Entscheidungsstichwort (Thema)
Körperschaftsteuer
Leitsatz (amtlich)
Die von der Körperschaftsteuer nach § 4 Abs. 1 KStG befreiten unbeschränkt steuerpflichtigen Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen des § 1 Abs. 1 KStG sind mit den dem Steuerabzug unterliegenden Einkünften steuerpflichtig.
Den in Ziff. 1 bezeichneten Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen steht beim Steuerabzug das Schachtelprivileg nicht zu.
Normenkette
KStG § 2 Abs. 1 Ziff. 2, § 4 Abs. 2, § 9 Abs. 1-2
Tatbestand
Die Beschwerdeführerin (Bfin.) ist eine von der Körperschaftsteuer nach § 4 Abs. 1 Ziff. 6 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) befreite Aktiengesellschaft, die ihren Sitz im Inland hat. Sie ist an dem Grundkapital einer anderen inländischen Aktiengesellschaft zu mehr als 1/4 beteiligt. Von dieser erhielt sie Anfang 1955 für das Geschäftsjahr 1954 Dividenden von denen der Steuerabzug vom Kapitalertrag in Höhe von 25 v. H. einbehalten und an das zuständige Finanzamt abgeführt wurde.
Die Bfin. hat bei dem Finanzamt die Erstattung der Kapitalertragsteuer mit der Begründung beantragt, daß bei ihr die Voraussetzungen des Schachtelprivilegs (§ 9 Abs. 1 und 2 KStG) erfüllt seien und deshalb der Steuerabzug nicht hätte vorgenommen werden dürfen. Finanzamt und Finanzgericht haben diesen Antrag mit der Begründung zurückgewiesen, daß die Bfin. nicht zu den unbeschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaften im Sinn des § 9 Abs. 1 KStG gehöre, weil sie auf Grund des § 4 Abs. 1 Ziff. 6 KStG von der Körperschaftsteuer befreit sei. In der Rechtsbeschwerde (Rb.) rügt die Bfin. unrichtige Auslegung des Begriffs der unbeschränkten Steuerpflicht in § 9 Abs. 1 KStG. Sie führt aus, sie gehöre zu den in § 1 KStG unbeschränkt steuerpflichtigen Körperschaften und es ergebe sich aus § 4 Abs. 3 KStG, daß der Gesetzgeber zu den unbeschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaften auch solche Kapitalgesellschaften rechne, die von der Körperschaftsteuer auf Grund des § 4 Abs. 1 KStG befreit seien.
Entscheidungsgründe
Die Rb. der Bfin. kann keinen Erfolg haben. Die Bfin. hat einen im Rechtsmittelverfahren verfolgbaren Anspruch auf Erstattung der Kapitalertragsteuer, wenn diese Steuer abgeführt worden ist, obwohl eine Verpflichtung hierzu nicht bestand (§ 13 der Kapitalertragsteuer-Durchführungsverordnung in der Fassung vom 25. Februar 1956, Bundesgesetzblatt I S. 95). Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall dann erfüllt, wenn entweder die Bfin. weder zu den unbeschränkt noch zu den beschränkt Steuerpflichtigen gehört oder wenn die Dividendeneinkünfte sachlich von der Körperschaftsteuer befreit sind.
Die Bfin. gehört zu den in § 1 Abs. 1 KStG bezeichneten Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die der unbeschränkten Steuerpflicht unterliegen. Sie ist unstreitig von der Körperschaftsteuer auf Grund des § 4 Abs. 1 Ziff. 6 KStG wegen Gemeinnützigkeit befreit. Es fragt sich, ob sich diese Befreiung auf alle Einkünfte, also auch auf solche Einkünfte erstreckt, die dem Steuerabzug vom Kapitalertrag unterliegen.
In § 4 Abs. 2 KStG ist bestimmt: "Die Befreiungen nach Abs. 1 sind nicht anzuwenden, soweit die inländischen Einkünfte dem Steuerabzug unterliegen (§ 2 Abs. 1 Ziff. 2)". Ohne Berücksichtigung des Klammerzusatzes ergibt sich aus dem Wortlaut dieser Vorschrift eindeutig, daß sich die Befreiungen nur auf bestimmte Arten von Einkünften erstrecken sollen, und daß die dem Steuerabzug unterliegenden Einkünfte von der Befreiung nicht betroffen werden. Faßt man somit § 4 Abs. 2 KStG hinsichtlich bestimmter Einkünfte als eine Beschränkung des Abs. 1 auf, so fragt es sich, was der Gesetzgeber mit dem im Klammerzusatz befindlichen Hinweis auf § 2 Abs. 1 Ziff. 2 KStG gemeint haben kann. Nach der zuletzt bezeichneten Vorschrift unterliegen Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die nicht unbeschränkt steuerpflichtig sind, mit den inländischen steuerabzugspflichtigen Einkünften der beschränkten Steuerpflicht. Mißt man dem Hinweis auf diese Vorschrift die zunächst naheliegende Bedeutung bei, daß die Beschränkung der Steuerbefreiung des § 4 Abs. 1 KStG nur für die steuerabzugspflichtigen Einkünfte der nach § 2 Abs. 1 Ziff. 2 beschränkt Steuerpflichtigen gelten solle, so würde sich die Steuerbefreiung bei solchen Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die nach § 1 KStG unbeschränkt steuerpflichtig sind, auch auf abzugspflichtige Einkünfte erstrecken. Zu einem anderen Ergebnis könnte man nur dann kommen, wenn man die beschränkte Steuerpflicht des § 2 Abs. 1 Ziff. 2 KStG auch auf solche in § 1 Abs. 1 KStG genannte Steuerpflichtige ausdehnen wollte, die auf Grund besonderer Vorschriften von der Körperschaftsteuer befreit sind. Es mag dahingestellt bleiben, ob nicht aus der Fassung des § 2 Abs. 1 Ziff. 2 KStG der Wille des Gesetzgebers zu entnehmen ist, daß abweichend vom KStG 1925 die beschränkte Steuerpflicht nicht neben der unbeschränkten Steuerpflicht bestehen könne. Denn der Senat folgert unabhängig von der Entscheidung dieser Frage nicht nur aus dem Wortlaut des § 4 Abs. 2 KStG, sondern aus der Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift und der Vorschrift des § 2 Abs. 1 Ziff. 2 KStG, daß der Gesetzgeber die persönlichen Steuerbefreiungen des § 4 Abs. 1 KStG der unter § 1 Abs. 1 KStG fallenden Steuerpflichtigen nicht auf deren abzugspflichtige Einkünfte erstrecken wollte.
Nach § 3 Abs. 1 Ziff. 2 KStG 1925 unterlagen alle Körperschaften und Vermögensmassen des öffentlichen Rechts und des bürgerlichen Rechts ohne Rücksicht auf den Sitz und den Ort der Leitung mit inländischen Kapitalerträgen der beschränkten Steuerpflicht. Aus dieser Fassung des Gesetzes ergab sich, daß die beschränkte Steuerpflicht für abzugspflichtige Einkünfte neben der unbeschränkten Steuerpflicht bestehen konnte, und daß die von der Körperschaftsteuer befreiten Körperschaften des § 2 KStG 1925 - jetzt § 1 Abs. 1 KStG - mit den inländischen abzugspflichtigen Einkünften der beschränkten Steuerpflicht unterlagen. In § 9 Abs. 2 KStG 1925 - jetzt § 4 Abs. 2 KStG - war eindeutig bestimmt, daß sich die persönlichen Steuerbefreiungen des Abs. 1 nicht auf die beschränkte Steuerpflicht bezogen. Unter der Herrschaft des KStG 1925 war demnach kein Zweifel, daß die unbeschränkt steuerpflichtigen Körperschaften, die von der Körperschaftsteuer befreit waren, mit den steuerabzugspflichtigen Kapitalerträgen beschränkt steuerpflichtig blieben. Dieser Rechtszustand sollte durch die Neufassung des § 3 Abs. 1 Ziff. 2 und des § 9 Abs. 2 KStG 1925 in § 2 Abs. 1 Ziff. 2 und § 4 Abs. 2 KStG 1934 nicht geändert werden (vgl. Begründung zum KStG 1934, Reichssteuerblatt - RStBl - 1935 S. 82 und Kommentar zum Körperschaftsteuergesetz 1934 von Kennerknecht-Zülow, Anmerkung 87 zu § 2).
Ist somit die Bfin. mit den ihr im Jahre 1955 zugeflossenen Dividenden von der Körperschaftsteuer nicht befreit, so bleibt zu prüfen, ob diese Einkünfte deshalb dem Steuerabzug nicht unterliegen, weil sie sachlich auf Grund des § 9 Abs. 1 und 2 KStG von der Körperschaftsteuer befreit sind (§ 2 Abs. 1 Ziff. 2 der Verordnung zur Durchführung des Steuerabzugs vom Kapitalertrag). Von den in § 9 Abs. 1 bezeichneten Voraussetzungen ist nur streitig, ob die Bfin. eine unbeschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaft im Sinn dieser Vorschrift ist. Das Schachtelprivileg des § 9 Abs. 1 KStG kommt nur zum Zuge, wenn sowohl die ausschüttende wie die empfangende Kapitalgesellschaft unbeschränkt steuerpflichtig ist. Gehört die ausschüttende Kapitalgesellschaft zwar zu den in § 1 Abs. 1 KStG bezeichneten Kapitalgesellschaften, ist sie aber persönlich auf Grund des § 4 Abs. 1 KStG von der Körperschaftsteuer befreit, so hatte sie bereits der Reichsfinanzhof im Urteil I 178/39 vom 16. Mai 1939, Slg. Bd. 47 S. 25, RStBl S. 942, nicht als unbeschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaft im Sinn des § 9 Abs. 1 KStG angesehen. Aus dem Hinweis auf die Begründung des Urteils des Reichsfinanzhofs I A 70/34 vom 30. Juli 1935, RStBl S. 1198, das noch zu § 11 Abs. 1 Ziff. 3 KStG 1925 ergangen war, ergibt sich, daß der Reichsfinanzhof die zu § 9 Abs. 1 und 3 KStG 1934 ergangene Entscheidung vom 16. Mai 1939 aus dem Sinn und Zweck des Schachtelprivilegs rechtfertigt. Denn wenn die ausschüttende Kapitalgesellschaft von der Körperschaftsteuer befreit ist, so kommt, worauf das Urteil des Reichsfinanzhofs vom 30. Juli 1935 entscheidendes Gewicht legt, eine Doppelbelastung des ausgeschütteten Ertragsteils nicht in Betracht und es entfällt damit die wirtschaftliche und steuerliche Rechtfertigung für die Befreiung dieses Ertragsteils bei der empfangenden Kapitalgesellschaft. Es fehlt auch nach Ansicht des Reichsfinanzhofs ein sachlich gerechtfertigter Grund, ausländische Kapitalgesellschaften anders als inländische Kapitalgesellschaften zu behandeln, die von der Körperschaftsteuer befreit sind.
Finanzamt und Finanzgericht haben aus dieser Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs ohne nähere Begründung den Schluß gezogen, daß das Schachtelprivileg auch dann nicht zum Zuge kommen könne, wenn nicht die ausschüttende, sondern die empfangende Kapitalgesellschaft von der Körperschaftsteuer nach § 4 Abs. 1 KStG befreit ist. Dabei ist aber in der Begründung der Tatsache nicht ausreichend Rechnung getragen, daß bei Versagung des Schachtelprivilegs der ausgeschüttete Ertragsteil nur im Falle der Steuerbefreiung der ausschüttenden Kapitalgesellschaft, nicht aber im Falle der Steuerbefreiung der empfangenden Kapitalgesellschaft keiner Doppelbelastung unterliegt. Denn lediglich im letzten Fall tritt neben die Versteuerung bei der ausschüttenden Kapitalgesellschaft der sich aus der beschränkten Steuerpflicht der empfangenden Kapitalgesellschaft ergebende Steuerabzug vom Kapitalertrag. Trotzdem ist dem Finanzgericht im Ergebnis zuzustimmen. Dieses Ergebnis rechtfertigt sich auch aus der überlegung, daß der Gesetzgeber durch das Schachtelprivileg offenbar nur die sich aus der unbeschränkten Steuerpflicht der ausschüttenden und der empfangenden Kapitalgesellschaft ergebende Doppelbelastung, nicht aber die wesentlich weniger ins Gewicht fallende Mehrbelastung ausschließen wollte, die durch den Steuerabzug vom ausgeschütteten Ertrage herbeigeführt wird. Denn es fehlt an ausreichenden Gründen dafür, daß die nach § 4 Abs. 1 KStG steuerbefreiten Kapitalgesellschaften günstiger gestellt werden sollten als ausländische Kapitalgesellschaften oder solche Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die weder zu den in § 1 Abs. 1 KStG noch zu den in § 9 Abs. 1 Satz 1 KStG bezeichneten Körperschaften gehören.
Fundstellen
Haufe-Index 408444 |
BStBl III 1956, 155 |
BFHE 1956, 419 |
BFHE 62, 419 |
BB 1956, 423 |
DB 1956, 415 |