Entscheidungsstichwort (Thema)
Zwei Milchquoten für einen Landwirt mit zwei Höfen; rückwirkende Zurücknahme eines rechtswidrigen Referenzmengenbescheids
Leitsatz (amtlich)
1. Zwei Milchquoten (Anlieferungs-Referenzmengen) dürfen einem Landwirt, der zwei Höfe bewirtschaftet, allenfalls dann zugestanden werden, wenn er beide Höfe voneinander unabhängig bewirtschaftet.
2. Das HZA hat einen rechtswidrigen Bescheid über die Feststellung einer Referenzmenge zurückzunehmen. Das kann unter bestimmten Voraussetzungen auch mit Wirkung für die Vergangenheit geschehen.
Orientierungssatz
1. § 10 Abs. 1 MOG 1986 gilt für rechtswidrige begünstigende Bescheide "in den Fällen der §§ 6 und 8". Ein Fall des § 8 Abs. 1 MOG 1986 ist gegeben bei Bescheiden, die aufgrund von Vorschriften "über das Verfahren bei der Aufteilung, Zuteilung und Änderung von Garantiemengen, Referenzmengen, Quoten und sonstigen Mindestmengen und Höchstmengen im Rahmen von Marktordnungsmaßnahmen (Mengenregelungen) sowie über die Voraussetzungen und die Höhe solcher Mengenregelungen" erlassen worden sind. Ein Verwaltungsakt ist stets dann ein solcher "in den Fällen des § 8" i.S. des § 10 Abs. 1 MOG 1986, wenn er im Rahmen der in § 8 genannten Rechtsmaterien erlassen worden ist, unabhängig davon, ob die Regelung in einer Verordnung enthalten ist, die ohne Zustimmung des Bundesrates erlassen worden ist (vgl. BVerwG-Urteil vom 24.3.1988 3 C 41.87).
2. Bescheide zur Feststellung einer Anlieferungs-Referenzmenge nach der Milchgarantiemengen-Verordnung sind zurückzunehmen, wenn sie rechtswidrig sind; dabei ist § 48 Abs. 2 bis 4 VwVfG anzuwenden. Rechtswidrig ist ein Verwaltungsakt u.a. dann, wenn das im Zeitpunkt seines Erlasses geltende Recht unrichtig angewendet worden ist.
Normenkette
EWGV 857/84 Art. 12 Buchst. c, d; MOG §§ 8, 6, 10; VwVfG § 48 Abs. 2-4; MilchGarMV §§ 3, 4 Abs. 1-2, 5, § 11
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Landwirt und bewirtschaftet einen Betrieb, der aus Eigentum in D und aus einer Pacht in B besteht. Der gepachtete Hof umfaßt landwirtschaftlichen Besitz, Wohn- und Wirtschaftsgebäude sowie totes und lebendes Inventar. Der Kläger ist alleiniger Betriebsleiter und liefert die von ihm erzeugte Milch an die C-Molkerei (im folgenden: Molkerei). Das milcherzeugende Vieh ist nur in D aufgestallt. Von dort aus erfolgt auch die Milchanlieferung. Mit der Molkerei hat der Kläger einen Liefervertrag abgeschlossen und eine Kannennummer erhalten, unter der er die gesamte Milchmenge liefert. In B wurde 1982 die Milcherzeugung ganz eingestellt und das vorhandene Vieh nach D gebracht. Aufgrund des Pachtvertrages ist der Kläger verpflichtet, die Funktionsfähigkeit der Wirtschaftsstelle B im Hinblick auf eine spätere uneingeschränkte haupterwerbliche Weiterführung nach Ablauf des Pachtvertrages zu gewährleisten.
Die Molkerei als Käuferin berechnete am 14.Juni 1984 zugunsten des Klägers eine Anlieferungs-Referenzmenge nach der gemeinschaftsrechtlichen Milchquotenregelung von 294 100 kg. Auf den Einwand des Klägers, er bewirtschafte zwei Betriebe und müsse daher zwei Referenzmengen erhalten, berechnete die Molkerei am 21.Januar 1986 für den Kläger eine Referenzmenge von 266 600 kg für D und eine solche von 192 300 kg für B. Im April 1986 teilte die Molkerei dem Kläger mit, daß die Zollverwaltung Bedenken hinsichtlich der Zuteilung von zwei Referenzmengen habe. Nach Durchführung einer Außenprüfung forderte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt --HZA--) die Molkerei auf, dem Kläger nur eine Referenzmenge aufgrund der Anlieferungsmengen des Jahres 1983 mit Wirkung vom 2.April 1984 zu berechnen. Dem kam die Molkerei nach und setzte am 5.Dezember 1986 wieder eine Referenzmenge von 294 100 kg fest. Dem Einspruch des Klägers gab das HZA in der Einspruchsentscheidung für die Zwölf-Monats-Zeiträume 1984/85 und 1985/86 statt und wies im übrigen den Einspruch als unbegründet zurück.
Die Klage des Klägers mit dem Antrag, den Bescheid vom 5.Dezember 1986 und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung aufzuheben, hatte keinen Erfolg.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid vom 5.Dezember 1986 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 23.Oktober 1987 verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschluß vom 25.März 1986 VII B 164-165/85, BFHE 146, 188, 193) liegt in der stillschweigenden Entgegennahme der Mitteilung des Käufers durch das HZA nach § 4 Abs.5 Satz 2 der Milch-Garantiemengen- Verordnung (MGVO) ein die entsprechende Feststellung der Anlieferungs-Referenzmenge umfassender Verwaltungsakt. Die Mitteilungen der Molkerei vom 21.Januar und 5.Dezember 1986 haben also zu entsprechenden Feststellungsbescheiden geführt. Der letztgenannte Bescheid enthält gleichzeitig eine Änderung (teilweise Rücknahme) des Feststellungsbescheides vom 21.Januar 1986. Die Feststellung der Referenzmenge stellt eine Grundlage für die Erhebung der Milchabgabe nach § 11 MGVO dar und ist daher als Grundlagenbescheid i.S. des § 171 Abs.10 der Abgabenordnung (AO 1977) anzusehen (Senatsbeschluß vom 17.Dezember 1985 VII B 116/85, BFHE 145, 289, 292). Die Feststellung hat Dauerwirkung, da sie nicht befristet ist und daher grundsätzlich bis zum Auslaufen der Milchgarantiemengenregelung gilt.
2. Ein Referenzmengen-Feststellungsbescheid ist ein begünstigender Verwaltungsakt, da die Milchabgabe nur erhoben wird für die Milchmenge, die der Milcherzeuger über seine Referenzmenge hinaus an den Käufer geliefert hat (§ 3 MGVO). Ist er rechtswidrig, so ist er unter den Voraussetzungen des § 10 Abs.1 des Gesetzes zur Durchführung der gemeinsamen Marktorganisation 1986 --MOG 1986-- (BGBl I 1986, 1397) zurückzunehmen. Diese Vorschrift ist als § 7c MOG 1972 aufgrund des Zweiten Gesetzes zur Änderung des MOG 1972 vom 27.August 1986 (BGBl I 1986, 1389) am 30.August 1986 (vgl. Art.4 dieses Gesetzes) in Kraft getreten und daher auf den angefochtenen Bescheid vom 5.Dezember 1986 anwendbar.
§ 10 Abs.1 MOG 1986 gilt für rechtswidrige begünstigende Bescheide "in den Fällen der §§ 6 und 8". Ein Fall des § 8 Abs.1 MOG 1986 ist gegeben bei Bescheiden, die aufgrund von Vorschriften "über das Verfahren bei der Aufteilung, Zuteilung und Änderung von Garantiemengen, Referenzmengen, Quoten und sonstigen Mindest- oder Höchstmengen im Rahmen von Marktordnungsmaßnahmen (Mengenregelungen) sowie über die Voraussetzungen und die Höhe solcher Mengenregelungen" erlassen worden sind. Bescheide über die Feststellung einer Anlieferungs-Referenzmenge werden aufgrund der Regelung der MGVO und des dieser zugrunde liegenden Gemeinschaftsrechts erlassen. Diese Regelung enthält Vorschriften über die Zuteilung und Änderung von Garantie- oder Referenzmengen im Rahmen der gemeinschaftlichen Milchgarantiemengenregelung. Solche Bescheide sind also solche i.S. des § 8 MOG 1986. Dies wird auch durch die amtliche Begründung des MOG 1986 belegt. Darin heißt es (BTDrucks 10/5236, S.13), daß die Neuregelung "der Einbeziehung der Garantiemengenregelung bei Milch in das MOG" dient.
Nicht stichhaltig ist der Einwand der Revision, die MGVO sei keine Regelung nach § 8 MOG 1986, weil sie nicht mit Zustimmung des Bundesrates erlassen worden sei. Ein Verwaltungsakt ist stets dann ein solcher "in den Fällen des § 8" i.S. des § 10 Abs.1 MOG 1986, wenn er im Rahmen der in § 8 genannten Rechtsmaterien erlassen worden ist, unabhängig davon, ob die Regelung in einer Verordnung enthalten ist, die ohne Zustimmung des Bundesrates erlassen worden ist. Das Fehlen der Zustimmung des Bundesrates zum Erlaß der ursprünglichen MGVO hat überdies hier schon deswegen keine rechtliche Bedeutung, weil jedenfalls im Zeitpunkt ihres Ergehens die Zustimmung des Bundesrates nicht erforderlich war (§ 8 Abs.1 Nr.1 MOG 1972; vgl. auch § 12 Abs.2 MOG 1986, und Urteil des Bundesverwaltungsgerichts --BVerwG-- vom 24.März 1988 3 C 41.87, BVerwGE 79, 171, 174).
3. Die Rücknahme von Bescheiden zur Feststellung einer MilchReferenzmenge im Sinne der MGVO richtet sich also nach § 10 Abs.1 MOG 1986. Das bedeutet, daß Regelungen wie z.B. die §§ 130, 131 AO 1977 entgegen der Auffassung der Revision nicht angewendet werden können, weil die Sonderregelung des MOG 1986 vorgeht. Nach § 10 Abs.1 MOG 1986 sind Bescheide zur Feststellung einer Anlieferungs-Referenzmenge nach der MGVO zurückzunehmen, wenn sie rechtswidrig sind; dabei ist § 48 Abs.2 bis 4 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) anzuwenden. Das FG hat zutreffend die Auffassung des HZA bestätigt, daß im Fall des Klägers diese Voraussetzungen erfüllt waren.
a) Der durch den angefochtenen Bescheid vom 5.Dezember 1986 (teilweise) zurückgenommene Bescheid vom 21.Januar 1986 war rechtswidrig. Rechtswidrig ist ein Verwaltungsakt u.a. dann, wenn das im Zeitpunkt seines Erlasses geltende Recht unrichtig angewendet worden ist. Für den Kläger waren im Bescheid vom 21.Januar 1986 in Widerspruch zu den Regelungen der MGVO zwei Referenzmengen festgestellt worden.
Nach § 4 Abs.1 und 2 MGVO ist "für jeden Milcherzeuger", der bestimmte Voraussetzungen erfüllt, eine Anlieferungs-Referenzmenge auf der Grundlage der Milchlieferungen dieses Erzeugers im Kalenderjahr 1983 festzusetzen. Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob es danach rechtlich überhaupt möglich ist, einem und demselben Landwirt die Eigenschaft eines Milcherzeugers doppelt zuzuerkennen. Das könnte jedenfalls nur der Fall sein, wenn dieser Landwirt zwei voneinander unabhängige Betriebe leitet. Das ist nach den Feststellungen des FG hier nicht der Fall.
Nach Art.12 Buchst.c und d der Verordnung (EWG) Nr.857/84 (VO Nr.857/84) des Rates vom 31.März 1984 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- L 90/13, Vorschriftensammlung der Bundesfinanzverwaltung --VSF-- M 7050) ist "Erzeuger" der "landwirtschaftliche Betriebsleiter", der Milch verkauft; als "Betrieb" ist anzusehen die "Gesamtheit der vom Erzeuger bewirtschafteten Produktionseinheiten". Daraus ergibt sich, daß auch alle zugepachteten Produktionseinheiten, die der Erzeuger bewirtschaftet, grundsätzlich als Teile eines einheitlichen Betriebs anzusehen sind ("Gesamtheit der Produktionseinheiten"). Anders könnte es nur sein, wenn es sich um zwei voneinander unabhängige milcherzeugende Betriebe handelte. Von dieser Rechtsauffassung ist das FG zutreffend ausgegangen. Es hat festgestellt, daß die beiden Höfe D und B keine solche selbständigen Betriebe sind. Diese Feststellungen, die das FG ohne Rechtsirrtum u.a. mit dem Fehlen einer Milchgewinnung in der gepachteten Produktionseinheit B und mit dem Abschluß eines Milchlieferungsvertrages mit der Molkerei begründet hat, sind für den Senat bindend, da der Kläger zulässige und begründete Revisionsrügen dagegen nicht vorgebracht hat (§ 118 Abs.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
b) § 10 Abs.1 Satz 1 Halbsatz 2 MOG 1986 i.V.m. § 48 Abs.2 bis 4 VwVfG stand dem angefochtenen Rücknahmebescheid nicht entgegen.
aa) § 48 Abs.2 und 3 VwVfG unterscheidet zwischen Verwaltungsakten, die eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewähren oder hierfür eine Voraussetzung sind (Absatz 2), und anderen Verwaltungsakten (Absatz 3). Im erstgenannten Fall besteht mit Rücksicht auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes eine Rücknahmebeschränkung, während im Fall des Absatzes 3 die uneingeschränkte Rücknahmemöglichkeit des § 48 Abs.1 VwVfG nur durch den Anspruch auf Ausgleich des Vermögensnachteils in bestimmten Fällen gemildert ist. Diese Unterscheidung wurde, wie sich auch aus der Gesetzbegründung ergibt (BTDrucks 7/910, S.71),
"deshalb vorgenommen, weil man im allgemeinen davon ausgehen kann, daß die
Aufrechterhaltung rechtswidriger Verwaltungsakte, die Geld- oder
Sachleistungen gewähren, in erster Linie fiskalische Interessen berührt.
In Absatz 3 wird es sich dagegen in viel größerem Umfang um
Verwaltungsakte handeln, die stärker staatsbezogen sind, bei denen es also
schwerer als in den Fällen des Absatzes 2 erträglich wäre, den
rechtswidrigen Zustand aufrechtzuerhalten."
Der Feststellungsbescheid über eine Milch-Referenzmenge ist, wie ausgeführt, im Verhältnis zum (Folge-)Bescheid über die Erhebung der Milchabgabe nach § 11 MGVO ein Grundlagenbescheid. Er ist die Voraussetzung dafür, daß der Erzeuger in bestimmtem Umfang Milch abgabenfrei erzeugen kann. Ob solche Verwaltungsakte Bescheiden gleichgesetzt werden können, die die Voraussetzung für eine einmalige oder laufende Geldleistung i.S. des § 48 Abs.2 Satz 1 VwVfG sind, ist allerdings deswegen zweifelhaft, weil sie gerade nicht fiskalische Interessen berühren, sondern wegen ihrer rein marktordnungspolitischen Bedeutung "stärker staatsbezogen" sind und es deswegen "schwerer ... erträglich wäre, den rechtswidrigen Zustand aufrechtzuerhalten".
Der Senat braucht diese Frage nicht abschließend zu entscheiden. Denn falls Absatz 3 anwendbar ist, ist die Rechtmäßigkeit des Rücknahmebescheids zweifelsfrei. Es stellt sich dann allenfalls die Frage des Ausgleichs eines etwaigen Vermögensschadens des Klägers, die aber nicht Gegenstand dieses Verfahrens ist; die dabei erforderliche Interessenabwägung dürfte vermutlich zu keinem anderen Ergebnis führen als die bei der Anwendung des Absatzes 2 erforderliche (vgl. die Ausführungen unter bb). Bei Anwendung des Absatzes 2 ergibt sich, daß die dort geregelten (engeren) Rücknahmevoraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sind.
bb) Nach § 48 Abs.2 Satz 1 VwVfG darf ein Bescheid nicht zurückgenommen werden, "soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist". Die Sätze 2 und 3 der Vorschrift geben positive und negative Beispiele dafür, unter welchen Voraussetzungen das Vertrauen schutzwürdig ist; Satz 4 gibt einen Anhaltspunkt, wann ein Verwaltungsakt ex tunc zurückgenommen werden kann (vgl. auch die amtliche Begründung in der BTDrucks 7/910, S.69). Die Vorentscheidung enthält keine Feststellungen zur Frage, ob der Kläger auf den Bestand des Feststellungsbescheides vom 21.Januar 1986 tatsächlich vertraut hat. Das FG brauchte dazu auch nicht Stellung zu nehmen, da es mit Recht davon ausgegangen ist, daß bei der gebotenen Abwägung zwischen dem Interesse des Klägers an der Aufrechterhaltung des genannten Bescheids und dem öffentlichen Interesse an einer (teilweisen) Beseitigung sich das (etwaige) Vertrauen des Klägers als nicht schutzwürdig erweist.
Der erkennende Senat ist in seinen Entscheidungen vom 26.März 1985 VII B 12/85 (BFHE 142, 534, 538 ff.), vom 17.Dezember 1985 VII B 116/85 (BFHE 145, 289, 295) und vom 22.April 1986 VII R 184/85 (BFHE 146, 302, 308) auf die Ziele der gemeinschaftsrechtlichen Milchgarantiemengenregelung im einzelnen eingegangen und hat das große öffentliche Interesse an einer Maßnahme zur Vermeidung der kostenträchtigen und schwer zu vermarktenden Überschüsse bei Milch und Milcherzeugnissen und an einer Stabilisierung des Milchmarktes durch die Einführung einer Quotenregelung dargestellt. Dieses öffentliche Interesse erfordert auch, daß ein Milcherzeuger nicht für die gesamte Dauer der Garantiemengenregelung im Genuß einer für ihn unzutreffend zu hoch festgesetzten Referenzmenge bleibt. Es ist bei einer solchen Quotenregelung, die das Produktionsvolumen des Erzeugers zu begrenzen bestimmt ist, nicht vertretbar, daß einem einzelnen Milcherzeuger auf Dauer zu Lasten des Milchmarktes und der anderen Erzeuger, die nur die ihnen zustehenden Quoten erhalten haben, der Vorteil einer vorschriftswidrig zu hoch festgesetzten Quote bleibt.
Die Richtigkeit dieser Auffassung wird durch folgende Überlegungen bestätigt: Wie der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) entschieden hat, sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, zu Unrecht oder vorschriftswidrig ausgezahlte Beträge wieder einzuziehen, ohne daß diese für Rechnung der Gemeinschaft handelnden Behörden dabei hinsichtlich der Frage, ob die Rückforderung der zu Unrecht oder vorschriftswidrig gewährten Gemeinschaftsmittel zweckmäßig ist, ein Ermessen ausüben könnten (EuGH-Urteil vom 6.Mai 1982 Rs.146, 192 und 193/81, EuGHE 1982, 1503, 1535). Der EuGH hat in diesem Urteil betont, eine gegenteilige Auslegung würde die Gleichbehandlung der Wirtschaftsteilnehmer in den verschiedenen Mitgliedstaaten und die Anwendung des Gemeinschaftsrechts, die möglichst in der ganzen Gemeinschaft einheitlich erfolgen solle, beeinträchtigen. Nach dem EuGH-Urteil vom 21.September 1983 Rs.205-215/82 (EuGHE 1983, 2633, 2669) steht zwar das Gemeinschaftsrecht nationalen Rechtsvorschriften nicht entgegen, die für den Ausschluß einer Rückforderung von zu Unrecht bezahlten Beihilfen auf Kriterien wie den Vertrauensschutz abstellen (wie z.B. § 48 Abs.2 VwVfG das tut). Das gilt aber nach den Ausführungen des EuGH in diesem Urteil nur unter dem Vorbehalt, daß bei der Würdigung der in Rede stehenden Interessen "dem Interesse der Gemeinschaft in vollem Umfang Rechnung getragen wird" (EuGHE 1983, 2633, 2669). Dieses Interesse hat bei der Milchgarantiemengenregelung einen hohen Stellenwert. Das hat der Gesetzgeber des MOG 1986 auch dadurch zum Ausdruck gebracht, daß er --entsprechend dem erstzitierten EuGH-Urteil-- die Rücknahme unrichtiger begünstigender Bescheide in den Fällen von Mengenregelungen nicht, wie in § 48 Abs.1 VwVfG geschehen, in das Ermessen der Behörden stellte, sondern sie ihnen --im Rahmen freilich des § 48 Abs.2 bis 4 VwVfG-- zur Pflicht machte.
cc) Der angefochtene Rücknahmebescheid vom 5.Dezember 1986 legte sich Rückwirkung bis zum 2.April 1984 bei. Diese Rückwirkung hob das HZA durch seine Einspruchsentscheidung für die Zwölf-Monats-Zeiträume 1984/85 und 1985/86 auf. In der Fassung der Einspruchsentscheidung gilt der Rücknahmebescheid also nur ab dem Zwölf-Monats-Zeitraum 1986/87. Es ist fraglich, ob darin eine Rücknahme ex tunc liegt, da der Feststellungsbescheid vom 5.Dezember 1986 als Grundlagenbescheid praktische Wirksamkeit erst bei der Festsetzung der Milchabgabe nach Abschluß des Zwölf-Monats-Zeitraumes 1986/87 erlangte, also erst im April 1987, und damit zu einem Zeitpunkt nach Erlaß des Bescheids. Allerdings ist nicht zu verkennen, daß die Festsetzung einer Referenzmenge die Produktionsentscheidung des Milcherzeugers beeinflussen soll. Diese Entscheidungen hatte der Kläger für die Zeit vor Erlaß des Rücknahmebescheides, dem 5.Dezember 1986, schon getroffen. Es ist davon auszugehen, daß er dies bis zum Erlaß des angefochtenen Bescheides unter Berücksichtigung der durch den zurückgenommenen Bescheid vom 21.Januar 1986 festgesetzten doppelten Referenzmenge getan hat. Zwar hatte der Kläger die Möglichkeit, durch entsprechend verminderte Milchproduktion in den Monaten Januar bis März 1987 die drohende Entstehung einer Milchabgabe für den Zwölf-Monats-Zeitraum 1986/87 zu vermeiden. Aber eine solche kurzfristige Minderung der Produktionsmenge ist praktisch nur schwer durchführbar.
Der Senat braucht letztlich nicht zu entscheiden, ob der angefochtene Verwaltungsakt in der Fassung der Einspruchsentscheidung als ein Rücknahmebescheid mit Wirkung für die Vergangenheit anzusehen ist. Denn jedenfalls ist eine solche Rücknahme rechtlich zulässig und im vorliegenden Fall auch gerechtfertigt, da es auch insoweit an einem schutzwürdigen Interesse des Klägers an der Aufrechterhaltung des unrichtigen zurückgenommenen Bescheids vom 21.Januar 1986 fehlte.
§ 10 Abs.1 Satz 1 MOG sagt ausdrücklich nichts darüber, ob die Rücknahme auch für die Vergangenheit geschehen kann oder muß. Aus der Verweisung auf § 48 Abs.2 bis 4 VwVfG ergibt sich aber, daß eine Rücknahme auch mit Wirkung ex tunc rechtlich möglich ist. § 48 Abs.1 VwVfG sagt, daß rechtswidrige Verwaltungsakte --auch wenn sie begünstigend sind-- sowohl für die Zukunft als auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden dürfen. Zwar ist dieser Absatz in die Verweisung des § 10 Abs.1 MOG 1986 nicht miteinbezogen worden. Seine Regelung ist aber auch in die der Absätze 2 bis 4 miteingegangen. Das belegt z.B. § 48 Abs.2 Satz 4 VwVfG, wonach in den Fällen des Satzes 3 (dessen Voraussetzungen hier zweifellos nicht erfüllt sind) der Verwaltungsakt in der Regel mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen wird. Im Gegensatz zur Auffassung des Klägers wird durch diesen Hinweis auf einen Spezialfall die Rücknahme ex tunc in anderen Fällen nicht ausgeschlossen. Das ergibt sich schon aus dem Wortlaut des genannten Satzes und wird durch die amtliche Begründung bestätigt. Dort heißt es (BTDrucks 7/910, S.69), daß Satz 4 (nur) einen Anhaltspunkt gibt, wann ein Verwaltungsakt ex tunc zurückgenommen werden kann.
Es ist aber allgemeine Meinung, daß bei begünstigenden Verwaltungsakten in der Regel nur eine Rücknahme für die Zukunft in Betracht kommt (vgl. Kopp, Verwaltungsverfahrensgesetz, 4.Aufl., § 48 Anm.76; Knack, Verwaltungsverfahrensgesetz, 3.Aufl., § 48 Anm.5.7.2; Stelkens/Bonk/Leonhardt, Verwaltungsverfahrensgesetz, 2.Aufl., § 48 Anm.16). Im Fall des Klägers liegt aber bei Berücksichtigung aller Umstände ein Ausnahmefall vor. Da dem Kläger die unrechtmäßigen Vorteile aus der unzutreffenden Referenzmengenfeststellung für die Jahre 1984/85 und 1985/86 geblieben sind, ist die ihn treffende Last der (etwaigen) Rückwirkung für das Jahr 1986/87 relativ gering. Nach den den Senat bindenden Feststellungen des FG hat die Molkerei dem Kläger bereits im April 1986 --also gleich zu Beginn des Zwölf-Monats-Zeitraumes 1986/87-- mitgeteilt, daß die Zollverwaltung Bedenken hinsichtlich der Zuteilung von zwei Referenzmengen hege. Nimmt man schließlich noch das oben dargelegte hochrangige allgemeine Interesse der Öffentlichkeit an der Nichtbelassung rechtswidrig zu hoher Referenzmengen hinzu, so ergibt sich, daß die allenfalls relativ geringfügige Rückwirkung des angefochtenen Bescheids rechtlich nicht zu beanstanden ist.
Fundstellen
Haufe-Index 63362 |
BFH/NV 1991, 38 |
BFHE 164, 141 |
BFHE 1992, 141 |
BB 1991, 828 (L) |
HFR 1991, 433 (LT) |
StE 1991, 159 (K) |