Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage der Berücksichtigung von Enteignungsverlusten in der sowjetischen Besatzungszone
Normenkette
EStG § 2 Abs. 2, § 6
Tatbestand
Die zwei Beschwerdeführer sind Gesellschafter einer OHG zu gleichen Teilen gewesen, die ihren Sitz in der sowjetischen Besatzungszone hatte. Am 25. Juni 1948 hat die Landesregierung von Brandenburg einen Treuhänder über das Unternehmen eingesetzt. Im Jahre 1949 sind die Beschwerdeführer enteignet worden. Die Beschwerdeführer haben ihr Unternehmen nach den Westzonen verlegt. Als Sitzverlegung sahen sie den 1. März 1949 an, zu dem sie eine Eröffnungsbilanz auf DM- Grundlage errichtet haben. Sie befinden sich bereits seit Juni 1948 im Bundesgebiet.
Die Beschwerdeführer beantragen, ihren in der sowjetischen Besatzungszone erlittenen Verlust bei ihren Veranlagungen in den Westzonen zu berücksichtigen. In den Westzonen haben sie Einkünfte aus einem anderen im Bundesgebiet gelegenen Gewerbebetrieb und aus nichtselbständiger Arbeit bezogen. Die Höhe des Verlustes auf Grund der Enteignung haben die Beschwerdeführer im Einvernehmen mit dem Finanzamt nach ihrer Bilanz vom 31. Dezember 1947 auf 340.512 DM-Ost ermittelt. Das Finanzamt hat diesen Betrag nach Abschn. 5 Abs. 3 der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) II/1948 und 1949 im Verhältnis 3 DM-Ost = I DM-West in 113.504 DM-West umgerechnet. Die Hälfte dieses Betrages hat es bei der Veranlagung jedes der beiden Beschwerdeführer für II/1948 durch Verrechnung mit den Einkünften der Beschwerdeführer im Bundesgebiet ausgeglichen.
Die Beschwerdeführer wandten sich gegen das in den EStR vorgesehene Umrechnungsverhältnis 3 : 1. Sie beantragten im Wege der Sprungberufung, den Verlust in Höhe von 340.512 DM- West zu berücksichtigen. Dadurch werde der Tatsache, daß sie in der sowjetischen Besatzungszone Sachwerte und nicht DM-Ost verloren hätten, Rechnung getragen.
Das Finanzgericht lehnte die Berufung als unbegründet ab und führte hierzu unter anderem folgendes aus: Der Enteignungsverlust sei nachgewiesen. Als Zeitpunkt des Verlustes sei der 25. Juni 1948 anzusehen: Unter Treuhandschaft gestellte Betriebe seien enteigneten Betrieben gleichzustellen (vgl. Betriebs-Berater 1952 S. 972, Deutsche Steuerzeitung 1953 S. 20, jedoch auch Betriebs-Berater 1953 S. 289). Der Erwägung der Beschwerdeführer, daß ihnen Sachwerte verlorengegangen seien und nicht DM-Ost, daß also die Teilwerte zu ermitteln und zu berücksichtigen seien, könne nicht Raum gegeben werden. Der Vergleich mit der Entscheidung des Bundesfinanzhofs 1 115/51 U vom 12. Dezember 1951, Slg. Bd. 56 S. 197, Bundessteuerblatt 1951 III S. 79, gehe fehl. Dort seien Sachwerte aus der sowjetischen Besatzungszone in die Westzonen verlagert worden.
Der von den EStR eingeschlagene Weg, den RM-Verlust in DM-Ost und die DM-Ost in DM-West umzurechnen, erscheine der zweckmäßigste. Der Wert in DM-West sei zu schätzen. Denn ein Kurs, der das richtige Verhältnis der inneren Kaufkraft der DM-Ost zur DM-West wiedergebe, liege nicht vor. Bei dieser Schätzung trage das Gericht jedoch keine Bedenken, den von den Richtlinien gewählten Maßstab 3 : 1 zugrunde zu legen. Die Richtlinien hätten zwar nur die Bedeutung einer Schätzung, das Finanzgericht trete jedoch dieser Schätzung bei.
Die Rechtsbeschwerde (Rb.) wendet sich gegen die Vorentscheidung und will einen günstigeren Umrechnungssatz.
Entscheidungsgründe
Die Prüfung der Rb. ergibt folgendes:
Verfahrensrechtlich bestehen gegen die Entscheidung des Finanzgerichts insofern Bedenken, als das Finanzgericht in seinem Rubrum als Gegenstand des Verfahrens die Einkommensteuerveranlagungen II/1948 der beiden Gesellschafter bezeichnet. Da diese für II/1948 von der Einkommensteuer freigestellt worden sind, würde es für die Durchführung des Verfahrens an der Beschwer und damit an einer Prozeßvoraussetzung fehlen. Sachlich hat das Finanzamt eine von den beiden Gesellschaftern bekämpfte Feststellung des bei dem Betrieb in der sowjetischen Besatzungszone aufgetretenen Verlustes getroffen. Diese Feststellung war auch Gegenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens und ist Gegenstand des Rechtsbeschwerdeverfahrens.
Den Beschwerdeführern ist darin beizutreten, daß die Umrechnung nach den Berliner Wechselstubenkursen keine zuverlässige Unterlage für den tatsächlich entstandenen Verlust abgibt. Es handelt sich hier nicht um den Verlust von DM-Ost-Noten, die mit Hilfe der Wechselstuben erworben worden sind, sondern um ein Gesamtvermögen, das Werte aller Art, darunter Sachgüter und Geldposten, enthält. Der Wert dieser Sachgesamtheit kann, in DM-West berechnet, einen erheblich größeren Betrag ausmachen, als er in dem Umrechnungskurs der Wechselstuben zum Ausdruck kommt. Diese Grundsätze ergeben sich bereits aus der Entscheidung des Bundesfinanzhofs 1 115/51 U vom 12. Dezember 1951. Es müssen hiernach die Verhältnisse des einzelnen Falles gewürdigt werden. Sie können gegenüber anderen ähnlich gelagerten Tatbeständen verschieden sein. Diese Auffassung hat auch der IV. Senat des Bundesfinanzhofs in seiner Rechtsprechung vertreten, so in den Entscheidungen IV 382/52 vom 26. Februar 1953 (im Auszug wiedergegeben im Berliner Steuerblatt 1953 S. 255 und im Betriebs-Berater 1953 S. 789) und IV 400/52 vom 13. August 1953 (im Auszug wiedergegeben in "Die Wirtschaftsprüfung" 1953 S. 474).
Im vorliegenden Falle wurde der Betrieb am 25. Juni 1948 in die Verwaltung eines Treuhänders gegeben. Die Vorbehörden haben in übereinstimmung mit den beiden Gesellschaftern im vorliegenden Fall die Beschlagnahme der Enteignung gleichgestellt. Zu dieser Auffassung konnten sie kommen. Der Vorgang hat sich wenige Tage nach der Währungsumstellung in den Westzonen (21. Juni 1948) abgespielt. Man wird davon ausgehen müssen, daß bereits am 21. Juni 1948 die Gefahr der Enteignung einen sehr erheblichen Umfang angenommen und dies zu einer entsprechenden Wertminderung des Betriebes geführt hat. Hierfür spricht auch die Tatsache, daß die Gesellschafter im Juni 1948 die sowjetische Besatzungszone verlassen haben. Des weiteren erscheint es beachtlich, daß ein anderer Betrieb der beiden Gesellschafter, der allerdings in die Form einer AG gekleidet war, in Thüringen schon wesentlich früher enteignet worden ist. Nach Lage der Verhältnisse wird man davon ausgehen müssen, daß die Enteignung des Betriebes in Brandenburg lediglich eine Frage der Zeit war.
Wenn auch das D-Markbilanzgesetz auf Betriebe in der sowjetischen Besatzungszone keine Anwendung findet, so sind doch Verluste, die bereits vor dem 21. Juni 1948 eingetreten sind, bei der Veranlagung von Steuerabschnitten nach dem 20. Juni 1948 in den Westzonen gleichfalls auszuscheiden. Es müssen hier die in § 73 Abs. 6 und § 74 Abs. 1 des D-Markbilanzgesetzes ausgesprochenen Grundsätze entsprechend angewandt werden. Die in der sowjetischen Besatzungszone nach dem Zusammenbruch eingetretenen Verluste mindern wohl das Einkommen des Steuerpflichtigen nach 1944, die auf die Zeit vor dem 21. Juni 1948 entfallenen Verluste müssen aber im Streitfalle ausgeschieden werden.
Wie in den oben mitgeteilten Entscheidungen zum Ausdruck kommt, kann die Höhe des Verlustes, der durch den Gesamtwert des Betriebes am 25. Juni 1948 dargestellt wird, nur griffweise frei geschätzt werden.
Da die Vorentscheidung von Rechtsirrtum beeinflußt ist, wird sie aufgehoben. Es ist nicht anzunehmen, daß weitere Erhebungen zu zuverlässigeren Unterlagen führen. Der Senat schätzt den durch die Enteignung in II/1948 erlittenen Verlust frei auf 170.256 DM. Er verteilt sich mit je 50 % auf die beiden Gesellschafter.
Fundstellen
Haufe-Index 407956 |
BStBl III 1954, 235 |
BFHE 1955, 68 |
BFHE 59, 68 |