Leitsatz (amtlich)
Eine wirksame Fristsetzung zur Bezeichnung von Beweismitteln gemäß Art. 3 § 3 Abs. 1 Nr. 3 VGFG-EntlG erfordert die Bezugnahme auf bestimmte aufklärungsbedürftige Tatsachen.
Normenkette
VGFG-EntlG Art. 3 § 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) betrieb in den Streitjahren 1964 bis 1969 den Handel mit ... Bei einer Steuerfahndungsprüfung wurde festgestellt, daß er bei mehreren Kreditinstituten Konten unterhielt, auf die er in den Jahren 1964 bis 1970 Beträge eingezahlt hatte, deren Höhe mit den von ihm steuerlich erklärten Einnahmen nicht übereinstimmten. Da der Kläger keine Erklärungen über den Vermögenszuwachs abgab, schätze der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) die Umsätze, Gewinne und Gewerbeerträge der Streitjahre. Dabei ermittelte das FA im Wege des Vermögensvergleichs für die Jahre 1964 bis 1969 einen Vermögenszuwachs von 149 828 DM, den es ungefähr gleichmäßig auf die Streitjahre aufteilte. Auf dieser Grundlage schätzte es die Gewinne des Klägers und führte die Einkommensteuerveranlagungen für die Streitjahre durch.
Nach im wesentlichen erfolglosem Einspruch erhob der Kläger Klage, die er wie folgt begründete: Der festgestellte Vermögenszuwachs beruhe auf Zuwendungen seines Vaters, die ihm dieser darlehensweise überlassen habe. Der Vater habe auch über entsprechende Mittel verfügt. Aus dem 1965 geschlossenen Erbvertrag seiner Eltern ergebe sich ferner, daß der Kläger durch Zuwendungen der Eltern hinsichtlich seiner Erb- und Pflichtteilsansprüche abgefunden worden sei.
Der Berichterstatter des erkennenden Senats beim Finanzgericht (FG) forderte den Kläger mit Verfügung vom 20. November 1978 unter Hinweis auf Art 3 § 3 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit vom 31. März 1978 IVGFG-EntlG) auf, "die zur Klagebegründung dienenden Tatsachen und Beweismittel" bis zum 25. Dezember 1978 anzugeben. In der mündlichen Verhandlung am 15. Mai 1979 beantragte der Kläger seine Mutter "als Zeugin für die Übergabe der vom Vater überlassenen Geldmittel zu vernehmen". Eine Begründung dafür, daß er den Antrag erst in der mündlichen Verhandlung stellte, hat der Prozeßbevollmächtigte des Klägers nicht gegeben. Das FG wies den Antrag als verspätet zurück. Die Vernehmung der Mutter würde den Rechtsstreit nicht unerheblich verzögern. Bisher habe das FA keine Kenntnis davon gehabt, daß die Mutter des Klägers etwas über die behaupteten Geldzahlungen wisse und ob sie noch lebe. Die Akten des Landgerichts ..., deren Beiziehung der Kläger wünsche, seien inzwischen vernichtet; aus ihnen hätte sich auch - wie der Kläger vortrage - nur etwas über die Glaubwürdigkeit seiner geschiedenen Ehefrau ergeben. Im übrigen wies das FG die Klage als unbegründet ab.
Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung der Art. 1 und 6 des Grundgesetzes (GG) sowie der §§ 76 und 79 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Bereits im Aussetzungsverfahren I B 18/73 sei am 25. April 1973 die Beiziehung der Akten des Landgerichts ... beantragt worden. Wenn die Akten nunmehr vernichtet seien, sei der eingetretene Beweisnotstand nicht vom Kläger, sondern vom FA zu vertreten. Dem FG und dem FA sei bekannt gewesen, daß die Mutter des Klägers noch lebte. Das FG habe erkennen müssen, daß der Kläger aus achtenswerten, in Art. 1 und 6 GG geschützten Gründen "seine betagte Mutter den Belastungen einer Vernehmung als Zeugin erst aussetzen wollte, als die Prozeßlage ihn hierzu unabweisbar zwang". Die Erhebung des angebotenen Beweises hätte ergeben, daß die Eltern des Klägers diesen mit Mitteln, die aus ihrem Unternehmen und dem landwirtschaftlichen Betrieb stammten, abgefunden hätten, und zwar indem sie ihm die zunächst als Darlehen gegebenen Beträge später schenkten.
Der Kläger beantragt das Urteil des FG, die Einspruchsentscheidung sowie die Einkommensteuerbescheide des FA für 1964 bis 1968 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 1969 insoweit zu ändern, als er bei der Festsetzung der Besteuerungsgrundlagen von der Einkommensteuererklärung 1969 abweicht.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
Das FG hat § 76 FGO verletzt.
1. Das FG war allerdings nicht verpflichtet, die Akten des Landgerichts ... für dieses Verfahren beizuziehen. Wie das FG festgestellt hat, hätten sich nach den Angaben des Klägers daraus Rückschlüsse auf die Glaubwürdigkeit der geschiedenen Ehefrau des Klägers ziehen lassen. Diese Feststellung ist für den Senat bindend (§ 118 Abs. 2 FGO), denn der Kläger hat insoweit keine Verfahrensrügen erhoben. Da das Urteil des FG nicht auf Angaben der geschiedenen Ehefrau des Klägers beruht, konnte der Inhalt dieser Akten aus der Sicht des FG nicht entscheidungserheblich sein. In diesem Fall ist es kein Verfahrensfehler, wenn es sie nicht beigezogen hat.
2. Es ist auch kein Verstoß gegen § 76 FGO, wenn das FG verkannt haben sollte, daß aus einem Vermerk auf der Urkunde des Notars hervorging, daß die Mutter des Klägers noch lebte und wie alt sie war. Das FG war nicht verpflichtet, in dieser Hinsicht Ermittlungen anzustellen, denn allein aus der Tatsache, daß die Mutter des Klägers lebte, folgt nicht, daß sie gemäß § 76 FGO als Zeugin vernommen werden mußte.
3. Das FG hat seine Ermittlungspflicht nach § 76 FGO aber dadurch verletzt, daß es den in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag, die Mutter des Klägers als Zeugin zu vernehmen, als verspätet zurückgewiesen hat.
a) Die Rüge dieses Verfahrensmangels entspricht den Anforderungen des § 120 Abs. 2 FGO. Der Kläger hat die Tatsachen bezeichnet, die den Mangel ergeben. Dazu gehört die Benennung des Beweismittels und die Darlegung, daß das angefochtene Urteil auf der Unterbliebenen Beweisaufnahme beruhe (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 8. November 1973 V R 130/69, BFHE 110, 493, BStBl II 1974, 219). Der Kläger hat in der Revisionsbegründung dargelegt, wer als Zeuge vorgenommen werden sollte und durch den Hinweis auf den in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag auch, zu welchem Beweisthema.
Die unter Beweis gestellten Tatsachen waren entscheidungserheblich. Wenn die Mutter bezeugen kann, daß die Eltern des Klägers an ihn Zahlungen geleistet haben oder wenn sie "die Übergabe der vom Vater überlassenen Geldmittel" bezeugen kann, dann ist die Schlußfolgerung des FG, daß der Vermögenszuwachs des Klägers aus unversteuerten Einkünften herrühre, nicht oder nicht in dieser Allgemeinheit richtig. Der Kläger hat zwar, in seinem Beweisangebot nicht angegeben, daß der gesamte Vermögenszuwachs durch Schenkungen oder Darlehen der Eltern begründet sei oder daß die Mutter die Übergabe der Geldbeträge in der vom Kläger behaupteten Höhe überzeugen könne. Die Verfahrensrüge wird jedoch dadurch nicht unbeachtlich. Da das FG davon ausgeht, daß die Eltern dem Kläger gar keine Geldmittel überlassen haben, wäre es bereits entscheidungserheblich, wenn die Mutter des Klägers bezeugen könnte, daß dem Kläger Gelder in geringerem als dem behaupteten Umfang überlassen worden sind.
b) Das FG durfte den Beweisantrag wegen des im finanzgerichtlichen Verfahren geltenden Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) nicht allein deswegen als verspätet zurückweisen, weil er erst in der mündlichen Verhandlung gestellt worden ist (vgl. BFH-Urteil vom 5. März 1970 IV R 235/68, BFHE 98, 528, BStBl II 1970, 496). Ein offenbarer Rechtsmißbrauch (vgl. BFH-Urteil vom 26. Februar 1975 II R 120/73, BFHE 115, 185, 190, BStBl II 1975, 489) ist nicht erkennbar.
c) Das FG durfte den Beweisantrag schließlich auch nicht gemäß Art. 3 § 3 Abs. 2 VGFG-EntlG zurückweisen. Der Berichterstatter (§ 79 FGO) hat dem Kläger keine dem Art. 3 § 3 Abs. 1 Nr. 3 VGFG-EntlG entsprechende Frist gesetzt. Die Fristsetzung zur Bezeichnung von Beweismitteln nach dieser Vorschrift setzt u. a. voraus, daß sich die Beweismittel auf bestimmte Tatsachen beziehen, die nachgewiesen werden müssen. Das ergibt sich zwar nicht zweifelsfrei aus dem Wortlaut des Art. 3 § 3 Abs. 1 Nr. 3 VGF-EntlG, der dies nur für die Vorlage von Urkunden und anderen Gegenständen vorauszusetzen scheint. Es ergibt sich aber aus dem Sinnzusammenhang mit den gemäß § 82 FGO auf die Beweisaufnahme sinngemäß anzuwendenden Vorschriften der Zivilprozeßordnung (vgl. §§ 359 Nr. 1, 371, 373, 403 und 445 Abs. 1), in denen die Bezeichnung der zu beweisenden Tatsache verlangt wird. Davon geht auch der Gesetzgeber aus (vgl. Bundestags-Drucksache 8/842 S. 14; übereinstimmend Rößler, Information, 1979 S. 176, 177; Haarmann, Deutsche Steuer-Zeitung, Ausgabe A 1978 S. 203, 206).
d) Der Beweisantrag war auch hinlänglich substantiiert; dabei ist zu berücksichtigen, daß das FG grundsätzlich verpflichtet ist, den Sachverhalt unter Ausschöpfung der zur Verfügung stehenden Beweismittel zu erforschen (vgl. Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 76 Anm. 2). Angesichts dessen kann es nicht entscheidend sein, daß (lt. Protokoll über die mündliche Verhandlung) die Anschrift der Zeugen nicht mit dem Beweisantrag genannt wurde. Es ist nicht festgestellt, daß die Anschrift nicht angegeben werden konnte (vgl. auch Urteil des Bundesgerichtshofs vom 5. November 1973 II ZR 165/72, Neue Juristische Wochenschrift 1974 S. 188).
4. Da die Verletzung des § 76 FGO zur Zurückverweisung der Sache führt, kann offenbleiben, ob - wie der Kläger meint - durch die Unterlassung der Beweisaufnahme Art. 1 und 6 GG sowie § 79 FGO verletzt worden sind.
Fundstellen
Haufe-Index 413542 |
BStBl II 1981, 443 |
BFHE 1981, 508 |