59).
übereinstimmend kommen die Genannten zu dem Ergebnis, daß eine wortgetreue Auslegung des § 6 Ziffer 5 EStG zu Folgen führt, die dem Sinne des Gesetzes und der Absicht des Gesetzgebers zuwiderlaufen. "Dem natürlichen und gesunden Empfinden nach müßte nicht der ursprüngliche Anschaffungspreis, den vielleicht der Vater oder Großvater seinerzeit bei Erwerb für das Privatvermögen aufgewandt hat, sondern der Wert zur Zeit der Einbringung, d. h. der Eröffnung des Gewerbebetriebes maßgebend sein" , sagt Becker bereits im Jahre 1938. Becker sah also schon damals die unbilligen Folgen, die sich bei einer wortwörtlichen Auslegung des § 6 Ziffer 5 EStG ergeben konnten. Die von Zitzlaff gebrachte Begründung zu einer einengenden Handhabung des § 6 Ziffer 5 EStG, daß vielfach Anschaffungspreise in guter Reichsmark Verkaufspreisen in verwässerter Reichsmark gegenübertreten, legt es nahe, zu einer vom zu Wortlaute des § 6 Ziffer 5 EStG abweichenden Auslegung zu gelangen. Diese Ausführungen stellen die unbilligen Folgen einer wörtlichen Auslegung deutlich vor Augen. Doch sind diese Folgen nicht so sehr auf eine unglückliche Fassung des § 6 Ziffer 5 EStG als auf die Währungsentwicklung als solche zurückzuführen. Diese Folgen allein können nicht ausreichen, um zu einer einengenden Auslegung des § 6 Ziffer 5 EStG zu kommen.
Aber eine weitere überlegung zwingt doch dazu, den § 6 Ziffer 5 EStG im gleichen Sinne wie Becker, Blümich und Zitzlaff auszulegen. Wollte man in jedem Falle die Einlagegegenstände, auch wenn diese ursprünglich zweifelsfrei zu privaten Zwecken angeschafft sind, ausnahmslos mit den ursprünglichen Anschaffungswerten ansetzen, so würde sich ergeben, daß Wertsteigerungen, die diese Wirtschaftsgüter vor ihrer Einlegung erfahren hatten, als sie unzweifelhaft Gegenstände waren, die mit einem Betriebe im Sinne der Einkunftsarten von § 2 Abs. 3 Ziffer 1 - 3 EStG nichts zu tun hatten, der Einkommensteuer unterworfen würden.
Das kann aber vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt gewesen sein. Denn Wertänderungen von Wirtschaftsgütern sollen nach der Systematik und dem in § 2 EStG zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers nur dann für die Höhe des Einkommens eine Berücksichtigung erfahren, soweit sie einem Betriebsvermögen zugehörig sind. Nur bei den Einkunftsarten des § 2 Absatz 3 Ziffer 1 - 3 EStG findet ein Vermögensvergleich statt, nur hier sollen sich Wertänderungen von Wirtschaftsgütern auf die Höhe der Einkünfte auswirken; bei allen anderen Einkunftsarten ist lediglich der überschuß der Einnahmen über die Werbungskosten in Betracht zu ziehen. Veränderungen im Werte von Wirtschaftsgütern (von der Besonderheit der Absetzung für Abnutzungen des § 7 EStG abgesehen) sollen hier das einkommensteuerliche Ergebnis nicht berühren.
Es kann nicht der Sinn der § 6 Ziffer 5 EStG sein, von diesem Grundsatz abzugehen und entgegen dem im § 2 EStG erkennbaren Willen des Gesetzgebers bei Einlagen in den Betrieb auch die zeitlich vorherliegenden Wertsteigerungen in den Gewinn einzubeziehen.
Man wird daher zu dem Schluß kommen müssen, daß nur dann die Anschaffungs- oder Herstellungskosten anzusetzen sind, wenn die Beschaffung des Gegenstandes bereits eine gewisse Beziehung zu dem Betrieb erkennen läßt. Ob dies der Fall ist, ist im Einzelfalle zu untersuchen, ja man wird es sogar vielfach annehmen können. Vermag aber der Stfpl. darzutun, z. B. aus der Art der Gegenstände und den Umständen ihrer Beschaffung, daß zu dem Betriebe keinerlei Beziehungen bestanden haben, muß es bei der auch nach der Textfassung des § 6 Ziffer 5 EStG im Vordergrund stehenden Bewertung zum Teilwerte zur Zeit der Einbringung sein Bewenden behalten, ohne daß auf den Anschaffungs- oder Herstellungswert zurückzugehen ist; denn dieser hat keinerlei Zusammenhang mit dem Betriebe.
Mit dieser Auslegung des § 6 Ziffer 5 EStG entfernt man sich allerdings von dem Wortlaute der Gesetzesvorschrift. Doch hat der Reichsfinanzhof in ständiger Rechtsprechung ausdrücklich anerkannt, daß auch gegenüber einem an sich klaren Wortlaut des Gesetzes dem Zwecke und der wirtschaftlichen Bedeutung (ß 1 des Steueranpassungsgesetzes - StAnpG - ) Geltung zu verschaffen sei (vgl. z. B. Entscheidungen des Reichsfinanzhofs VI A 354/27 vom 3. November 1927, Slg. Bd. 22 S. 191; Gr. S. 1/27 vom 17. Dezember 1927, Slg. Bd. 22 S. 239). Auch der Bundesgerichtshof hat in neuester Zeit (vgl. Urteil II ZR 126/50 vom 23. Mai 1951, Betriebs-Berater 1951 Heft 20 S. 543) anerkannt, daß die Auslegung von Gesetzen nicht am Wortlaut halten darf, sondern daß sie den wirklichen Willen des Gesetzes, sowie den Sinn und Zweck zu erforschen hat. Eine Auslegung nach Sinn und Zweck des Gesetzes auch gegenüber einem sprachlich unzweideutigen Wortlaute hält der Bundesgerichtshof nicht für ausgeschlossen.
Für die Zeit nach dem 21. Juni 1948 wird die Bewertung von Einlagen nicht zu den Schwierigkeiten führen, die sich in der Zeit des Währungsverfalls ergaben, da hier die Vorschrift des § 6 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDVO) Abhilfe schafft.
So ergibt sich, daß die vorstehend entwickelte Auslegung des § 6 Ziffer 5 EStG zu praktischer Bedeutung nur für die Zeit kommt, in der durch den rapiden Währungsverfall und durch die infolge Warenverknappung eingetretenen außergewöhnlichen Preissteigerungen, insbesondere für Gegenstände, denen der Nimbus der Wertbeständigkeit anhaftete, sich anormale Verhältnisse ergeben haben, d. h. also für die Zeit von 1945 bis zum 21. Juni 1948. Für Zeiten normaler konjunktureller und monetärer Schwankungen wird an der bisherigen Rechtsprechung zu § 6 Ziffer 5 EStG festgehalten.
Im vorliegenden Falle handelt es sich ausschließlich um Schmuckstücke, die zumeist im Erbgang erworben sind, deren Erwerb also mit dem Betriebe des Bf. nichts zu tun hatte und die in Zeiten des Währungsverfalls eingebracht wurden. Bei dieser Sachlage entspricht es dem wahren Sinn des § 6 Ziffer 5 EStG, die Einlagen mit dem Teilwert zur Zeit der Einbringung zu bewerten.
So ist dem Finanzgericht dahin beizupflichten, daß für den vorliegenden Fall die Vorschrift des § 6 Ziffer 5 EStG dahin auszulegen ist, daß der Ansatz des Teilwertes zur Zeit der Einlage maßgebend ist.
Wenn das Finanzgericht diesen Wert auf 2/3 des Erlöses schätzt, so bewegt es sich damit auf dem Gebiete der tatsächlichen Würdigung, an die der Senat, da weder Rechtsirrtum noch ein Verstoß wider den klaren Inhalt der Akten oder die Erfahrungen des Lebens zu erkennen ist, nach § 288 der Reichsabgabenordnung gebunden ist.
Die Rb. des Finanzamtsvorstehers kann deshalb ebensowenig Erfolg haben wie die Anschlußbeschwerde des Stpfl.
Fundstellen
Haufe-Index 407378 |
BStBl III 1952, 120 |
BFHE 1953, 305 |
BFHE 56, 305 |
BB 1952, 396 |
DB 1952, 585 |