Entscheidungsstichwort (Thema)
Zum Beweiswert des Eingangsstempels des FA für den Eingang eines Schriftstücks
Leitsatz (NV)
Im Rahmen der freien Beweiswürdigung ist solange von der Richtigkeit der durch den Eingangsstempel des FA bekundeten Tatsache des Eingangs eines Schriftstücks an einem bestimmten Tag auszugehen, als die Unrichtigkeit der bekundeten Tatsache des Einganges nicht glaubhaft gemacht wird.
Normenkette
AO 1977 § 108 Abs. 1; FGO § 96; ZPO § 418 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die für das Streitjahr 1978 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Der Kläger (Ehemann) bezieht Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und Einkünfte aus freiberuflicher Gutachtertätigkeit.
Da die Kläger trotz besonderer Aufforderung keine Einkommensteuererklärung für 1978 abgegeben hatten, setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) mit Bescheid vom 13. März 1981 die Einkommensteuerschuld für 1978 nach Maßgabe geschätzter Besteuerungsgrundlagen (Gewinn aus selbständiger Arbeit . . . DM) fest.
Der Einkommensteuerbescheid 1978 vom 13. März 1981 wurde den Klägern jeweils einzeln lt. Postzustellungsurkunde (PZU) am 14. März 1981 zugestellt. Mit Schreiben vom 14. April 1981 legten die Kläger gegen den Einkommensteuerbescheid für 1978 Einspruch ein. Dieses Schreiben trägt den Eingangsstempel der Poststelle des FA vom 15. April 1981.
In der Folgezeit reichten die Kläger eine Einkommensteuererklärung für 1978 beim FA ein, in der ein Gewinn des Klägers aus wissenschaftlicher Nebentätigkeit in Höhe von . . . DM ausgewiesen ist. In einem anschließenden Schriftwechsel zwischen der Veranlagungsstelle des FA und den Klägern wurden verschiedene Positionen der Steuererklärung erörtert. Mit Verfügung vom 14. Juli 1981 setzte das FA antragsgemäß die Vollziehung des Einkommensteuerbescheids 1978 in Höhe der streitigen Steuerbeträge aus, und zwar ,,bis einen Monat nach der Bekanntgabe der Entscheidung über den am 14. April 1981 eingelegten Einspruch". Erst nach dem der Einspruch der Rechtsbehelfstelle des FA zur weiteren Bearbeitung zugeleitet worden war, wies diese die Kläger mit Schreiben vom 9. Februar 1982 darauf hin, daß der Einspruch verspätet eingegangen und daher unzulässig sei, und gab den Klägern Gelegenheit zur Stellungnahme. Dieses Schreiben blieb ohne Antwort. Daraufhin verwarf das FA den Einspruch als unzulässig, da dieser erst nach Ablauf der Einspruchsfrist eingegangen sei und Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht vorgetragen worden seien.
Mit der Klage machten die Kläger erstmals geltend, der Kläger habe das Einspruchsschreiben noch am 14. April 1981 persönlich in den Hausbriefkasten des FA eingeworfen; der Einspruch sei deshalb noch rechtzeitig eingelegt.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage nach Beweisaufnahme ab.
Mit der Revision beantragen die Kläger, das angefochtene Urteil und die Einspruchsentscheidung des FA aufzuheben. Die Kläger rügen unrichtige Beweiswürdigung und Verletzung materiellen Rechts.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. Ein Einspruch gegen einen Einkommensteuerbescheid ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Steuerbescheids einzulegen (§ 355 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung - AO 1977 -). Im Streitfall wurde der angefochtene Einkommensteuerbescheid den Klägern ausweislich der PZU jeweils am 14. März 1981 wirksam bekanntgegeben. Die Einspruchsfrist endete daher mit Ablauf des 14. April 1981 (§ 108 Abs. 1 AO 1977 i. V. m. §§ 187 Abs. 1 und 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -).
2. Nach den tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils, die für den Senat bindend sind, ist davon auszugehen, daß der Einspruch der Kläger erst am 15. April 1981 beim FA eingegangen ist.
a) Der Senat kann dahingestellt sein lassen, ob, wie der VIII. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) in seinem Urteil vom 17. Oktober 1972 VIII R 36-37/69 (BFHE 108, 141, BStBl II 1973, 271) entschieden hat, der Eingangsstempel des FA gemäß § 418 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung (ZPO) den vollen Beweis der darin bezeugten Tatsache, d. h. des Eingangs des Schriftstücks beim FA an dem im Eingangsstempel angegebenen Tag erbringt mit der Maßgabe, daß diese gesetzliche Beweisvermutung nicht widerlegt ist, solange nicht die Möglichkeit beseitigt ist, daß der Inhalt des Eingangsstempels richtig ist (offengelassen in BFH-Urteil vom 7. Juli 1976 I R 66/75, BFHE 119, 368, BStBl II 1976, 680). Auch wenn man mit dem FG und einer verbreiteten Meinung im Schrifttum (zur Schrifttumskontroverse vgl. z. B. Friederich, Betriebs-Berater - BB - 1985, 113, m.w.N.) davon ausgeht, daß die formalen Vorschriften der ZPO über den Urkundenbeweis im finanzgerichtlichen Verfahren und im außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren nicht anwendbar sind, bleibt es doch dabei, daß dem Eingangsstempel des FA im Rahmen freier Beweiswürdigung (vgl. § 96 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) ein hoher Beweiswert beizumessen ist (Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 82 Anm. 2 I S. 255). Es ist daher aus revisionsrichterlicher Sicht nicht zu beanstanden, wenn die Tatsacheninstanz so lange von der Richtigkeit der durch den Eingangsstempel bekundeten Tatsache des Eingangs eines Schriftstücks an einem bestimmten Tag ausgeht, als die Kläger keinen Sachverhalt dargetan und wenigstens glaubhaft gemacht haben, der nach der freien Überzeugung des Gerichts wahrscheinlich erscheinen läßt, daß der Eingangsstempel sachlich unrichtig ist.
Im Streitfall haben die Kläger zwar behauptet, daß der Kläger das Einspruchsschreiben noch am 14. April 1981 in den Briefkasten des FA eingeworfen hat. Dies hat der Kläger bei seiner Beteiligtenvernehmung bekundet und auch eidesstattlich versichert. Das FG hat sich aber nicht davon überzeugen können, daß diese Behauptung zutrifft und daher auf dem Einspruchsschreiben versehentlich ein unrichtiger Eingangsstempel angebracht worden ist. Die Beweiswürdigung des FG ist mindestens möglich. Sie berücksichtigt alle wesentlichen Umstände und ist frei von Verstößen gegen Denkgesetze und gegen Regeln der allgemeinen Lebenserfahrung.
Die Tatsache, daß der Kläger Beamter auf Lebenszeit und ordentlicher Professor ist, war dem FG bekannt; das FG war nicht gehalten, dieser Tatsache im Rahmen der freien Beweiswürdigung besondere oder gar ausschlaggebende Bedeutung beizumessen. Überdies hat das FG dem Kläger nicht unterstellt, daß er bewußt eine falsche eidesstattliche Versicherung abgegeben habe; das FG läßt Raum für die naheliegende Möglichkeit, daß sich der Kläger über den Tag des Einwurfs des Schreibens in den Briefkasten des FA geirrt hat.
Auch die Formulierung in der Aussetzungsverfügung ,,am 14. April 1981 eingelegter Einspruch" ist ohne Bedeutung für die Beweiswürdigung, da sie offensichtlich an das Datum des Einspruchsschreibens angelehnt ist und der Beweiswert von beiläufigen Angaben in einer Aussetzungsverfügung über den Tag, an dem ein Einspruch ,,eingelegt" ist mit dem Beweiswert eines Eingangsstempels der Posteingangsstelle entsprechend der jeweiligen Funktion der Angaben naturgemäß in keiner Weise vergleichbar ist.
b) Im Streitfall hat das FG in dem angefochtenen Urteil allerdings nicht ausdrücklich erörtert, daß nach der Rechtsprechung in Fällen, in denen ein Schriftstück (erwiesenermaßen) am letzten Tag einer Frist nach Dienstschluß in den Briefkasten einer Behörde (oder eines Gerichts) eingeworfen worden ist, entweder davon auszugehen ist, daß die Rechtsbehelfs- oder Rechtsmittelfrist gewahrt ist oder wegen des Fehlens der Möglichkeit eines Briefeinwurfs in einen Nachtbriefkasten Wiedereinsetzung zu gewähren ist (z. B. Senatsbeschluß vom 21. November 1974 IV B 66-67/74, BFHE 114, 321, BStBl II 1975, 300). Offensichtlich ist diese Erörterung aber nur deshalb unterblieben, weil dem FG bekannt war, in welcher Weise in den Posteingangsstellen der FÄ (und der FG ohne Nachtbriefkasten), insbesondere auch des beklagten FA, Schriftstücke behandelt werden, die an Arbeitstagen bei Dienstbeginn im Hausbriefkasten vorgefunden werden. Gerichtsbekanntermaßen erhalten derartige Schriftstücke den Eingangsstempel des Vortags und nur bei einigen FÄ den Eingangsstempel des Tags der Briefkastenöffnung, aber mit dem Zusatz ,,Frühleerung".
Dies läßt die Revision außer acht, wenn sie ausführt, es spreche viel dafür, daß der Kläger den Einspruch am 14. April 1981 nach Dienstschluß in den Hausbriefkasten des FA eingeworfen und das FA den Briefkasten erst am 15. April 1981 geleert und dann sozusagen notwendigerweise den Einspruch mit dem Eingangsstempel vom 15. April 1981 versehen habe.
Fundstellen
Haufe-Index 413870 |
BFH/NV 1987, 17 |